Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunundvierzigstes Capitel.
Die Pyramide von Eitelkeiten.


Die Wintertage waren vor Romola vorübergezogen wie weiße Schiffe vor dem einsamen Wanderer an der Seeküste – in Schweigen und Einförmigkeit, und doch jeder eine geheime Last zukünftigen Wechsels in sich bergend. Tito's Andeutung hatte so viele Besorgniß in ihr Interesse an öffentlichen Angelegenheiten gemischt, daß sie angefangen hatte, lieber Unkunde als Kenntniß der Sachen zu begehren. Der dräuende deutsche Kaiser war wieder abgezogen, und auch noch auf andere Weise war die Lage von Florenz erleichtert worden, aber es blieb noch so viel Elend, daß Romola's Pflichten der Werkthätigkeit kaum vermindert wurden, und in diesen Pflichten fand wie gewöhnlich ihr Geist ein Asyl.

Sie wagte nicht sich zu freuen, daß die Hülfe, welche in der äußersten Noth gekommen war und die Politik der Partei des Frate zu rechtfertigen schien, eben diese Partei so siegreich machte, daß Francesco Valori, der heißblütige Häuptling der Piagnoni, zu Anfang dieses Jahres zum Gonfaloniere erwählt worden war, und sich beeilte, in den zwei Monaten, während welcher er an der Macht war, so viel wie möglich in seinem liberalen Sinne zu handeln. Dies erschien für den Augenblick als eine Kräftigung der am meisten der Freiheit zugethanen Partei und eine Vermehrung des Schutzes für Savonarola; aber Romola merkte jetzt auf jede Eingebung, welche ihre Ahnung erhöhen konnte, daß, was auch die Gegenwart biete, dies nur ein unbewußtes Brüten über den verschiedenen Keimen des Wechsels war, der jeden Tag tragisch werden konnte. Und schon während der Carnevalszeit zu Anfang der zweiten Hälfte des Februar ward ihre Ahnung durch die Merkmale eines sehr entschiedenen Wechsels der Dinge bestätigt; die Medicäer verhielten sich nicht mehr leidend, sondern bemühten sich ganz öffentlich, die Wahl Bernardo's del Nero als Gonfaloniere durchzusetzen.

Am letzten Tage des Carnevals, zwischen zehn und eilf Uhr Morgens, ging Romola versprochenermaßen nach dem Corso degli Albizzi, um ihre Muhme Brigida abzuholen, damit sie bereit wären, früh am Nachmittag von der Via de' Bardi aufzubrechen, und ihre Plätze an einem von Tito für sie belegten Fenster auf der Piazza della Signoria einzunehmen, wo ein Schauspiel so neuer und merkwürdiger Art stattfinden sollte, daß jedes Auge in Florenz neugierig sein mußte, dasselbe mit anzusehen. Denn die Piagnoni hatten ganz und gar ihre eigene Art, den Carneval zu begehen, und Dolfo Spini nebst seinen Genossen hatten sich vergebens bemüht, die lieben alten Masken und die mit Zoten reichgewürzten derben Späße wieder in Aufnahme zu bringen. Dergleichen durfte aber in einer Stadt, wo Christus zum König erklärt worden war, nicht stattfinden.

Romola ging in jener verdrossenen Stimmung, welche Jeden Angesichts eines langen, von Schaustellungen in Beschlag genommenen Tages befällt, der nur einem Kinde oder einem kindischen Freunde zu Liebe sich dahin begiebt. Der Tag war allerdings eine Epoche in der Feier des Carnevals, aber diese Phase der Reform hatte ihren Enthusiasmus nicht angeregt, und sie wußte nicht, daß er zugleich eine Epoche in ihrem eigenen Leben bildete, wenn ein anderes Geschick sich nicht fürder insgeheim, sondern sichtbar mit dem ihrigen verflechten würde.

Sie ging über den großen Markt, um einen Ueberblick über das unvergleichliche Schauspiel zu gewinnen, so lange sie noch allein war. Als sie vom südlichen Ende her den Platz betrat, gewahrte sie etwas Ungeheuerliches und Buntfarbiges in der Gestalt einer Pyramide oder vielmehr eines riesigen, sechszig Fuß hohen Kiefernbaumes mit Simsen auf den Zweigen, die nach der Wurzel zu immer weiter und weiter wurden, bis sie einen Umfang von achtzig Ellen hatten. Auf der Piazza war Alles lebendig; schlanke, jugendliche Gestalten in weißen Gewändern, mit Olivenkränzen auf's den Häuptern, welche Körbe voll hellfarbiger Gegenstände trugen; ältere Gestalten, theils in Mönchskutten, theils in weiten Tuniken und dunkelrothen Mützen, wie die Künstler sie trugen, waren beschäftigt, zu helfen oder nachzusehen, oder sich an verschiedene entferntere Punkte zu begeben, um das wundersame Ganze zu überschauen, während eine andere zahlreiche Gruppe, zwischen welcher Romola alsbald Piero di Cosimo herausfand, auf den Marmorstufen der Loggia von Orgagna stand und sich, wie es schien, mißvergnügt und höhnend fern hielt.

