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Zweiundfünfzigstes Capitel.
Eine Prophetin.


Die Begebenheiten dieses Carnevals schienen für Romola keine anderen persönlichen Folgen mit sich zu führen, als die neue Sorge, die arme Muhme Brigida bei ihrer schwankenden Ergebung in Alter und graue Haare zu ermuthigen; aber sie leiteten eine Fastenzeit ein, während welcher sie in höchster geistiger Erregung und angestrengter Thätigkeit lebte.

Bernardo del Nero war zum Gonfaloniere erwählt worden. Durch große Anstrengungen hatte die medicäische Partei diesen Triumph errungen, und dieser Triumph hatte Romola's Vorgefühl eines heimlich ausgesonnenen Planes, welcher wahrscheinlich während dieser zwei Monate der Amtswürde ihres Pathen gelingen oder fehlschlagen sollte, erhöht. An jedem Morgen schien das in ihr Zimmer hereinblickende matte Tageslicht für sie die Wiederkehr dieser ängstigenden Besorgniß zu sein. An jedem Morgen war, während sie zur Frühpredigt in den Dom ging, die Furcht ihre Begleiterin, und dort erst verlor sich die Empfindung der eisigen Nähe derselben, wie der Krieger die Todesfurcht in dem Getöse der Schlacht verliert.

Im Dome fühlte sie, daß sie an einem leidenschaftlichen Conflicte Theil nahm, der weitere Beziehungen als irgend ein anderer innerhalb der Mauern von Florenz hatte. Denn Savonarola predigte. Er predigte die letzten Fastenpredigten, die er überhaupt im Dome halten durfte, denn er wußte, daß der Bannstrahl über ihm schwebte, und er war auf dem Punkte angelangt, demselben Trotz zu bieten. Er zeigte den Zustand der Kirche in dem furchtbaren Spiegel seiner nichts scheuenden Rede, welche die Dinge bei ihrem rechten Namen nannte und sich nicht mit höflichen Umschreibungen aufhielt; er verkündete mit begeisterndem Vertrauen das Herannahen der Verjüngung, einer Periode, wo ein allgemeiner Aufstand gegen die Verderbniß stattfinden würde. Was sein eigenes Schicksal betraf, so schien er eine doppelte und abwechselnde Ahnung zu haben; manchmal sah er sich, einen glorreichen Antheil an diesem Aufstand nehmend und eine Stimme erschallen lassend, die von der ganzen Christenheit gehört wurde und den todten Körper der Kirche zu neuem Dasein erbeben machte, wie der Körper des Lazarus bebte, als die göttliche Stimme in sein Grab drang – manchmal aber sah er für sich nichts voraus, als Verfolgung und Martyrthum. Dieses Leben war ihm nur ein Vorabend, dessen Morgen ihm erst nach dem Tode anbrach.

Diese Lage mußte auf alle Gemüther, die nicht zu den abgestumpftesten gehörten, selbst wenn sie, wie Macchiavelli, geneigt waren, den Charakter des Mönchs durch einen Commentar zu deuten, der nichts von Erhabenheit in ihm voraussetzte, – einen tiefen Eindruck machen. Für Romola aber, deren verwandte Gluth ihr einen festen Glauben an Savonarola's wahrhafte Größe der Zwecke einflößte, war diese Krisis eben so aufregend, als ob dieselbe einen Theil ihres eigenen Schicksals ausgemacht hätte. Sie mischte sich wie eine begeisternde Erinnerung in alle ihre täglichen Beschäftigungen, und diese forderten nicht nur eine mühsame Ausdauer, sondern auch immer neuen Muth. Die Hungersnoth war noch nicht aus Florenz gewichen, und alles Elend wurde dadurch, daß es so lange Zeit anhielt, immer schwerer zu ertragen; Krankheiten brachen in der dichtbevölkerten Stadt aus, und man war auf die Pest gefaßt. Während Romola, oft voll Ermüdung, zwischen den Siechen, Hungernden und Unzufriedenen umherwandelte, fühlte sie, wie gut es war, von etwas noch Höherem als nur von Mitleiden angefeuert zu werden, nämlich von dem Glauben an einen Heldenmuth, der nach erhabenen Zwecken ringt, nach welchen die tägliche Ausübung ihres Mitleids kaum zu streben vermochte, wie der Thau, der heute den Boden mit Unkraut erfrischt, danach strebt, eine noch angesehene Ernte für das nächste Jahr vorzubereiten.

