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Der Betrüger und der Helfershelfer

Tatarisch

Waren einmal ein Alter und eine Alte, die hatten einen einzigen Sohn, der hieß Aldar (Betrüger). Eines Tages sprach er: »Ich bin Meister darin, die Leute zu betrügen; hätte ich doch einen Gefährten, der mir beistehen könnte!« Darauf verließ er seinen Aul und ging zu einem andern Aul.

Auf dem Wege begegnete ihm ein Mensch, dieser Mensch grüßte ihn: »He, Aldar, bist du gesund?«

Der Betrüger sprach zu ihm: »Vollkommen, Jüplär (Helfershelfer).«

Jener Mensch sprach: »Woher weißt du, daß ich ein Helfershelfer bin?«

Der Betrüger sprach: »Woher weißt du denn, daß ich ein Betrüger bin?«

Der Helfershelfer sprach: »Ich bin ein Meister im Helfen, ich habe nur keinen Gefährten, der das Betrügen versteht.«

Der Betrüger sprach: »Ich bin ein Meister im Betrügen, ich habe aber niemand, der mir Helfershelfer sein könnte.«

Der Helfershelfer sprach: »Wenn's so ist, so laß uns beide Gefährten sein!«

Beide waren nun Gefährten und zogen mit einem Pferde fort.

Da kamen sie zum Hause eines Reichen; ihr Pferd spannten sie aus. Als sie ihr Pferd zur Tränke ritten, bestieg der Betrüger das Pferd, und der Helfershelfer führte es am Zaum, bis sie zur Tränke kamen. Nachdem das Pferd Wasser getrunken, stieg der Betrüger vom Pferde. Der Helfershelfer bestieg das Pferd, und der Betrüger führte das Pferd am Zaume fort.

Der Wirt des Hauses, wo sie wohnten, sprach bei sich: »Diese Gäste sind sehr dumm.« Darauf übernachteten sie im Hause, wo sie abgestiegen.

Am Morgen ging der Wirt eine halbe Werst fort zum Dreschen und arbeitete daselbst. Der Betrüger und der Helfershelfer tränkten ihr Pferd, aßen sich satt, zäumten ihr Pferd auf, und der Betrüger trat ins Haus, um sich von der Frau zu verabschieden. Die Wirtin nahm Abschied und geleitete ihn zum Hause hinaus. Der Betrüger ließ bei dem Helfershelfer seine Mütze zurück und sprach: »Ich will doch zum Wirt gehen und mich verabschieden.« Mit bloßem Kopfe ging er zum Wirt.

Der Wirt sprach: »He, Gast, warum gehst du barhäuptig?«

Der Betrüger sprach: »Speise und Salz habe ich bei dir genossen, ich bin gekommen, um mich von dir zu verabschieden; daß ich barhäuptig gehe, ist deswegen, weil deine Frau mir meine Mütze nicht gibt. Für Speise und Trank gib Geld, sagte sie und dann nimm deine Mütze!«

Der Wirt wurde zornig und sprach: »Sie werden deine Mütze geben, ich werde von hier aus rufen: Gib! Gib!«

Der Betrüger kehrte zurück, dann sprach er zur einzigen Tochter des Wirtes: »Steh auf, dein Vater hat dich mir gegeben.«

Die Frau sprach: »Für wieviel hat er sie dir gegeben?«

Der Betrüger sprach: »Was geht es dich an? Der Wirt hat sie gegeben.«

Darauf zerrte er sie zum Hause hinaus und rief dem Wirt zu: »Sie geben sie nicht.«

Der Wirt zeigte von weitem seine Schaufel: »Gebet sie in Gutem!« rief er, »wenn ihr sie nicht gebt, werde ich euch töten.«

Da fürchtete sich die Frau und gab ihre Tochter. Der Betrüger und sein Helfershelfer zögerten keinen Augenblick, ließen das Mädchen das Pferd besteigen und führten es davon.

Als sie aus der Stadt gekommen und ein wenig geritten waren, hütete ein Hirt die Schafe eines Reichen. Der Betrüger sprach zum Hirten: »Gott grüß dich, Grindköpfchen,« denn der Hirt war grindköpfig.

