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Der Hase und der König Elefant

Aus Mauritius

Früher einmal war der Elefant der König der Tiere, aber dieser arme König war so alt, so alt, daß er nichts mehr tun, sich mit nichts mehr befassen konnte. Er ging den ganzen Tag mit offenem Munde geifernd herum wie ein kleines Kind, das zahnt. Ein untauglicher Greis, sag' ich euch. Die Tiere jedoch taten so, als glaubten sie, daß er immer lächle und deshalb den Mund auf habe, und alle sagten sie: Seht doch nur, welch guten König wir haben; er lacht immer, er lacht ununterbrochen.

Die trockene Jahreszeit kam. Kein Regen fiel, alles Gras war von der Sonne verbrannt. Der Hase sucht nach Futter und findet nichts. Keinen Salat, keinen Kohl, nichts, gar nichts. Aber ihr wißt, der Hase ist immer voller Bosheit. Als er den offenen Mund des Königs Elefanten sieht, erspäht er den Augenblick, wo niemand ihn sehen kann, und springt dem König in den Mund. Von dort kriecht er ihm in den Bauch und macht sich daran, die Eingeweide zu fressen. Der Elefant fühlt nichts, sein Mund bleibt offen, er lacht, er lacht immer.

Der Hase ist ein böses Tier. Nachdem er genug Gedärme gefressen, beginnt er, das Herz des Königs anzunagen. Diesmal hört der alte König mit Lachen auf, er schließt den Mund und stirbt.

Als der Hase genug gefressen hat, will er wieder heraus. Unmöglich, das Tor ist zu. Was tun? Er kehrt in die Eingeweide zurück, setzt sich hin und denkt nach.

Inzwischen haben draußen die Tiere gemerkt, daß der König tot ist. Sie tun verzweifelt, sie weinen, schreien und seufzen. Der Affe begibt sich zum jungen Elefanten, der seines Vaters, des Königs Nachfolger werden soll, und sagt:

»Sir, um unsern Schmerz ein wenig zu lindern, so gestattet, daß wir den Leichnam Eures Vaters mit duftenden Gräsern, Zitronenkraut und Farnkraut umwinden. Dann tragen wir ihn zum Kirchhof. So wird es wenigstens länger dauern, bis er verwest, und wir können uns ein bißchen trösten. Welchen schrecklichen Verlust haben wir gehabt! Und alle Tiere wiederholten im Chor: Ja, Sir! Ja, Sir! Laßt uns den Leichnam Eures Vaters mit Laub umhüllen.«

Der junge Elefant ist es zufrieden, er sagt zu ihnen:

»Schön, hüllt ihn ein, da ihr es wünscht!«

Der Affe sagt zu den andern Tieren:

»Geht, sucht Gras und Laub. Ich behalte bei mir die Ratte, die Maus, den Tausendfüßer und den Wurm, um die Leiche zu entleeren. Man muß die Eingeweide herausnehmen und wegwerfen, sonst verwest er zu schnell.«

Der Hase, der alles gehört hat, wickelt sich rasch in die Eingeweide. Der Affe läßt sie herausnehmen und weit wegwerfen, damit sie den Palast des Königs nicht mit schlechtem Geruch erfüllen.

Als der Hase hört, daß sich alle entfernt haben, kriecht er aus den Eingeweiden heraus, leckt sich und putzt sich und rennt zum Kirchhof, wo man den Verstorbenen eingrub.

Der Esel und der Papagei kamen und hielten lange Reden am Rande der Grube. Der Hase tut sehr eilig, stürzt am Grabe hin, hebt die Augen gen Himmel und beginnt:

»Weh, weh, meine Brüder! Wie grausam hat Gott uns geschlagen, welch guten König haben wir verloren! Und ich war nicht da, um ihm die Augen zu schließen! Ich war auf den Drei Inseln bei dem Onkel meiner Frau, auch er ist ernstlich krank. Ich komme zurück und höre sagen: der König, unser guter König ist tot. Weh, weh! Laßt mich weinen! Alle seid ihr in Betrübnis, meine Brüder, alle, ich sehe es, fühlt ihr den Verlust. Aber niemand, niemand konnte so wie ich wissen, welch' gutes Herz, welch' ausgezeichnetes Herz unser König hatte. So erlaubt, daß meine Tränen fließen.«

Der Hase verläßt den Kirchhof und geht, um sich am Rande des Baches Kresse zu suchen.


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