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3

»Darf ich noch etwas bringen?«

»Ja, Tomatensalat. Ich hätte ihn fast vergessen.«

Die Bedienerin mit dem weißen Häubchen lachte diskret. »Gnädiges Fräulein können ohne Tomaten wohl nicht auskommen?«

»Stimmt. Am liebsten nähme ich sie auch zum Kaffee.«

Litte Friese aß Mittag in dem Vegetarischen, seit ihre Freundin Herma Terstiege, mit der sie zusammenhauste, plötzlich nach München gereist war, wo ihr Verlobter wohnte.

Sie las beim Essen so eifrig in einem illustrierten Blatt, daß sie den jungen Mann, der an ihren Tisch trat, nicht bemerkte.

Er stand eine kurze Weile zögernd da, räusperte sich dann energisch und begann: »Bitte sehr um Entschuldigung, Fräulein Friese.«

Sie blickte erstaunt auf. »Herr Janowski, Sie? Sind Sie auch unter die Pflanzenfresser geraten wie ich? Iß roh, dann wirst du froh!«

Herr Janowski war ein kleiner Angestellter bei Huygens & Huygens, es lag eine deutliche Achtung in seiner Stimme, als er vor sich hinmurmelte: »Zum Frohsein gehören doch wohl andere Dinge.«

Sie wußte nichts Rechtes mit diesem schüchternen Jüngling anzufangen. Wie kam er überhaupt dazu, ihr nachzugehen und sie anzureden? Als sie in sein verlegenes Gesicht blickte, fragte sie sanfter, als sie wollte: »Wünschen Sie etwas Bestimmtes von mir?«

»Ja«, stieß er hervor, »ich muß Ihnen etwas mitteilen.«

»Los!«

»Darf ich mich setzen?«

»Bitte. Sie sind hier Gast, gerade wie ich.«

Jankowski nahm umständlich Platz. Aber jetzt, wo er neben dem schönen Mädchen saß, schien ihn aller Mut zu verlassen.

Er betrachtete angestrengt die roten Tomatenscheiben. »Man nennt sie auch Liebesäpfel«, bemerkte er und wurde unvermittelt rot.

»Nein«, fiel sie rasch ein, »ich nenne sie Tomaten, und ich esse sie leidenschaftlich gern, nicht bloß wegen der Vitamine, an die ich nicht glaube. Vielleicht liebe ich auch nur ihre schöne Farbe. Aber das ist doch wohl nicht der Grund Ihres Hierseins?« '

»Ich muß Ihnen ein Geständnis machen – –«

Sie lehnte sich belustigt zurück: »Ein Geständnis? Finden Sie nicht selbst, daß das sonderbarer klingt, als es erlaubt ist?«

Der junge Mann wurde womöglich noch röter als vorhin. »Aber Sie dürfen nicht böse sein, Fräulein Friese, bitte.«

Schafskopf! dachte sie. Keine Frau ist böse über ein verlegenes Geständnis; sie lächelt höchstens darüber. Laut sagte sie: »Meine Zeit ist sehr knapp.«

»Ich weiß«, stöhnte er, »aber es ist so schwer zu sagen.« Er sah sich wie hilfesuchend in dem Speisesaal um und stieß dann, ohne seine Nachbarin anzusehen, mit dem Mute der Verzweiflung hervor: »Die Sache ist die: Herr Huygens betrügt Sie!«

Litte Friese wäre nicht verblüffter gewesen, wenn er ihr seine Zitronenlimonade ins Gesicht gegossen hätte. »Sind Sie verrückt geworden?«

Nun er das Entscheidende gesagt hatte, sprach er entschlossener. »Ich kann leider kein Wort zurücknehmen.«

»Dann sind Sie betrunken. Und das wäre eigentlich die einzige Entschuldigung für Sie.«

»Ich schwöre Ihnen, daß das nicht der Fall ist.«

»Und nun nehmen Sie, bitte, an einem anderen Tisch Platz. Vielleicht da drüben neben der hübschen Brünetten.«

Er sah wirklich einen Augenblick nach dem Nachbartisch, schüttelte dann aber energisch den Kopf und sagte in flehentlichem Ton: »Mein Gott, begreifen Sie doch! Ich würde doch nicht gewagt haben, an Ihren Tisch zu kommen, wenn nichts an meinen Worten wäre!«

Sein ahnungsloses Gesicht verriet deutlich, daß er sich der Tragweite seiner Worte nicht bewußt gewesen war; da mußte man ihn also belehren.

»Wie kann mich Herr Huygens, der mein Chef ist, wie er der Ihrige ist, denn betrügen?« zischte sie wütend. »Denken Sie doch ein bißchen nach, Sie – –« Nur mit Mühe unterdrückte sie das »Idiot«, und sie rief das Fräulein zum Zahlen.