Aber diese gewaltige Musik, von welcher sie im Dome angeregt ward, war nicht ohne widrige Töne. Seit jenen ersten Tagen glühender Hoffnung, als der Mönch, der den nahen Triumph des Guten in der Reform der Republik aus der Ankunft des französischen Befreiers sah, Frieden, Liebe und das Vergessen aller politischen Zwistigkeiten gepredigt hatte, war ein großer Umschwung in den Verhältnissen eingetreten. Politische Intriguen hatten zu sehr das Feld behauptet, als daß von dem erwünschten Vergessen die Rede hätte sein können. Der Glaube an den Befreier, der seiner hohen Sendung den Rücken gekehrt hatte, schien nachtheilig gewirkt zu haben, und kleinliche wie großartige Feindseligkeiten griffen den Propheten mit neuen Waffen und neuer Entschlossenheit an. Es folgte hieraus, daß der Geist des Streites und der Selbstvertheidigung immer deutlicher in seinen Predigten hervortrat; daß er veranlaßt war, das Volksverlangen nicht nur durch vermehrte Einzelheiten und Beweise von Visionen und besonderen Enthüllungen zu befriedigen, sondern auch in einem Tone herausfordernden Selbstvertrauens Widersachern gegenüber; und nachdem er die Sucht nach dem Wunderbaren öffentlich bloßgestellt und erklärt hatte, daß Wunder nichts mit dem wahren Glauben gemein hätten, kam es dahin, daß er behauptete: im rechten Augenblicke würde die göttliche Macht die Wahrheit seiner prophetischen Predigten durch ein Wunder bekräftigen. Und fortwährend, in den raschen Uebergängen aufgeregter Empfindungen, als die Vision des triumphirenden Guten vor der augenblicklichen Herrschaft des Bösen in den Hintergrund trat, erhielten die Drohungen der nahenden Strafe für lasterhafte Tyrannen und verderbte Priester eine stürmische Gewalt durch persönliche Erbitterung und zürnenden Eifer. In der Laufbahn eines bedeutenden öffentlichen Redners, der sich der Begeisterung des Augenblicks überläßt, tritt dieser Conflict selbstischer und unselbstischer Gefühle, die bei den meisten Menschen in der tiefinnersten Seele verborgen liegen, in furchtbarer Klarheit hervor; die Sprache der inneren Stimme erscheint dann in flammenden Zügen.

Wenn aber diese Töne der Erbitterung Romola verletzten, erschienen sie einem andern Zuhörer Fra Girolamo's als die einzigen Klänge, die ihn zu durchbeben vermochten, wie der Klang der tiefen Baßnoten einen Tauben berührt. Baldassarre hatte erfahren, daß der wunderbare Mönch auf's Neue predigte, und er ging, so oft er konnte, wieder zu den Fastenpredigten, damit er die Drohungen einer Stimme, welche ihm wie eine auf der Seite des Rechts stehende Macht erschien, von Neuem zu hören bekäme. Er ging um so lieber, als er bemerkt hatte, daß auch Romola sich dort befand; denn er wachte, und wartete die Zeit ab, wenn nicht nur äußere Umstände, sondern auch sein veränderlicher geistiger Zustand den rechten Augenblick angeben würden, um eine Zusammenkunft mit ihr zu suchen. Zweimal hatte Romola sein Angesicht erblickt – einmal als sein finsteres Auge auf sie gerichtet war. Sie wünschte seinem Blicke nicht wieder zu begegnen, und doch war der ihrige beständig auf ihn gerichtet, wie der Mensch nicht umhin kann, nach dem Wiederauftauchen einer schrecklichen Erscheinung zu sehen.

