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Fünfzigstes Capitel.
Tessa draußen und im Hause.


Eine andere, uns wohlbekannte, aber nicht in Schwarz, sondern wie immer in Roth, Grün und Weiß gekleidete Gestalt betrat an diesem Morgen die Piazza, um dem Carneval beizuwohnen. Sie kam von der entgegengesetzten Seite, denn Tessa wohnte nicht mehr auf der Anhöhe von San Giorgio. Nach dem, was sich dort mit Baldassarre zugetragen hatte, und aus anderen Gründen, hatte Tito es für das Gerathenste gehalten, eine neue Wohnung für sie, und zwar immer noch in einem ruhigen, lustigen Stadtviertel, in einem an den großen Gartenplätzen nördlich von der Porta Santa Croce belegenen Hause aufzusuchen.

Tessa war nicht ohne besondere Erlaubniß ausgegangen, um das Schauspiel mit anzusehen. Tito war am Abend vorher bei ihr gewesen, und sie hatte die Bitte, welche ihr Herz schwellte und ihr in der Kehle steckte, nicht zu äußern gewagt, bis sie ihn in der rosigsten Laune sah, einen Arm um den derben Lillo geschlungen und den andern sanft auf ihrer Schulter ruhend, während sie versuchte, die kleine Ninna auf den Füßchen zu erhalten. Da war sie denn überzeugt, daß die Verdrießlichkeit, mit der er bei seinem Kommen sich in den Sessel geworfen hatte, von Stirn und Lippe verschwunden war. Tessa hatte nicht verabsäumt, einige kleine Kunstgriffe zu erlernen, wodurch sie, ohne Naldo zu ärgern, dennoch ihren Willen durchsetzte. Sie konnte gar nicht lesen, aber auf dem Gesichte ihres Mannes deutlich zu lesen, das hatte sie gelernt.

Und wahrlich, der ganze Zauber des heiteren, gutmüthigen Tito, welcher vor fünf Jahren an einem Fastnachtsmorgen unter der Loggia de' Cerchi erwachte und noch dem Truge nicht verfallen war, kehrte nirgends so fast vollkommen wieder, wie in der Person Naldo's, in dem geschnitzten Armsessel mit der geraden Rücklehne, welchen er für seine Bequemlichkeit, wenn er Tessa und die Kinder besuchte, angeschafft hatte. Tito selbst war über die zunehmende Empfindung von Linderung erstaunt, welche er in diesem Augenblick hatte. Bei Tessa bedurfte es keiner Arglist, sie war zu unwissend und zu unschuldig, um irgend einen Verdacht gegen ihn zu hegen. Und die Kinderstimmen, welche ihm »Babbo« zuriefen, klangen während der kurzen Zeit, daß er sie hörte, süß in seinen Ohren. Als er den Plan faßte, Florenz zu verlassen, dachte er auch nicht einen Augenblick daran, Tessa und die Kleinen dort zurückzulassen. Er liebte diese rundbäckigen, großäugigen menschlichen Wesen, die an ihm hingen und nichts Böses von ihm wußten. Und wo immer Liebe aufsprießen kann, gleicht sie dem grünen Blatt und der Blüthe – selbst rein und Reinheit athmend, auf welchem Boden sie auch wachsen mag. Die arme Romola, mit allen ihren selbstaufopfernden Anstrengungen, trug in der That dazu bei, Tito's Charakter zu verhärten, indem sie ihn mit einem wirklichen Widerwillen durchkältete, der früher bei ihm unmöglich erschien; Tessa aber hielt die Quelle der Zärtlichkeit offen.

»Ninna ist jetzt schon ganz gut, auch wenn ich nicht bei ihr bin,« begann Tessa, indem sie fühlte, wie ihre Bitte ihr schon in den Hals stieg, und Ninna sich auf den Boden setzen lassend, »ich kann sie allezeit mit Monna Lisa allein lassen, und wenn sie in der Wiege liegt und weint, so ist Lillo so aufmerksam wie möglich; er geht dann hin und pufft die Monna Lisa.«

Lillo, dessen große schwarze Augen dadurch noch schwärzer schienen, daß seine Locken hellbraun waren, wie die seiner Mutter, sprang von Babbo's Schoos herab, und bewies sein Verständniß alsbald dadurch, daß er Monna Lisa, welche am andern Ende des Zimmers mit ihrem Kopfe langsam beim Spinnrade nickte, tüchtig puffte.

