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Band VI

Dreiundfünfzigstes Capitel.
Auf San Miniato.


Ich möchte mit Euch sprechen,« sagte Baldassarre, als Romola ihn in schweigender Erwartung anblickte. Offenbar war er ihr gefolgt und hatte auf sie gewartet. Sie sollte also endlich sein Geheimniß erfahren.

»Ja,« antwortete sie mit einer Unterwürfigkeit, wie sie dieselbe etwa bei einer auferlegten Buße hätte zeigen können, »aber Ihr wünscht wahrscheinlich an einen Ort hinzugehen, wo uns Niemand hören kann?«

»Wo er uns nicht überraschen kann,« sagte Baldassarre sich umwendend und furchtsam hinter sich sehend, »hinaus, in die Luft, fort von den Straßen!«

»Ich gehe zuweilen um diese Stunde nach San Miniato,« sagte Romola, »wenn Ihr es wünscht, will ich gleich jetzt dahin gehen, und Ihr könnt mir folgen. Es ist ein weiter Weg bis dahin, aber wir können dort ganz allein und ungestört sein.«

Er nickte bejahend und Romola brach auf. Manchen Frauen hätte es wie eine drohende Gefahr erscheinen können, an einen verhältnißmäßig einsamen Ort mit einem Mann zu gehen, der allerdings einige äußere Spuren des Wahnsinns an sich trug, dessen Tito ihn bezichtigt hatte. Romola kannte aber keine persönliche Furcht, und sie freute sich des weiten Weges, der einen Aufschub gewährte, ehe sie ein zweiter Schlag traf. Es war schon hoch am Tage und die Sonne stand bereits tief im Westen, als sie aus einer unebenen Stelle im Schatten der Cypressenbäume stehen blieb und sich nach Baldassarre umsah. Er war nicht weit von ihr entfernt, als er sie aber erreichte, war er froh, sich auf einen steinigen Abhang niederlassen zu können. Seine dicke Gestalt hatte nicht mehr die derbe Kraft, die ihm eigen war, als er zuerst mit dem Seil um den Hals im Dom erschien, und bei dem flüchtigen, durch das anstrengende Emporklimmen des Hügels hervorgebrachten Zittern schienen seine Augen einen traurig wirreren Blick zu haben.

»Der Hügel ist steil,« sagte Romola mit theilnahmsvoller Milde, indem sie sich neben ihn setzte, »und ich fürchte, der Mangel hat Euch geschwächt!«

Er wandte sein Haupt und starrte sie schweigend an, unfähig jetzt, wo der Augenblick zu sprechen gekommen war, die Worte zu finden, welche den Gedanken, den er ausdrücken wollte, zum Vorschein brachten, und sie blieb so regungslos wie möglich, damit er sie nicht für ungeduldig halten möge. Er sah um nichts vornehmer aus, als ein verwahrloster alter Mann, ohne besonders feine Bildung; sie war jetzt aber an den Verkehr mit derartigen Leuten und an Theilnahme mit ihren Sorgen gewöhnt. Nach und nach gewann sein Blick einen bestimmteren Ausdruck und endlich rief er mit plötzlicher Emphase:

»Ach, Ihr wäret meine Tochter gewesen!«

Eine schnelle Röthe überflog Romola's Antlitz und entschwand eben so schnell wieder, und ihre bleichen Lippen blieben geöffnet wie ein marmornes Bild des Entsetzens. Für ihren Geist war die Enthüllung jetzt gemacht. Sie errieth die Thatsachen, welche in einem einzigen Worte lagen, und im ersten Augenblick vermochte nichts den instinctmäßigen Glauben zu hemmen, der aus ihrer genauen Kenntniß von Tito's Charakter entsprang. Die ausdrucksvolle Antwort, die in ihren Zügen lag, war ein Sporn für Baldassarre; zum ersten Male hatten seine Worte den gewollten Eindruck hervorgebracht. Er fuhr mit zunehmender Lebendigkeit und Heftigkeit fort, indem er seine Hand auf ihren Arm legte.

