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15

Es dauerte nicht lange, bis Nottebohm in die Kammer trat, wo Bruno Nissen rittlings auf einem Stuhl saß, eine seiner russischen Zigaretten schief im Munde.

»Alles im Lot?« fragte er.

»Fürs erste, ja.«

»Mir ist der Schreck richtig in die Glieder gefahren. Darauf müssen wir einen Köm trinken.«

»Laß du man lieber den Schnaps. Wir brauchen beide einen klaren Kopf heute.«

Der jüngere sah ihn fragend an. »Sie sind doch beide weg?«

»Alle drei sogar.«

»Drei?«

»Ein Geheimer war dabei. Ob er amtlich da war oder im Auftrag, weiß ich nicht.« Er brauste plötzlich wütend auf. »Du wirst mir mit deinen Dummheiten noch die Polente auf den Hals hetzen. Das ist der Dank, he?«

»Dank?« fragte Bruno Nissen trotzig. »Ich möchte man bloß wissen, wofür?«

»Wofür?« brüllte der Alte. »Als du zu mir kamst, warst du abgerissen wie eine Vogelscheuche, und jetzt läufst du als feiner Herr umher.«

»Das hast du mir schon gesagt«, brummte der andere. »Übrigens brauchst du nicht wie ein Zahnbrecher zu schreien. Es ist nicht nötig, daß die ganze Bande dran Anteil nimmt, und ich höre sehr gut.«

»Schon gut. Du weißt also Bescheid.« Nottebohms Zorn verschwand so schnell, wie er aufgeflackert war. Er schmunzelte sogar, als er den anderen betrachtete. »Ich sah dir im ersten Moment an, daß du zu was Besserem geboren bist.«

»Davon habe ich bisher nichts bemerkt.«

Die gelben Ziegenaugen des Alten glitzerten. »Am Ende weißt du es nur nicht? Wie, wenn man dich in der Wiege verwechselt hätte? Das ist alles schon dagewesen.«

»Ja, in den Groschenheften mit den bunten Umschlägen. Und in deinem Hirnkasten.«

»Hast du nicht von dem Findling gelesen? In Ungarn war es, Zigeuner hatten ihn als Säugling gestohlen, und nun beanspruchten ihn drei Familien.«

Bruno Nissen spuckte lachend aus. »Mich wird keine beanspruchen.«

»Jedenfalls ist mit dieser Sache nichts mehr zu machen. Das wirst du wohl selber einsehen.«

»Ich wollte, ich hätte mich nie darauf eingelassen.«

»Aber gut leben willst du, wie?« schrie der Alte empört. »Und Arbeit schätzest du auch nicht. Oder irre ich mich?«

»Ich habe genug in meinem Leben gearbeitet.«

»Aber nichts hat geklappt. Als du zu mir kamst, könnte man dich für ein Rundstück kaufen.«

Bruno Nissen warf die ausgerauchte Zigarette auf den Boden und trat sie mit dem Fuß aus. »Halt mal die Luft an! Hast du nicht genug an mir verdient?«

»Das ging ganz mit rechten Dingen zu, min Söhn. Schließlich war es mein Tip und nicht deiner. Nie im Leben wärest du darauf gekommen, und wenn du alt wie Methusalem geworden wärst.«

»Meinetwegen. Was soll nun geschehen?«

Nottebohm ließ eine kleine Pause eintreten, ehe er begann: »Der Kerl hat mich gefragt, ob du in jungen Jahren auf dem ›Rio Sacramento‹ gefahren bist, der an der irischen Küste unterging.«

Der jüngere sprang auf. »Das wußte er schon?«

»Ja«, log Nottebohm, »und nun wirst du wohl einsehen, daß du die Beine bald in die Hand nehmen mußt. Denn wenn sie das erst wissen, kommen sie auch hinter andere Dinge von damals.«

»Die sind längst verjährt.«

»Wer weiß? Ich würde an deiner Stelle nicht damit rechnen.« Er wußte von der Vergangenheit seines Schützlings nicht viel mehr, als dieser zu jener Zeit, als er sich seiner annahm, ausgeplaudert hatte, und das war nicht viel gewesen. Aber er ahnte anderes und tat das in dunklen Andeutungen kund, die ihre Wirkung nie verfehlten. Mit heimlichem Vergnügen stellte er fest, daß Bruno Nissen blaß geworden war. »Er hat auch nach deinem früheren Namen gefragt.«