Die aufregende Fastenzeit war vorüber; der April, der zweite und letzte Monat, in welchem ihr Pathe seine hohe Stellung bekleidete, war seinem Ende nahe, und nichts hatte sich ereignet, was ihre Ahnung zur Wahrheit zu machen schien. Auch in der öffentlichen Stimmung waren Befürchtungen vorhanden gewesen, und von Rom waren Nachrichten über eine bedrohliche Thätigkeit der Partei Piero de' Medici's eingelaufen; allein in wenigen Tagen mußte ja der beargwöhnte Bernardo del Nero seine Gewalt niederlegen. Romola versuchte Muth zu fassen, indem sie ihre leeren Befürchtungen überblickte, als am siebenundzwanzigsten des Monats, indem sie Nachmittags auf ihren gewöhnlichen Wanderungen der Wohlthätigkeit begriffen war, ein Bote Camilla Rucellai's, der vorzüglichsten unter den florentinischen Seherinnen, sie aufsuchte, mit der Bitte, zu dieser zu kommen, da es eine Sache von der höchsten Wichtigkeit beträfe. Romola, welche einen unbesiegbaren Widerwillen gegen die grelle Reizbarkeit dieser erleuchteten Frauen im Allgemeinen, jetzt aber ganz besonders gegen Camilla hegte, weil diese mehre Bernardo del Nero ungünstige Enthüllungen angekündigt hatte, fühlte sich zuerst versucht, diese Einladung rundweg abzuschlagen. Camilla's Botschaft konnte sich auf öffentliche Angelegenheiten beziehen, und Romola's nächste Eingebung war: ihr Ohr vor jeder Kunde zu verschließen, welche ihre geistige Bürde noch schwerer machen konnte. Es war ihr aber so ganz und gar zur Gewohnheit geworden, ihren unmittelbaren Entschlüssen zu widerstehen und dem äußern Antriebe zu gehorchen, daß sie, sich selbst Vorwürfe darüber machend, daß ihre Ahnungen sie zu Feigheit und Egoismus vermochten, endlich nachgab und geraden Weges zu Camilla ging. Sie traf die nervöse, grauhaarige Frau in einem, so viel wie möglich einer Klosterzelle ähnlich eingerichteten Zimmer. Die dünnen Finger, welche Romola faßten, als sie sich setzte, und die schrille Stimme, welche anfangs in einem lauten Flüstern zu ihr sprach, brachten in ihr einen körperlichen Schauder hervor, welcher es ihr erschwerte, auf ihrem Sessel auszuhalten.

Camilla hatte ihr eine Vision mitzutheilen – in welcher Romola's Engel ihr geoffenbart hatte, daß Romola gewisse, ihren Pathen Bernardo del Nero betreffende Geheimnisse wisse, welche, wenn sie dieselben verrathen wolle, die Republik vor drohender Gefahr erretten könnten. Camilla erhob ihre Stimme immer lauter und lauter, während sie ihre Erscheinung erzählte, und schloß damit, daß sie Romola ermahnte, dem Gebote ihres Engels zu gehorchen, und sich von dem Feinde Gottes loszusagen.

Romola's Ungestüm war das einer festen Natur, und ihr Benehmen war, ausgenommen in Augenblicken, wenn sie tief erregt wurde, ruhig und voll Selbstbeherrschung. Sie hatte einen angeborenen Ekel vor der eitlen Erregbarkeit der Frauen, wie Camilla eine war, deren gesammte Fähigkeiten in Phantasieen verbraucht wurden, so daß nichts für Geist und Gemüth übrig blieb. Die Aufforderung war noch nicht beendet, als sie aufsprang und versuchte, ihren Arm aus der immer stärkeren Umklammerung Camilla's loszuwinden,– aber vergeblich. Die Prophetin hielt fest wie ein Krebs und wurde, durch Romola's Widerstand zu noch eifrigeren Anmahnungen angefeuert, unwillkürlich zu einem wilden Bericht anderer Visionen hingerissen, welche diese letztere bestätigen sollten. Christus selbst war ihr erschienen und hatte ihr aufgetragen, seine Befehle gewissen Bürgern im Amt zuzustellen, daß sie Bernardo del Nero aus den Fenstern des Palazzo vecchio werfen sollten. Fra Girolamo selbst wußte darum und hatte es diesmal nicht gewagt zu sagen, daß die Vision nicht von Gott herkomme.

»Und nachher,« rief Camilla in ihrem scharfen Discant, mit wilden Augen auf Romola stierend, »ist das Jesuskindlein zu mir gekommen und hat mir die Oblate der Süßigkeit auf meine Zunge gelegt, zum Zeichen der Zufriedenheit, daß ich seinen Willen gethan hatte.«

»Laßt mich gehen!« rief Romola, in den tiefsten Tönen des Zorns, »Gott gebe, daß Ihr toll seid, sonst wäret Ihr eine abscheulich schlechte Person.« Die Gewalt ihrer Anstrengung, sich zu befreien, war diesmal für Camilla zu stark. Sie riß ihren Arm los, stürzte aus dem Zimmer und hielt nicht eher inne, bis sie fern auf der Straße war und sich dicht neben der Kirche della Badia befand. Sie brauchte nur hinter den Vorhang unter dem alten steinernen Bogen zu treten, und sie war sicher, ein Heiligthum zu finden, abgeschieden vom Geräusch und Gedränge der Straße, wo alle Gegenstände und Ceremonien Gedanken an den ewigen, inmitten des Weltgetümmels herrschenden Frieden hervorriefen. Sie trat ein, und auf den Altarstufen vor Filippino Lippi's milder, dem heiligen Bernhard erscheinenden Jungfrau niedersinkend, harrte sie, daß der innere Tumult, der sie bewegte, sich bald legen würde.