»Ihr seid ein Weib aus stolzem Blut entsprossen – nicht wahr? Ihr geht den Prediger zu hören; Ihr haßt die Gemeinheit – die Gemeinheit, die lächelt und triumphirt. Ihr haßt Euren Gatten?«

»O Gott, wäret Ihr wirklich sein Vater!« rief Romola mit leiser Stimme und zu sehr von den Bildern der Vergangenheit eingenommen, um auf Baldassarre's Frage zu achten, »oder ist es, wie er sagte? Nahmt Ihr ihn, als er noch klein war?«

»Ihr glaubt mir! Ihr wißt, wer er ist!« sagte Baldassarre triumphirend, ihren Arm fester fassend, als ob diese Berührung ihm Kraft verliehe, »Ihr wollt mir helfen?«

»Ja,« entgegnete Romola, die Worte anders deutend, wie er sie meinte. Sie legte ihre Handfläche leise auf die rauhe Hand, die ihren Arm faßte, und Thränen traten ihr in die Augen, als sie ihn ansah, »o, es ist jammervoll! Sagt mir, nicht wahr, Ihr wart ein großer Gelehrter; Ihr unterrichtetet ihn? Wie war dies Alles doch?«

Sie hielt inne. Tito's Andeutung von dem Wahnwitz dieses Mannes kam ihr in den Sinn; und wo waren denn die Spuren, selbst einer früheren höheren Bildung? Sie hatte eben so viel Selbstbeherrschung, ihre Hand nicht zu rühren. Sie saß vollkommen unbeweglich da, mit neuer Vorsicht weiter zu hören entschlossen.

»Es ist fort – es ist Alles fort!« fuhr Baldassarre fort, »und sie wollten mir nicht glauben, weil er log und sagte, ich sei wahnwitzig, und sie ließen mich in's Gefängniß schleppen. Und ich bin alt, mein Geist wird nicht wiederkehren – und die Welt ist wider mich.«

Er schwieg einen Augenblick, und seine Augen senkten sich, als würde er von einer Welle der Entmuthigung herniedergezogen. Dann aber blickte er wieder zu ihr empor, und sagte mit frischer Lebendigkeit:

»Ihr aber seid nicht wider mich. Er flößte Euch Liebe ein und war falsch gegen Euch, und Ihr haßt ihn. Ja, auch mir flößte er Liebe ein, er war schön und lieb, und ich war ein einsamer Mann. Ich nahm ihn auf, als sie ihn schlugen. Er schlief an meinem Herzen, als er klein war, und ich bewachte ihn, als er wuchs, und theilte ihm meine Kenntnisse mit, und Alles, was mein war, sollte sein gehören. O ich hatte mancherlei Dinge, Gold, Bücher und Edelsteine. Er hatte meine Edelsteine – er verkaufte sie, und ließ mich in der Sclaverei. Er kam nicht, mich aufzusuchen, und als ich arm und elend zurückkehrte, verläugnete er mich. Er sagte, ich sei ein Verrückter.«

»Er sagte uns, sein Vater sei todt, ertrunken,« stammelte Romola. »Gewiß hat er es damals geglaubt; er konnte damals nicht so erbärmlich sein.«

Die Erscheinung dessen zog ihr vorbei, was Tito ihr in jenen ersten Tagen gewesen war, als sie nicht mehr Böses in ihm vermuthete, als ein Kind Gift in einer Blume. Das sehnende Bedauern, das in jener Erinnerung lag, erleichterte in etwas die Spannung des Entsetzens. Unter lautem Schluchzen strömten die Thränen nieder.

»Ach, Ihr seid jung, und die Thränen kommen leicht,« sagte Baldassarre mit einiger Ungeduld, »aber Thränen taugen nichts; sie löschen das innere Feuer aus, und das Feuer ist es eben, das wirkt. Zähren werden uns hindern. Hört mich an.«

Romola wandte sich mit leisem Beben nach ihm um. Die Möglichkeit seines Irrsinns kehrte wiederum zurück und hemmte ihren Drang, ihm Glauben zu schenken. Wenn nun am Ende dieser Mensch weiter nichts war als ein toller Mörder? aber ihr tiefer Glaube an seine Geschichte lag noch zurück, und sie vermied die Gefahr, ihn durch irgend ein Anzeichen von Zweifel zu kränken, mehr aus Mitleid als aus Furcht.

