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Band V

Zweiundvierzigstes Capitel.
Romola an ihrem Platze.


Es war am dreißigsten October des Jahres 1496. Der Himmel war an diesem Morgen ziemlich heiter und ein angenehmer Herbstwind wehte. Aber die Florentiner kümmerten sich eben jetzt sehr wenig um Landwinde, sie dachten an die Seestürme, welche sich mit allen anderen Mächten zu verbinden schienen, um die Aussage des Mönchs, daß der Himmel besondere Sorge für Florenz trage, zu widerlegen.

Diese furchtbaren Stürme hatten mehre mit Truppen und Getreide beladene Schiffe aus Marseille von den Küsten von Livorno zurückgeworfen, und Florenz litt den schrecklichsten Mangel an Nahrungsmitteln und an Soldaten. Der bleiche Hunger lauerte in den Straßen, und das florentinische Gebiet war von allen Seiten bedroht.

Der König von Frankreich, dieser neue Karl der Große, welcher Italien im Voraus triumphirend betreten und Neapel ohne die geringsten Schwierigkeiten erobert hatte, war vor fünfzehn Monaten davongezogen und hatte, wie man fürchtete, aus Gram über den Verlust eines neugebornen Sohnes, das eben nicht besonders starke Verlangen, zurückzukehren, um Unrecht wieder gut zu machen und die Kirche wieder zu ordnen, aufgegeben. Es hatte sich eine Liga gegen ihn gebildet, eine heilige Liga, mit dem Pabst Borgia an der Spitze, um die Barbaren zu vertreiben, welche noch die Festung von Neapel besetzt hielten. Dies klang ganz patriotisch, genauer betrachtet aber schien die heilige Liga weiter nichts zu sein, als ein Uebereinkommen zwischen einigen Wölfen, um alle anderen Wölfe zu verjagen, und dann zu sehen, wer von ihnen den größten Theil der Beute erschnappen könne. Es hatte sich eine allgemeine Tendenz geltend gemacht, Florenz nicht etwa als einen Mitwolf, sondern eher als ein begehrenswerthes Stück Fleisch zu betrachten; deshalb war Florenz allein unter allen Hauptstaaten Italiens dieser Liga nicht beigetreten, sondern hing treu an der französischen Allianz.

Florenz hatte auf seine eigene Gefahr so gehandelt. In diesem Augenblick wurde Pisa, welches noch immer kräftig für seine Freiheit kämpfte, nicht nur durch bedeutende von Venedig und Mailand geschickte Streitkräfte, sondern auch durch die Anwesenheit des deutschen Kaisers Maximilian ermuthigt, welcher von der Liga angerufen worden war und zu den Pisanern mit so vielen Truppen stieß, als er eben zu dem Versuche, sich Livornos zu bemächtigen, bei sich hatte, während die Küsten von venetianischen und genuesischen Schiffen blokirt wurden. Und wehe Florenz, wenn Livorno in feindliche Hände fiele! Denn wie sollte es, wenn dieser einzige Weg nach der See hin versperrt wurde, Hülfe bekommen, da es schon durch die Feindschaft des Papstes und die Eifersucht der kleineren Staaten von der Landseite her eingeschlossen war?

Die florentinische Regierung hatte in dieser dringenden Noth großen Muth gezeigt, Verluste und Niederlagen kräftig wieder gut gemacht, neues Geld aufgenommen, immer frische Truppen geworben, aber dabei die gute alte Methode des italiänischen Vertheidigungssystems, nämlich versöhnliche Unterhandlungen, keineswegs verabsäumt. Während die Theuerung täglich zunahm, hatte man sich, gerade in Widerspruche mit dem herkömmlichen Gebrauch, entschlossen, das verhungernde Landvolk und die aus den Thorn anderer Städte gejagten Bettler, welche wie Vögel aus einer Schneeregion, in Schaarei nach Florenz strömten, nicht abzuweisen. Diese Handlungen einer Regierung, in welcher die Anhänger Savonarola's am stärksten vertreten waren, erfuhren die schärfste Beurteilung. Der Mißvergnügten gab es in Ueberfluß, und sie sahen deutlich ein, daß die Regierung ganz gegen das Interesse der öffentlichen Wohlfahrt handelte. Florenz müßte sich der Liga anschließen und gemeinsame Sache mit den anderes großen italiänischen Staaten machen, statt durch eine unwürdige Anhänglichkeit an einen fremden Alliirten sich ihre Feindschaft zuzuziehen; Fluren müßte für seine Bürger sorgen, statt seine Thore der Hungersnoth und Pestilenz, die sich in der Gestalt verhungernder Bauern und fremder Bettler zeigten, zu öffnen.

