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Dreiundsechszigstes Capitel.
Reifende Pläne.


Einen Monat nach diesem Carneval, eines Morgens gegen Ende des März, stieg Tito die marmornen Stufen des alten Palastes hinab, indem er einen gewichtigen Auftrag in San Marco auszurichten hatte. Aus irgend welchem Grunde wollte er nicht den kürzesten Weg einschlagen, der eine nur wenig ungerade Linie vom alten Palaste bildete, sondern lieber einen Umweg über die Piazza di Santa Croce machen, wo das Volk nach der Frühpredigt aus der Kirche strömen mußte.

Es war in der großen Kirche von Santa Croce, daß die tägliche Fastenpredigt die meisten Zuhörer herangezogen hatte: denn Savonarola's Stimme wurde selbst nicht mehr in seiner eigenen Kirche, in San Marco, vernommen, da eine feindselige Signoria ihm Schweigen auferlegt hatte, und zwar einem neuen Briefe vom Papste gehorchend, in welchem dieser die Stadt alsbald mit dem Interdict zu belegen drohte, wenn diesem »elenden Wurm« und »scheußlichen Götzenbilde« nicht das Predigen untersagt und er nach Rom gesendet würde, um Gnade zu bitten. Nächst dem Anhören Fra Girolamo's selbst war die aufregendste Beschäftigung in der Fastenzeit die: Widerlegungen und Beschimpfungen seiner mit anzuhören. Diese Unterhaltung konnte man sich in Santa Croce verschaffen, wo der mit dem Abhalten der Fastenpredigten beauftragte Franziskaner sich erboten, seine Beweise dadurch zu erhärten, daß er mit Fra Girolamo durch's Feuer gehen wolle. Hatte jener schismatische Dominikaner nicht gesagt, daß seine prophetische Lehre zur rechten Zeit durch ein Wunder erprobt werden werde? Nun wohl, jetzt war die rechte Zeit gekommen. Savonarola solle durch's Feuer gehen, und wenn er unversehrt davon käme, so wäre der göttliche Ursprung seiner Lehre bewiesen; damit er aber keinen Vorwand habe, dieser Probe zu entgehen, erklärte der Franziskaner sich bereit, ein Opfer dieser erhabenen Logik zu werden und sich im Interesse des nothwendigen Untersatzes in der Prämisse verbrennen zu lassen.

Savonarola hatte, seiner Gewohnheit nach, von diesen Kanzelangriffen gar keine Notiz genommen. Aber nun war gerade der eifrige Prediger in Santa Croce kein anderer als der Fra Francesco di Puglia, der im vorigen Jahre in Prato eine ähnliche Herausforderung an Savonarola's glühenden Anhänger, Fra Domenico, hatte ergehen lassen, von seinen Oberen aber abberufen wurde, während die Hitze nur noch eine rednerische war. Der ehrliche Fra Domenico also, der den Weibern in der Via Cocornero Fastenpredigten hielt, hörte nicht so bald diese neue Herausforderung, als er auch schon den Handschuh für seinen Herrn und Meister aufnahm und sich bereit erklärte, mit Fra Francesco durch's Feuer zu gehen. Schon fing das Volk an, ein lebhaftes Interesse an etwas zu nehmen, was ihnen eine bündige und leichte Methode des Beweises (für die, welche überzeugt werden sollten) schien, als Savonarola, recht wohl die Gefahren bemerkend, welche schon in der einfachen Besprechung des Falles lagen, dem Fra Domenico befahl, seine Annahme der Herausforderung zurückzuziehen, und sich die Sache vom Halse zu schaffen. Der Franziskaner erklärte sich zufrieden gestellt, da er seine Herausforderung nicht an einen Untergebenen, sondern an Fra Girolamo selbst gerichtet hatte.

Darauf hin war das Interesse des Volks an den Fastenpredigten etwas erschlafft; aber an diesem Morgen, als Tito die Piazza di Santa Croce betrat, fand er, seiner Erwartung gemäß, daß das Volk in großen Massen aus der Kirche herausströmte. Statt sich zu zerstreuen, thaten sich ihrer Viele an einem besondern Platze neben dem Eingange zum Franziskanerkloster zusammen, und Tito schlug dieselbe Richtung ein, nachlässig und gemächlich durch die Volksmenge schlendernd, aber ein wachsames Auge auf den Eingang zum Kloster gerichtet, als ob er erwartete, daß ein, ihm besonderes Interesse einflößender Gegenstand von dorther kommen werde.

