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11

Gerade in dem Augenblick, als Lesley sein Hotelzimmer verlassen wollte, klopfte es. Auf seinen Ruf stolperte ein hagerer alter Mann in sein Zimmer, den ein sanfter Portweingeruch wie eine Wolke umgab.

»Pardon, ich bin hier wohl recht bei Mister Lesley. Oder soll ich englisch snaken?«

»Nicht nötig. Wenn Sie Herrn Lesley suchen, so sind Sie hier richtig. Was wünschen Sie?«

»Es ist eine diskrete Sache«, sagte der Mann geheimnisvoll, seine Mütze zwischen den Fingern drehend und ihn aus gelben Ziegenaugen anblinzelnd. »Bannig diskret. Aber hier hört wohl niemand?« Seine Blicke glitten zur Tür des Badezimmers.

»Niemand. Was haben Sie denn eigentlich?«

»Es ist man bloß dieser Zettel hier«, murmelte der Alte, der ein leicht zerknittertes Blatt hervorzog.

»Wer schickt Sie?«

»Herr Huygens«, flüsterte der Besucher mit vertraulichem Augenzwinkern.

Da hat er sich aber einen sonderbaren Boten ausgesucht – wollte Lesley sagen. Er nahm schweigend das Blatt und las den Inhalt mit steigender Verwunderung.

»Bin durch Zufall dem Bewußten auf der Spur, brauche aber notwendig Geld zur Bestechung. Ich brauche es sofort. Geben Sie, bitte, dem Boten (er ist absolut vertrauenswürdig), was Sie im Augenblick an barem Geld bei sich haben. Ich bin spätestens in einer Stunde bei Ihnen. Warten Sie solange!«

Der Schlußsatz war dreimal unterstrichen.

Eine Weile drehte Lesley das Blatt unschlüssig in der Hand. Natürlich konnte man in eine Lage geraten, wo das Kleingeld nicht reichte – und nun gar hier, wo offenbar ein Verräter bezahlt werden sollte. Huygens hätte einen Scheck ausstellen können; aber jener Kumpan hatte wohl gute Gründe, auf Bargeld zu bestehen. Dennoch gefiel ihm die Sache nicht.

»Hat Herr Huygens das hier selbst geschrieben?«

»Jawohl, Herr, das hat er.«

Lesley entsann sich einiger Kartengrüße Huygens' von seinen Geschäftsreisen; sie mußten noch vorhanden sein. Nach einigem Suchen fand er sie, und er verglich die Schrift. Sie stimmte. Auch ein Graphologe hätte nicht anders urteilen können. Die Flüchtigkeiten hier und da konnten gut auf Rechnung der absonderlichen Situation kommen, in der er sich wohl befand.

Der Besucher räusperte sich. »Wenn der Herr nicht zahlen will, können wir die Sache ja auch lassen. Aber in diesem Fall sollte der Herr mir das bestätigen. Sonst glaubt mir Herr Huygens womöglich nicht. Ein ehrlicher, armer Mann ist bald verleumdet, Herr.«

Er machte ein so treuherziges Gesicht, daß Lesley lachen mußte und sein Zögern überwand. Er gab ihm alles irgendwie verfügbare Geld.

Der Alte steckte den Betrag gleichgültig in die offene Jackettasche, setzte die Mütze wieder auf und sagte: »Das wär' ja nun wohl erledigt. Adjes auch.«

»Entschuldigen Sie«, unterbrach ihn Lesley. »Was sind Sie eigentlich?«

»Ich war Ewerführer, Herr. Aber nun bleibt mir nichts, als zu stempeln.«

Lesley schnupperte ein wenig in der Luft. »Ich hätte Sie eher für einen Mann gehalten, der mit Spirituosen umgeht.«

Ein böser Blick schoß aus den gelben Augen zu ihm herüber und ließ sein Mißtrauen wieder erwachen.

»Wo befindet sich Herr Huygens jetzt?«

»Das darf ich nicht sagen«, brummte der Alte, die Tür öffnend

»Dann werde ich Sie begleiten.«

»Oh!« kam es erschrocken zurück. »Das wird dem Herrn aber nicht recht sein.«

»Darauf will ich es ankommen lassen.«

»Wenn Sie durchaus wollen, kann ich Sie nicht hindern, Herr.«

»Stimmt. Das können Sie nicht. Ich würde Ihnen auch entschieden davon abraten. Warum hat Herr Huygens übrigens nicht telephoniert? Er kennt doch meine Nummer gut.«

Der Alte grinste. »Da, wo Herr Huygens ist, gibt es noch kein Telephon. Wir sind arme Leute, Herr.«

Einen Augenblick kam Lesley der Gedanke, in Huygens' Wohnung anzuläuten. Aber in der Zeit, die er dazu brauchte, konnte der Kerl verschwinden.