Mit jedem Tage wurde die Noth größer, das Murren lauter. Und um die mißliche Lage, in der sich die Regierung befand, noch zu erhöhen, hatte Fra Girolamo, einer ihm von Rom zugegangenen Weisung folgend, schon über einen Monat lang nicht gepredigt. Aber beim Eintreffen der fürchterlichen Kunde, daß die Schiffe aus Marseille wieder von der Küste abgetrieben waren, wurde das Bedürfniß nach der Stimme, welche das Volk zum Glauben und zur Geduld ermahnen konnte, zu gewaltig, als daß man ihm hätte widerstehen können. Dem päpstlichen Erlasse zum Trotz, forderte die Signoria Fra Girolamo auf, zu predigen, und vor zwei Tagen hatte er wieder die Kanzel im Dom bestiegen und das Volk ermahnt, auszuharren und fest zu bleiben, da die göttliche Hülfe bald kommen würde. Es war eine Rede voll Kühnheit; er sagte, daß man ihm sein Gewand vom Leibe reißen solle wenn, falls Florenz nur fortführe die Pflichten der Frömmigkeit und Bürgertreue zu üben, Gott ihm nicht seine Hülfe senden würde.

Aber auch jetzt, am Morgen des Dreißigsten, zeigte sich noch keine Hülfe. Vielleicht wenn das kostbare Tabernakel der Madonna dell' Impruneta nach Florenz geschafft und in andächtiger Procession nach dem Dom gebracht würde, daß sich die schmerzens- und gnadenreiche Mutter der schwerbetroffenen Stadt annehmen würde? Seit anderthalb Jahrhunderten, so meldeten die Annalen, hatten die Florentiner, wenn sie von Dürre, Ueberschwemmung, Hungersnoth Seuchen oder Kriegsgefahr bedroht waren, das wunderthätige Bild in die Mauern der Stadt gebracht und Abhülfe gefunden. Dafür wurde ihm und seinem alten Heiligthum l'Impruneta Dank und Ehre zu Theil; das erhabene Haus der Buondelmonti, als Patrone dieser Kirche, hatten mit blankem Schwert das verborgene Bild zu bewachen. Reichthümer waren für Gebete an ihrem Schrein, für Hymnen, Kapellen und ewige Lampen ausgegeben worden, und die Kirche hatte Ländereien geschenkt erhalten, so daß sich Streitigkeiten über das Privilegium, ihr zu dienen, erhoben. Die Florentiner waren innigst von ihrer Gnade gegen sie überzeugt, so daß der Anblick ihres Heiligthums innerhalb der Stadtmauern dem Fortziehen der Donnerwolken glich, und es hieß allgemein, daß die Florentiner eine Madonna besäßen, welche ihnen Alles zu Gefallen thäte, und wann bedurften sie mehr, als eben jetzt, ihrer mitleidigen Fürbitte? Schon am Vorabende des erwähnten Tages war der Schrein, welcher das wunderthätige, geheime Bild enthielt, unter hohem und ehrwürdigem Geleit von l'Impruneta, dem privilegirten, nicht ganz anderthalb deutsche Meilen außerhalb des nach Rom führenden St. Petrusthores liegenden Orte, hereingebracht und in der Kirche San Gaggio vor dem Thore aufgestellt worden, von wo es durch alle Brüderschaften, Gewerke und Behörden der Stadt in feierlicher Procession abgeholt werden sollte.