»Ein wundervoller Bursche!« rief Tito lachend.

»Nicht wahr?« sagte Tessa eifrig, ein wenig näher rückend, »und ich kann wol morgen auf ein paar Stunden hingehen und den Carneval mit ansehen?«

»O Du schlimmes Täubchen!« rief Tito, sie in die Wangen kneifend, »das sind also Deine Gelüste? Was hast Du jetzt noch, wo Du schon eine alte Frau mit zwei Kindern bist, mit dem Carneval zu thun?«

»Aber alte Frauen mögen gern etwas sehen,« – erwiderte Tessa, ihre Unterlippe ein wenig hängen lassend; »Monna Lisa sagt, sie würde auch gern gehen, nur daß sie so taub ist, daß sie nicht hört, was hinter ihr vorgeht, und sie meint, wir könnten nicht auf beide Kinder passen.«

»Nein, Tessa,« sagte Tito, eine ernste Miene annehmend, »Du mußt nicht daran denken, die Kinder auf die überfüllten Straßen mitzunehmen, sonst werde ich böse.«

»Ich bin ja aber nie ohne Erlaubniß auf die Piazza gegangen,« sagte Tessa erschrocken und in flehendem Tone, »zum letzten Male war's am Charsamstag, und ich glaube, Nofri ist todt; denn Du weißt ja, die arme Mutter starb auch, und ich werde nie den Carneval vergessen, den ich einmal gesehen habe; das war schön, Alles mit Rosen, und ein König und eine Königin dabei, und gesungen haben sie auch. Es gefiel mir besser als der Johannistag.«

»Aber jetzt gibt es dergleichen nicht, liebe Tessa. Sie werden ein Freudenfeuer auf der Piazza anzünden, das ist Alles; aber ich kann nicht zugeben, daß Du des Abends allein ausgehst.«

»O nicht doch! ich will ja auch gar nicht Abends gehen, sondern nur bei Tage, um die Procession zu sehen. Es wird doch eine Procession sein – nicht wahr?«

»Ja wohl, sie wird danach sein, so lebhaft wie ein Flug Kraniche. Du darfst Dir keine Rechnung auf Rosen oder glänzende Könige und Königinnen machen, liebe Tessa. Ich glaube aber, die erste beste Reihe von Leuten, die man eine Procession nennen kann, wird Deinen blauen Augen gefallen. Und da ist ein Ding, was sie zum Freudenfeuer auf der Piazza de' Signori errichtet haben; vielleicht möchtest Du das gern sehen. Komm aber früh wieder nach Hause und sieh so recht wie ein ernstes altes Mütterchen aus; und wenn Du Männer mit Schwertern und Federn erblickst, so gehe ihnen aus dem Wege; sie sind sehr böse und machen sich ein Vergnügen daraus, alten Frauen den Kopf abzuhauen.«

»Santa Madonna, wo kommen denn Die her? Ach, Du machst nur Spaß, es ist nicht so schlimm; aber ich will ihnen ausweichen. Nur,« fuhr Tessa, ihren Mund dicht an Naldo's Ohr haltend, flüsternd fort, »nur möchte ich den kleinen Lillo gern mitnehmen; er ist sehr vernünftig.«

»Wer soll denn aber die Monna Lisa passen, wenn sie nicht hört?« fragte Tito, mit Mühe das Lachen verbeißend, aber es für nöthig erachtend, ernsthaft auszusehen, »nein, Tessa, Du könntest Dich nicht um Lillo kümmern, wenn Du in's Gedränge kommst, und er ist zu schwer, als daß Du ihn trügest.«

»Das ist wahr,« sagte Tessa ziemlich traurig, »und er läuft gern fort; das vergaß ich. Nun, so will ich allein gehen. Jetzt sieh Dir aber Ninna einmal an, Du hast sie noch gar nicht ordentlich angesehen.«

Ninna war ein blauäugiges Geschöpf in dem Alter des Wackelns und Fallens, ein hübscher Körper, der, wie ein gefüllter Würfel, seine Basis mit einer Beharrlichkeit wiederfand, welche eine Prophezeihung rechtfertigte. Tessa hob sie auf, und als Babbo pflichtschuldigst die neuen Zähne und andere Wunderdinge betrachtet, flüsterte sie ihm zu: »Soll ich nicht auch einiges Confect für die Kinder kaufen?«

Tito zog mehre Scheidemünzen aus seiner Gürteltasche und schüttete sie ihr in die geöffnete Hand.