So entschloß er sich zum Gehen und folgte seinem sonderbaren Gast auf den Korridor. »Gehen Sie nur voraus. Nein, hier links herum. Zum Lift.«

»Ich bin Liftfahren nicht recht gewöhnt, Herr.«

»Dann ist es die höchste Zeit für Sie.«

Der Liftboy grüßte Lesley höflich und betrachtete mißtrauisch den fremden Fahrgast. Aber es fiel kein Wort.

Im Durcheinander der Hotelhalle gewann der Alte einen kleinen Vorsprung; aber Lesley drängte sich rücksichtsloser, als es sonst seine Art war, durch und erreichte ihn kurz vor der Drehtüre.

Als der andere auf die Straße trat, lehnte er sich einen Augenblick wie in einer Anwandlung von Schwäche gegen die Türe. Lesley, der mit aller Kraft weiterdrängte, sah, wie der Alte einem Auto zuwinkte, das am Straßenrand wartete. Die Wagentüre öffnete sich von unsichtbarer Hand, und der Alte, der plötzlich sehr gelenkig war, lief darauf zu.

Als Lesley herausstürzte, war der Wagen schon in Fahrt. Er las nur noch das II A; die eigentliche Nummer war nicht mehr zu erkennen.

In der Hotelhalle hatte niemand etwas von dem Vorfall bemerkt.

Lesley wandte sich zum Portier. »Hat vorhin jemand nach mir gefragt?«

»Es ist telephonisch nach der Nummer Ihres Zimmers gefragt worden. Wegen einer reparierten Armbanduhr, die man bei Ihnen, abgeben sollte.«

»Es ist gut«, entgegnete Lesley ärgerlich und ging zum Liftboy hinüber, der eben abfahren wollte.

»Haben Sie den Menschen, der mit mir zusammen einstieg, auch nach oben gefahren?«

»Nein, Herr Lesley.«

»Sie hätten ihn bestimmt wiedererkannt?«

»Aber klar!« meinte der Boy in gekränktem Ton. »Ich habe ihn zum erstenmal in meinem Leben gesehen.«

»Danke.«

Wütend auf sich selbst, verließ Lesley sein Hotel, um in den Klub zu gehen. Auf einen Wagen verzichtete er; er mußte seinen Ärger auslaufen.

Beim Eintritt in den »Babylonischen Klub« fragte Architekt Quitzau, ob Herr Huygens schon da sei.

Rompa, der Klubdiener, verneinte mit einem verlegenen, immerhin wissenden Lächeln; er kannte offenbar alle Geheimnisse hier.

Während Quitzau die Anwesenden begrüßte, stellte er fest: »Seit vierzehn Tagen abwesend! Er, der Gründer und bis dato fleißigstes und pünktlichstes Mitglied! Was soll man dazu sagen? Weiß in der Tat niemand neues von Detlev Huygens? Tschentschü-fu, Sie auch nicht?«

Der große Chinese grinste, aber er wurde einer Antwort enthoben.

John Lesley trat gerade ins Zimmer und sagte ziemlich scharf: »Sie können beruhigt sein. Unser Freund Huygens kommt heute noch.«

»Oder sein Doppelgänger?« fragte Ziesenitz halblaut. Die Herumstehenden machten vergnügte Gesichter. Eine kleine Wolke von Gelächter stieg auf.

»Ich schätze es nicht sehr«, warf Lesley ein, »daß über ein abwesendes Klubmitglied in dieser Weise gesprochen wird. Das war bisher nicht üblich, und sollte es auch nicht werden.«

Alle schwiegen. Eine Weile hörte man nur das Geklirr des Geschirrs und der Gläser und aus dem Nebenraum die gedämpfte Musik des Lautsprechers.