Aber die gnadenreiche Mutter war noch nicht eingezogen, und der Morgen brach mit unverändertem Elend und Trübsal an. Die Pestilenz folgte der Hungersnoth aus dem Fuße. Nicht nur die Hospitäler waren voll, sondern auch die Hofplätze der Privathäuser waren in Zufluchtsplätze und Krankengelasse verwandelt, und doch war noch viel Elend vorhanden, welches kein Asyl gefunden hatte. Schon früh am heutigen Morgen trugen, wie gewöhnlich, Mitglieder der verschiedenen Brüderschaften, welche die Pflicht über sich genommen hatten, die Todten, denen es an Freunden und Verwandten fehlte, zu beerdigen, die Leichen Derer fort, die am Wege niedergesunken waren. Liebliche weibliche Gestalten, mit dem feinen Wesen und Gebahren der höheren Klassen, aber im einfachsten Anzuge, durchzogen die Straßen, indem sie ihrem täglichen Geschäft, die Kranken zu pflegen und die Hungernden zu speisen, nachgingen.

In einer dieser Gestalten konnte man leicht Romola de' Bardi erkennen. Im einfachsten Gewande von schwarzer Serge, einen einfachen schwarzen Ueberwurf über den Kopf, so daß ihr Haar bis auf die goldfarbigen, zu beiden Seiten der Stirne herabgleitenden Lockenstreifen bedeckt war, schritt sie vom Ponte vecchio nach der Por' San Maria (der in gerader Linie mit der Brücke laufenden Straße), als sie ihren Weg von einer hingestellten Bahre versperrt fand, die von Mitgliedern der Brüderschaft San Jacopo del Popolo, welche nach unbeerdigten Leichen suchten, dahin getragen worden war. Die Brüder zu Häupten der Bahre beugten sich hernieder, um etwas zu untersuchen, während eine Schaar müssiger Arbeiter mit bleichen, von Hunger abgemagerten Gesichtern sich umher gruppirte und durcheinander sprach.

»Er ist todt, sage ich Euch! Unser Herrgott ist ihm so gnädig gewesen, ihn zu sich zu nehmen«

»Ja, es wäre für uns Alle gut, wenn wir die Beine ausgestreckt und den Kopf zwei oder drei Ellen vorwärts gehen! Im englischen Original: »if we could have our legs stretched out and go with our heads two or three braccia foremost!«; richtig also: ›wenn wir unsere Beine hätten ausstrecken und, unseren Kopf zwei oder drei Ellen voran, abgehen können‹. – Anm. d. Hrsg. Es ist ein schlechtes Ding, aufrecht stehen zu sollen, und sich vom Hunger stützen zu lassen.«

»Nun gut, es ist ein alter Kerl. Der Tod hat ein schlechtes Geschäft gemacht; das Leben hat das Beste von ihm gehabt.«

»Und kein Florentiner, darauf wette ich zehn gegen eins! Ein aus Siena fortgejagter Bettler! San Giovanni behüte uns! Sie brauchen keine Soldaten, gegen uns zu fechten, sie schicken uns eine ganze Armee verhungernder Menschen.«

»Nicht doch! Es ist einer von den Gefangenen, die sie aus den Stinche fortgeschickt haben. Ich erkenne aus dem grauen Flecken, wo das Gefängnißzeichen war.«

»Seid still! legt doch Hand mit an! Seht Ihr nicht, daß die Brüder ihn auf die Bahre heben wollen?«

»Er hat wahrscheinlich noch Leben genug, wenn er es nur sehen könnte. Die Seele mag noch in ihm stecken, wenn sie nur einen Tropfen vernaccia Ein süßer Weißwein. – Anm. d. Uebers. zum Erwärmen hätte.«

»Ein der That, ich glaube, er ist nicht todt!« sagte einer der frommen Brüder, als sie ihn auf die Bahre gelegt hatten. »Er ist vielleicht nur aus Mangel an Nahrung zusammengesunken.«