»Damit kauft man ja alles Mögliche zusammen,« sagte Tessa, über diese Fülle erfreut; »ich mache mir auch gar nicht so viel daraus, Lillo mitzunehmen, wenn ich ihm etwas nach Hause bringe.«

So begab sich denn Tessa am nächsten Morgen nach der großen Piazza, wo das Freudenfeuer angezündet werden sollte. Sie hielt den Februarwind nicht für so kalt, daß sie eine andere Bedeckung als ihren grünen wollenen Rock gebraucht hätte. Ein Mantel würde sie beschwert haben, weil er ein neues Halsband und eine neue mit Silber beschlagene Spange, den einzigen Schmuck, den Tito ihr je geschenkt hatte, versteckt hätte. Tessa dachte nicht daran, ihr Gesicht zu zeigen, denn noch nie hatte Jemand ihr gesagt, daß es schön sei; aber das wußte sie, daß ihr Halsband und ihre Spange von der schönsten Art waren, wie sie nur je die reichste Bäuerin getragen hatte, und sie zog ihre weiße Kapuze so über den Kopf, daß der Vordertheil des Halsbandes recht gesehen werden konnte. Dieser Schmuck, so dachte sie bei sich, müßte Respect vor ihr, als der Frau eines Mannes, der dergleichen kaufen konnte, einflößen.

Sie trippelte ganz munter im Februarsonnenschein daher, indem sie sorgfältig an die ihr Körbchen füllen sollenden Einkäufe für die Kinder, aber gar nicht daran dachte, daß Jemand sie beobachten könne. Dennoch war ihr Herabkommen aus dem oberen Stockwerke auf die Straße erlauscht worden, und es behielt sie Jemand, während sie weiter ging, im Gesicht, der oft vergeblich gewartet hatte, zu sehen, ob es nicht Tessa wäre, welche in diesem Hause wohnte, wohin er Tito mehr als einmal heimlich nachgefolgt war. Baldassarre trug einen Pack Garn; mit diesem Geschäfte verdiente er sich sein kärgliches Brot, und unterhielt das heilige Feuer der Rache, und er war sich heute Morgen umgegangen, wie er schon öfters gethan hatte, um bei dem Hause vorbei zu gehen, wohin er Tito Abends gefolgt war. Die lange Gefangenschaft hatte seinen scheuen Verdacht und seinen Glauben an ein diabolisches, Tito begünstigendes Glück erhöht, so daß er nicht gewagt hatte, ihn zu verfolgen, ausgenommen von einer Schaar anderer Leute oder von der Dunkelheit umgeben. Er fühlte mit instinktmäßigem Grauen, daß ihm, wenn Tito's Augen auf ihn fielen, wieder Schmach angethan, daß er wieder fortgeschleppt, seine Waffe weggenommen und er wieder hülflos in's Gefängniß geworfen werden würde. Sein grimmiger Zweck war so geheimnißvoll geworden, wie der einer Schlange, die ihre Beute mit einem Stoß ihres Fangzahns zu erhaschen denkt. Die Gerechtigkeit war schwach und unbefreundet, und die Stimme, welche im Dome die Verheißung der Rache gedonnert hatte, konnte er nicht wieder hören; er war zu wiederholten Malen dort gewesen, aber auch diese Stimme war wahrscheinlich von der schlauen, mächtigen Schlechtigkeit erstickt worden. Eine lange Zeit war Baldassarre's vorherrschender Gedanke der gewesen, sich zu überzeugen, ob Tito noch immer das Panzerhemd trug; denn jetzt endlich wäre seine dahinschwindende Hoffnung mit einem glücklichen Stoße noch diesseits des Grabes befriedigt gewesen; aber er wollte sein kostbares Messer nicht nochmals daran wagen. Die Zeit währte ihm lange, bis er diese Frage beantwortet hatte, indem er während eines Straßengedränges Tito's Rücken berührte. Seit dieser Zeit war die Ueberzeugung, daß der scharfe Stahl nutzlos war, und daß er keine andere Hoffnung als die eines neuen Anschlages hatte, wie ein Bleigewicht auf seinen geschwächten Geist gefallen. Eine dunkle Aussicht, eine dieser beiden Frauen zu gewinnen, ihm zu helfen, bot sich ihm immer dar und verschwand immer wieder. Die Frau, welche auf der Anhöhe gewohnt hatte, war nicht mehr da. Vermochte er sie wieder zu finden, so konnte er auch den Faden irgend eines Plans ergreifen und seinen Weg klarer vor sich sehen.