Der Volkshaufe aber war nicht mit dergleichen Erwartungen beschäftigt; der Gegenstand, um den es sich für ihn handelte, war bereits in der Gestalt eines großen, auf Befehl der Signoria angeschlagenen und mit einer sehr lesbaren amtlichen Handschrift versehenen Placats sichtbar. Die Neugierde wurde aber dadurch, daß das Manuscript hauptsächlich in lateinischer Sprache abgefaßt war, getäuscht, und obgleich fast Jedermann ungefähr wußte, was das Placat enthielt, wollte man doch noch genauer unterrichtet sein, und Einer ärgerte sich über die Unwissenheit des Andern, daß er nicht fähig sei, die gelehrte Sprache zu übersetzen. Denn die durch das Gehör gemachte Bekanntschaft von lateinischen Phrasen, welche die Nichtstudirten aus dem vom Prediger fortlaufend verdolmetschten Kanzleilatein aufsammelten, nützte ihnen wenig, wenn sie geschriebenes Latein vor sich sahen; selbst die Orthographie der neueren Sprache war für die Masse des Volks, die lesen und schreiben konnte Die alten Chronikenschreiber schrieben ihre Consonanten eher mit einer gewissen Beobachtung der Quantität der Silben als der der Stellung ein; wie dies sehr bezeichnend der Ragnolo Braghiello (statt Agnolo Gabriello) des boccacci'schen Ferondo zeigt., in einem unorganisirten und zerfetzten Zustande, und der größere Theil der dem Placat am nächsten Stehenden besaß nicht einmal die gefährliche Eigenschaft auch dieses Wenige zu verstehen.

»Es sind die Lehren des Frate, welche er beweisen will, indem er sich verbrennen läßt!« rief der bedeutende öffentliche Charakter Goro, welcher eben in der ersten Reihe der Gaffer stand, »die Signoria hat die Sache in die Hand genommen, und diese Schrift zeigt es uns an. Es ist das, wovon der Padre uns in seiner Rede gesprochen hat.«

»Nicht doch,« sagte ein glatt aussehender Krämer mitleidig, »Du hast Deine Beine in eine verdrehte Hose gesteckt; der Frate soll seine Lehre dadurch beweisen, daß er nicht verbrannt wird; er soll durch das Feuer hindurchgehen und frisch und wohlbehalten wieder herauskommen.«

»Ja, ja,« sagte ein junger Bildhauer, der seine weißgestreifte Mütze und Tunica mit einem leichten und anmuthigen Wesen trug, »aber Fra Girolamo macht seine Einwendungen dagegen, durch's Feuer zu gehen; da er schon frisch und wohlbehalten ist, so sieht er gar nicht ein, warum er hindurchgehen soll, um in derselben Verfassung, in der er sich schon befindet, wieder zum Vorschein zu kommen. Er überläßt derlei Wetten und Trödelzwecke dem Fra Domenico.«

»Dann sage ich, daß er sich wie ein Feiger zurückzieht;« sagte Goro in einem keuchenden Discant. »Donnerwetter! das that er auch im Carneval. Er ließ uns Alle auf die Piazza kommen, um zu sehen, wie ihn der Blitz erschlüge, und aus der ganzen Sache wurde nichts.«

»Laß Dein Blöken!« rief ein riesiger Schuster, der mit einem Bündel Pantoffeln über die Schultern gehängt herbeigekommen war, um einen Theil der Rede zu hören, »mir scheint, Freund, Du bist ungefähr eben so klug wie ein Kalb mit Wasser im Gehirn. Der Frate zieht sich vor nichts zurück; er sagt vielleicht nichts im Voraus, wenn aber der Augenblick kommt, so wird er durch's Feuer gehen, ohne einen Graurock aufzufordern, ihn zu begleiten. Aber ich möchte ein Schuhband drum geben, wenn ich wüßte, was all' das Latein bedeutet.«

»Es ist eine solche Menge von dem Zeugs,« – sagte der Krämer »sonst bin ich ziemlich stark im Errathen, ist denn gar kein Gelehrter zu sehen?« fügte er mit einem leisen Anflug von Widerwillen hinzu.

Alle wendeten sich um, und so kam es, daß sie Tito erblickten, der sich ihnen von rückwärts näherte.

»Hier ist einer!« rief der junge Bildhauer lächelnd und die Kappe lüftend.

