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Siebenundvierzigstes Capitel.
Der Schachzug.


Tito's kluge Veranstaltungen waren durch alltägliche Zufälle, welche außerhalb der Berechnungen eines klugen Kopfs lagen, vereitelt. Er ging nur äußerst selten mit Romola am Abend, aber nun war er gerade an diesem Abend, an welchem ihre Gegenwart im höchsten Grade störend war, mit ihr gegangen. Das Leben war ein so complicirtes Spiel, daß alle mit Klugheit ersonnenen Pläne jeden Augenblick von lustigen, wie das Herabfliegen von Distelwolle unberechnenbaren Zufälligkeiten, über den Haufen geworfen werden konnten.

Nicht, daß er sich aus dem Mißlingen des Spini'schen Complot's etwas gemacht hätte, aber er sah eine arge Schwierigkeit darin: einerseits Savonarola und andererseits Spini auf eine Art zu warnen, daß er keinerlei Verdacht erregte. Gerieth er bei der Volkspartei in Verdacht, so konnte dies seinem Ruf und seiner äußeren Stellung in Florenz verderblich sein; erregte er den Verdacht Spini's, so durften die Folgen etwa so unangenehm sein, als der Haß eines bösen, nicht an die Kette zu legenden Hundes.

Ging Tito alsbald zum Kloster, um Savonarola zu warnen, ehe die Mönche zur Ruhe gingen, so folgte ja seine Warnung so schnell auf die gefälschten Briefe, die er gebracht hatte, daß er ungünstigen Muthmaßungen nicht entgehen konnte. Spini konnte er auch nicht gleich warnen, ohne ihm die wahren Ursachen zu entdecken, da er nicht unmittelbar die Entdeckung anführen durfte, daß Savonarola seine Absicht aufgegeben hätte; auch kannte er Spini hinlänglich, um zu wissen, daß dessen Verstand auf nichts Anderes fallen würde, als daß Tito abtrünnig geworden sei und den Anschlag hintertrieben habe. Andererseits würde er, wenn er Savonarola erst am nächsten Morgen warnte, aller Wahrscheinlichkeit nach die Gelegenheit einbüßen, Spini mitzutheilen, daß der Mönch anderen Sinnes geworden sei, und die Bande der Compagnacci würde alsdann, wüthend über ihre vergebliche Expedition, zurückkehren. Er zog indeß dieses Letztere vor, da er auf seine Fähigkeit rechnete, Spini zu begütigen, indem er ihm versicherte, daß an dem Mißlingen einzig und allein die Behutsamkeit des Mönchs Schuld sei.

Tito war ärgerlich, und es würde ihm eine große Anstrengung gekostet haben, wenn er jetzt hätte lächeln müssen. Er beschloß Romola nicht wieder anzutreffen, und kehrte deshalb die ganze Nacht nicht nach Hause zurück.

Romola aber durchwachte die ganze Nacht, ohne sich zu entkleiden. Sie hörte den Regen immer gewaltiger herabrauschen, und freute sich darüber; der stürmische Himmel erschien ihr wie ein Schutz gegen die Anschläge der Menschen, die er so zur Unthätigkeit nöthigte. Ihr Geist wurde wiederum von dem größten Mißtrauen gegen ihren Gatten und von Zweifeln über ihre eigene Haltung befangen. Welche Lüge konnte er ihr nicht gesagt haben? Welche Pläne konnte er nicht hegen, von denen sie nichts wußte? Jeder, der Tito traute, war gefährdet; es war nutzlos das Gegentheil glauben zu wollen. Und gab sie nicht selbstisch den Mahnungen ihres eigenen Stolzes Gehör, wenn sie sich abhalten ließ, die Menschen vor ihm zu warnen? Wenn ihr Gatte ein Verbrecher war (so hatte Savonarola gesagt), so war ihr Platz an seiner Seite im Kerker – dem mochte so sein, und sie war damit einverstanden, diese Pflicht zu erfüllen. Aber durfte sie, ein Weib, ihrem Manne gestatten, die Uebelthaten zu begehen, die ihn zu einem Verbrecher machten, während es vielleicht in ihrer Macht lag, dieselben zu verhindern? Gebet schien ihr unmöglich. Die Thätigkeit ihrer Gedanken schloß einen Gemüthszustand aus, dessen Wesen in zuwartender Passivität besteht.

Ihre Aufregung nahm immer mehr zu; Ihre fieberhaft thätige Phantasie dachte an alle möglichen Pläne, die Tito ersonnen haben konnte, um ihre Drohungen zunichte zu machen. Mit Tagesanbruch nahm der Regen an Heftigkeit ab, bis er zuletzt gänzlich aufhörte, der Wind sich erhob und die Wolken verjagte, und das Morgenlicht hell auf alle sie umgebenden Gegenstände fiel. Dies machte ihre Unruhe noch unerträglicher. Sie warf ihren Mantel um und eilte zur Loggia hinaus, als ob sie in der weiten Gegend etwas entdecken könnte, was ihr Handeln bestimmen sollte; als ob dort etwas Anderes sichtbar wäre, als Dächer, welche die Straße vor ihr verbargen, die Savonarola jetzt vielleicht wandelte, um als Opfer des Verraths zu fallen.