Quitzau summte den Trauermarsch aus der »Götterdämmerung« ein paar Takte mit und meinte dann: »Warum überträgt man eigentlich nicht unsere Klubgespräche? Man könnte ein kleines Hörspiel daraus machen. Ahrens, das wäre was für Sie. Sie sprachen doch neulich im Funk?«

»Ja, über die Geschichte der Hamburger Zeitungen. Haben Sie etwa zugehört?«

»Vorträge sind mir ein Greuel. Aber machen Sie doch sowas wie Klubreportage. Das müßte Ihnen doch liegen. Themata gibt's doch hier genug.«

Er sah unwillkürlich zu Lesley hinüber, der in einem Witzblatt blätterte, und hielt inne.

Ahrens begann recht unvermittelt von der Büro-Ausstellung zu sprechen, deren Eröffnung er heute morgen als Vertreter seiner Zeitung beigewohnt hatte. Er schwärmte von Schreibmaschinen mit allerlei exotischen Schriftzeichen.

»Sie werden es nicht glauben; aber ich habe es mir aufgeschrieben: Sie können jetzt auch grusinisch tippen, ferner malaiisch, siamesisch, Sanskrit oder laotisch.«

»Sie verwechseln das mit Laotse, wie?«

»Aber nein, es gibt sowas. Seien Sie nicht so entsetzlich ungebildet.«

»Unbildung ist die letzte Mode. Es ist schlimmer, Sharkey mit Schmeling zu verwechseln, als Ramses für den ersten Papst zu halten. Gehirnathleten sind rettungslos für unsere öffentliche Entwicklung verloren.«

Sven Eriksen, der sich seine Speisefolge zusammengestellt hatte, lachte behaglich, und der Journalist berichtete weiter von den neuesten Briefschließmaschinen und von Rechenmaschinen, die 24 stellige Zahlen durch 12 stellige Divisoren teilen könnten.

Lesley betrachtete inzwischen ingrimmig die Karikaturen; er fühlte, daß nur seine Gegenwart die anderen hinderte, vom »Fall Huygens« zu sprechen. Aber warum kam er denn auch nicht her?

Sie hatten sich für heute verabredet, um gemeinsam die Unterwelt Hamburgs zu durchstreifen. Lag ihm nichts an solcher Aufklärung? Wußte er nicht, daß sein Fernbleiben hier nur das Gerede mehrte? Es waren alles im Grunde liebenswürdige Menschen, die Huygens sicher wohl wollten; aber wer ließ sich solch ein Thema entgehen?

Als es zehn Uhr geworden war, ohne daß sein Freund sich gezeigt hatte, beschloß er, auf eigene Faust loszuziehen und den Detektiv zu spielen. Der Browning steckte in der Tasche und – was für heute wohl wichtiger war – die Photographie, die nach jenem Filmausschnitt gemacht worden war.

Er ging ärgerlich, ohne seine schlechte Laune zu verbergen, und hinterließ bei Rompa eine Adresse.

Einige Minuten sprach man drinnen noch von anderen Dingen. Eriksen hatte einen privaten Spielklub entdeckt, in dem man »Tourrant« spielte, und in dem er gründlich ausgezogen worden war.

»Morgen gehe ich in Begleitung hin und hole mir Revanche. Die Kerle haben mich nie mischen lassen. Das ist der Punkt. Ich konnte höchstens die von anderen gemischten Karten coupieren. Jetzt weiß ich, es wurde amerikanisch gemischt.«

»Hoffentlich merken Sie's morgen früher.«

»Ich will nie mehr im Tivoli spazieren und nie mehr Kongens Nytorp wiedersehen, wenn ich diesen Gentlemen nicht beikomme.«

»War Huygens auch im Spielklub?« fragte Ziesenitz plötzlich.

»Nein. Dann hätte ich's doch erzählt.«

»Ein Bekannter hat ihn vor einigen Tagen im vertraulichen Gespräch mit einem notorischen Schlepper getroffen. Am Millerntor irgendwo.«

»Es wird der Doppelgänger gewesen sein, von dem der lange Lesley berichtete«, meinte Ziesenitz trocken.

Damit war der Bann gebrochen, und es wurde eine recht animierte Sitzung.

