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2

Christoph Uhlenwoldts Zimmer war das düsterste des ganzen düsteren Hauses, und Litte Friese empfand immer ein Frösteln, wenn sie mit dem Seniorchef zu tun hatte. Und sein knarrendes Organ und seine unfreundliche Art war nicht geeignet, ihre Stimmung zu heben.

»Haben Sie … sind wir in der Lage …?«

»In der angenehmen Lage«, verbesserte sie.

»Streichen Sie das ›angenehm‹!«

»Wollen wir es nicht lieber stehen lassen? Höflichkeit kostet nichts und nützt nur.« Das war ein kleiner Stich gegen den mürrischen alten Mann, und er schien es auch so aufzufassen.

Er hob seinen Kopf, der wie aus Holz geschnitten schien (aber von einem ungeschickten Künstler!), und fragte brüsk: »Sind Sie eine Angestellte oder nicht?«

Sie beantwortete seine Grobheit nur mit einem Achselzucken.

Vielleicht bereute er seine Worte; jedenfalls setzte er etwas freundlicher hinzu: »Streichen Sie nur das ›angenehm‹! Wozu immer diese Lügen? Wozu Kunden verwöhnen, die uns nötiger brauchen als wir sie?« Sein Kopf senkte sich wieder auf die vor ihm ausgebreitete Korrespondenz. »... in der Lage, Ihrem Angebot näherzutreten …«

Es trat eine kleine Pause ein.

»Handelt es sich um die Schweden?« fragte sie.

»Nein«, kam es schroff zurück.

Also wieder Geheimnistuerei! Dies waren doch alles fingierte Briefe, zu denen man sie gar nicht benötigt hätte. Sicher stellte Uhlenwoldt schon für sich die Chiffreschrift zusammen, die den eigentlichen Inhalt des Briefes ausmachte. Auch die folgenden Diktate waren so farblos, als ob er ins Blaue hinein diktierte, nur, um sie zu beschäftigen.

Plötzlich fühlte sie, daß dies Diktieren und Stenographieren nur eine Vorbereitung für das war, was ihm eigentlich auf dem Herzen lag.

Der alte Mann brach mitten in einem Satz ab, sah an Litte Friese vorüber aus dem Fenster und sagte: »Sie sind erst verhältnismäßig kurze Zeit bei uns. Aber Sie haben unsere schlimmste Krise – damals beim Zusammenbruch des Stern-Konzerns – mit uns durchgekämpft, im Gegensatz zu anderen. Sie haben sich so unentbehrlich gemacht, wie das bisher bei keiner anderen Dame der Fall war.«

Sie lächelte ihn an. »Soll das eine Gehaltserhöhung ankündigen?«

»Nein. Noch nicht. Es soll nur bedeuten, daß ich zu Ihrer Diskretion Vertrauen habe.« Er zögerte eine Weile und fuhr dann langsam, als müsse er erst seine Gedanken sammeln, fort: »Eine Firma hält viel aus, solange der Chef solide lebt.«

»Daran fehlt es bei Ihnen doch nicht?« fragte sie unwillkürlich, in grenzenloser Verwunderung. Was wollte er sagen? Die ganze Stadt wußte, daß Christoph Uhlenwoldt das alte Haus am Butenfleeth nur verließ, wenn er auf die Börse ging. Sogar der Friseur kam ins Haus.

»Bei mir nicht«, entgegnete er stirnrunzelnd. »Ich bin zu alt zu Scherzen, wie sie heute beliebt sind.«

Seit einiger Zeit betonte er nachdrücklich dies »zu alt«, obwohl es noch nicht lange her war, daß er seine Gesundheit und Rüstigkeit herausgestrichen hatte. Und das Mädchen wußte genau, wann diese Wandlung seiner Selbsteinschätzung eingetreten war: seit es seine Anwandlung von Galanterie (er hatte es ins Theater eingeladen) mit freundlicher Kühle beantwortet hatte.