Als sie näher kam, blieb sie stehen, um die mancherlei, reihenweise vom Fuß bis zum Gipfel der Pyramide angebrachten Gegenstände anzusehen. Es gab da Teppiche und Brokate mit unzüchtigen Zeichnungen, Gemälde und Bildhauerarbeiten, die der Natur zu getreu nachgebildet waren, um zum Laster anreizen zu können; Tische und Tafeln für allerlei Spiele, Karten nebst den Druckblöcken dazu, Würfel und andere Spielgeräthschaften; ferner: Bücher mit weltlicher Musik und Musikinstrumente in allen den verschiedenen sauberen Abarten von Lauten, Trommeln, Pauken und Trompeten; Larven und Maskenanzüge, wie sie in den alten Carnevalsaufzügen getragen wurden; dann schöne Abzüge von Ovid, Boccaccio, Petrarca, Pulci und anderen weltlichen oder unfläthigen Schriften; so wie auch alle Geräthschaften weiblicher Eitelkeit, wie: Schminktöpfchen, falsches Haar, Spiegel, Wohlgerüche, Pulver und durchsichtige, neugierige Blicke anlocken sollende Schleier, und endlich oben am Gipfel war das eben nicht geschmeichelte Conterfei eines muthmaßlich fingirten venetianischen Kaufmanns, der eine schwere Summe Geldes für diese Sammlung käuflicher Scheußlichkeiten geboten haben sollte, und über diesem schwebte in Alles übertreffender Häßlichkeit die symbolische Gestalt des alten lüderlichen Carnevals.

Dies war die Vorbereitung zu einer neuen Art von Freudenfeuer – dem Verbrennen der Eitelkeiten. Im Innern der Pyramide war ein reicher Vorrath von trockenen Brennmaterialien und Schießpulver verborgen. An diesem letzten Tage des Carnevals sollte, gegen Abend, der ganze Stapel von Eitelkeiten beim Klange der Trompeten angezündet werden, und der häßliche alte Carneval sollte unter den Gesängen des reformirenden Triumphs in die Flammen stürzen.

Der Schlußact dieser neuen, das Ganze krönenden Festlichkeiten wäre ohne eine, vor zwei Jahren von Savonarola getroffene Einrichtung kaum möglich gewesen. Die große Masse der florentinischen Knabenschaft und Jugend war jetzt nicht mehr ihrem eigenen genialen Triebe zu Straßenunfug und rohem Skandal überlassen. Unter der Leitung Fra Domenico's, der gewissermaßen der Lieutenant Savonarola's war, durften die Burschen und Jungen, die Hoffnung der Stadt Florenz, nur reine Worte auf ihren Lippen haben; sie sollten einen Eifer für das unsichtbare Gut entwickeln, um die Lauheit der Erwachsenen zu beschämen, und durften keine andern als Vergnügungen englischer Art kennen, wie z. B. Lieder zum Preise Gottes zu singen und in weißen Gewändern einherzuschreiten. Für sie waren die Reihen von Sitzen hoch an den Mauern des Doms empor errichtet, und sie waren gewohnt, Savonarola zu hören, wie er sich an sie als an den künftigen Ruhm einer besonders zu den Werken Gottes berufenen Stadt wendete.

Diese frischwangigen Schaaren waren die Hauptmitwirkenden bei den neuerstandenen Lustbarkeiten des neuen Carnevals, der eine Art heiliger Parodie der früheren bildete. Hatte es in alten Zeiten Freudenfeuer gegeben? jetzt wurde ein Freudenfeuer angezündet, welches die Erde von Unreinheit läuterte. Hatte es symbolische Processionen gegeben? jetzt wurden Processionen gehalten, aber die Symbole waren weiße Gewänder, rothe Kreuze und Olivenkränze – Zeichen des Friedens und unschuldiger Freude – und die hochgetragenen Banner und Bilder drückten den Triumph des Guten aus. Hatte es einen Ringeltanz unter freiem Himmel, auf der Piazza, zum Klange von Chorstimmen, die lockere Lieder sangen, gegeben? Jetzt gab es Reihentänze, wo Mönche und Laien in brüderlicher Liebe und gottseliger Freude zur Musik der Hymnen tanzten. Was die Sammlungen bei den Vorübergehenden betraf, so sollten sie großartiger sein, als je, aber nicht für grobsinnliche und überflüssige Abendmahlzeiten, sondern zum Besten der Hungrigen und Nothleidenden, und außer diesem gab es noch die Sammlung des Anathema's: der Eitelkeiten, die in das große Pyramiden-Freudenfeuer geworfen werden sollten.