»Goddam.«

Nottebohm wiederholte Uhlenwoldts Worte; als er achselzuckend fortfuhr: »Deutschland ist groß, und anderswo ist auch noch Platz.«

»Dazu brauche ich Geld.«

»Das kriegen wir schon. Laß mich nur machen, er wird schon rausrücken, wenn man's richtig anfaßt.«

»Er? Wer ist das? Huygens etwa?«

»Vielleicht auch er«, meinte der Alte nachdenklich. »Aber sicherer ist dieser Uhlenwoldt.«

»Ich will von diesen Dingen nichts mehr wissen. Es bibbert mir in den Knochen, wenn ich bloß daran denke.«

»Das wird sich geben. Überlasse das nur mir. Auf alle Fälle bleibst du die nächste Zeit bei Timmermanns. Ich hab keine Lust, deinetwegen noch mehr solche Besucher zu kriegen. Man sitzt hier allmählich wie auf einer Pulvermine. War Charly noch nicht da?«

»Wie soll ich das wissen? Ich mußte doch gleich hier rein.« Nottebohm sah nach seiner Uhr. »Am besten, du suchst ihn auf. Du weißt, wo du ihn zu. dieser Zeit findest.«

Die Aussicht, hier herauszukommen, schien den anderen zu beleben. Er nahm sofort seinen Hut, der bis dahin auf der Spitze des eisernen Ofens gethront hatte, und steckte sich eine neue Zigarette an. »Machen wir. Was hat Charly denn vor?«

»Das wird er dir selber sagen. Und sei unterwegs vorsichtig!«

»Sowieso.«

»Denk an das Geschäft, das ich vorhabe; du profitierst auch davon, und zwar bannig. Ich habe das Gefühl, daß hier eine Sache ist, die mit der Zeit noch viel abwerfen wird. Jedenfalls mehr als das büschen Mogelei. Ich habe einen neuen Plan – –«

Bruno Nissen hatte ihn nicht bis zu Ende angehört. Er betrat die Schankstube und verließ sie, mit einem flotten Gruß zu den Gästen hinüber, ohne sich aufzuhalten. Das Mädchen, das sich ihm mit einem flehenden Blick zu nähern versuchte, beachtete er nicht.

Er ging vorsichtig seines Wegs, da er sich beobachtet glaubte. Ein paar Mal blieb er mitten im schnellen Gehen stehen, kehrte um und ging einige Schritte zurück. Aber er bemerkte nichts Auffälliges, so aufmerksam er auch alle Vorübergehenden musterte.

Auf der Elbchaussee ging er gemächlich in der Richtung nach Blankenese, um an einer Haltestelle eine Elektrische zu besteigen, die gerade in der Richtung der Innenstadt abfuhr. Niemand war ihm gefolgt.

Am Millerntor stieg er aus und bog in die Seilergasse ein, die er bis zu der Querstraße entlang schlenderte, wo das Artistenkaffee lag, das er suchte.

Mutter Weber hinter dem Schanktisch nickte ihm vertraulich zu. Sie belegte Rundstücke mit Käse, Wurst und Schinken. Von Zeit zu Zeit beleckte sie ihre von Fett triefenden, wulstigen Finger.

»Charly da?«

»Schon wieder weg. Er will wiederkommen.«

Bruno Nissen bestellte eine Flasche Englisch Porter und sah genießerisch zu, wie die dicke Wirtin das schwarze, gelbschaumige Bier in das hohe Glas goß.

Das Glas in der Hand, ging er zu dem großen, schwarzen Ledersofa unter dem Spiegel, der von zwei einst weißen, jetzt verräucherten Gipsfiguren flankiert war; die eine stellte den Trompeter von Säckingen, die andere Bismarck als Schmied dar.

Ein stellungsloser Clown hockte mit mißmutigem Gesicht hinter einer Tasse Kaffee, in einer Nummer des »Artist« blätternd. Drüben paffte der ehemalige Boxer aus einer kleinen Tabakspfeife und trank in kleinen sparsamen Schlucken Bier. Ein Neger verschlang in großen Bissen ein Käsebrot; er war Ausrufer an Wanderzirkussen gewesen und wartete, wie die meisten hier, auf einen Agenten oder einen Schaubudenbesitzer, der ihn engagierte.

Bruno Nissen kannte sie alle bei ihrem Künstlernamen, wie sie ihn als »Bruno« kannten. Sonst wußte niemand etwas vom anderen und wollte auch niemand etwas wissen. Und das war es gerade, was sie immer wieder zu Mutter Weber hinlockte, die noch dazu den großen Vorzug hatte, sich mit der Polizei gut zu stehen.