Titschiroff, der eben eine Schachpartie gegen seinen russischen Landsmann siegreich beendet hatte, war der einzige, der eine neue Erklärung suchte. »Unterbewußtseinshandlung? Sie finden bei Dostojewski Ähnliches.«

»Russische Psychologie. Abgelehnt und überwunden. Wir leben im nüchternen Hamburg, mein Herr.«

»Ich weiß nicht«, begann Eriksen, »ob das so abzulehnen ist. Gar so nüchtern, wie Quitzau will, sind die Hamburger gar nicht. Zum mindestens weiß ich, daß der alte Georg Huygens, der ein Geschäftsfreund meines alten Herrn war, ein sehr origineller Herr gewesen ist. Ungemütlich und temperamentvoll in höchstem Grade. Allein aus Eifersucht hat er ein dutzendmal Krach angezettelt, und zweimal kam es sogar zu einer Schießerei – man war damals schnell bereit zu solchen Gottesurteilen. Er verzichtete dann auf Hamburg und das übrige Europa, wahrscheinlich, weil es zu zahm war, und gondelte jahrelang in Übersee mit seinem Weibe herum.«

»Also Belastung«, stellte Ahrens fest.

»Ja, Vererbung.«

»Redensarten«, widersprach Ziesenitz. »Längst als Ausrede einer hilflosen Psychologie widerlegt. Nicht mal im Theater wagt man noch, sowas zu bringen. Ibsens Gespenster lösen heute nur ein stilles Schmunzeln aus. Damit wird nichts bewiesen.«

»O doch«, sagte der Däne schmunzelnd. »Zum mindesten, daß man in der Wahl seines Vaters vorsichtig sein muß.«

»Was das Geld anbetrifft, war er's ja.«

»Wer kann das so behaupten? Bei Huygens & Huygens ist das eine ziemlich unübersichtliche Sache.«

»Welcher Geschäftsmann ist heute übersichtlich?«

Ziesenitz sah sich vorsichtig um. »Man redet allerlei. Spritschmuggel in trockene Länder – weiter will ich nichts sagen.«

»Sowas bringt doch klotziges Geld ein?«

»Sie vergessen das Risiko! Nun wollen wir von anderen Dingen sprechen. Rompa macht sich hier bereits verdächtig zu tun.«

Unterdessen schlenderte John Lesley, das Einglas in der Westentasche, die Reeperbahn entlang, umtobt von Musik, unter grellen, aufmunternden Lichtreklamen, inmitten einer internationalen, lebenssprühenden Menge. Liliencrons Wort »Nun woll'n wir uns auch mal fix amüseern« stand als Parole über dem bunten, lärmenden Getriebe.

Er bog in eine der dunklen Seitengassen ab, die zum Hafen hinunterführten. Hier war es stiller, aber die wenigen Geräusche – Weibergekreisch, Handharmonika-Geschluchze und Männergröhlen – wirkte um so aufreizender.

Eine Gruppe betrunkener Matrosen schwankte Arm in Arm heran; sie brüllten ein Lied in einer fremden Sprache. Wahrscheinlich war es portugiesisch, und sie stammten von dem Brasilienfahrer, der drunten im Dock lag.

Da Lesley kein bestimmtes Ziel hatte und sich dem Zufall anvertrauen mußte, begab er sich in die nächstbeste Kneipe, aus der ein englischer Song tönte.

Fräulein Lolotte hatte von einem Niggerlokal gesprochen, in das ihr Kavalier sie geführt hatte, dessen Namen sie aber nicht mehr kannte.

Sein Eintritt wurde wenig beachtet, obwohl seine Erscheinung hier auffällig genug sein mochte. War er doch der einzige Weiße unter lauter Mischlingsvolk. Der Wirt und die beiden sauber gekleideten Kellner waren offenbar Inder. Die Gäste waren zum kleineren Teil Malaien, zum größeren Neger aller erdenklichen Schattierungen, von der hellen Tönung des Milchkaffees bis zum tintigen Violett. Alle lauschten andächtig dem Gesang eines Schwarzen. Bisweilen klatschten sie in die breiten Hände, oder sie trampelten selig mit den Füßen. Zum Schlusse gab es tobenden Beifall, dem eine Flut alkoholischer Bestellungen folgte.

Lesley mußte zwischen zwei Negern Platz nehmen, was ihm ziemliche Überwindung kostete. Ohne daß er gefragt worden war, wurde ein großes Glas Whisky vor ihn hingestellt.

Seine Nachbarn waren nach der neuesten Mode gekleidet, nur daß die Farbe ihrer Schlipse und Socken um einiges zu grell war. Ihre Kinderaugen grinsten ihn freundlich und wohlwollend an. Man schien hier weißen Fremdenbesuch gewohnt zu sein.

Als der eine seine schwarze Pfote nach Lesleys offen daliegender Zigarettenschachtel ausstreckte, erntete er ein energisches »Hände weg!«, was er für einen feinen Spaß zu halten schien, denn er grinste noch stärker. Jedenfalls wurden die nachbarlichen Beziehungen dadurch nicht getrübt.