»Ich will versuchen, ihm etwas Wein einzuflößen!« sagte Romola, vorwärts kommend. Sie löste die kleine Flasche, welche sie am Gurte trug, und indem sie sich über den daliegenden Körper neigte, brachte sie ihm mit geschickter Hand ein kleines elfenbeinernes Geräth zwischen die Zähne und goß ihm einige Tropfen Wein in den Mund. Dieses Reizmittel wirkte, denn man sah, daß die Flüssigkeit verschluckt wurde. Sie goß noch mehr nach, bis der Greis den Kopf ein wenig nach ihr hinwendete und seine Augen, indem sie sich öffneten, einen unstäten Blick des wiederkehrenden Bewußtseins auf sie richteten. In diesem Augenblicke erst erkannte Romola ihn wieder. Diese wilden, dunkeln Augen, die sich in dem gelbbleichen, furchenvollen Gesichte aufthaten, und der weiße, jetzt wieder lang gewachsene Bart waren wie eine unverkennbare Unterzeichnung einer Handschrift, deren man sich erinnert. Das Licht zweier vergangener Sommer hatte jenes Bild in Romola's Erinnerung nicht verwischen können, das Bild des entflohenen Gefangenen, den sie am Tage, als Tito zuerst das Panzerhemd trug, im Dome gesehen hatte, und unter dessen Griff Tito (in dem seltsamen Gemälde, welches sie in Piero's Malerstube erblickt hatte) vor Schrecken erbleicht war. Ein angstvolles Zittern und Beben befiel sie. Vielleicht sollte sie jetzt ein Geheimniß entdecken, das ihr entsetzlicher wäre, als Alles, was vorhergegangen war. Sie empfand einen Trieb, wie vor einem grauenvollen Anblick zu fliehen, und zugleich ein gewaltigeres Bedürfniß, dicht neben diesem Greise zu bleiben, dem, wie ihr eine lebendige Ahnung sagte, ihr Gatte ein Unrecht zugefügt hatte. Während dieses Widerstreites der Gefühle neigte sie sich fortwährend über ihn, und hielt ihre rechte Hand bereit, ihm noch etwas Wein einzuflößen, während sie ihre linke unter seinen Hals geschoben hatte; Ihre Hände zitterten, aber ihre Gewohnheit, Hülflosen beizustehen, hätte sie auch ohne die Anleitung des Gedankens richtig geführt.

Baldassarre aber sah sie zum ersten Male an. Die strenge Zurückgezogenheit, in welcher ihre Unruhe während der Wochen vor ihrer Flucht und seiner Gefangennehmung sie hielt, hatte ihm die Gelegenheit abgeschnitten, die er suchte, das Weib zu sehen, die in der Via de' Bardi wohnte, und im jetzigen Augenblicke waren die Schilderungen von der schönen, goldhaarigen Frau, die ihm gemacht worden waren, wie Wellen vom vorigen Tage verschwunden.

»Wäre es nicht gut, wenn man ihn nach der Treppe von San Stefano brächte?« fragte Romola, »wir würden auf diese Weise die Straße nicht mehr sperren, und Ihr könntet mit Eurer Bahre weiter ziehen.«

Es waren nur dreißig Ellen bis zu jener Treppe, und inzwischen hatte Baldassarre so viele Kräfte wiedergewonnen, sich von der Bahre zu erheben und gegen das Kirchenthor oben auf den Stufen zu lehnen. Die barmherzigen Brüder zogen weiter, aber die Gruppe neugieriger Zuschauer, welche nichts zu thun und viel zu reden hatten, war bedeutend angewachsen. Jetzt, da man sah, daß der alte Mann lebte, war die Gesinnung gegen ihn nicht mehr so freundlich, und nur die Achtung vor Romola bewirkte, daß man die Bemerkungen in gedämpfterem Tone als zuvor machte.