Bruno war froh, daß Charly noch nicht da war und ihn mit seinen Plänen bedrängte. Er war heute ganz gern mit seinen Gedanken allein.

Zwei Mädchen mit jungen, aber schon verlebten Gesichtern wirbelten herein, neugierig die Gäste musternd. An Brunos Tisch blieben sie erwartungsvoll stehen; aber als er sie nicht beachtete, gingen sie lachend weiter. Vom Ecktisch her, wo sie Fleischbrühe schlürften, drang ihr Wispern und Kichern zu ihm herüber.

Die flüchtige Ähnlichkeit der einen mit dem Mädchen, das neulich vor dem »Fröhlichen Wandsbecker« gestanden hatte, und das heute, wie er von Hanne erfahren hatte, sogar oben gewesen war, hatte ihn wie ein Blitz getroffen. Natürlich war es nur eine entfernte Ähnlichkeit, wie zwischen Simili und Brillant. Diese Mädel waren ordinär bis ins Innerste, bespuckt und bedreckt von einem leichtsinnigen Leben. Mit Litte Friese hielten sie auch für einen Blinden keinen Vergleich aus.

Schwer atmend trank er das dunkle Bier in kurzen Schlucken. Alles hatten die Reichen! Ruhe, Wohlleben und die schönsten Mädchen! Sie brauchten nur abzuwarten, und all das fiel ihnen in den Schoß. Sie brauchten sich nicht den Kopf zu zerbrechen, um zu Geld zu kommen, und das bißchen Freiheit zu riskieren. Im übrigen handelten sie auf ihren Börsen und in ihren Geschäftsbetrieben genau so gewissenlos – Nottebohm hatte ganz recht: es war kein Verbrechen, sie zu bestehlen.

Aber da war nun dies zierliche Mädchen, das sich in Nottebohms Höhle gewagt hatte, und das er nicht vergessen konnte. Er sah es mit angstvoll geweiteten Augen vor dem Lokal stehen; er sah die biegsame Gestalt, die schmalen Hüften, die schlanken, rassigen Beine.

Ob er auch die Augen schloß, das Bild dieses federnden Körpers verließ ihn nicht. Dies Bild brachte sein Blut in Wallung. Und der Gedanke, daß das Mädchen den anderen liebte, konnte toll machen.

Vieles war schlimm gewesen in letzter Zeit: der Einfluß Nottebohms, den er, wenn er allein war, seinen »bösen Geist« nannte, seine letzten Streiche und Schurkereien, dies ewigwache schlechte Gewissen. Aber das Schlimmste war, daß es ihm dieses Mädchen in erreichbare Nähe gebracht hatte.

In erreichbare? Nie konnte er sich ihr nähern, wie dieser Huygens es hatte tun können. Aber es gab noch andere Möglichkeiten. Ein böser Gedanke schoß in ihm auf – und er verscheuchte ihn nicht.

Der Boxer drüben klopfte seine kurze Pfeife aus. »Der Pole geht nun doch in den Ring«, rief er herüber.

»So?« gab Bruno zurück. Er hatte nicht hingehört. Den Boxer schien die Gleichgültigkeit des anderen nicht zu beleidigen. Er erhob sich und ging mit seinem halbvollen Glas zu ihm hinüber.

»Den Italiener, den Makkaronifresser, hat er nach Punkten geschlagen. 15 Runden. Erst nach der 13. war der Sieg sicher. Ein Kinnhaken, prima Güte, mein Lieber, da wächst kein Gras mehr. Er flog aus dem Seil wie die Granate aus dem Rohr. Habe ich dir mal erzählt, wie ich –« Bruno fuhr wütend auf. Das fehlte ihm auch noch, daß dieser Schafskopf ihn mit seinen Siegen in der Vergangenheit belästigte. Auf Rummelplätzen in Berlin N., auf dem Oktoberfest der Münchener Theresienwiese oder bestenfalls auf dem benachbarten Heiligengeistfeld, wenn ihn die Buden des »Doms« im Dezember füllten, da hatte er seine zweifelhaften Lorbeeren geholt, bis man ihn auch da abhalfterte. Der Teufel sollte ihn holen!

Aber er hütete sich doch, ihm seine Meinung zu sagen: der ausrangierte Boxer hatte immer noch einen respektablen Bizeps, und er würde um die Wahl unerlaubter Griffe nicht verlegen sein.