»Es ist der Secretarius der Zehne; er geht gewiß in's Kloster, macht ihm Platz!« sagte der Krämer, gleichfalls das Haupt entblößend, obgleich die Florentiner dieses Zeichen der Achtung nur sehr selten, ausgenommen vor den höchsten Beamten, anwendeten. Diese ausnahmsweise Ehrerbietung wurde in der That nur durch den Glanz und die Anmuth der äußeren Erscheinung Tito's hervorgerufen, diese ließ seinen schwarzen Mantel mit der goldenen Schnalle wie einen Königsmantel, und seine ganz gewöhnliche schwarze Sammetmütze wie eine außergewöhnliche Kopfbedeckung erscheinen. Die harten Linien der Wangen und des Mundes, die einzige Veränderung in seinem Gesichte, seitdem er nach Florenz gekommen war, schienen für einen oberflächlichen Beobachter seiner Schönheit einen noch männlicheren Charakter zu verleihen. Er lüftete schnell seine Mütze, indem er sagte:

»Ich danke, meine Freunde, ich wünschte nur, gleich Euch, zu sehen, was da unten auf dem Placate steht – aha, es ist wie ich erwartete. Ich hatte erfahren, daß die Regierung Jedem, der Lust dazu hat, erlaubt, seinen Namen als Mitbewerber darum, durch das Feuer zu gehen, zu unterschreiben – eine Handlung, die wirklich der erhabenen Signoria würdig ist – natürlich indem sie sich das Recht der Auswahl vorbehält. Und gewiß werden viele Gläubige sich beeifern, ihren Namen zu unterzeichnen. Denn was ist es für Jemanden, dessen Glauben fest ist, durch's Feuer zu gehen? Der Mensch fürchtet sich vor dem Feuer, weil er glaubt, daß es ihn brennen wird; wenn er nun aber das Gegentheil glaubt?« hier zog Tito seine Schultern in die Höhe und machte eine rhetorische Pause, »aus diesem Grunde habe ich stets dem Frate Glauben geschenkt, wenn er sagte, daß er durch's Feuer gehen wolle, um seine Lehre zu beglaubigen. Denn wer von Euch, meine Freunde, wenn Ihr an seiner Stelle glaubtet, das Feuer würde Euch nicht brennen, möchte nicht eben so leicht hineingehen, als ginge er durch das trockene Bett des Mugnone?«

Als Tito bei dieser Anrede umherblickte, fand er, daß bei Einigen unter ihnen ein Wechsel eingetreten war, wie bei einem sehr hitzigen Hunde, dem man etwas sehr Scharfes zu riechen giebt. Da die Frage des Brennens zu etwas Praktischem wurde, hatte nicht ein Jeder Lust, sich einer allgemeinen Ansicht der Beziehungen zwischen Glauben und Feuer hinzugeben. Dieser Auftritt wäre für einen Ernst, der sich weniger hätte beherrschen können als der Tito's, in der That zu viel gewesen.

»Auf diese Art,« sagte der junge Bildhauer, »scheint es mir, Herr Secretarius, daß Fra Francesco ein größerer Held ist, denn er will für die Wahrheit durch's Feuer gehen, obgleich er überzeugt ist, daß es ihn verbrennen wird.«

»Ich läugne das nicht,« entgegnete Tito mit, sanfter Stimme, »wenn es sich aber herausstellt, daß Fra Francesco irrt, so wird er für das Unrechte verbrannt werden, und solche Leute hat die Kirche nie zu den Märtyrern gerechnet. Wir müssen also mit unserem Urteil zurückhalten, bis die Probe wirklich stattgefunden hat.«

»Da habt Ihr Recht, Herr Secretarius,« warf der Krämer mit unterdrückter Ungeduld ein, »wollt Ihr aber nicht so gütig sein, uns das Lateinische da zu übersetzen?«

»Sehr gern,« antwortete Tito, »es drückt nur die Schlüsse oder Sätze aus, die der Frate lehrt, und welche die Feuerprobe als richtig oder unrichtig darthun soll. Ihr werdet sie wahrscheinlich kennen. Erstlich, daß Florenz –«

»Gebt uns das Lateinische Stück für Stück, und dann sagt uns, was es bedeutet!« rief der Schuster, der ein fleißiger Zuhörer Fra Girolamo's gewesen war.

»Mit Vergnügen,« erwiderte Tito, »Ihr könnt alsdann selbst urteilen, ob ich Euch die rechte Bedeutung mittheile.«

»Ja, ja, das ist in der Ordnung!« rief Goro.

» Ecclesia Dei indiget renovatione, das heißt: die Kirche Gottes bedarf der Verjüngung.«

»Das ist wahr!« riefen mehre Stimmen zugleich.