Schaaren jugendlicher Inquisitoren gingen von Haus zu Haus mit der aufreizenden Beschäftigung, sich das Anathema ausliefern zu lassen. Vielleicht hatte, nachdem die augenfälligeren eitlen Dinge abgeliefert waren, die an der Spitze der Haushaltung stehende Donna noch gewisse kleine geröthete, aus der Levante herübergebrachte Ballen, mit denen man aus fahlen Wangen eine, der sinnreichsten Falschheit volle, Blüthe hervorzauberte, in Vorrath? In diesem Falle hatte sie dieselben herunter zu bringen und in den verhängnißvollen Korb zu werfen. Oder vielleicht besaß sie Locken oder Wickelflechten von falschem Haar? nun, dann hatte sie dieselben an die Hausthüre zu bringen – d. h. nicht auf dem Kopf, sondern in den Händen – und öffentlich das Anathema hinzugeben, welches die ehrwürdigen Anzeichen des Alters unter dem widerlichen Anschein der Jugend verbarg. Dafür bekam sie dann auch zum Lohne einen von jugendlich frischen Stimmen über sie und ihr Haus ausgesprochenen Segen zu hören.

Die bartlosen Inquisitoren, welche in kleine Regimenter abgetheilt waren, verrichteten ihr Tagewerk gewiß mit besonderer Bereitwilligkeit. Leute durch Scham oder anderes geistiges Wüthen zu zwingen, Dinge hinzugeben, von denen sie sich wahrscheinlich nur mit großem Widerstreben trennen, ist eine Art Frömmigkeit, zu der sich der Geist des Knaben sehr leicht bekehrt, und wenn einige beharrlich schlechte Menschen in Zorn geriethen und mit Peitschenhieben und Stockschlägen drohten, so war dies auch aufregend. Savonarola selbst fühlte augenscheinlich, in Rücksicht auf diese Abrichtung der Knaben, die Schwierigkeit, welche alle edlen Geister empfinden, die von einem edlen Streben nach hohen Zwecken erfüllt sind und doch dabei die Unvollkommenheit der Mittel gewahren, welche sie zwingt, zu irgend einem übernatürlichen, zwingenden Einfluß, als zu einer einzig sicheren Hoffnung, ihre Zuflucht zu nehmen. Die florentinische Jugend hatte immer sehr schlechte Sitten und gottlose Zungen gehabt, und es erschien zuerst wie ein wirklich ungetrübtes Glück, als sie dazu gebracht wurde, es lebe Jesus! zu rufen. Endlich sah sich aber Savonarola denn doch gezwungen, von der Kanzel herab zu sagen: »Ihr schreit ein wenig zu viel: es lebe Jesus! Dieser beständige Gebrauch geheiligter Namen entweiht dieselben; ich will beim nächsten Feste nichts mehr von diesem Geschrei hören.«

Nichtsdestoweniger war es ein schöner Anblick, als beim Anbruch des heutigen Tages die lange Reihe der weißgekleideten Jugend mit den kleinen rothen Kreuzen und Olivenkränzen zum Dome zogen, um das Abendmahl aus Savonarola's Händen zu empfangen; und gewiß sammelten viele dieser jugendlichen Seelen hier Erinnerungen voll Hoffnung und Gottesfurcht, die sie davor bewahrten, immerdar eine nur geringschätzige Meinung vor ihrem Werk als Menschen und Bürger zu hegen. Es gibt keine Art selbstbewußten Gehorsams, der nicht eine veredelnde Bewahrung vor Gesetzlosigkeit ist, und aus diesen Knaben wurden die Männer, welche später bei den letzten Kämpfen ihrer Republik so wacker fochten und so beharrlich duldeten. Jetzt aber machten sie in der Zwischenzeit zwischen der frühen Communion und der Mittagszeit ihre letzten Rundgänge, um Almosen und Eitelkeiten einzusammeln, und dies war die Ursache, daß Romola die schlankem weißen Gestalten am Fuß der Pyramide hin und her gleiten sah.