Ein anderer Schwarzer tanzte mit rasender Geschwindigkeit einen Tanz aus Haiti, um dann auf einem Teller freiwillige Gaben einzusammeln. Man war hier freigebig, wie es Jan Maat in allen Farben und Zonen da war, wo es lustig zuging.

Lesley legte ein Silberstück zu den anderen Münzen und hielt dem Tänzer die mitgenommene Photographie hin.

»War der Herr schon hier?«

»No, Sir.«

Er fragte noch, ob er überhaupt schon hier gewesen sei, bekam aber nichts Zuverlässiges heraus, ohne daß er das Gefühl hatte, daß ihm etwas verschwiegen würde.

Allmählich fiel ihm das schauderhafte Englisch ringsum auf die Nerven, und als das beliebte Lied »'t was a young man in Baltimore« zu steigen begann, verließ er das Lokal.

Auf freiwilligen und auch einigen unfreiwilligen Umwegen kam er aus dem Gewirr der Hafengassen wieder heraus an die Altonaer Grenze. »Freiheit, die ich meine – die große und kleine!«

Er steuerte dem Hippodrom zu, von dem in Lolottens Berichten auch die Rede gewesen war. Und hier hatte seine Jagd mehr Erfolg.

»Rrrreiten Sie, meine Herrschaften!« Der Stallmeister im fleckigen Frack verstand sein Handwerk: die Pferde kamen nicht zur Ruhe. »Rrrreiten Sie, mein Herr!«

Er hatte ein dankbares Publikum. Brüllendes Gelächter erhob sich, wenn ein geschickter Peitschenhieb einen Gaul in plötzlichen Galopp und den Reiter in solche Bedrängnis gebracht hatte, daß er den Pferdehals umklammern mußte. Die Damen, in ihren kurzen Röcken rittlings auf dem breiten Pferderücken, trugen ihre Reize freigebig zur Schau. Man konnte für »föftig Pennig Entree« nicht mehr verlangen.

Langsam umschritt Lesley die Manege, bis er sich an einem Tisch bei zwei Jünglingen niederließ, die offenbar ihre Damen reiten ließen. Wenigstens riefen sie aufmunternde Worte zur Manege hinüber, die von vertraulichen Beziehungen sprachen und nicht immer salonmäßig waren.

Er bestellte eine Lage Bier, was mit Anerkennung begrüßt wurde, und zeigte dem Kellner, der gleich die Berichtigung der Zeche wünschte, die Photographie. »War der Herr schon hier?«

»Ich kann nicht alle Gäste hier kennen«, kam es mißmutig und brummig zurück. Es war klar, daß der Kellner ausbog: er hatte das Bild viel zu genau geprüft und deutliche Zeichen des Wiedererkennens gegeben. Also war er auf der richtigen Spur.

Der junge Mann an seiner Seite blickte neugierig auf das Bild, das Lesley ihm bereitwillig näherschob.

»Das soll ja wohl Bruno sein – –«

Er vollendete seinen Satz nicht und Lesley merkte auch, warum: der Nachbar hatte dem vorlauten Sprecher eins in die Rippen gegeben.

Lesley tat, als ob er nichts bemerkt hätte und nickte gleichmütig. »Bruno? Ja, so nannte er sich. War er schon da?«

Die beiden Jünglinge schwiegen und warfen mißtrauische Blicke auf den feinen Herrn, der sie ausfragen wollte. Wahrscheinlich hielten sie ihn für einen Geheimpolizisten.

»Sie kennen Bruno doch auch. Warum antworten Sie nicht?«

»Ich hab' gar nischt gesagt, verstehen Sie?«

Das Drohende seiner Haltung veranlaßte Lesley, nebenbei zu erwähnen, daß er mehrere Preise im Boxen errungen hätte. Das machte den Jüngling wieder etwas freundlicher.

Da hier aber offenbar aus Versehen die Wahrheit gesprochen war, dachte er nicht daran, das Gespräch abzubrechen.

»Es ist nur, weil Bruno mir gestern hier fünf Mark geborgt hat. Und in kleinen Dingen bin ich ehrlich.«

»Dann geben Sie man mir das Geld; ich will es wohl bestellen.« Ein Mann in den Vierzigern, stämmig und robust, stand breitbeinig neben ihm und lachte mit unverhohlenem Hohn.