»Das bedeutet, die Priester sollen einen besseren Lebenswandel führen; dazu braucht es keines Wunders, um das zu beweisen; das hat der Frate immer gesagt,« bemerkte der Schuster.

» Flagellabitur,« fuhr Tito fort, »das ist: sie wird gezüchtigt werden. Renovabitur, sie wird verjüngt werden. Florentia quoque post flagella renovabitur et prosperabitur: Auch Florenz wird verjüngt werden und gedeihen.«

»Das heißt, wir bekommen Pisa wieder!« sagte der Krämer.

»Und bekommen die Wolle, wie wir sie früher bekamen, denke ich,« sagte ein ältlicher Mann in einer altmodischen Berretta, der bis jetzt noch gar nicht geredet hatte, »die Abnahme des Handels ist Züchtigung genug!«

In diesem Augenblicke trat eine hohe Figur, eine rothe Feder auf dem Hut, aus der Thür des Klosters und wechselte mit Tito einige gleichgültige Blicke; dieser warf seinen Mantelkragen unbefangen über die linke Schulter und wandte sich wieder um, um weiter zu lesen, während die Umstehenden mit mehr Furcht als Achtung zurückwichen, um dem Messer Dolfo Spini Platz zu machen.

» Infideles convertentur ad Christum,« fuhr Tito fort, »das heißt: die Ungläubigen werden zu Christus bekehrt werden«

»Das sind die Türken und Mohren; nun, dagegen habe ich nichts,« bemerkte der Krämer ruhig.

» Haec autem omnia erunt temporibus nostris, solches Alles wird sich in unseren Zeiten begeben.«

»Wozu sollte es auch sonst nützen?« fragte Goro.

» Excommunicatio nuper lata contra Reverendum Patrem nostrum, Fratrem Hieronymum, nulla est: die neulich gegen unsern ehrwürdigen Vater, Fra Girolamo, ausgesprochene Excommunication ist null und nichtig. Non observantes eam, non peccant: Diejenigen, welche sich nicht um dieselbe kümmern, sündigen nicht.«

»Ich werde genauer wissen, woran ich mich in dieser Hinsicht zu halten habe, wenn erst die Feuerprobe stattgefunden hat,« sagte der Krämer.

»Diese wird wahrscheinlich Alles aufklären,« bemerkte Tito, »das ist das ganze Latein, alle die Schlüsse, welche durch die Feuerprobe sich als wahr oder falsch herausstellen werden. Das Uebrige, wie Ihr sehen könnt, ist einfach eine Proclamation der Signoria, in gutem Toskanisch, welche Diejenigen, die eine besondere Lust in sich spüren, durch's Feuer zu gehen, auffordert, sich im Palast zu stellen und ihre Namen aufzuzeichnen. Kann ich Euch sonst noch worin dienen? Wo nicht –«

Tito nahm, indem er sich umwendete, seine Mütze ab, und verbeugte sich so leicht und ungezwungen, daß diese Bewegung als ein natürlicher Art der Höflichkeit erschien.

Er beschleunigte, als er die Piazza verließ, die Schritte, und nach zwei oder drei Biegungen um Straßenecken blieb er in einer ruhigen Straße vor einem Hause stehen, an dessen Thür er leicht und auf eine besondere Weise anklopfte. Dieselbe wurde von einem jungen Frauenzimmer geöffnet, welche er unter das Kinn faßte, indem er sie fragte, ob ihr Gebieter zu Hause sei, und dann ohne Weiteres durch eine andere halbgeöffnete Thür zu seiner Rechten weiter ging. Diese Thür führte in ein schönes, aber altmodisches Gemach, in welchem Dolfo Spini saß und mit einer schönen Jagdhündin spielte, die abwechselnd an einem Korb mit Jungen schnüffelte, und seine Hände mit jener zuthunlichen Mißachtung der Moralität ihres Herrn leckte, welche im fünfzehnten Jahrhundert als eine der liebenswürdigsten Eigenschaften ihres Geschlechts betrachtet wurde. Dolfo blickte bei Tito's Eintreten auf, ließ sich aber in seiner Spielerei nicht stören, einfach aus jener Lust, bei irgend einer nichtsbedeutenden Beschäftigung zu bleiben, wodurch stumpfsinnige, sinnliche Leute stets ihre eigenen Zwecke stören. Tito war geduldig.