»Gehen Sie noch nicht!« bat Herr Janowski. »Es hat mich doch soviel Überwindung gekostet, zu Ihnen zu kommen!«

»Das ist aber noch immer kein Grund, mich zu beleidigen.«

»Das wollte ich nicht«, beteuerte er händeringend. »Wie könnte ich das wagen? Aber wir glauben alle im Geschäft, daß sich Herr Huygens für Sie interessiert, das fühlt doch ein Blinder mit dem Krückstock, sozusagen.«

Sie nahm sich zusammen. »Also lassen Sie sich's gesagt sein und sagen Sie's, bitte, allen Ihren Kollegen, daß es mich ebensowenig angeht wie Sie, was Herr Huygens privatim tut, und daß er mich also nicht betrügen kann, sozusagen.«

Er wiegte verstört den Kopf. »Er betrügt dann also nur mich?«

»Sie werden immer rätselvoller«, sagte sie eisig. »Aber ich versichere Sie, daß ich auf diesem Gebiet kein Talent habe. Das kleinste Kreuzworträtsel ist mir ein Mysterium.«

»Dann muß ich wohl alles erzählen, damit Sie mich verstehen?«

»Meinen Sie, daß mich das interessieren wird?«

Er war viel zu sehr mit sich selber beschäftigt, um ihre gereizte Stimmung zu bemerken. »Es handelt sich um meine Braut. Lolotte heißt sie. Eigentlich heißt sie bloß Lotte, aber seit sie zum Film möchte – –«

»Und was ist mit diesem Fräulein Lolotte?« fragte sie, wider Willen neugierig.

»Er hat sie auf der Rennbahn kennengelernt und hat nun mit ihr ein Verhältnis.«

»Er? Wer ist das?«

»Herr Huygens.«

Litte Friese mußte laut herauslachen. Es war eine grenzenlos komische Idee, was der gute Knabe da vortrug.

»Sie lachen«, sagte Herr Janowski bitter. »Aber es ist doch so. Ich habe Zeugen. Und dort hat es dann einen kleinen Skandal mit Lolotte gegeben. Er hat sie auf seine Schulter gehoben – vor allen Leuten! – als sie von ihrem Platz nicht genug sehen konnte. Es war so ein Gedränge an der Waage, wissen Sie.«

Sie lachte noch immer. Detlev Huygens' kühles, reserviertes Gesicht trat vor sie hin. Nicht auffallen! Sich nichts vergeben! Distanz! Und er sollte solche Scherze vor ganz Hamburg machen?

»Können Sie sich Herrn Huygens wirklich in solcher Situation vorstellen? Denken Sie mal ein bißchen nach!«

»Bis gestern hätte ich's auch nicht geglaubt«, gestand er verzweifelt. »Aber seit heute weiß ich es. Ja, ich weiß es jetzt.«

»Was ist denn zwischen heute und gestern geschehen?«

»Ich habe beide doch gesehen!« rief er so laut, daß sich die Nachbarn umdrehten. »Im Film!«

»Im Film? Wie meinen Sie das?«

»Gehen Sie in das Kino am Besenbinderhof. Da sehen Sie alles. Die Szene ist zufällig von der Wochenschau gefilmt worden. Glauben Sie mir nun?«

Das Lachen Litte Frieses verschwand. Sie spürte einen ganz kleinen Stich in der Herzgegend. Im Film aufgenommen? Dagegen gab es keine Berufung …

Ihre Stimmung gegen den unglücklichen Angeber wurde wieder feindlich. »Warum schweigen Sie dazu? Warum halten Sie nicht das Mädchen, das Sie lieben? Denn Sie lieben sie doch anscheinend?«

Er nickte in dumpfer Ergebung. »Was ist da zu machen?

Ich bin arm und er – nun, er hat Geld.« Es sah aus, als ob er losweinen wollte.

»Schätzen Sie ihre Lolotte so niedrig ein?«

Sein Kopf sank immer tiefer zwischen seine abfallenden Schultern. »Jede Frau unterliegt solcher Lockung.«

»Sie scheinen zu vergessen, daß ich auch eine Frau bin.«

Wieder entwaffnete sie seine ahnungslose Miene. »Mein Gott, wie ungeschickt bin ich! Sie sind die letzte, die ich beleidigen wollte! Aber Lolotte ist noch so jung und weiß nichts von der Welt.«

Sie dachte: deine Lolotte weiß zum mindestens von der Welt, wo man sich nicht langweilt, mehr als du, mein Junge. Eigentlich war er gerade so rührend wie dumm.

Nun traten wirklich Tränen in seine Augenwinkel. »Ich habe sie doch lieb gehabt, und ich dachte, meine Einnahmen und ihre Filmgage, das würde am Ende genügen. Man braucht nicht immer gleich Autos und so.« Seine schwimmenden Schellfischaugen flehten sie an. »Ich dachte, Sie würden mir helfen können.«

Litte Friese machte sich hart. »Ich werde mich hüten, mich in Ihre Liebesangelegenheiten zu mischen. Was soll ich überhaupt dabei tun? Wie haben Sie sich das gedacht? Soll ich zu Herrn Huygens gehen und ihn bitten, Lolotte zu Ihnen zu schicken?«

»Ich dachte«, sagte er ganz leise, »wenn er Sie sieht, wird er – –«

Herr Janowski war viel diplomatischer gewesen, als er geahnt hatte. Er merkte es erst an den freundlicheren Fragen seiner Nachbarin: »Liegt Ihnen noch immer an diesem Mädchen? Lieben Sie sie immer noch so?«

»Das weiß man natürlich nicht so genau.«

»Doch. Das muß man wissen, ob der Gegenstand der Liebe unser würdig ist.« Sie kam sich abscheulich gouvernantenhaft vor, als sie das sagte.