Konnte sie nicht, wenn sie zu ihrem Pathen ging, diesen – ohne gerade alle näheren Umstände zu enthüllen – vermögen Schritte zu thun, um Fra Girolamo zu verhindern, die Stadt zu verlassen? Doch das durfte jetzt wol zu spät sein; Romola dachte mit Schmerzen daran, daß sie keine Einzelheiten, die ihr als Leitfaden dienen konnten, von Tito erfahren hatte, und es hatte schon längst sieben geschlagen. Sie mußte nach San Marco; Anderes blieb ihr nicht übrig.

Sie eilte die Treppe hinunter auf die Straße, ohne ihre Kranken anzusehen, und ging raschen Schrittes die Via de' Bardi entlang, dem Ponte vecchio zu. Sie wollte durch die innerste Stadt, weil dies der gerade Weg war, und sie außerdem vielleicht Tito traf, der – eine Möglichkeit, an die sie sich noch immer klammerte – ihr die Kunde von der Sicherheit des Frate bringen konnte, so daß sie nicht nöthig hatte, nach San Marco zu gehen. Als sie vor den Palazzo vecchio kam, blickte sie sorgfältig in den von Säulen umgebenen Hof, dann schweiften ihre Blicke über die Piazza, aber die wohlbekannte, einst von jugendlicher Liebe in ihr Herz gemalte, jetzt aber dort von nagendem Kummer gebrandmarkte Gestalt, war nirgends zu sehen. Sie eilte geraden Weges dem Domplatze zu, auf dem es bereits lebendig war; Andächtige stiegen die Marmorstufen hinauf oder herab, Männer standen dort in Gruppen und plauderten, und Marktleute trugen ihre Last. Unter diesen sich hin und her bewegenden Gestalten gewahrte Romola ihren Gatten. Er war auf seinem Wege von San Marco in Nello's Laden eingekehrt, wo er jetzt, an einem Thürpfosten lehnte. Als Romola näher kam, konnte sie bemerken, daß er ganz unbefangen, seine Mütze in der Hand und das frischgekämmte Haar zurückstreichend, dastand und plauderte. Dieser Gegensatz seiner Unbefangenheit mit der bitteren Angst, die er hervorgerufen hatte, durchbebte sie mit Entrüstung; die neue Erscheinung seiner Hartherzigkeit erhöhte ihre Furcht. Sie erkannte Cronaca und zwei andere Gäste von San Marco, die neben ihrem Gatten standen. Der Gedanke durchzuckte sie: »ich will ihn zwingen, vor diesen Leuten zu sprechen.« Ihr leichter Gang brachte sie in seine unmittelbare Nähe, ehe er eine Bewegung machen konnte, während Cronaca sagte: »da kommt Madonna Romola!«

Ein leises Beben ging durch Tito's ganzen Körper, als er sich so seinem Weibe gegenüber befand. Sie war von der ängstlich durchwachten Nacht ganz verstört, aber es lag noch etwas Anderes als Besorgniß in ihren Augen, als sie fragte:

»Ist der Frate aus der Stadt gegangen?«

»Nein,« antwortete Tito ganz rathlos, diesem Weibe gegenüber, und alle seine Selbstbeherrschung zusammennehmen müssend, um eine Miene zu bewahren, in der sich weiter nichts als Erstaunen spiegeln sollte.

»Und Du weißt gewiß, daß er nicht die Stadt verlassen wird?« fuhr sie, in ihn dringend, fort.

»Ich weiß gewiß, daß er nicht fortgeht.«

»Das genügt,« sagte Romola, und stieg die Stufen empor, um sich in den Dom zu flüchten, bis sie sich von ihrer Aufregung erholt hätte.

Tito hegte noch nie eine dem Hasse so verwandte Empfindung, als die war, mit welcher seine Augen der, die Stufen hinaufschreitenden Romola folgten.

Es waren nicht nur wirkliche Anhänger des Frate zugegen, sondern auch der Notar Ceccone, der damals ebenso, wie Tito, ein geheimer Agent der Medicäer war. Ser Francesco di Ser Barone, oder der Schmach unter dem kürzeren Namen: Ser Ceccone bekannt, war nicht gelehrt, nicht schön, nicht glücklich und gerade das Gegentheil von einem edlen Charakter. Er war ein ganz reizloser Verräther; daraus folgte, daß er Tito Melema nicht liebte.



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