»Erzählt mir doch,« sagte sie, so mild sie vermochte »auf welche Art verloret Ihr Euer Gedächtniß, Eure Gelehrsamkeit?«

»Ich war krank; ich weiß nicht wie lange, es war eine Lücke in meinem Leben. Ich besinne mich auf nichts, nur daß ich zuletzt zwischen Steinen in der Sonne saß, und alles Andere um mich her Dunkelheit war. Langsam und stufenweise fühlte ich auch noch etwas außerdem, ein Sehnen nach einem Etwas, ich weiß nicht wonach, das niemals kam. Und als ich zu Schiffe auf dem Meere war, fing ich an zu wissen, wonach ich mich sehnte; es war nach dem Knaben, daß er zurückkehre, es war danach, meine Gedanken wieder alle zu sammeln, denn ich war von ihnen ganz abgesperrt. Und so ist es auch jetzt noch; ich fühle nichts als Dunkelheit und eine Mauer.«

Baldassarre war wieder in Träumerei versunken, den Kopf in den Händen ruhen lassend, und wiederum hatte Romola's Glauben an ihn alle warnenden Zweifel beseitigt. Das Mitleid, mit welchem sie seinen Worten folgte, erschien ihr wie das Wiederaufleben eines alten Grams. Hatte sie nicht täglich gesehen, wie ihr Vater Dino vermißte, und die Zukunft, von welcher er für diesen Sohn geträumt hatte?

»Es kam aber Alles einmal wieder,« hub Baldassarre von Neuem an, »ich war Herr über Alles, ich sah die Welt wieder und meine Bücher und meine Edelsteine, und ich glaubte ihn in meiner Macht zu haben und ich wollte ihn blosstellen, wo – wo die Lichter waren und die Bäume; und er log abermals und sagte, ich sei toll, und sie schleppten mich in's Gefängniß, – die Schlechtigkeit ist stark, und er trägt eine Rüstung.«

Seine Wildheit war wieder emporgeflammt. Er sprach mit seiner früheren Leidenschaftlichkeit und erfaßte Romola's Arm von Neuem.

»Aber Ihr werdet mir helfen. Er ist gegen Euch auch falsch gewesen. Er hat noch ein Weib und Kinder mit ihr. Er redet ihr ein, er sei ihr Ehemann, und sie ist ein thörichtes, schwaches Geschöpf. Ich will Euch zeigen, wo sie wohnt.«

Die erste Regung Romola's war ersichtlich eine zornige. Die weibliche Empfindung des Unwürdigen hatte nothwendig die Oberhand. Baldassarre fühlte instinctmäßig, daß sie mit ihm sympathisire, und er fuhr fort:

»Ihr haßt ihn – nicht wahr? Zwischen Euch ist keine Liebe, ich weiß es. Ich weiß, daß Frauen hassen können, und Ihr habt stolzes Blut in den Adern. Ihr haßt die Falschheit, und könnt die Rache lieben.«

Romola saß wie gelähmt von der Erschütterung widerstreitender Empfindungen. Sie fühlte den Griff nicht, der ihren zarten Arm fast zerpreßte.

»Ihr werdet es aussinnen,« sagte Baldassarre mit eindringlichem Flüstern, »ich weiß es auswendig, daß Ihr sein rechtmäßiges Weib seid. Ihr seid ein edles Weib. Ihr geht, um den Racheprediger zu hören. Ihr werdet dem Recht behülflich sein. Ihr werdet aber für mich denken. Meine Gedanken wandern, mitunter wandert Alles, Alles – nur nicht das Feuer. Das Feuer ist Gott, es ist die Gerechtigkeit, und wird nicht erlischen. Ihr glaubt daran, ist es nicht wahr? wenn sie ihn nicht hängen, weil er mich bestohlen hat, so werdet Ihr ihm seine Rüstung wegnehmen, Ihr werdet machen, daß er ohne sie ausgeht, und ich werde ihn dann erstechen. Ich habe ein Messer, und mein Arm ist noch kräftig genug.«

Er fuhr mit der Hand unter seine Tunika und zog das versteckte Messer hervor, indem er wie unbewußt die Schneide prüfte, als ob er dieser Empfindung bedürfe, um seine Gedanken wach zu erhalten.