Und am heutigen Morgen war es ihm gelungen. Er wußte jetzt ganz genau, wo sie wohnte, und als er, unter der Last des Garns gebeugt, und dennoch die grün und weiß gekleidete Gestalt im Gesicht behaltend, daherschritt, verweilte sein Geist auf ihr und ihrem Verhältniß, wie schwache Augen auf Linien und Farben verweilen, und es versuchen, aus ihnen eine wirkliche Bedeutung herauszufinden.

Tessa durchwanderte mehre lange Straßen, ohne andere Spuren des Carnevals zu sehen, als ungewöhnlich zahlreiche Gruppen von Landleuten in ihren Feiertagsgewändern, und die allgemeine Neigung zum Geplauder und Herumlungern, welches die ersten Stunden eines Festtags vor Beginn des Schauspiels bezeichnen. Jetzt fielen ihre Augen, während sie vergeblich nach sehenswürdigen Gegenständen umherblickte, auf einen Mann mit einem Hausirerkästchen vor sich, welcher allen Vorübergehenden nichts anderes als kleine rothe Kreuze zu verkaufen schien. Ein solches kleines rothes Kreuz wäre sehr hübsch, um es über ihr Bett zu hängen; auch würde es dazu dienen, Unglück abzuwenden, und könnte vielleicht Ninna stärker machen. Tessa ging auf die andere Seite der Straße, um dem Hausirer nach dem Preise der Kreuze zu fragen, indem sie fürchtete, daß sie am Ende doch etwas zu theuer sein möchten, als daß sie dann noch Leckereien kaufen könne. Der Hausirer hatte ihr bis dahin den Rücken zugekehrt, als sie aber in seine Nähe kam, gewahrte sie in ihm einen alten Bekannten vom Markt, Bratti Ferravecchj, und, gewohnt zu fühlen, daß sie alle alten Bekanntschaften vermeiden müsse, wandte sie sich wieder ab und kehrte auf die andere Seite der Straße zurück. Bratti's Auge war aber zu sehr geübt, an der Straßenecke nach möglichen Kunden auszuschauen, als daß ihre Bewegungen ihm entgangen wären, und sie wurde alsbald durch einen leichten Schlag auf den Arm mit einem der kleinen Kreuze aufgehalten.

»Junge Frau!« rief Bratti, als sie unwillkürlich ihr Haupt umwendete, »es scheint mir, Ihr kommt von einem weit entlegenen Burgflecken, sonst würde es Euch nicht einfallen, an diesem gesegneten Carneval ohne ein rothes Kreuz in der Hand herumzugehen. Santa Madonna! Vier weiße Quattrini für Eure Seele zu zahlen, ist doch gewiß ein geringer Preis; ich kann Euch sagen, daß die Preise im Fegefeuer steigen.«

»O, ich möchte wol gern eins haben,« antwortete Tessa rasch, »aber ich kann keine vier weißen Quattrini entbehren.«