Der Hirt sprach: »Ei, Freund, daß du mich Grindköpfchen nennst, das kommt mich sehr schwer an.«

Der Betrüger sprach: »Den Grind deines Kopfes will ich sogleich heilen, was gibst du mir?«

Der Hirt sprach: »Wenn du ihn heilst, will ich dir fünf Schafe geben.«

Der Betrüger sprach: »Wenn's so ist, will ich ihn heilen.«

An einer Stelle grub er ein Loch von solcher Tiefe, daß gerade ein Mensch hineinpaßte; da hinein goß er ein wenig Wasser; zum Grindkopf sprach er: »Komm her, beuge dich nieder und schau in mein gegrabenes Loch hinein, ich will dann ausspeien.«

Als der Grindkopf da hinabschaute, ergriffen ihn der Betrüger und sein Helfershelfer bei den Beinen und steckten ihn mit dem Kopf ins Loch hinein. Sein Kopf war in der Erde, und seine beiden Beine schlenkerten in der Luft herum; sie aber trieben alle Schafe des Grindkopfes davon.

Als sie ein wenig gegangen waren, hatte ein Sart einen Ochsen angespannt und pflügte. Der Betrüger sprach: »Gott grüß, Sart.«

Der Sart sprach: »Du bist willkommen, Gast.«

Der Betrüger sprach: »He, Alter, laß mich einmal pflügen!«

Der Sart gab ihm den Pflug, der Betrüger zog ein paar Furchen.

Der Sart sprach: »Du bist ein Meister im Pflügen.«

Der Betrüger sprach: »Ich bin sehr hungrig; wenn du mir ein wenig Speise zum Essen herbringst, will ich pflügen.«

Der Alte sprach: »Das ist gut,« und ging nach Hause, um Speise zu bringen.

Der Betrüger spannte den Ochsen aus dem Pflug, schnitt dem Ochsen den Schwanz am Grunde ab und schickte den Ochsen mit dem Helfershelfer fort. Den Schwanz des Ochsen nahm er in die Hand, steckte ihn in die Erde, setzte sich hin und wartete.

Nach einiger Zeit kam der alte Sart. Da klammerte der Betrüger sich an den Schwanz des Ochsen und zog, dann fiel er rückwärts nieder. Er richtete sich wieder auf, faßte die Erde mit den Händen und schlug seine Lenden.

Der Sart kam. »Wo ist der Ochse,« fragte er, »wo ist er hingegangen?«

Der Betrüger sprach: »Ich pflügte soeben, da ist der Ochse in die Erde hineingekrochen, ich packte ihn beim Schwanze, da ist der Schwanz abgerissen.«

Der Sart sprach: »Ich habe selbst gesehn, wie der Schwanz abriß, du hast gut für mich gehandelt.« Der Betrüger sprach: »Der Ochse wird bald ermatten, tief unter die Erde geht er nicht; wenn du mit dem Spaten gräbst, wirst du ihn erreichen.«

Der alte Sart holte einen Spaten und grub nach dem Ochsen.

Der Betrüger und der Helfershelfer kehrten zum Hause des Betrügers zurück.

Nach einiger Zeit kam der Wirt nach Hause. Seine Frau sprach: »Weshalb hast du einem Gast deine Tochter gegeben?«

Der Wirt sprach: »Weshalb soll ich ihm meine Tochter geben? Er kam zu mir und sprach: Die Frau gibt mir meine Mütze nicht; für Speise und Trank gib Geld, sagte sie, aber ich habe kein Geld. So sprach er und weinte; ich sagte zu ihm: Geh zurück, ich will von hier aus meine Schaufel zeigen, dann werden sie sie dir geben!«

Die Frau sprach: »Als dieser von dir gekommen, verlangte er unsere Tochter: der Wirt hat mir seine Tochter gegeben! Und zerrend gingen wir hinaus. Da riefst du von fern und zeigtest die Schaufel. Gib sie im Guten; wenn du sie nicht gibst, töte ich dich! sagtest du, da gab ich sie.«

Da wurde der Wirt zornig und verfolgte den Betrüger. Als er aus der Stadt gekommen und ein wenig gegangen war, steckte da ein Mensch mit dem Kopf nach unten in der Erde, und seine beiden Beine schlenkerten in der Luft. Er ergriff ihn bei den Füßen und zog ihn heraus. Die Haut seines Kopfes war ganz rot geworden, und das Blut quoll hervor. Der Hirt vermochte nicht aufzustehn und sagte an der Stelle, wo er lag: »Ist mein Kopf gesund geworden?«

Der Wirt sprach: »Ganz vortrefflich!«

Da sprach der Grindkopf: »Du bist ja ein anderer Mensch.«

Der Wirt sprach: »Was ist denn mit dir geschehen? Wer hat dich so in die Erde vergraben?«

Der Grindkopf sprach: »Ein Mensch versprach mir meinen Kopf zu heilen und mir Arznei zu bereiten.«

Der Wirt sprach: »Das ist derselbe Betrüger, er hat auch meine Tochter davongeführt.«

Da zogen beide aus, den Betrüger aufzusuchen.