»Eine hübsche Brake,« sagte er ruhig, seinen Daumen in den Gurt steckend; dann fügte er in jenem kühlen, klaren Tone, der sanft schien, aber sich doch Aufmerksamkeit erzwang, hinzu: »wenn Ihr mit den Liebkosungen, die unmöglich zu verschieben sind, fertig seid, theuerster Dolfo, so wollen wir, wenn es Euch recht ist, von Geschäftssachen reden. Meine Zeit, welche ich Euch ewig zur Verfügung stellen möchte, ist gerade heute Morgen sehr in Anspruch genommen.«

»Ruhig, Muthwille, kusch' Dich!« rief Dolfo mit plötzlicher Rauhheit. »Verflucht!« fügte er noch barscher hinzu, indem er den Hund bei Seite stieß; dann sprang er von seinem Sitze auf und stellte sich dicht vor Tito hin, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte und sagte:

»Ich hoffe, Euer scharfer Geist sieht das Aus und Ein dieser Angelegenheit durch, mein schöner Schwarzkünstler, denn mir kommt sie nicht klarer vor als das Innerste eines Sackes.«

»Was scheint Euch denn so schwierig, Herr Ritter?«

»Diese verfluchten Minoriten von Santa Croce. Sie ziehen sich jetzt zurück. Fra Francesco selbst scheint sich davor zu fürchten, auf seiner Herausforderung zu beharren; er meint, der Prophet könne möglicherweise magische Künste anwenden, um ein falsches Wunder zu bewirken; er meint ferner, daß er selbst in's Feuer gezogen und verbrannt werden könne, während der Prophet durch Zauberei frisch und gesund wieder zum Vorschein kommt, und der Kirche würde dadurch nichts geholfen. Dann ist auch, trotz alles unseres Redens, nicht so viel als ein lumpiger Laienbruder da, der sich anbieten möchte, um es mit diesem frommen Schaf von Fra Domenico aufzunehmen.«

»Das ist die den tonsurirten Schädeln eigenthümliche Dummheit, die sie verhindert zu erkennen, wie unwichtig es ist, ob sie verbrannt werden oder nicht,« entgegnete Tito. »Habt Ihr ihnen auch zugeschworen, daß sie keine Gefahr laufen, in's Feuer hineinzugehen?«

»Nein,« sagte Spini, verlegen dareinschauend, »weil Einer von ihnen gezwungen sein wird, mit Fra Domenico hineinzugehen, der die Zeit gar nicht erwarten kann, bis die Reisigbündel bereit sind.«

»Durchaus nicht. Fra Domenico selbst wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht hineingehen. Ich habe es Euch schon früher einmal gesagt, aber Euer gewaltiger Geist kann nicht ohne mehr Wiederholungen, als für das gemeine Volk genügen, beeindruckt werden; ich habe Euch gesagt, daß jetzt, wo Ihr die Signoria dahin gebracht habt, die Sache in die Hand zu nehmen und zu verhindern, daß sie von Fra Girolamo in der Stille beseitigt werde, nichts weiter nothwendig ist, als daß an einem gelegenen Tage das Brennmaterial in der Piazza zurecht gemacht und das Volk zusammengetrommelt werde, in der Erwartung, etwas Wunderbares zu sehen. Wenn danach der Prophet die Piazza ohne das mindeste Anzeichen eines von ihm bewirkten Wunders verläßt, so ist sein Credit beim Volke dahin, und sie werden dann bereit sein, ihn aus der Stadt hinauszujagen; der Signoria wird es nicht schwer fallen, ihn über die Gränze zu schaffen, und Seine Heiligkeit mag dann nach Belieben mit ihm verfahren. Darum, mein lieber Alcibiades, schwört nur den Franziskanern, daß ihre grauen Kutten nicht bis in die Sengenähe des Feuers kommen sollen.«

Spini rieb seinen Hinterkopf mit einer Hand und schlug sein Schwert mit der andern Hand gegen das Bein, um seine Fähigkeit, diese unfaßbaren Combinationen zu fassen, aufzustacheln.