Bratti hatte Tessa zuerst zu zerstreut, wie irgend eine Kundschaft, angesehen, um sie genauer zu betrachten; als sie aber anfing zu sprechen, rief er: »Beim Haupte des Täufers, es muß die kleine Tessa sein, und frisch aussehend wie ein reifer Apfel. Wie, es ist Euch also nicht schlechter darum gegangen, daß Ihr dem Papa Nofri weggelaufen seid? Ihr habt Recht gehabt, denn er geht jetzt an Krücken, und ein mürrischer Kerl mit Krücken ist gefährlich; er kann über das ganze Haus weg auslangen und im Sitzen ein Frauenzimmer prügeln.«

»Ich bin verheirathet,« sagte Tessa mit einiger Feierlichkeit, indem sie sich Naldo's Befehl, recht ernst aufzutreten, erinnerte, »und mein Mann sorgt sehr für mich.«

»Ah, Ihr seid also wieder auf die Füße gefallen! Nofri sagte, Ihr wäret ein nichtsnutziges Geschöpf; aber was will das sagen? Ein Esel kann lange schreien, ehe er die Sterne vom Himmel fallen macht. Ich habe immer gesagt, daß Ihr Recht thatet, wegzulaufen, und Bratti hat selten Unrecht. Nun, Ihr habt also einen Mann, und viel Geld? Dann braucht Ihr Euch ja nicht viel daraus zu, machen, vier Quattrini für ein rothes Kreuz auszugeben. Ich verdiene nichts daran, aber mit der neuen Religion und der Hungersnoth ist alle andere Waare jetzt im Preise gesunken. Ihr lebt auf dem Lande, wo es viele Kastanien giebt, wie? Wie ich sehe, hat es Euch nie an Polenta gemangelt.«

»Nein, es hat mir an nichts gemangelt!« antwortete Tessa, noch immer auf ihrer Hut.

»Dann könnt Ihr auch ein rothes Kreuz kaufen. Ein Padre hat sie gesegnet, und Ihr habt den Segen und Alles für vier Quattrini. Es ist nicht des Verdienstes wegen, ich gewinne an dem ganzen Kram kaum einen Danaro; aber es ist heilige Waare, und es wird immer schwieriger, seinen Weg in's Paradies zu finden; der Carneval selbst ist wie die heilige Woche, und das Wenigste, was Ihr thun könnt, daß der Teufel nicht die Oberhand behält, ist: ein Kreuz zu kaufen. Gott schütze Euch, aber bedenkt nur, was der Zahn des Teufels ist! Ihr habt doch, sollte ich meinen, gesehen, wie er in der Kirche San Giovanni den Mann beißt.«

Tessa war sehr ängstlich und erschrocken. »Ach, Bratti,« sagte sie mit verstörtem Gesicht, »ich will eine große Menge Confetti kaufen; ich habe meinen kleinen Lillo und meine Ninna daheim, und hübsche bunte Süßigkeiten kosten eine Menge Geld; das Kreuz würde ihnen auch nicht so lieb sein, obgleich ich recht wohl weiß, daß es gut sein würde, eins zu haben.«

»Kommt,« sagte Bratti, der gern eine Menge verdienstlicher Thaten häufte, indem er mögliche Erpressungen ersann, und ihnen dann großmüthig entsagte, »da Ihr eine alte Bekannte seid, so sollt Ihr es für zwei Quattrini haben; es ist ein reines Geschenk, was ich Euch da mit dem Kreuze mache, um gar nicht einmal von dem Segen zu sprechen.«

Tessa reichte mit zitternden Händen ihre zwei Quattrini hin, als Bratti plötzlich sagte: »Halt einen Augenblick! Wo wohnt Ihr?«

»O, sehr weit von hier,« antwortete sie fast maschinenmäßig, da sie eben mit ihren Quattrini beschäftigt war, »jenseits San Ambrogio, in der Via piccola, ganz oben in dem Hause, wo unten das Holz aufgeschichtet liegt.«

»Sehr wohl,« sagte Bratti im Tone eines Gönners, »so werde ich Euch das Kreuz auf Credit lassen, und mir das Geld gelegentlich holen. Also Ihr wohnt innerhalb der Stadt? Gut, gut, ich werde nächstens vorkommen.«

»Nein, nein!« rief Tessa, befürchtend, daß Naldo über diese, Erneuerung einer alten Bekanntschaft böse werden möchte, »ich kann das Geld entbehren. Nehmt es gleich hin!«

