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Vierundfünfzigstes Capitel.
Abend und Morgen.


Romola trug sich mit einem Zwecke, als sie von dannen eilte; dieser Zweck war während der Nachmittagsstunden wie ein Nebenfluß angewachsen, der zugleich mit dem Hauptstrom anschwillt. Es war weniger ein Entschluß, als eine Nothwendigkeit ihrer Gefühle. Der dunklen Straßen nicht achtend und Maso's langsame Begleitung verschmähend, eilte sie über die Brücke, wo der Fluß in dem fernen hinsterbenden Roth schwarz erschien, und schlug den geradesten Weg nach dem alten Palaste ein. Sie konnte dort ihren Gatten treffen, aber das war ihr gleichgültig. Sie konnte keine Möglichkeiten erwägen, sie mußte ihr Herz erleichtern. Sie wußte nicht, was das war, woran sie in dem Säulenhof oder auf den breiten Treppen vorüber kam; sie wußte nur, daß sie einen Thürsteher nach dem Gonfaloniere fragte, ihren Namen nannte und in ein Privatzimmer geführt zu werden verlangte.

Sie blieb nicht lange allein mit den Frescogemälden und den eben angezündeten Kerzen; die Thür öffnete sich und herein schritt Bernardo del Nero, sein weißes Haupt noch aufrecht über seinem seidenen Talar tragend.

»Romola, mein Kind, was bedeutet das?« fragte er, als die Thür sich hinter ihm geschlossen hatte, im Tone besorgten Staunens.

Sie hatte ihr Haupt entblößt und trat ihm, ohne ein Wort zu reden, entgegen. Er legte seine Hand auf ihre Schulter und hielt sie ein wenig von sich ab, um sie besser betrachten zu können. Ihr Gesicht war eingefallen von Ermüdung und langer Aufregung, und ihr Haar fiel unordentlich über ihren Hals; aber in ihren Augen spiegelte sich eine Aufregung, welche über die Empfindungen des Körpers triumphirt zu haben schien.

»Was hat er gethan?« fragte Bernardo plötzlich, »sage mir Alles, wirf Deinen Stolz bei Seite – ich bin ja Dein Vater.«

»Es betrifft nicht mich,« sagte Romola hastig, »sondern Euch, theuerster Pathe. Ich habe Dinge gehört, die ich Euch nicht alle mittheilen kann; aber Ihr seid in Gefahr, hier im Palast und überall. Fanatische Menschen wollen Euch ein Leides zufügen, und – und es giebt auch Verräther. Trauet Niemandem, denn wenn Ihr vertraut, so werdet Ihr verrathen.«

Bernardo lächelte.

»Hast Du Dich deshalb so aufgeregt, mein armes Kind,« sagte er, seine Hand gegen ihr Haupt erhebend und dasselbe sanft streichelnd, »um so alte Wahrheiten einem so alten Manne wie mir zu erzählen?«

»O nein, nein! Das sind keine alten Wahrheiten, von denen ich spreche,« rief Romola, ihre gefalteten Hände angstvoll zusammenpressend, als ob diese Bewegung ihr behülflich sein sollte, das zu unterdrücken, was sie nicht sagen durfte – »es sind neue Dinge, die ich weiß, aber verschweigen muß, Theuerster Pathe, Ihr wißt, daß ich nicht kindisch bin. Ich würde nicht ohne guten Grund zu Euch kommen. Ist es zu spät, Euch vor Jedem zu warnen, der neben Euch thätig ist? Ist es zu spät zu sagen: geht auf Eure Villa und bleibt auf dem Lande, wenn diese drei Tage, während welcher Ihr Euer Amt noch bekleidet, verstrichen sind? O Gott, vielleicht ist es wirklich zu spät! und wenn Euch ein Unglück trifft, so ist es, als ob ich es verschuldet habe.«

Diese letzten Worte waren ihr unwillkürlich entwischt; eine lange verhaltene Empfindung hatte sich krampfhaft geäußert; sie selbst aber hielt erschrocken inne.

»Ich meine,« sagte sie zögernd, »ich weiß nichts Bestimmtes, sondern nur, was mich mit Angst erfüllt.«

»Armes Kind!« rief Bernardo, sie einige Augenblicke schweigend und ruhig forschend betrachtend; dann fuhr er fort: »Gehe nach Hause, Romola, und ruhe aus. Diese Angst wird nur ein häßlicher, schwarzer Schatten irgend einer sehr kleinen und harmlosen Begebenheit sein. Selbst Verräther müssen einen Vortheil für sich darin finden, wenn sie verrathen. Die Mäuse eilen dem Geruche des Käses nach, und noch weiß man nicht, von wannen dieser Geruch kommt.«

Er hielt inne und wandte seine Augen wie zerstreut ab; dann fügte er mit leichtem Achselzucken hinzu:

»Warnungen nützen bei mir nichts, mein Kind. Ich lasse mich in keine Verschwörungen ein, aber ich bin stets meiner Fahne treu geblieben. Wenn ich mit eigensinnigen Leuten, die sich auf Kanonen und Lanzen losstürzen, zusammen vorwärts gehe, so muß ich die Folgen tragen. Laß uns darüber nicht mehr sprechen. Ich habe nicht mehr viele Jahre, die sie mir rauben könnten, übrig. Gehe, mein Kind, gehe nach Hause und ruhe aus.«

Er legte nochmals seine Hand liebkosend auf ihr Haupt, und sie konnte nicht umhin, seinen Arm zu umklammern und ihre Stirn an seine Schulter zu pressen. Die Liebkosungen ihres Pathen schienen ihr wie die letzten Ueberbleibsel aus ihrem jugendlich kindlichen Leben, welches sie jetzt, selbst in seinen Trübsalen, so freundlich anblickte, denn diese Trübsale waren von nichts Hassenswürdigem befleckt.