»Ach,« rief er wieder aufblickend, »wenn wir nicht auf der Piazza, während das Volk in der Wuth ist, über ihn herfallen und ihm und seinen Lügen dort alsbald ein Ende machen, werden Valori und die Salviati und die Albizzi zu den Waffen greifen und für ihn fechten! Ich weiß, daß die Rede davon war bei dem Auflauf am Himmelfahrtssonntag. Das Volk kann sich auch anders besinnen, es kann wieder eine Geschichte von der Rückkehr des Königs von Frankreich aufgebracht werden, oder sonst ein infamer Glücksfall zu Gunsten jenes Heuchlers eintreten. Die Stadt wird nicht eher sicher sein, bis er fort ist.«

»Es wird nicht lange dauern, bis er aus der Stadt ist, ohne daß Ihr nöthig habt, Euch weiter zu bemühen, als die kleine Comödie mit der Feuerprobe in Scene zu setzen. Wein und Sonne machen Essig, ohne daß man zu schreien braucht, um dabei zu helfen, wie Eure florentinischen Weisen sagen würden. Ihr werdet die Genugthuung haben, Eure Stadt von einem Alp durch eine geschickte Kriegslist zu befreien, statt durch Schwerthiebe Mißgriffe zu begehen.«

»Falls ihm aber Zauberkünste und der Teufel zu Hülfe kommen und er dennoch durch's Feuer geht?« fragte Spini mit einer Grimasse, welche seine Aengstlichkeit, sich auf dieses Feld der Speculation zu wagen, verdecken sollte, »wieso wißt Ihr, daß an diesen Dingen nichts ist? Viele Gelehrte glauben daran, und dieser Frate ist zu Allem schlecht genug.«

»O gewiß giebt es dergleichen Dinge,« sagte Tito achselzuckend, »aber ich habe besondere Gründe, zu wissen, daß der Frate nicht auf solchem Fuße mit dem Teufel steht, um in dieser Angelegenheit seiner Sache so gewiß zu sein. Der einzige Zauber, auf den er sich verläßt, ist seine Geschicklichkeit.«

»Geschicklichkeit?« warf Spini ein, »nennt Ihr das Geschicklichkeit, daß er Florenz mit dem Papst und allen italiänischen Staaten entzweit hat, und stets auf den König von Frankreich hinweist, der gar nicht daran denkt zu kommen? Ihr mögt ihn immerhin geschickt nennen, ich nenne ihn einen Heuchler, der Jedermann beherrschen und selbst Papst werden will.«

»Ihr urteilt mit Eurem gewöhnlichen Scharfsinn, Capitano, aber unsere Meinungen sind gar nicht verschieden. Der Frate, welcher sich zum Herrn machen und seine Pläne gegen den Papst ausführen will, verlangt den Hebel einer fremden Macht, und Florenz als Stützpunkt. Ich hielt ihn für einen engherzigen Frömmler, aber jetzt sehe ich, daß er ein schlauer, ehrgeiziger Mann ist, der da recht gut weiß, was er will, und sein Ziel so geschickt aufstellt, wie Ihr einen Ball lenkt, wenn Ihr Maglio spielt.«

»Ja, ja,« antwortete Spini gemüthlich, »ich verstehe es, einem Ball die Richtung zu geben.«

»Das ist wahr,« sagte Tito mit mildem Ernst, »und ich würde Euch nicht mit meiner trivialen Bemerkung über die Geschicklichkeit des Mönchs belästigt haben, wenn ich Euch nicht hätte zeigen wollen, wie dies das Verdienst Eures Sieges über ihn in Rom und Mailand erhöhen wird, und das wird Euch sehr nützen, wenn die Politik der Stadt geändert wird.«

»Nun, Du bist ein guter kleiner Dämon und sollst gut belohnt werden,« rief Spini im Gönnertone; und er hielt es für ganz natürlich, daß der gewandte griechische Abenteurer voll Dankbarkeit lächelte, indem er sagte:

»Natürlich, jeder Vortheil für mich hängt ganz von Euch ab, von Eurer – –«

»Wir werden heute in meinem Palaste zu Nacht speisen,« unterbrach ihn Spini mit einem bedeutsamen Wink und Tito freundlich auf die Schulter klopfend, »und ich werde ihnen Allen den neuen Plan mittheilen.«

»Verzeiht, mein großmüthiger Gönner!« sagte Tito, »der Plan ist von allem Anfang an immer der gleiche gewesen; er ist nie abgeändert worden, außer in Eurem Gedächtniß. Seid Ihr auch gewiß, daß Ihr ihn jetzt fest im Kopfe habt?«

Spini ging ihn nochmals ganz durch und rief dann Tito zu, als dieser forteilen wollte:

»Noch ein Wort! Da ist der spürnasige Notarius Ser Ceccone; er ist in der letzten Zeit sehr gewandt und flink gewesen; Ihr, der Ihr einen Menschen zwinkern sehen könnt, wenn Ihr hinter ihm steht, sagt mir doch: meint Ihr, daß ich ihn auch ferner gebrauchen kann?«

Tito wagte nicht »Nein« zu sagen. Er kannte seinen Gefährten zu genau, um sich zu trauen ihm einen Rath zu geben, wenn Spini's ganze Eitelkeit und selbstisches Interesse nicht dabei betheiligt waren, den Rathgeber zu verschweigen.

