Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

21

»Ein Sauwetter wieder mal«, brummte Nottebohm, in die kleine, freundlich erleuchtete Stube eintretend. Er warf seine nasse Mütze auf den nächsten Stuhl. »Guten Abend auch.«

Johnny nickte nachlässig. »Allein?«

»Ja. Ist Bruno noch nicht da?«

»Ich dachte, du bringst ihn mit.«

»Er kommt sicher.«

Wirth, der Besitzer der Wohnung, nahm schweigend die Mütze und hing sie an einen Kleiderhaken der Türe. Dann wies er ebenso wortlos auf die Herrlichkeiten, die auf dem Tisch aufgebaut waren.

Auf der Tischplatte standen einige Teller mit Resten einer Zervelatwurst, Bratkartoffeln, Brot, Rollmöpsen und Käse. Daneben mehrere volle Bierflaschen und zwei halbvolle vierkantige Flaschen, die Rum und einen gelblichen Korn enthielten.

»Ganz gemütlich hier«, erklärte der Alte, »nicht wie bei armen Leuten. Aber ich habe schon soupiert.« Er setzte sich in die Ecke des schwarzledernen Sofas, das fast die ganze Längswand des Zimmers einnahm.

Ihm gegenüber nahm Wirth Platz, der an einer Dillgurke bedächtig kaute. Johnny hockte im Halbdunkel rittlings auf einem Stuhl und sog an einer kohlschwarzen Virginia, die er alle paar Minuten von neuem in Brand setzte.

Wirth sah nach dem seltsam verschnörkelten Regulator, der die Wand zwischen zwei gerahmten Familienphotographien ›in Vergrößerung‹ zierte, und sagte lakonisch: »Elf.«

»Hm«, machte Nottebohm. »Nur keine Bange. Er wird was Weibliches aufgegabelt haben. Die Frauenzimmer sind ja hinter ihm her wie der Deibel hinter einer armen Seele.« In Brunos Abwesenheit sprach er stets mit einer gewissen Hochachtung von ihm.

»Er soll die Weibergeschichten lassen, verdammt noch mal!« schrie Johnny. »Er wird uns damit bloß reinreiten.«

»Pst!« machte Wirth und blickte sorgenvoll zur Türe des Nebenzimmers, wo sein Sohn, der Säugling, schlief.

Die beiden andern grinsten unwillkürlich.

Wirths Frau war Barfräulein in einem Nachtlokal auf Sankt Liederlich und brachte meist ein hübsches Stück Geld heim, wenn sie es nicht in der Trunkenheit wieder verlor.

Es wäre natürlich das beste gewesen, wenn er sie bei Geschäftsschluß dort abgeholt hätte. Aber das hatte sie sich verbeten: sie verlor dort an. Wert, wenn man sie verheiratet wußte, und nun noch dazu mit einem Riesenkerl wie Wirth. Dabei war es geblieben, gegen Fiekes Entscheidung gab es keinen Einspruch.

Johnny fuhr etwas leiser fort: »Er soll sich jetzt überhaupt nicht sehen lassen. Wenigstens, bis Gras über die Geschichte gewachsen ist. Hab' ich nicht recht? Und er soll uns gefälligst nicht warten lassen; sonst könnt' ich ihm mal Mores lehren und ein paar Verzierungen abschlagen.«

»Kalt Blut, min Jung!« mahnte Nottebohm. »Er wird jeden Augenblick kommen. Er ist an Brot gewöhnt. Und nun paßt mal Achtung!«

Er beugte sich über den Tisch und sprach eine Weile auf die beiden ein. Als er fertig war, herrschte eine Weile Schweigen.

»Nicht ohne«, sagte Wirth langsam.

Johnny zündete seine Virginia zum vierzehntenmal an. »Der Plan ist nicht ohne«, gab er zu. »Auf alle Fälle geht er aufs Ganze. Grad das Rechte für meinen Vater seinen Sohn. Aber er hat einen Fehler.«

»Quatsch. Es ist alles lückenlos wie ein feines Alibi. Sobald dieser Huygens frei ist, schlagen wir los. Wo ist denn dein Fehler, möcht' ich wissen.«

»Von dir red' ich nicht, Alter. Was du ausknobelst, klappt. Deine Plänchen sind immer prima gewesen.«

»Na also.«

Wirth, der mit seiner Gurke fertig war, sagte bedächtig: »Er meint Bruno.«

Johnny nickte. »Wirth hat recht. Das meinte ich. Da sitzt der Haken.«

Dem Alten liefen die Stirnadern auf. »Was soll denn mit ihm los sein?«

»Wird er's tun können?«

»Den feinen Herrn spielen? Das tut er doch die ganze Zeit, und alle haben's ihm geglaubt.«

»Diesmal ist es anders. Zum Beispiel: er muß mit dem Geschäft Bescheid wissen.«

»Dafür hat er ja seine Leute und mich. Ich kenn' doch den Rummel. Ist nur halb so gefährlich. Er braucht doch bloß auf seinem Kontor zu telephonieren und seine Unterschrift zu geben. Und das kann er ja«, schloß er glucksend.