»Ich habe mit ihr gebrochen – jawohl, gebrochen!« Aber er sah bei diesen Worten selber recht gebrochen aus.

Was für ein Kindskopf! dachte Litte Friese. Der arme Mann aus der Bibel, dem der reiche Herdenbesitzer das einzige Schäfchen nimmt? Nein. Ein dummer Junge, der einen anderen Schuld tragen ließ.

Sie war froh, als er sie verließ, und sie mit ihren Gedanken allein war, obwohl diese Gedanken nicht hell noch tröstlich waren …

Nach Geschäftsschluß fuhr sie zum Besenbinderhof und geriet, da sie mitten in der Vorstellung eintrat, vor einen Detektivfilm aus der Verbrecherwelt Londons.

Ein berühmter Schauspieler gab den Schurken, und er spielte unerhört echt. Seine Darstellungskraft überwältigte sie so, daß sie auf Minuten den Zweck ihres Hierseins vergaß.

Das Temperament des Schauspielers riß alle Aufmerksamkeit an sich; sein Spiel betäubte die Zuschauer. Die Widersprüche seines Wesens vom frechen Zynismus bis zur knabenhaften Scheu wirkten so echt, daß man die Kulisse vergessen konnte und die süßliche Puppenhaftigkeit der Gegenspielerin, die ein Mädchen der Heilsarmee sein wollte.

Beinahe hätte sie am Schlusse geklatscht wie im Theater. Aber da wurde es hell. Menschen strömten hinaus und herein. Alles war nüchtern. Das Drama hatte in London gespielt – in Hamburg gab es sowas nicht, zum mindesten nicht für sie in dieser Stunde. Beschämt wurde sie sich bewußt, weswegen sie hier war.

Ja, weswegen eigentlich? Weil dieser versetzte Liebhaber ihr diesen Tip mit dem Film gegeben hatte. Weil sie sich überzeugen wollte. Weil sie kontrollieren wollte. Es war eine kleinliche, unschöne Sache und ihrer nicht würdig.

Aber es war schon wieder zu spät zum Fortgehen. Es wurde dunkel, und sie saß, eingekeilt zwischen gespannten Menschen, deren regennasse Kleider einen häßlichen Dunsthauch ausströmten.

Das Programm rollte wieder von vorne ab. Reklame. Trickbilder. Dann »Neues vom Tage«.

Plötzlich sah sie Reiter vorüberpreschen. Kurze Ausschnitte aus dem Rennen. Der hundemagere Sieger auf seinem Gaul. Menschenmassen, die wie Ähren im Wind von links nach rechts wehten. Ein mürrischer alter Herr am Totalisator, dem man den Verlust an der Stirne ansah. Und nun – –

Trotz des sofort aufschießenden Zischens hinter ihr richtete sie sich halb auf. Es konnte nicht sein … sie mußte sich irren …

Dort lachte Detlev Huygens, elegant von den Gamaschen bis zur Melone, ein hübsches kleines Ding an. Und nun hob er sie übermütig auf die Schulter, beklatscht von den Nebenstehenden!

Das Bild huschte vorbei. Es kamen chinesische Soldaten. Der Festzug bei einem Hochschuljubiläum. Eine Denkmalseinweihung. Die Voranzeige des nächsten Millionenfilms und dann die ersten Titel des Soho-Dramas, dessen zweiten Teil sie gesehen und schon vergessen hatte.

Litte Friese stand auf und arbeitete sich an einem Dutzend hartnäckig vorgeschobener Knie entlang zum Ausgang. Sie hätte es keine Minute länger drinnen ausgehalten.

Der Portier am Ausgang sah sie verwundert an, wie sie an ihm vorbei in den Regen hinauslief, der den ganzen Raum zwischen Himmel und Erde füllte.

Es war Detlev Huygens gewesen. Da gab es keinen Zweifel. Ein anderer Detlev Huygens … ein anderer jedenfalls, als sie ihn kannte … aber dennoch Detlev Huygens. Alles war klar bewiesen und gleichzeitig völlig unbegreiflich. Was wußte ein Mensch vom anderen?

Sie lief weiter durch den stärker niederrauschenden Regen ihrer Wohnung am Hansaplatz zu. Auf dem Steindamm wäre sie beinahe unter ein Auto geraten. Sie hörte Rufe und Flüche, ohne zu begreifen, daß es sie anging. Sie spürte auch nicht, daß der unbarmherzige Regen sie völlig durchnäßte.

Litte Friese floh vor dem Bild auf der flimmernden Leinwand.


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