»Nicht doch,« entgegnete Bratti entschlossen, »ich bin kein hartherziger Trödler; ich komme bei Euch vor, um zu sehen, ob Ihr vielleicht einige alte Lappen habt, und Ihr sollt einen Handel machen. So, da ist das Kreuz, und dort ist Pippo's Laden, nicht weit hinter Euch. Ihr könnt gehen und Euern Korb füllen, während ich gehe und meinen leeren muß. Addio, Kleine!«

Bratti ging seiner Wege, und Tessa, beeifert, ihr Geld gegen Confetti auszutauschen, ehe neue Zwischenfälle kämen, trat, von dem Gedanken, daß sie Bratti mehr mitgetheilt hätte, als ihrem Gatten lieb sein könne, beunruhigt in Pippo's Laden. Es war also doch gefährlicher, den Carneval anzusehen, als zu Hause zu bleiben, und dies hätte sie noch tiefer empfunden, wenn sie gewußt hätte, daß der böse, alte Mann, der damals auf der Anhöhe ihren Mann ermorden wollte, sie fortwährend im Auge behielt; so aber hatte sie den Mann mit der Last auf dem Rücken gar nicht bemerkt.

Das Gefühl, ein Körbchen voll mit Sachen für die Kinder zu haben, verscheuchte ihre Angst, und als sie in die Via de' Libraj trat, hatte ihr Gesicht bereits wieder seinen gewöhnlichen Ausdruck kindlicher Zufriedenheit. Und jetzt glaubte sie, daß wirklich eine Procession käme, denn sie erblickte weiße Gewänder und eine Fahne, und ihr Herz begann vor Erwartung zu pochen. Sie stand ein wenig seitab, aber in dieser engen Gasse hatte man das Vergnügen, gezwungen zu sein, Alles recht nahe zu sehen. Die Fahne war sehr zierlich; man sah darauf die Gottesmutter mit dem Jesuskindlein, an deren Liebe zu ihr Tessa immer mehr geglaubt hatte, seitdem sie die Kinder besaß; und die Gestalten in Weiß trugen nicht nur grüne Kränze aus ihren Häuptern, sondern auch kleine rothe Kreuze an der Seite, und sie freute sich sehr darüber, daß sie auch ihr rothes Kreuz hatte. Sie sahen schön aus, wie die Engel in den Wolken, und in Tessa's Phantasie erschienen sie auch auf einem Hintergrund von Wolken, wie alles Andere, was ihr im Leben vorkam. Wie sie kamen, und woher? das war ihr ziemlich gleichgültig. Eines setzte sie aber in Erstaunen, da es ihr neuer erschien als Kränze und Kreuze, nämlich: daß mehre dieser weißen Gestalten Körbe zwischen sich trugen. Wozu mochten die Körbe denn eigentlich dienen?

Jetzt waren sie ihr ganz nahe, und zu ihrem Erstaunen schwenkten sie seitwärts und kamen gerade auf sie zu. Sie zitterte, als hätte der heilige Michael in dem Gemälde den Kopf gegen sie geschüttelt, und fühlte nichts als ängstliches Staunen, bis sie dicht neben sich ein rundes Knabengesicht, das nicht einmal an das ihrige hinanragte, gewahrte, und ein Diskantstimmchen sagen hörte: »Schwester, Ihr tragt das Anathema an Euch. Gebt es dem gebenedeiten Jesus, und Er wird Euch mit den Juwelen Seiner Gnade schmücken.«

Tessa war um so mehr erschreckt, je weniger sie davon verstand. Ihre erste Muthmaßung fiel auf das Körbchen mit Süßigkeiten. Das verlangten sie also, die beunruhigenden Engel. O Gott, o Gott! Sie sah auf den Korb herab.