»Und darauf werden die Banken Geld rausrücken?«

»Sein Geld, verstehst du denn noch immer nicht? Das Geld der Firma. Er kann auch persönlich zu den Herren hingehen. Da ist kein Risiko. Und schon gar nicht, solange Huygens bei uns in Verwahrung bleibt.« Er redete sich in Eifer. »Gerade jetzt ist die beste Zeit. Gottsdonner, seht ihr das denn nicht ein? Wir müssen doch endlich mal das große Ding drehen, ehe es zu spät ist. Haben schon lange genug gefackelt und uns mit Läppereien abgegeben. Dazu hab' ich schließlich den Bruno nicht dressiert. Seid doch nicht so vernagelt. Jetzt ist die beste Chance. Erstens ist sein Mitprinzipal tot und hat nichts dreinzureden. Zweitens ist da die Schweinerei mit dem Spritschmuggel und dem ›Pikbuben‹. Kein Mensch wird was dabei finden, daß er jetzt den ganzen Schwindel satt hat und das Geschäftskapital auf sein eigenes Konto übertragen läßt. Am Ende genügt schon das Scheckbuch.«

»Wenn du das so sagst«, begann Wirth nach längerem Nachdenken, »dann ist die Sache klar wie Kloßbrühe. Aber Bruno –«

»Hör mal mit dem Blech auf«, unterbrach ihn der Alte ärgerlich. »Ihr habt immer was gegen ihn. Ich will Peter heißen, wenn er das nicht aus dem Handgelenk dreht. Er hat das Auftreten, den Avec – – oder nicht? Damit schmeißt er die Kiste. Kinderspiel für ihn. Kinnings, ihr könnt sagen, was ihr wollt, das macht er glatt. Ich kenne ihn.«

Aus jedem «Wort sprach der Stolz des Lehrers über den gelehrigen Schüler.

»Hast du's mit ihm besprochen?«

»Hab' ich.«

»Und er ist einverstanden?«

»Er muß. Was soll er sonst anfangen? Und solchen Tip gibt ihm kein Mensch im Leben mehr.«

Aus dem Nebenzimmer klang das Krähen des Säuglings, das sich schnell in verzweifeltes Brüllen verwandelte.

Wirth stand auf und ging hinein. Man hörte sein beruhigendes und beschwörendes Reden und dann einen leisen Wiegengesang.

Johnny war nahe daran, vor Lachen herauszuplatzen. Aber eine warnende Geste Nottebohms zwang ihn zur Beherrschung. Er mußte sein Gesicht aber doch abwenden, als der glückliche Vater wieder eintrat.

»Wir wollen mal büschen leiser snaken, bis der Lüttge wieder schläft«. Der große, schwere Mann ließ sich wieder am Tisch nieder und nahm einen Rollmops in Angriff, den er genießerisch verzehrte.

»Die einzige Schwierigkeit«, begann der Alte nach einer Weile, »die liegt wo anders. Huygens anzulocken nämlich, ohne daß uns einer beobachtet.«

»Erst muß er aus dem Kriminal raus sein.«

Nottebohm schnippte mit den Fingern.

»Gelacht. Solche Leute haben schon den richtigen Anwalt und ein Alibi, das sich gewaschen hat.«

»Dann wäre er schön raus.«

»Vielleicht wird es nachgeprüft. Wie steht es übrigens mit dem Wagen? Repariert?«

»In Ordnung«, antwortete «Wirth lakonisch.

»Man muß alles genau bedenken. Die größten Kerle fielen durch Kleinigkeiten rein. Das Sicherste wäre, man wartet beim Kriminal. Wenn Huygens da raus kommt, wird er nicht gehen wollen.«

»Dann müßte man genau wissen, wann er los kommt.«

»Dafür laß mich man sorgen«, erklärte der Alte mit pfiffigem Gesicht. »Man hat doch so seine Leute.«

»Prost, Alter!« Johnny trank ihm anerkennend zu.