»Was denkt Ihr von dieser Narrheit, Madonna Romola?« sagte eine rauhe Stimme dicht neben ihr, »Eure Piagnoni werden uns aus der Hölle einen angenehmen Prospect machen, wen sie auf Erden die Dinge nach ihrer Weise einrichten. Das ist genug, einen Prügel von drüben über den Bergen herzuholen, wenn man sieht, daß Maler, wie Lorenzo di Credi und der junge Baccio, behülflich sind, auf diese Art die Farben zu Tode zu brennen.«

»Mein guter Piero,« sagte Romola aufblickend und dem barschen Manne zulächelnd, »Ihr müßt ja doch auch froh sein, daß Einiges von diesen Sachen verbrannt wird. Seht nur einmal jenen Tand und die Perrücken und Schminktöpfe an; ich habe selbst gehört, wie Ihr gegen diese Dinge nicht minder heftig als Fra Girolamo losgezogen habt.«

»Was denn?« rief Piero, sich heftig gegen sie umwendend. »Ich habe niemals gesagt, daß ein Frauenzimmer sich zu einem schwarzen Fleck aus dem Hintergrund machen soll. Ei, Madonna Antigone, es ist eine Schande für eine Frau mit Eurem Haar und Euren Schultern, sich mit solchem Unsinn einzulassen; überlaßt das Weibern, die nicht werth sind, daß man sie malt. Die heilige Jungfrau selbst ist immer gut angezogen, so lehrt uns die Kirche, und dabei sprechen sie von Ketzerei? das fehlte noch! Und ich möchte wissen, was der treffliche Messer Bardo dazu gesagt haben würde, daß die göttlichen Dichter von diesen Mönchen verbrannt werden, die kein besseres Konterfei von Menschen sind, als ob sie Zwiebeln wären, mit den Knollen nach oben gekehrt. Da, seht einmal den Petrarca an, wie er dort neben einem Schminktopf liegt; glauben denn die Dummköpfe, daß die himmlische Laura eine alte angemalte Vettel war? Und da der Boccaccio! wollt Ihr, Madonna Romola, die Ihr ein Modell zu einer heiligen Katharina aus Egyptenland sein könnt, mir etwa einreden, daß Ihr niemals die Erzählungen des unsterblichen Messer Giovanni gelesen habt?«

»Es ist wahr, ich habe sie gelesen, Piero,« antwortete Romola, »einige von ihnen sogar mehre Male, als ich noch ein kleines Mädchen war. Ich holte mir gewöhnlich das Buch herab, wenn der Vater schlief, und ich für mich selbst lesen konnte.«

»Nun also?« fragte Piero in heftig herausforderndem Tone.

»Es ist Manches darin enthalten, was ich niemals vergessen möchte,« sagte Romola, »aber Ihr müßt selbst zugeben, Piero, daß der Inhalt einer Menge dieser Geschichten sich nur auf den niedrigsten Betrug zu den niedrigsten Zwecken bezieht. Die Menschen bedürfen keiner Bücher, welche sie lehren, es mit dem Laster leicht zu nehmen, als ob das Leben nur ein gemeiner Spaß wäre. Ich kann deshalb den Fra Girolamo nicht tadeln, wenn er lehrt, daß wir unsere Zeit zu etwas Besserem verwenden sollen.«

»Ja, ja, jetzt könnt Ihr ganz gut so reden, nachdem Ihr sie zuvor gelesen habt,« sagte Piero bitter, sich auf den Absätzen umdrehend und seines Weges gehend.

Romola setzte gleichfalls ihren Weg fort, indem sie über Piero's Andeutungen lächelte, und doch gewissermaßen von dem Zorn des seltsamen Malers gerührt war, da sie wußte, daß ihr Vater etwas Aehnliches gefühlt haben würde. Sie selbst war sich keines inneren Widerspruchs mit der ernsten und finstern Ansicht vom Vergnügen bewußt, welches darauf hinausging, in dem Versuche, das Laster zu unterdrücken, auch die Poesie zu ersticken. Kummer und Freude haben ihre eigenthümliche Kleinlichkeit, und ein religiöser Enthusiasmus, wie der Savonarola's, welcher schließlich den Menschen zum Segen gereicht, indem er der Seele einen gewaltigen Antrieb zur Sympathie mit dem Kummer, Entrüstung gegen das Unrecht und zur Unterjochung sinnlicher Begierden verleiht, wird stets den Vorwurf einer großen Verneinung auf sich laden. Romola's Leben hatte sie zu einer gewissen Verwandtschaft mit der Traurigkeit gebracht, wodurch sie dann unvermeidlich ungerecht gegen jede Lust wurde. Diese zarte Wirkung der Bildung, welche wir Geschmack nennen, wurde von dem Bedürfnisse tieferer Motive unterdrückt, gerade so wie die feineren Ansprüche des Gaumens vom wüthenden Hunger vertilgt werden. Da sie sich stets inmitten von Jammerscenen bewegte, und die bitterste Enttäuschung des Weibes im Herzen trug, barg die Strenge, welche sich mit der entsagenden wohlthuenden Kraft vereinigte, für sie keinen Mißton in sich.



 << zurück weiter >>