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Das listige Mädchen

Bornu-Neger im Sudan

Es war einmal ein Mann, der eine schöne Tochter hatte. Er sah, daß sie von allen Jünglingen wegen ihrer Schönheit geliebt wurde. Eines Tages machten sich nun zwei Burschen, die Nebenbuhler waren, auf, gingen zu dem Mädchen und sprachen: »Wir sind zu dir gekommen.« Das Mädchen antwortete: »Was wollt ihr von mir?« Die Burschen sprachen: »Wir lieben dich, deshalb sind wir gekommen.« Da stand das Mädchen auf, ging zu seinem Vater und sprach: »Siehe, es sind zwei Burschen zu mir gekommen.« Der Vater ging hinaus und fragte die Burschen, weshalb sie ihn besuchten. Sie antworteten, sie wären Nebenbuhler und hätten seine Tochter aufgesucht, weil sie sie zum Weibe begehrten. Als der Vater hörte, was die Burschen sagten, riet er ihnen, nach Hause zu gehen, am andern Tage aber wieder zu kommen, dann wollten sie sehen, wer seine Tochter zum Weibe bekäme. Die Burschen hörten auf die Rede des Alten, kehrten zurück und schliefen zu Hause. Am folgenden Morgen standen sie mit Tagesanbruch auf und begaben sich wieder zu dem Vater des Mädchens. »Sieh, hier sind wir,« sagten sie, »wie du uns gestern befohlen hast.« Darauf der Vater: »Bleibt hier und wartet! Ich will ein Stück Tuch auf dem Markte kaufen, und wenn ich es habe, sollt ihr meinen Vorschlag hören.« Die Burschen blieben also da, während der Alte Geld nahm und auf den Markt ging. Er begab sich nach dem Platze, wo Tuch verhandelt wurde, kaufte ein Stück Tuch und brachte es heim zu den jungen Burschen. Zu Hause angelangt, rief er seine Tochter herbei und sagte in deren Gegenwart zu den Burschen: »Liebe Söhne, ihr seid euer zwei; ich habe aber nur eine Tochter. Wem soll ich sie geben und wem verweigern? Seht dieses Stück Tuch an! Ich werde es in zwei Stücke reißen, jedes zu einem Gewand ausreichend, und wer zuerst mit seinem Kleid fertig ist, soll meiner Tochter Gemahl sein.«

Die Burschen nahmen ihr Tuch und machten sich ans Nähen, während der Alte ihnen zuschaute. Dann rief er auch seine Tochter herbei und gab ihr Garn mit der Weisung, Zwirn daraus zu drehen und ihn den Burschen zu geben.

Das junge Mädchen aber war listig, und was weder ihr Vater noch die Burschen wußten, das wußte sie, nämlich wen von beiden sie liebte. Der Vater begab sich ins Haus, um dort abzuwarten, bis die Burschen ihre Gewänder genäht hätten. Wer zuerst damit fertig wäre, hatte er beschlossen, der sollte des Mädchens Gemahl sein. Das Mädchen begann Zwirn zu drehen, und die Burschen nahmen ihre Nadeln und fingen an zu nähen. Das Mädchen aber war listig. Für den Burschen, den sie liebte, drehte sie kurze Fäden, für den andern lange. So nähten die Burschen, und das Mädchen drehte Zwirn. Zu Mittag waren sie noch nicht fertig, sie fuhr daher fort, Zwirn für sie zu drehen, und beide nähten weiter. Um drei Uhr nachmittags war der Bursche, der die kurzen Fäden bekommen hatte, mit seinem Gewande fertig, der mit den langen aber noch nicht.

Der Alte kam heraus zu den Dreien und fragte die Burschen, ob sie immer noch nähten und das Gewand noch nicht fertig hätten. Der eine von ihnen stand auf, nahm sein Gewand und sprach zu des Mädchens Vater: »Vater, siehe, ich bin fertig mit meiner Arbeit.« Da bekam er das Mädchen zum Weibe.


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