»Schon so spät?« Er sah mit gut gespieltem Erstaunen nach dem Regulator an der Wand. »Dann muß ich fort.« Der Boxer, der die Absicht gehabt hatte, eine kleine Anleihe aufzunehmen, sah sich enttäuscht; er war so etwas jedoch gewöhnt und tröstete sich damit, daß er sich den Rest von Brunos Porter zu Gemüte zog.

Bruno Nissen ging auf kleinen Umwegen zur Reeperbahn zurück, wo ihn eine Menschenansammlung anlockte, aus deren Mitte Musik und Gesang emporstieg.

Es war eine Heilsarmeeversammlung unter freiem Himmel. Ein großer, hagerer Mann von amerikanischem Aussehen dirigierte, Männer und Frauen in Uniform spielten und sangen.

Dann trat ein Mädchen vor und legte sein Bekenntnis ab, das in einer Einladung zum Besuch der abendlichen Versammlungen ausklang.

Die meisten Zuschauer sahen stumm, verwundert oder abgestumpft zu. Einige junge Burschen lachten und riefen den Mädchen unflätige Einladungen zu.

Eine harte Stimme aus dem Zuschauerkreis rief: »Haben Sie Achtung vor diesen Leuten! Es sind die letzten Christen.« Niemand vermochte, den Sprecher festzustellen.

Dies wäre auch ein Ausweg, wenn alle Stricke rissen, ein Ausweg aus meinem dreckigen Leben, dachte Bruno. Da hörte auch Nottebohms Macht auf, und er brauchte auf die Warnungen Hannes nicht zu hören, die ihn in letzter Zeit halb verrückt gemacht hatten.

Das kleine flachsblonde Ding wurde fast unheimlich in der Beharrlichkeit ihrer Verliebtheit. Hatte sie ihn nicht heute wegen dieses Mädchens bedroht? Sie war ein halbes Kind. Aber der Teufel mochte wissen, was in solch ein Frauenzimmer fuhr, wenn es gereizt war! Er wäre nicht der erste seines Schlages gewesen, der durch ein Mädel verpfiffen worden war.

Trotz der ihn umdrängenden Menschenmenge schien ihm der große Platz unsicher geworden. Niemand achtete auf ihn, aber er machte doch kehrt und begab sich in die dunkleren Seitengassen, in deren einer Timmermanns hauste, der die edle Kunst des Tätowierens betrieb, und bei dem er fürs erste unterkommen sollte, bis sein »böser Geist« jenes Geschäft gemacht hatte, von dem er keine Ahnung hatte.

Als er in den Fischmarkt einbog, hörte er jämmerliches Geschrei und das Klatschen von Schlägen.

Unwillkürlich trat er näher und sah inmitten eines mäßigen Anlaufs einen offenbar trunkenen Mann, der auf ein mickeriges, halbwüchsiges Mädchen einschlug. »Täuw, du Biest … täuw … täuw!«

Das Bild war abscheulich genug; aber es hätte Bruno wohl kaum zur Einmischung veranlaßt, wenn er nicht in dem Kerl Emil, den stellungslosen Seiltänzer, erkannt hätte, der ihn vor vierzehn Tagen bei dem beliebten Würfelspiel »Nackter Spatz« in Mutter Webers Bude so gemein bemogelt hatte.

»Laß das Mädchen in Ruhe, verstanden?«

»Sie hat mir Geld geklaut«, schrie der Erboste zum Gaudium des Publikums.

»Und du hast mich bestohlen.« Ehe er noch selber wußte was er tat, hatte er sich auf den Trunkenen geworfen, der nun notgedrungen das Mädchen losließ.

Die Zuschauerschar, die größtenteils den benachbarten Hafengassen entstammte, genoß fachmännisch die Keilerei, bei der die Chancen gleich zu sein schienen. Aus einiger Entfernung schrie eine gellende Weiberstimme nach der Polizei, sie wurde aber bald zum Schweigen gebracht.

Gerade, als Bruno dem anderen einen Faustschlag auf das Nasenbein versetzt hatte, der das Entzücken der anwesenden Fachmänner bildete, packten ihn zwei starke Hände, und er blickte auf die wohlbekannte Schupouniform.

Ein wildes Gedränge entstand, in dem Bruno aber vergeblich zu entfliehen versuchte.