»Ah, sie geben ihm im Gefängniß tagtäglich seine Ration, darum wird es ihm jetzt auch so schwer, sie zu entbehren. Ihr und ich, Cecco, wir wissen besser, was es heißt, hungrig zu Bette zu gehen«

» Gnaffè! Deshalb haben auch die acht Magnifici einige Gefangene losgelassen, um ehrbaren Leuten ein Unterkommen an Jener statt zu verschaffen. Wenn aber jeder Dieb mit gutem Wein und Weizenbrot in's Leben zurückgebracht werden soll, so thäten wir Wollkrämpler besser, uns im Arno voll zu füllen, während noch Wasser genug darin ist.«

Romola hatte sich neben Baldassarre auf die Stufen gesetzt und fragte ihn: »Könnt Ihr jetzt ein wenig Brot zu Euch nehmen? Vielleicht könnt Ihr es etwas später, wenn ich es Euch hier lasse. Ich muß fort, da ich versprochen habe, im Hospital zu sein; ich werde aber zurückkehren, wenn Ihr mich hier erwarten wollt, und dann werde ich Euch an einen sicheren Ort bringen. Versteht Ihr mich? Wollt Ihr warten? Ich komme wieder.«

Er blickte sie träumerisch an, indem er ihre Worte: »wiederkommen« wiederholte. Es war kein Wunder, daß sein Geist durch die körperliche Erschöpfung geschwächt war, aber sie glaubte doch, daß er den Sinn ihrer Worte begriffen hätte. Sie öffnete ihren Korb, der mit Stücken weichen Brotes gefüllt war, und legte ihm eines derselben in die Hand.

»Bewahrt Ihr Euer Brot für Die, welche nicht schlucken können, Madonna?« sagte ein wild aussehender Mensch in einer rothen Nachtmütze, der sich mit Ellbogenstößen einen Weg durch den, Romola ziemlich eng umschließenden Kreis von Zuschauern gebahnt hatte.

»Wenn Jemand keinen Hunger hat,« rief ein Anderer, »so ist es besser, man läßt ihn in Ruhe; denn ihm ist wohler, als Leuten, deren Magen bellt und die doch kein Frühstück haben!«

»Ganz richtig, wenn Jemand sterben will, so ist die Zeit eher danach angethan, daß man ihn dazu ermuthigt, anstatt ihn wider seinen Willen in's Leben zurückzurufen. Todte Leute brauchen keinen Eßtisch.«

»O, Ihr begreift die Mildthätigkeit des Mönchs nicht,« sagte ein junger Mann in einer feinen Tuchtunika, dessen Gesicht nicht von Mangel zeugte, »der fromme Mann hat den Vögeln gepredigt, wie der heilige Antonius, und er hat den Habichten gesagt, daß sie geschaffen wären, die Sperlinge zu füttern, wie jeder gute Florentiner Bürger geschaffen ist, sechs verhungernde Bettler von Arezzo oder Bologna zu füttern. Die Madonna hier ist eine fromme Heulerin; sie wirft ihr gutes Brot nicht an ehrliche Bürgersleute weg, die alle Prophezeiungen des Mönchs verschlucken müssen.«

»Kommt, Madonna!« rief der Mann mit der rothen Mütze, »der alte Spitzbube ißt das Brot nicht, wie Ihr seht, es wäre besser, Ihr versuchtet es bei uns. Wir fasten so viel, daß wir schon halbe Heilige sind.«

Der Kreis hatte sich immer enger zusammengezogen, bis die wilden Kerle, zum größten Theil vom Mangel abgehagert, kaum ein Plätzchen um Romola her frei ließen. Sie hatte aus ihrem Korbe eine kleine hörnerne Schale genommen, in welche sie das Stück Brot legte und es mit Wein befeuchtete; sie hatte bisher auf jene Leute, wie es schien, gar nicht gemerkt. Jetzt aber erhob sie sich und sah sie rings umher an. Instinktmäßig drängten die ihr zunächst Stehenden etwas nach rückwärts, als ob diese rohe Annäherung von den hinter ihnen Befindlichen verschuldet wäre. Romola hielt den Brotkorb dem Manne in der Nachtmütze hin, und sagte, indem sie ihn ohne irgend einen Vorwurf in den Mienen anblickte.