»Nein, Schwester,« sagte ein größerer Jüngling, auf ihr Halsband und die Gürtelspange deutend, »diese Eitelkeiten sind das Anathema. Nimm dieses Halsband fort und schnalle Deinen Gürtel ab, damit sie in dem heiligen Freudenfeuer verbrannt werden können, und Dich davor retten, selbst zu brennen.«

»Es ist Wahrheit, meine Schwester,« sagte ein noch größerer Jüngling, offenbar der Erzengel dieser Schaar, »horche auf diese Stimmen, welche die göttliche Botschaft verkünden. Du trägst bereits das rothe Kreuz, laß dies Deinen einzigen Schmuck sein; gieb Halsband und Gürtel her, und Du wirst Gnade finden.«

Das war zu viel. Tessa, von scheuer Furcht übermannt, wagte nicht »nein« zu sagen; aber eben so unmöglich war es, ihr geliebtes Halsband und die Spange herzugeben. Ihre schwellenden Lippen bebten, die Thränen traten ihr in die Augen, und ein großer Tropfen fiel hernieder. Einen Augenblick lang sah sie nichts mehr, und fühlte nichts, als eine Mischung von Jammer und Schrecken. Plötzlich legte sich eine weiche Hand auf ihren Arm, und eine sanfte, wunderbare Stimme sagte, als ob die heilige Jungfrau spräche: »Fürchte Dich nicht; es wird Dir Niemand etwas zu Leid thun.«

Tessa blickte empor und gewahrte eine Dame in Schwarz, mit einem jugendlich himmlischen Angesicht und liebevollen, braunen Augen. Noch niemals hatte sie etwas dieser Dame Gleiches gesehen, und unter anderen Verhältnissen hätte sie sich vor ihr in ihrem Sinne gescheut; jetzt aber machte alles Andere dem Gefühle Platz, daß ein liebender Schutz sie umgab. Die Zähren flossen reichlicher, ihr überschwellendes Herz erleichternd, als sie zu diesem himmlischen Antlitze emporblickte, und indem sie ihre Hand an das Halsband brachte, sagte sie schluchzend:

»Ich kann sie nicht hingeben, daß sie verbrannt werden, – mein Mann – er hat sie für mich gekauft, – und sie sind so schön, – und Ninna, – ach, ich wünschte, daß ich nie hierher gegangen wäre.«

»Verlangt sie ihr nicht ab,« sagte Romola im Tone sanfter Autorität zu den weiß gekleideten Knaben; »es ist nicht der Zweck, daß die Leute solche Dinge gegen ihren Willen hingeben; Fra Girolamo heißt dergleichen nicht gut, er will, daß man sie freiwillig opfert.«

Madonna Romola's Wort war unwiderstehlich, und der weiße Zug ging weiter; er bewegte sich sogar rasch von dannen, als ob sich ihm ein neuer Gegenstand darböte, und Tessa war glückselig, daß sie fort, ihr Halsband und ihre Spange ihr aber geblieben waren.

»Ich will nach Hause zurückkehren,« sagte sie, noch ganz aufgeregt, »ich will nirgends anders hingehen. Wenn sie mir aber wieder begegneten, und Ihr wäret nicht da?« fügte sie hinzu, Alles von dieser himmlischen Dame erwartend.

»Warte ein wenig,« erwiderte Romola, »komm mit mir unter diesen Thorweg. Wir wollen Halsband und Spange verbergen, dann läufst Du keine Gefahr mehr.«

Sie führte Tessa unter einen Thorweg und sagte: »Ist da noch Platz in dem Korbe für das Halsband und die Spange? Aber er ist ja ganz voll von bröckligen Gegenständen, die leicht zerbrechen. Da müssen wir behutsam sein, und das schwere Halsband darunter legen.«

Es war Tessa wie ein Wechsel in einem Traume, das Hinüberschweben vom Alp in ein Meer von Wonne und Ruhe, so von dieser lieblichen, mächtigen und gütigen Dame in Schutz genommen worden zu sein. Sie ließ Romola ihr das Halsband und die Spange ablösen, während sie nichts that, als das über sie gebeugte Angesicht anzublicken.

»Das sind Confecten für Lillo und Ninna,« sagte sie, als Romola sorgsam die leichten Päckchen im Korbe in die Höhe hob und den Schmuck unter dieselben legte.