Es war nur eine mäßige Genugtuung für ihn, daß sich die Mehrzahl für ihn als Zeugen antrug und daß Emil gerade von zwei strammen Schupoleuten abgeschleppt wurde.

»Ihren Namen, mein Herr?« Er wußte, daß er dies »mein Herr« und die sanftere Behandlung nicht seinem großmütigen Eintreten für das geprügelte Mädchen zu verdanken hatte, sondern seinem besseren Anzug und seiner halbseidenen Krawatte. Aber das hinderte nicht, die Situation äußerst bedenklich zu finden.

Vor einer Stunde noch hatte ihm Nottebohm eingeschärft, vorsichtig zu sein – und nun hatte er sich höchst unnötig in eine Lage begeben, die ihn in die Arme der Polizei brachte! Er hätte sich ohrfeigen mögen.

Wenn er alle Kollegen verprügeln wollte, die ihn beim Spiel betrogen hatten, oder die eine Göhre verdroschen, dann hätte er viel zu tun. Was für einen Namen sollte er angeben? Auf alle Fälle würden sie eine Legitimation verlangen, und er kam in Deibels Küche. Wem diese Kerle erst auf der Spur waren, den ließen sie nicht mehr los.

»Nun?« munterte ihn der Schupomann, schon etwas unfreundlicher, auf. Er hatte ihn losgelassen und sein Notizbuch vorgezogen.

In diesem Augenblick drängte sich ein junger, unscheinbarer Mann durch die dünner gewordene Reihe der Gaffer und hielt dem Beamten seine Legitimation hin.

»Ich bürge für den Herrn«, sagte er, und trat zu Brunos grenzenlosem Erstaunen auf ihn zu. »Wie kamen Sie denn in diese Situation?« fragte er lachend.

»Ich sah, daß dieser Kerl ein Kind schlug. Das konnte ich natürlich nicht mit ansehen. Wären Sie vielleicht still weiter gegangen?«

Seine Erklärung schien auch auf den Beamten zu wirken, dem der Fremde einen Namen mit Flüsterstimme angab. »Eine gute Lehre für Rowdies«, sagte er dann zu Bruno. »Aber es hätte Ihnen auch schlecht bekommen können.«

Der Schupomann grüßte und entfernte sich. Was kommt nun? dachte Bruno, bereit zur Flucht.

Der Fremde zog ihn vom Platz fort in eine stille Seitengasse. Sein Gesicht war ernst, als er in halblautem Ton sagte: »Am besten ist es wohl, Sie fahren sofort nach Hause, Herr Huygens. Soll ich Sie begleiten?«

Bei dem Namen »Huygens« fiel alle Sorge von Bruno ab; er fühlte sich sofort der Lage gewachsen. Er war für diesen der reiche Kaufmann Huygens, wie er es für so viele gewesen war, und er wußte, daß die Gefahr vorüber war.

»Vielen Dank. Ich komme schon so nach Hause.«

»Ihr Anzug ist in Unordnung. Es ist vielleicht besser, Sie fahren nach Hause. Soll ich ein Auto heranrufen?«

Der falsche Huygens suchte mit ärgerlichem Gesicht in seiner Brusttasche. »Der Kerl hat mir bei der Rauferei, glaube ich, die Brieftasche gestohlen. Wie unangenehm.«

»Ich helfe gern aus, und die Brieftasche wird sich wohl auf der Wache wiederfinden.« Er reichte einen Fünfzigmarkschein, den Bruno mit nachlässigem Dank einsteckte. Es war ein Nebenverdienst, der den Vorzug hatte, daß Nottebohm nichts von ihm erfuhr.

»Tausend Dank für Ihr Eintreten. Ich wäre sonst in eine schöne Verlegenheit gekommen.«

»Und Sie versprechen mir, sofort nach Hause zu fahren?« Bruno wollte sich diese Zudringlichkeit verbitten; aber in den Augen des anderen stand soviel Ernst und auch etwas wie unerklärliches Mitleid, daß er bejahte.

Er ging, von dem Fremden begleitet, zum Platz zurück. »Ich nehme den nächsten Wagen, der kommt. Ehrenwort.« Der Detektiv ging nach höflichem Gruß weiter, da er dem anderen die Scham des Bewachtwerdens ersparen wollte. Ich habe auftragsgemäß gehandelt, dachte er. Aber ist es denn möglich, daß sich Huygens in eine solche Situation begibt?

Kopfschüttelnd begab er sich in die nächste Wirtschaft, um Dr. Bendix anzurufen.


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