»Und der Wagen steht ganz zufällig da. Wenn ein Grüner zu neugierig ist, murmelst du was von Bestellung und zwinkerst zum Bau rüber. Das wird genügen. Du fährst und Johnny steigt an der drittnächsten Ecke ein. Und dann Vollgas und nichts wie los. Wohin, weißt du ja.«

Johnny zündete sich seine Virginia von neuem an. »Geht nicht bei Tage, Alter. Gefährliche Kiste.«

»Quatsch. Schlimmstenfalls markierst du den Besoffenen.« Er dachte einen Augenblick nach. »Besser ist es wohl vor seiner Wohnung oder in der Johnsallee vor dem Klub. Darüber müssen wir uns noch einigen. Bruno weiß da besser Bescheid. Und, min Jung, keine Gewalttat, verstanden?«

»Wenn's geht, ist's mir auch lieber«, antwortete der Angeredete achselzuckend.

»Wenn's geht«, wiederholte Nottebohm leise und eindringlich. »Betäuben genügt vollkommen. Entführen, nichts weiter. Kleinigkeit. In Paris haben sie einen leibhaftigen russischen General am hellichten Tage entführt und bis an die Küste auf's Schiff gebracht.«

»Haben sie ihn nicht am Ende mundtot gemacht?« warf Johnny beiläufig ein. »Sicher ist sicher.«

Der Alte tat so, als ob er ihn nicht gehört hätte. »Es darf nicht so gehen wie mit Uhlenwoldt«, sagte er bestimmt.

»Fängst du wieder davon an?« zischte der andere wütend. Er wußte, daß ihm hier keiner seine Unschuld glaubte. Und die leichte Folgerung, daß andere davon noch viel weniger überzeugt sein würden, hatte genug Beklemmendes, um auch ihn nervös zu machen.

»Schon gut«, besänftigte Nottebohm. »War nicht so gemeint. Die Sache mit dem Alten war ein Zufall, und ein glücklicher für uns. Wir hatten damit zu rechnen.« Die gelben Ziegenaugen glitzerten auf. »Ich hätte gern mit ihm abgerechnet. Er hat mich behandelt wie einen – –« Er vollendete den Satz nicht und öffnete eine Bierflasche, die er an den Mund setzte.

Johnny goß sich einen Rum ein, den er in einem Zuge herunterschüttete. Sich mit dem Handrücken den Mund wischend, sagte er scharf, mit dem deutlichen Wunsch, den Alten zu kränken: »Dein feiner Plan wird überhaupt zu spät kommen.«

»Wann sollten wir es sonst machen?« fauchte Nottebohm. »Die Verhaftung von Huygens hat durch unsere Rechnung den Strich gemacht.«

»Bruno war sie ganz recht.«

»Dann ist er noch dümmer, als die Polente erlaubt. Wo steckt er eigentlich?« Er sah nach dem Regulator und verglich ihn mit seiner Taschenuhr.

» Wenn er kommt«, meinte Wirth langsam.

»Kiek mal den Klugsnaker! Redet nicht drei Worte am Tag, aber was er redet, ist auch danach. Mußt du auch deinen Senf dazu geben?«

Wirth entgegnete nichts. Aber als er sich den Korn eingoß, bemerkte man, daß seine klobigen Hände ein wenig zitterten. Nervosität hatte sie alle erfaßt, und es schien nicht mehr weit von Tätlichkeiten.

Nottebohm spürte das zuerst und lenkte ein. »Wollen uns wieder vertragen. Prost, Wirth, du oller Mecklenborger. Prost, Johnny. Rinnings, es hat keinen Wert zu streiten. Jeder tut, was er kann, versteht sich. In ein paar Wochen oder Tagen kann jeder von uns den feinen Max spielen.«

»Es wäre mir aber doch lieber«, meinte Johnny, »wenn Bruno uns die Hand drauf gibt, daß er uns nicht im Stich läßt.«

»Wird er. Verlaß dich drauf.«

Unwillkürlich sahen beide wieder nach der Uhr, und die Unruhe erwachte wieder.

»Die Sache wird brenzlich. Das Ding kann morgen gedreht werden. Und unser Herr Bruno ist nicht da.« Johnny sprang auf und lief in der Stube auf und ab. »Mir ist die Sache nicht geheuer.«

Er warf sich in das Sofa. »Lange warte ich nämlich nicht mehr. Ich bin müde wie ein Hund.«

»Dazu hast du morgen den ganzen Tag Zeit. Trink einen Rum. Der ölt die Nerven wieder ein, sollst sehen.«

»Dann schlaf ich erst recht ein. Oder kann ich hier pennen?« Er wandte sich mit einem zynischen Lächeln zu Wirth. »Deine Frau wird nichts dagegen haben.«

»Aber ich«, entgegnete Wirth ruhig und legte wie zufällig seine beiden massiven Fäuste vor sich auf den Tisch. Nottebohm, der einen neuen Streit fürchtete, entschied: »Du gehst nachher mit Bruno mit. Das ist so ausgemacht.« Seine Blicke irrten unruhig zur Tür.