Als sie eine Zeitlang gegangen waren, sahen sie, daß ein Sart einen Keller grub.

Der Wirt sprach: »He, Alter, weshalb gräbst du abseits von der Stadt einen Keller?«

Der Sart sprach: »Ich habe mit meinem Ochsen gepflügt, da kam ein Mensch und sagte: Ich will an deiner Statt pflügen, ich bin hungrig. – Daher ging ich zurück, um Speise zu holen, da ist während der Zeit der Ochse in die Erde hinabgestiegen. Als ich die Speise bringend zurückkehrte, war noch der Schwanz des Ochsen zu sehen, und jener Mensch klammerte sich an den Schwanz an. Da der Ochse nicht nachgab, riß der Schwanz ab.«

Der Wirt sprach: »Du, trau ihm nicht! Der Betrüger hat meine Tochter genommen, hat des kahlen Grindkopfs Schafe genommen, er hat auch deinen Ochsen genommen.«

Da gingen sie, des Betrügers Wohnsitz und Haus aufzusuchen.

Der Betrüger sah sie von seinem Hause aus, kam ihnen entgegen und sprach: »Seid willkommen, reicher Wirt, Hirt und Sart. Jedem von euch habe ich etwas fortgeführt, dem einen die Tochter, dem andern die Schafe, dem dritten den Ochsen, und zwar mit List, aber nur deshalb, weil so Treffliche, wie ihr seid, sonst zu mir nicht zu Gaste kommen würden.«

Seine Gäste führte er ins Haus, schlachtete ein Schaf, bereitete Speise und bewirtete sie reichlich. Als es Schlafenszeit war, sprach er: »Ach, Reicher, ach, Hirt, ach, Sart, seid ja vorsichtig, die Gewohnheit des Herrschers dieser Stadt ist eine solche: wenn an irgendeinem Tage ein Gast kommt und übernachtet, so kommen vor Sonnenaufgang Soldaten, und wer nur ein Gast ist, bei dem beschauen sie die Matratze, auf der er gelegen hat; wenn nun der Gast im Schlafe sein Bett verunreinigt hat, dann läßt der Herrscher ihn, ohne irgendein Verhör zu veranstalten, töten.«

Jene sprachen: »Behüte Gott, uns passiert so etwas nicht!«

Um Mitternacht, als sie eingeschlafen waren, trat der Betrüger ein und legte dem Reichen Schafdünger unter, unter den Grindkopf und den Sart goß er warmes Wasser; diese waren vom Weg ermüdet und schliefen fest. Zu einer Zeit erwachte der Reiche vom Schlafe und fand den Schmutz; furchtsam schleuderte er ihn fort, und der Mist traf den Alten.

Der Sart erwachte. »Was ist?« fragte er.

Der Reiche sprach: »Sei still, mein Bett ist verunreinigt.«

Der Sart sprach: »Das ist eine schöne Geschichte!«

Der Reiche sprach: »Schau auch du nach!«

Da fühlte der Sart, daß es naß unter ihm war. »Ach, Reicher, auch mir ist so etwas geschehen!«

Da weckten sie den Grindkopf und sprachen: »Uns ist es so und so ergangen, wie ist es mit dir?«

Der Grindkopf schaute nach, mit ihm war es ebenso.

Da sprach der Reiche: »Ehe ich wegen meiner Tochter sterben sollte, mag lieber meine Tochter hier bleiben, ich entfliehe.«

Der Hirt sprach: »Ehe ich wegen der Schafe meines Wirtes sterben sollte, will auch ich lieber fliehen.«

Der Sart sprach: »Ehe ich wegen eines Ochsen sterben sollte, will auch ich fliehen.«

In der Nacht standen sie auf und entflohen.

Als der Betrüger am Morgen aufstand, waren alle drei nicht mehr im Hause, sondern sie waren entflohen. Er sprach zum Helfershelfer: »Laß uns das Vieh teilen!«

Der Helfershelfer sprach: »Ich brauche kein Vieh, mein Sinn steht nicht nach Vieh; das Mädchen magst du behalten, das Vieh magst du behalten, lebe wohl!«

Darauf verließ er ihn.


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