»Nun, dann ist alles im Lot.« Sie wollte sich erheben, aber eine Handbewegung des Chefs hielt sie zurück. »Ist noch etwas?«

»Ja, da ist noch etwas«, knurrte er böse. »Da ist allerdings noch etwas. Da ist zum Beispiel mein lieber Neffe Detlev.«

Litte Friese fühlte, daß sie errötete, und ärgerte sich darüber. »Was ist mit Herrn Huygens?«

»Ich glaube, ich kann mit Ihnen darüber sprechen, da Ihnen die Firma fast so nahe steht wie mir.«

»Vor ein paar Minuten betonten Sie noch, daß ich angestellt sei.«

»Achten Sie nicht auf solche Kleinigkeiten. Ich rede nun mal nicht wie ein Zeremonienmeister. Die Sache ist die: er hat sich in letzter Zeit verändert.«

»Wie soll ich das verstehen?« fragte sie, etwas verwirrt.

»Genau so, wie ich es sage. Er geht seit einiger Zeit andere Wege. Er macht den ganzen leichtsinnigen Unsinn unserer goldenen Jugend mit. Schütteln Sie nicht Ihr Köpfchen! Ich weiß es. Denken Sie nicht, daß ich ihm nachspüre. Ist gar nicht nötig. Sowas spricht sich rum. Jeder von uns lebt in einem Glaskasten. Was würden Sie dazu sagen, wenn man Ihnen erzählte, daß er Geld für Rennwetten und dazugehörige Damen zum Fenster rausschmeißt?«

»Ich würde antworten, daß es nicht wahr ist«, sagte sie gepreßt, und sie fühlte, wie ihre Stimmung auf den Nullpunkt sank. Um ihr dies beizubringen, hatte er sie also zu dieser dummen Diktiererei gerufen!

»Ihre Ungläubigkeit ehrt Sie. Aber es wäre besser, wenn Sie sich von der Wahrheit überzeugen ließen.«

»Soll ich spionieren?« flammte sie auf.

»Bewahre. Sie sollen nur Ihre Ohren nicht verschließen.« Er spielte mit dem Bleistift. »Sie wissen wirklich nichts?« In seinem Blick spürte sie etwas wie Hohn. Merkwürdigerweise beruhigte sie das: es war also nur ein Versuch gewesen, sie auszuforschen, und mit Detlev Huygens war alles so wie früher. –

Ärgerlich raffte sie ihre Papiere zusammen.

»Das wäre so alles für heute, mein Fräulein.«

»Nein, da ist noch etwas«, erwiderte sie kampfbereit. »Ein Zeitungsmann hat herausbekommen, daß unser Haus im nächsten Monat ein Jubiläum hat. Er hat sich für sechs Uhr angemeldet, um Material und Daten zu bekommen.«

Uhlenwoldt fuhr auf. »Womöglich für einen Artikel mit Bildern?«

»Ich fürchte, die Bilder hat er schon«, sagte sie schadenfroh.

»Wie kommt er dazu?«

»Wer kann ihn hindern, das Haus und uns zu photographieren?«

»Der nächste Schupomann«, schrie Uhlenwoldt. »Verbieten Sie eine Veröffentlichung unter allen Umständen!« Er hielt inne und setzte, etwas ruhiger, hinzu: »Gibt es nicht so etwas wie das Recht am eigenen Bild?«

»Ich habe mich bei Dr. Bendix, meinem Anwalt, erkundigt. Bei Menschen, die eine zeitliche Bedeutung haben, gibt es das nicht.«

»Blödsinn. Wir sind Privatleute. Harmlose Krämer. Nicht mal Senatoren. Schmeißen Sie den Kerl raus, wenn er kommen sollte!«

»Er hat sich auch erkundigt, warum wir Huygens & Huygens heißen. Es war doch seit Menschengedenken immer nur ein Huygens in der Firma?«

Sie erschrak, als sie Uhlenwoldts wutverzerrtes Gesicht erblickte. Was konnte ihn so erregen?