»Ist mir wurscht.« Johnny streckte seine Beine lang aus und blinzelte sein Gegenüber boshaft an. »Dein Balg plärrt schon wieder, glaub ich. Geh, gib ihm die Vaterbrust.«

Plötzlich hörten sie das verabredete Klopfen an der Haustür.

Nottebohm sprang sofort auf.

»Er ist es. Also ist ihm nichts passiert. Gottseidank.« Es war deutlich, daß ihm eine Last von der Seele fiel. Wirth ging hinaus, schneller als gewöhnlich. Aber es war nicht Bruno, den er hereinbrachte.

Hanne stand da, mit tief nassem Kopftuch, das sie mechanisch abstreifte.

»Was will die Deern hier?« gröhlte Johnny. »Wir können hier keine Weiber brauchen.«

»Hol's Mul«, donnerte Nottebohm. »Wo kommst du her?«

Hanne fiel auf einen Stuhl. »Ich bin den ganzen Weg gelaufen«, keuchte sie. »Ich kann gar nicht – –«

»Was ist los?« fragte ihr Großvater, zitternd vor Erregung. »Kommst du von zu Hause?«

»Ja.«

»Schickt Bruno dich? Ist was mit ihm passiert?«

Sie antwortete mit einem verwunderten Kopfschütteln.

»So red' doch, Deern!« Seine Fäuste rüttelten an ihren

Schultern.

Wirth schob ihn mit einer Handbewegung beiseite. »Laß sie. Gib ihr lieber 'nen Schluck.« Er ergriff selbst die nächste Bierflasche, die er öffnete und dem erschöpften Mädchen in die Hand drückte. Als sie getrunken hatte, sagte sie: »Es ist eingebrochen.«

Johnny war mit einem Sprung bei ihr. »Die Polizei?«

»Nein«, entgegnete sie, nun etwas ruhiger. »Wieso die Polizei? Die braucht doch nicht einzubrechen? Also: ich schlief schon längst und mit einemmal war mir, als hörte ich was. Aber es war ja so ein ekliger Wind, daß ich dachte, ich irre mich. Dann fiel mir ein, der Fensterladen unten könnte losgegangen sein, und ich zog mich an und ging runter, und da sah ich – –«

»Eingebrochen? Wo? Red' doch schon.«

Nottebohms Gesicht war grün vor Wut.

»Bei dir«, sagte Hanne, über ihr nasses Haar streichend.

»Die ganze Kammer ist zerwühlt.«

»Mein Geld!« brüllte Nottebohm auf. »Mein Geld!«

Wirth betrachtete ihn verwundert und Johnny grinste schadenfroh; aber er hütete sich, es dem Aufgeregten zu zeigen.

Es stimmte also, wovon alle gewispert hatten: der Alte hatte Geld bei sich zu Hause verwahrt und versteckt. Es mußte viel sein, wenn er jetzt so tobte. Daß es nun futsch war, war die rechte Strafe für ihn, der sie alle immer hingehalten hatte. Aber daß das Geld nun einem anderen gehörte.

Nottebohm hatte sich seine Mütze aufgestülpt. »Habt ihr mich deswegen hier aufgehalten?« schrie er. »Wer hat es gestohlen?« Seine Hände faßten nach Wirth, der ihn mühelos abschüttelte, wie ein Hund eine Ratte.

»Tu nicht so verrückt, Nottebohm! Geh lieber hin und sieh nach dem Rechten.«

»Ja«, sagte der Alte, schwer atmend. »Das will ich tun. Und Johnny kommt mit. Zwei sehen mehr als einer. Vielleicht, daß man eine Spur findet.« Er schüttelte die Fäuste. »Aber der soll sich vorsehen, der es genommen hat! Der soll sich vorsehen!«

Er lief, von seinem jüngeren Kumpan gefolgt, hinaus.

»Sie gehen nicht mit?« fragte Hanne.

»Ich warte auf Bruno. Und dann haben sie auch wieder den Lüttgen aufgeweckt.«

An das Ohr des Mädchens klang das Kindergeschrei und die beruhigenden Worte des großen Mannes. Aber sie nahm das nicht mit dem Hirn auf. Sie hatte gehört, daß Bruno herkommen würde, und sie beschloß, ihn abzuwarten.


 << zurück weiter >>