»Ohne Zweifel,« antwortete er rasch, »ich habe nichts gegen Ceccone einzuwenden.«

Diese Andeutung der genauen Verbindung des Notars mit Spini verursachte Tito eine vorübergehende unangenehme Empfindung, die seine Befriedigung über den Triumph: den Mann, der sich für seinen Gönner hielt, zu einem Spielwerk in seiner Hand zu machen, in etwas unterbrach. Denn er war wegen Ser Ceccone's nicht ohne Besorgniß. Tito's Charakter machte ihn besonders aufmerksam auf Umstände, die zu seinem Nachtheile ausgebeutet werden konnten; solche Möglichkeiten schwebten seinem Gedächtniß allezeit vor und ermunterten ihn zu Plänen, dieselben von sich abzuwehren. Und es war nicht wahrscheinlich, daß er jenen Octobermorgen von vor länger als einem Jahre vergessen haben sollte, als Romola ihm plötzlich vor der Thür von Nello's Laden gegenübergetreten war und ihn genöthigt hatte, seine Ueberzeugung, daß Fra Girolamo die Stadt nicht verlassen würde, auszusprechen. Der Umstand, daß Ser Ceccone eine Zeuge dieser Scene gewesen war, so wie daß Tito bemerkt hatte, daß er aus irgend welchen Gründen dem Notar besonders verhaßt war, hatte durch den Umschwung der Dinge eine besondere neue Wichtigkeit erhalten. Denn Ser Ceccone hatte sich, nachdem er in die medicäischen Anschläge verwickelt gewesen war und es rathsam gefunden hatte, sich für einige Zeit auf's Land zurückzuziehen, seit seinem Wiedererscheinen in der Stadt der Partei der Arrabbiati angeschlossen, und sich um die Gönnerschaft Dolfo Spini's angelegentlich bemüht. Dieser Anführer der Compagnacci war aber im Kreise vertrauter Freunde ganz besonders zu vertraulichen Mittheilungen über seine Unternehmungen aufgelegt, und wenn Ser Ceccone's Combinationsgabe durch Feindschaft geschärft wurde, so konnte er Thatsachen beibringen, die er gegen Tito, mit sehr unangenehmen Folgen für denselben, gebrauchen konnte.

Es mußte jämmerlich sein, wohlangelegte Unternehmungen durch einen unbedeutenden Notar vereitelt zu sehen, durch den Stich eines Insects, das er unversehens getreten hatte, gelähmt zu werden. »Aber,« sagte Tito zu sich selbst, »der Haß dieses Menschen gegen mich kann nicht tiefer sein als die böse Laune eines hungernden Hundes; ich kann diesen Haß besiegen, wenn es mir gelingt, dem Menschen Wohlstand zu verschaffen.« Und er war sehr froh gewesen, die sich darbietende Gelegenheit ergreifen zu können, um dem Notar eine vorläufige Stelle als außergewöhnlicher Kanzleisecretär beim Rath der Zehn zu verschaffen, und er glaubte, daß der knurrende Köter durch diesen Brocken und die Aussicht auf mehr von seiner Lust, ihn zu beißen, geheilt sein würde.