»Ich weiß, der Hunger thut weh, und Ihr habt die Gewalt, dieses Brot wegzunehmen, wenn Ihr wollt. Es war für kranke Frauen und Kinder bestimmt. Ihr seid starke Männer; wenn Ihr aber nichts erdulden wollt, weil Ihr stark seid, so habt Ihr die Macht, den Schwachen Alles wegzunehmen. Ihr könnt das Brot aus dem Korbe hier nehmen, ich aber werde bei diesem alten Manne wachen, ich werde mich widersetzen, wenn Ihr ihm das Brot nehmen wollt.«

Einige Augenblicke herrschte vollständiges Schweigen, während Romola die Gesichter in ihrer Nähe musterte und den Brotkorb hinhielt. Ihr eigenes bleiches Gesicht hatte den etwas hungermatten Blick und die Hohläugigkeit, welche bei mäßigen Leuten ein ungewöhnliches Fasten verräth, und der große, starre Blick ihrer braunen Augen war um desto ausdrucksvoller. Der Mann in der Nachtmütze sah etwas einfältig drein, und zog sich zurück, indem er den Ellbogen seinen Nachbaren mit einer Miene moralischen Vorwurfs in die Rippen stieß. Das Zurückdrängen wurde allgemein, da Jeder anzudeuten wünschte, daß er gegen seinen Willen vorwärts gedrängt worden war, und der junge Mann in dem seinen Tuchrock war verschwunden.

Zugleich kamen die bewaffneten Diener der Signoria, die Straßen durchziehend, welche die Procession entlang kommen sollte, heran, um die Gruppe, welche die enge Straße sperrte, zu zerstreuen. Der Mann, welcher mit dem Namen Cecco angeredet worden war, zog sich vor einer drohenden Keule nach den obersten Stufen der Kirchentreppe zurück, indem er ehrerbietig zu Romola sagte:

»Madonna, wenn Ihr Euren Geschäften nachgehen wollt, so werde ich für den alten Mann sorgen.«

Cecco war ein wild aussehender Mensch; eine zerlumpte, von Kleiderstaub und anhangenden Stückchen Wolle buntscheckig aussehende Tunika, ließ ein paar nackte, knochige Arme und einen langen muskulösen Hals desto greller hervortreten; seine breiten, von einem struppigen schwarzen Bart beschatteten Backen, seine plattgedrückte Nase und niedrige Stirn gaben seinem Gesicht einen Ausdruck, als ob dasselbe zum Behuf des Packens zusammengedrückt worden wäre, und ein schmaler, rother Lappenstreif, der über die Ohren gebunden war, schien diese Zusammenpressung der Formen noch zu erhöhen. Romola sah ihn wie mißtrauisch an.

»Mißtraut mir nicht, Madonna!« rief Cecco, der ihre Blicke vollkommen verstand, »ich bin nicht so schön wie Ihr, aber ich habe eine alte Mutter, welche meine Suppe an meiner Statt ißt. Ich habe ein Herz im Leibe, und habe schon früher für die heilige Jungfrau eine Kerze gekauft. Uebrigens seht nur dorthin, der alte Kerl ißt sein eingetunktes Brot. Er ist ganz heil und wird bald auf den Beinen sein, so flink wie der Beste von uns.«

»Ich danke Euch, mein Freund, für Euer Anerbieten, seiner zu pflegen,« sagte Romola, ihren zweifelvollen Blick bereuend; dann neigte sie sich zu Baldassarre und wiederholte: »Ich bitte Euch, erwartet mich, bis ich wiederkomme.«

Er gab seine Einwilligung durch eine leise Bewegung des Kopfes und der Hand zu erkennen, und Romola setzte ihren Weg nach dem Hospital von San Matteo auf der Piazza di San Marco fort.



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