Romola schien es, als ob jede neue Stunde ihres Lebens immer schwieriger würde als die vorhergehende. Ihr Verstand war zu gesund und zu rasch auffassend, als daß sie in den Irrthum verfallen wäre, nichtige Bitten an einen Mann in Baldassarre's Geisteszustand zu verschwenden. Sie hielt es für das Beste, auf seine letzten Sätze gar nicht zu antworten. Sie wollte Zeit gewinnen, damit seine Aufregung sich lege, indem sie nach etwas Anderem, das sie gern wissen wollte, fragte.

Sie sagte also fast zitternd: »Ihr meint, daß sie thöricht und schwach ist – die andere Frau, und daß sie meint, er sei wirklich ihr Gatte! Vielleicht ist er es auch; vielleicht hat er sie geheirathet, ehe er mir angetraut wurde.«

»Das weiß ich nicht,« erwiderte Baldassarre, mit dem Befühlen des Messers innehaltend und verwirrt aussehend, »ich kann mich auf nichts mehr besinnen. Ich weiß nur wo sie wohnt. Ihr sollt sie sehen. Ich will Euch hinführen, aber nicht jetzt,« fügte er schnell hinzu, »denn er könnte da sein, die Nacht bricht herein.«

»Es ist wahr,« rief Romola aufspringend, indem sie jetzt erst bemerkte, daß die Sonne untergegangen war und die Hügel dunkel wurden, »aber Ihr werdet kommen und mich abholen; wann?«

»Am Morgen,« antwortete Baldassarre, träumend, daß auch sie zu ihrer Rache eilen wolle.

»So kommt denn zu mir, wo Ihr heute zu mir kamt, in der Kirche. Um zehn Uhr werde ich dort sein, und wenn Ihr nicht dort seid, so will ich gegen Mittag wieder hingehen. Könnt Ihr das im Sinn behalten?«

»Mittag,« wiederholte Baldassarre, »erst Mittag. Der nämliche Ort und Mittag. Und nachher,« fuhr er fort, aufstehend, und ihren Arm wieder mit seiner linken Hand erfassend, während er das Messer in der Rechten hielt, »wollen wir unsere Rache nehmen. Er soll den scharfen Stahl der Gerechtigkeit fühlen. Die Welt ist wider mich, aber Ihr werdet mir beistehen«

»Ich möchte Euch auf andere Weise beistehen,« sagte Romola, einen ersten schwachen Versuch wagend seinen Irrthum rücksichtlich ihrer zu verscheuchen, »ich glaube, Ihr leidet Mangel, Ihr müßt hart arbeiten und verdient wenig. Ich möchte Euch gern Pflege verschaffen und machen, daß Ihr wieder fühlt, es sorge Jemand für Euch.«

»Sprecht davon nicht weiter,« rief Baldassarre wild, »ich will sonst nichts haben. Helft mir einen Tropfen Rache noch diesseits des Grabes auszupressen. Ich habe nichts als mein Messer. Es ist scharf; aber es giebt einen Augenblick nach dem Stoße, wenn Menschen das Antlitz des Todes erblicken, und es soll mein Antlitz sein, das er erblickt.«

Er ließ ihren Arm fahren und sank wieder auf seinen Sitz zurück. Romola war rathlos, sie mußte alle ihre Absichten bis auf den nächsten Tag verschieben.

»Morgen Mittag also,« sagte sie mit klarer Stimme.

»Ja,« antwortete er erschöpft »geht, ich will hier ausruhen.«

Sie eilte von dannen. Als sie sich an dem Platze, von wo aus sie ihn wahrscheinlich noch immer erblicken konnte, umwendete, sah sie ihn noch dort sitzen.



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