»Ist Schweigen das Beste, liebe Romola?« fragte der Greis.

»Ja, jetzt; aber ich weiß nicht, ob es immer so sein wird,« antwortete sie zögernd, ihr Haupt mit flehenden Blicken emporrichtend.

»Nun gut, das Ohr eines Vaters steht Dir immer offen, so lange ich noch lebe,« hierbei hob er das schwarze Gewand empor, und faltete es um ihr Haupt, »und auch das Haus eines Vaters; vergiß das nicht!« Dann öffnete er die Thür mit den Worten: »So, jetzt entferne Dich rasch; Du siehst aus wie ein schwarzer Geist, und wirst sicher sein.«

Als Romola in dieser Nacht entschlief, that sie einen langen tiefen Schlaf. Die Aufregung hatte ihren höchsten Punkt erreicht; die Arme mußte Kräfte sammeln, ehe sie noch mehr dulden konnte, und trotz ihrer strengen Gewohnheit schlief sie bis lange nach Sonnenaufgang.

Als sie aufwachte, so geschah dies durch den Knall der Geschütze. Piero de' Medici war mit dreizehnhundert Mann an dem nach Rom führenden Thore.

So viel erfuhr Romola von Maso, nebst noch anderen ziemlich zweifelhaften Umständen. Ein Landmann war vor Tagesanbruch hereingekommen und hatte die Signoria benachrichtigt, sonst würde die Stadt überrumpelt worden sein. Maso's Herr war nicht zu Hause, sondern schon längst nach dem Palast geholt worden. Sie sandte den alten Mann nochmals fort, um Neuigkeiten zu sammeln, während sie von Zeit zu Zeit nach der Loggia ging, um zu sehen, ob der befürchtete Einbruch geschehen oder abgewehrt worden sei. Maso brachte ihr die Nachricht, daß die große Piazza von Bewaffneten wimmele, und daß viele der angesehensten Bürger, die man für Freunde der Medici hielt, nach dem Palaste vorgefordert und dort zurückbehalten worden wären. Einem Theile des Volkes schien wenig daran gelegen, ob Piero eingerückt sei oder nicht, und ein anderer Theil behauptete, daß die Signoria selbst ihn aufgefordert habe zu kommen; wie dem aber auch war, sie empfingen ihn mit einem garstigen Willkommen, und die Soldaten von Pisa marschirten gleichfalls gegen ihn.

In ihrer Erinnerung an diese Morgenstunden war nicht Vieles, was Romola als wirkliche, äußere, aus den wilden Wogen des Rückblicks und des Vorgefühls emportauchende Erscheinungen unterscheiden konnte. Sie wußte, daß sie wirklich zur bestimmten Zeit, trotz des Straßentumults, zur Badia gegangen war; sie wußte, daß sie dort vergeblich gewartet hatte. Der Auftritt, dem sie beiwohnte, als sie aus der Kirche kam und wartend auf der Treppe stand, während die Thüren zu der Nachmittagspause hinter ihr geschlossen wurden, kam ihr stets wie eine wache Erinnerung wieder in's Gedächtniß.

In den Zügen und Stimmen des bewaffneten und unbewaffneten, auf den Straßen stillstehenden oder sich herumtreibenden Volkes war eine große Veränderung sichtbar. Die Geschütze feuerten von Neuem, aber ihr Donner erregte nur Lachen. Sie erfuhr bald die Ursache dieser Veränderung. Piero de' Medici und seine Reiter hatten Florenz den Rücken gekehrt, und jagten, so schnell sie konnten, auf dem Wege nach Siena davon. Dies hörte sie von einem vermögenden, ladenbesitzenden Piagnone, der seine Lanze noch nicht abgelegt hatte.

»Es ist wahr,« so schloß er seine Rede mit einer gewissen Bitterkeit in seinem kräftigen Ausdruck, »Piero ist fort, aber die, welche um das Geheimniß seiner Ankunft wußten, sind hier zurückgeblieben. Das ist uns Allen wohlbekannt, und wenn die neue Signoria ihre Schuldigkeit thut, so werden wir bald erfahren, wer sie sind.«

Diese Worte durchzuckten Romola wie ein heftiger Krampf; aber das Uebel, welches sie andeuteten, war noch nicht unmittelbar in ihrer Nähe, und als sie wieder in ihr Haus trat, war ihre drückendste Besorgniß die Möglichkeit, daß sie Baldassarre für lange Zeit aus dem Gesicht verloren haben könnte.



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