»Das sind also Deine Kinder?« fragte Romola lächelnd, »und Du möchtest lieber wieder zu ihnen nach Hause gehen, als noch etwas vom Carneval mit ansehen? Du hättest sonst nicht mehr weit bis zur Piazza de' Signori, und da könntest Du die Pyramide für das große Freudenfeuer mit ansehen.«

»O nein, o nein!« rief Tessa heftig, »ich werde nie mehr Freudenfeuer mögen; ich will nach Hause gehen.«

»Du wohnst wahrscheinlich in irgend einem Burgflecken,« sagte Romola, ohne auf eine Antwort zu warten; »nach welchem Thore zu gehst Du denn?«

»Nach der Por' Santa Croce.« –

»So kommt« sagte Romola, sie bei der Hand fassend, und sie nach einer fast gerade gegenüber liegenden Straßenecke führend; dann fuhr sie nach einer kleinen Pause fort: »wenn Du dort hinabgehst, so kommst Du bald auf den geraden Weg. Ich muß Dich jetzt verlassen, weil mich noch Jemand erwartet. Man wird Dich nicht mehr erschrecken, und Deine Kostbarkeiten sind jetzt ganz sicher. Addio.«

»Addio, Madonna,« sagte Tessa fast flüsternd, und nicht wissend, was sich sonst zu sagen schickte, und im nächsten Augenblicke war die himmlische Dame gegangen. Tessa drehte sich um, um noch einen letzten Blick zu erhaschen, sie sah aber nur die hohe, dahinschwebende Gestalt hinter einem vorspringenden Gemäuer verschwinden. So setzte sie ihren Weg, in Staunen versunken, fort, indem sie sich sehnte, wieder wohlbehalten zu Hause bei der Monna Lisa zu sein, und von jeglicher Lust, einem Carneval mit beizuwohnen, für alle Zeiten geheilt.

Baldassarre hatte Tessa bis zu dem Augenblicke, wo sie sich von Romola trennte, im Auge behalten, dann entfernte er sich mit seinem Bündel Garn. Es schien ihm, als ob er einen Faden gefunden hätte, der ihn leiten könne, wenn er nur die nöthigen Einzelheiten fest zu erfassen im Stande wäre. Er hatte die beiden Frauen mit einander gesehen, und dieser Anblick hatte seinen Ideen die verlorene Lebendigkeit wiedergegeben. Seine Fähigkeit, Handlungen zu erdenken, mußte fortwährend durch die Sinne verstärkt werden. Die hohe Frau war das adlige und rechtmäßige Weib, in ihren Adern floß das Blut, welches leicht zur Rache zu entzünden war; sie mußte wissen, was Gelehrsamkeit war, und wie sie von den Hemmnissen eines siechen Körpers versperrt werden kann, wie ein durch ein Erdbeben verschütteter Schatz. Sie konnte ihm glauben, sie mußte geneigt sein, ihm zu glauben, wenn er ihr bewies, daß ihr Gatte treulos war; denn so etwas liegt Frauen am Herzen, dafür nehmen sie Rache. Wenn dieses Weib Tito's ihn liebte, so mußte sie ein Gefühl für Schimpf haben, worauf Baldassarre's Geist mit innigem Sehnen verweilte, als ob es die Kraft eines fremden, dem seinigen hinzugefügten Willens wäre, die Macht eines andern Geistes, Pläne zu entwerfen.

Beide Frauen waren gütig gegen Baldassarre gewesen, und was sie an ihm gethan hatten, war, mit ihrem Bild eng verbunden, nicht aus seinem Gedächtniß geschwunden, aber der Gedanke an ihren Kummer vermochte nicht, ihn zurück zu halten. Ihm schien es, daß Kummer die Ordnung der Welt für Jedermann, ausgenommen für die Niedrigdenkenden und Hartherzigen, sei. Gab es unschuldige und edle Wesen, worin konnte für sie die höchste Lebensfreude anders bestehen, als wie für ihn? – in unbesiegbarem Haß und triumphirender Rache. Aber er mußte vorsichtig sein; er mußte diese Frau in der Via de' Bardi beobachten und Näheres über sie erfahren, denn auch hier war Täuschung möglich. Es gab jetzt für ihn keine andere Kraft, als in der Geduld.



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