»Sagen Sie ihm, daß es auch so was wie Geschäftsgeheimnisse gibt, die zu achten sind. Meinetwegen sagen Sie ihm, daß wir ein Skelett im Hause zu verbergen haben, wenn er durchaus alles wissen will.«

»Das klingt recht gruselig, Herr Uhlenwoldt.«

»Sträuben sich Ihnen die Haare? Nicht nötig. In meiner Jugendzeit las man Romane von Friedrich Spielhagen und einer hieß ›Das Skelett im Hause‹, und es war nicht wörtlich gemeint.«

Es schien Litte Friese entsetzlich unwahrscheinlich, daß dieser Mann jemals ein Buch gelesen hatte – und nun gar noch einen Roman!

»Er wird daraus konstruieren, daß hier etwas zu verbergen ist, nicht wahr?«

»Dann verschweigen Sie das Ihrem Zeitungsmann.«

»Es ist nicht – mein Zeitungsmann. Aber was soll ich ihm sagen, wenn er mich fragt, warum wir nicht umbauen? Er fragt es sicher. Alle fragen das.«

»Kommen Sie wieder damit? Womöglich sollen wir umziehen, weil das Wasser unten im Sommer nicht salonmäßig riecht, he?«

»Es stinkt«, verbesserte sie.

Uhlenwoldt lachte gemütlich – wie ein ganz durchschnittlicher fünfzigjähriger Herr, dachte Litte Friese. »Ich werde beantragen, daß das Fleeth künftig bei Ebbe parfümiert wird. Übrigens – so altmodisch wir auch sind, in einem Punkte sind wir auf der Höhe. In punkto Diebesschutz nämlich. Wußten Sie schon, daß die Parterrefenster in der Mitte mit einer Zelluloidschicht zusammengepreßt sind, daß sie also nicht ohne weiteres zerschnitten werden können? Wir haben automatische Wächter im Kassenraum und hier.« Er sah nach der Wand hinüber, wo, wie sie wußte, ein Geheimschrank eingebaut war.

»Sind denn hier so große Reichtümer?«

»Reichtümer oder nicht, wir sind jedenfalls gut bewahrt. Und das können Sie diesem neugierigen Herrn erzählen.«

»Wenn er es bringt, dürfte es seinen Zweck verfehlen. Kann ich nun gehen?«

»Ja. Aber vergessen Sie nicht, was ich Ihnen über meinen Neffen sagte!«

Sie hatte eine heftige Antwort auf der Zunge, unterdrückte sie aber und ging wortlos hinaus.

Auf dem Korridor stand Detlev Huygens und begrüßte sie lächelnd. »Wissen Sie, was für ein wilder Völkerstamm sich bei mir angemeldet hat? Bulgaren, so wahr ich dastehe. Können Sie sich vorstellen, daß es Menschen gibt, die bulgarisch sprechen?«

»Außer den Bulgaren eigentlich niemand.«

Sie wußte genau, daß er nicht auf sie gewartet hatte, um diesen Scherz loszuwerden. Und gewartet hatte er auf sie: ihr Fraueninstinkt hatte ihr das sofort gesagt.

»Sie standen übrigens hier draußen, als hätten Sie gehorcht«, begann sie wieder, da er nicht weiter gesprochen hatte. »Denken Sie, Herr Huygens, den Eindruck hatte ich.«

Sein Gesicht war noch ernster als gewöhnlich, als er leise zugab: »Ich habe zwar nicht gelauscht, aber ich hatte, wie jedesmal, wenn Sie dort drinnen sind, das Gefühl, Sie beschützen zu müssen.«

»Beschützen?« rief sie verwundert. »Wovor denn? Glauben Sie nicht, daß ich mich gegebenenfalls selber schützen könnte?«

Detlev Huygens sah sie verwirrt an. Aber ehe er eine Erklärung abgeben konnte, kam eine Stenotypistin den Gang entlang, und Litte Friese verließ ihn mit kurzem, höflichen Gruß.

Als Langelüddecke ihr eine halbe Stunde später einige gleichgültige geschäftliche Mitteilungen machte, fielen ihr die 3000 Mark ein, die Huygens gestern gefordert und über die er quittiert hatte – bekam Uhlenwoldts Warnung dadurch nicht ein anderes Gesicht?

Und zum ersten Male fühlte sie eine rätselhafte, beklemmende Angst um Detlev Huygens.


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