Aber ein in allen Theilen vollkommenes Planmachen bedingt Allwissenheit, und der Neid des Notars war durch Gründe, die Tito nicht kannte, zum Haß angewachsen. An jenem Abend, an welchem Tito, von seiner entscheidenden Audienz bei der Specialcommission zurückkehrend, an Ser Ceccone auf der Treppe vorbeigestreift war, befand sich der Notar, der so eben aus Pistoja zurückgekommen war und die Einziehung der Verschworenen vernommen hatte, auf einer Mission, die eine bescheidene Aehnlichkeit mit der Tito's hatte. Auch er hatte, ohne den Anschein des Eifers für das Volkswohl aufzugeben, in das medicäische Glücksspiel gesetzt. Auch er war in das nicht zur Ausführung gekommene Complot eingeweiht und gesonnen mitzutheilen, was er wußte, wußte aber viel weniger mitzutheilen. Auch er wäre geneigt gewesen, auf verrätherische Missionen zu gehen, aber ein annehmbarerer Agent war ihm zuvorgekommen. Seine Vorschläge wurden mit Kälte aufgenommen; der hohe Rath, so sagte man ihm, sei bereits im Besitz der nöthigen Mittheilungen, und da er so geschäftig bei den aufrührerischen Plänen gewesen sei, so wäre es sehr gerathen, wenn er dem Unheil aus dem Wege ginge, sonst könnte die Regierung am Ende gezwungen sein, ihn besonders im Auge zu behalten. Ser Ceccone bedurfte keiner Beweise, um diesen Fehlschlag dem Tito Melema zuzuschreiben, und sein Groll war um so bitterer, als die Natur der Sache ihn zwang, sich dabei ruhig zu verhalten. Auch war dieses noch nicht Alles, was er gegen den glücklichen Melema hatte. Als er aus seinem Versteck wieder zum Vorschein kam und sich den Arrabbiati anschloß, hatte er als einer der Spione, die über florentinische Angelegenheiten an den mailändischen Hof berichteten, Sold erhalten; aber dieser Sold war, trotz aller seiner Bemühungen, ausführliche Briefe zu schreiben, nur kärglich gewesen, und es war ihm erst vor Kurzem angedeutet worden, daß seine Mittheilungen selten mehr als eine verspätete und unvollkommene Auflage schon bekannter Thatsachen seien. Ser Ceccone wußte allerdings nicht mit Bestimmtheit, daß Tito in geheimer Verbindung mit den Arrabbiati und dem mailändischen Hofe stand, aber er hatte eine Ahnung, die er so in sich aufnahm und überdachte, daß sie ihm fast zur Gewißheit wurde.

Dieser üppig aufgeschossene, kräftige Haß konnte das schwache Opiat der Gunstbezeigungen Tito's recht wohl verschlucken, und doch eben so wach bleiben wie vordem. Warum sollte auch Ser Ceccone den Tito Melema mehr lieben, weil dieser ihm gefällig war? Sicher hatte der Süßliche seine Zwecke dabei im Auge; und welche Ansprüche hatte er auf die hohe Stellung, welche es ihm möglich machte, Gunstbezeigungen zu erweisen? Da er aber seine Stimme in Schmeicheltönen erklingen ließ, so wollte Ser Ceccone in derselben Tonart antworten, und man mußte nun sehen, wer bei dem Spiele des Ueberlistens den Sieg davon tragen würde.

Den Geist mit jener Art von Beweisgründen geölt haben, welche jedes zu feste Ergreifen desselben unmöglich macht, mag oft sehr vortheilhaft erscheinen; nur läßt sich gegen dieses Oel sehr viel einwenden, wenn wir finden, daß es andere Gemüther salbt, an welchen wir gern einen festen Halt hätten.

Tito jedoch fühlte, da er nicht allwissend war, jetzt nur noch eine flüchtige Unruhe wegen der Macht Ser Ceccone's, ihm zu schaden. Es war ihm nur noch kurze Zeit darum zu thun, sich von Verdächtigungen und Feindseligkeiten frei zu halten. Er spielte jetzt sein Schlußspiel in Florenz, und die Geschicklichkeit, die er, wie er selbst wußte, dabei verwendete, machte ihm, neben dem gehofften Gewinn, noch ein besonderes Vergnügen. Seine Sendung nach San Marco war ein Streich, in den er ein so großes Vertrauen setzte, daß er bereits dem Rathe der Zehn seinen Wunsch geäußert hatte, sein Amt zu einer noch unbestimmten Zeit innerhalb eines Monats oder zweier niederzulegen, und es war ihm gestattet worden, diese Entlassung sogleich zu nehmen, wenn seine Angelegenheiten dies erheischten, wobei ihm zugleich mitgetheilt wurde, daß Niccolo Macchiavelli sein vorläufiger Stellvertreter, wenn nicht gar sein Nachfolger sein würde. Er handelte freilich auf Grund von Voraussetzungen, aber diese Art des Verfahrens hatte das gewaltigste Interesse für seinen diplomatischen Geist. Nach einer Berechnung allgemeiner Kenntniß der Zwecke Savonarola's und den genau beobachteten Einzelheiten derselben, hatte er eine Vermuthung aufgestellt, welche sein Besuch in San Marco bewahrheiten sollte. War diese Vermuthung richtig, so hatte er sein Spiel gewonnen, und er konnte Florenz bald den Rücken kehren. Ach, diesem Endziele blickte er mit Sehnsucht entgegen, denn mancherlei Umstände außer dem, daß ihm der Ort bereits lästig war, zeigten ihm an, daß es für ihn an der Zeit sei zu gehen.



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