»Da muß ich erst wissen, wer Sie sind.«

Das Lachen im roten Gesicht des neuen verschwand. »Das fragen Sie man Ihre Behörde!«

Plötzlich sah Lesley noch einige andere zweifelhafte Gestalten um sich stehen. Die beiden jungen Leute waren fort; sie bemächtigten sich ihrer Damen, die mit kreischendem Lachen über den Manegerand kletterten und verschwanden mit ihnen.

»Trinken wir einen Grog miteinander«, lud Lesley ein. »Hitze vertreibt Hitze.«

Der Mann zwinkerte seinen Freunden zu. »Das können wir wohl tun. Aber nicht hier. In der Rosenstraße gibt es was fürs Herz.«

Lesley erhob sich. Er hörte eifriges Wispern und erkannte nun, daß der Mann so betrunken war, daß er sich kaum auf den Beinen halten konnte.

»Da treffen wir auch Ihren Bruno, nicht wahr, Charly?« Und er paffte ungeniert eine dicke Rauchwolke seines abscheulichen Tabaks Lesley ins Gesicht.

»Du benimmst dich nicht sehr fein, mein Junge«, scherzte Lesley, als hätte er die Frechheit nicht bemerkt. »Aber das macht nichts. Ich will dir bloß beweisen, daß ich kein Geheimer bin. Wir wollen tun, als ob wir Freunde wären.«

Als sie dicht am Zeltausgang waren, hörte er einen leisen Pfiff, und er fühlte sich von zwei Männern so eingeklemmt, daß er sich im Augenblick nicht bewegen konnte.

Lauter abweisende Gesichter sahen ihn an. Aus weiter Ferne grüßte der Tschako eines Schupomannes herüber; es hatte keinen Sinn, sich hier auf ihn zu verlassen. Die Situation war unleugbar bedrohlich geworden.

Langsam zog er seinen rechten Arm an sich. Als eine behende Hand nach seiner Brieftasche tappte, warf er sich zurück und sandte dem Angreifer einen gutgezielten linken Kinnhaken.

Ein Wutschrei übertönte das »Rrreiten Sie, meine Herrschaften!«

Er war draußen und stellte fest, daß ihm keiner folgte. Als er sich abtastete, fand er die Brieftasche noch bei sich. Nur das lose Silbergeld in der Seitentasche fehlte. Er war noch billig weggekommen.

»Netten Verkehr hat dieser rätselhafte Bruno!« brummte er vor sich hin.

Er ließ sich von der Menschenflut durch die taghelle Reeperbahn forttragen, immer auf der Hut, einem Manne zu begegnen, der dem Photographierten ähnelte. Vielleicht, daß ihm der Zufall doch günstig war.

Aber es war leichter, einen verlorenen Groschen aus der Elbe zu fischen, als einen Mann inmitten dieser brodelnden Menschenflut zu erkennen.

Ermüdet begab er sich endlich in ein Kaffeehaus voller Spiegel, gestrichener Palmen und tobender Jazzmusik.

Mit Anstrengung schlürfte er das braune Getränk, das sich Mokka nannte und auch so bezahlt wurde, und er war schon entschlossen, aufzubrechen und die vergebliche Jagd für heute aufzugeben, als ihn ein Gespräch am Nebentisch aufhorchen ließ.

Ein Dämchen mit Herrenschnitt, den Nacken ausrasiert, kam leicht schwankend an den Tisch, wo einige jugendliche Kavaliere blasiert auf den Trubel starrten.

»Wo steckst du denn, Conny?«

»Ich suche Brunochen.«

»Laß ihn laufen«, näselte der eine Gent. »Er ist wieder mal ausgemistet, Spiel und Weiber, wie das so geht.« Er grinste das Mädchen an. »Vielleicht hat ihn Lolotte hochgenommen. Wenn du ihn sehen willst, ich glaub', er sitzt noch drüben hinter der Musike.«

»Dann kann er mir gestohlen werden«, rief die Dame mit plötzlich verzerrtem Gesicht. »Aber dieser Nutte kratz ich noch mal ihre Flunkeraugen aus.«

Die Kavaliere lachten vergnügt. »Eifersüchtig?«

»Ich bin doch nicht vom blauen Affen gebissen. Bruno – von mir aus: Hummel, Hummel!«

Lesley verstand den Hamburger Ruf nicht. Aber er sah, daß die Dame sich drüben niederließ und daß ein Kavalier ihr Eis spendierte. Sie kam ihm also einstweilen nicht ins Gehege.


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