Der Gedanke, welcher sie am tiefsten beunruhigte war der, daß Camilla Savonarola's Unterstützung ihrer boshaften Thorheit anführen konnte. Romola glaubte auch nicht einen Augenblick, daß er das Hinauswerfen Bernardo del Nero's aus dem Fenster als eine göttliche Eingebung gutgeheißen hatte; sie war überzeugt, daß eine Lüge oder ein Mißverständniß dieser Behauptung zu Grunde läge. Savonarola war freilich in seinen Ansichten über den Widerstand, den man Unzufriedenen leisten müsse, immer strenger und strenger geworden, aber alle seine politischen Lehren ruhten auf den Grundsätzen von Recht und Ordnung. Warum aber, da er doch die möglicherweise verhängnißvollen Wirkungen von Visionen, gleich denen Camilla's, kannte, da er ein deutlich ausgesprochenes Mißtrauen in solche geistersehende Frauenzimmer setzte, und sich so weit wie möglich von ihnen fern hielt, sprach er, der stets bereit war, das Unrecht von der Kanzel herab zu verfolgen, nicht gegen diese angeblichen Offenbarungen, welche neue Finsterniß statt Licht über das Verständniß des göttlichen Willens ergossen? Warum nicht? Die Antwort auf diese Frage zeigte sich ihr in peinlicher Klarheit; er ward in seinem Herzen von dem Bewußtsein gefesselt, daß dergleichen Offenbarungen in ihrer Grundlage nicht gar so sehr von seinen eigenen Visionen verschieden waren; und äußerlich wurde er durch die voraussichtliche Folge gefesselt, selbst seine Parteigänger ein Geschrei gegen ihn erheben zu hören, als wie gegen Jemand, der alle göttliche Inspiration, die nicht durch ihn käme, unterdrücken möchte – er oder sein vertrauter und ihn ergänzender Visionenseher Fra Salvestro.

Romola, das Gesicht auf den Altarstufen begrabend, erlebte jetzt einen der, alle Kraft raubenden Augenblicke, in denen der Enthusiasmus, der sich ihrer als die einzige, dem Leben einen Werth zu verleihen fähige Kraft bemeistert hatte, unausweichlich mit leeren Räumen und absichtlicher Selbstverblendung verbunden zu sein schien. Ihr Geist kehrte mit neuer Vorliebe zu dem ausgesprochenen weltlichen Sinn, der würdevollen Klugheit, den nicht nur theoretischen Tugenden ihres Pathen zurück, den man wie einen zweiten Hagag behandeln wollte, weil er glaubte, daß eine begränztere Regierungsform besser sei, als der Große Rath, und weil er die alte Anhänglichkeit an die verbannte Familie nicht vergessen wollte. Bei diesem letzteren Gedanken erhob sich vor ihrer Seele die Vorahnung eines Anschlags, die Medici von Neuem einzusetzen, und sie fühlte wieder, daß die Volkspartei in ihrem zornigen Verdacht halb und halb gerechtfertigt sei. Sie fühlte auch, daß es eine geheiligte Sache sei, die Regierung von Florenz rein und eine lasterhafte Staatsverwaltung fern zu halten; darin hatte der Mönch recht, und ihr Verstand stand unwiderruflich auf seiner Seite. In diesem Augenblicke aber stand die Zustimmung ihres Verstandes vereinsamt, sie ward mit Widerwillen ertheilt. Ihr Herz wollte nichts von einem mit so vieler Kleinlichkeit verbundenen Rechte wissen – von einem Rechte, das augenscheinlich jene harte, systematische Beurteilung der Menschen aufstellt, welche sie nach Zustimmung oder Ablehnung mißt, die für die in ihnen liegende Mannheit ganz oberflächlich sind. Ihre Liebe und Achtung klammerten sich mit neuer Kraft an ihren Pathen, und zugleich mit diesem an jene Erinnerungen an ihren Vater, welche eben so gegen jene Eintheilung der Menschen in Schafe und Ziegen durch irgend Zeichen eines politischen oder religiösen Symbols eiferten.

Nachdem Alles gesagt ist, was über den um sich greifenden Einfluß von Gedanken gesagt werden kann, so bleibt es eine Wahrheit, daß dieselben schwerlich so stark wirkende Mittel sein möchten, wenn sie nicht in einer Gefühlsauflösung eingenommen würden. Der große Weltkampf entwickelnder Gedanken wird stets durch den Kampf des Gemüths, das eine Rechtfertigung für Liebe und Hoffnung sucht, vorher angedeutet. Wäre Romola's Verstand minder fähig gewesen, die Verwickelungen in menschlichen Dingen zu begreifen, so würden alle die früheren liebenden Verbindungen ihres Lebens sie verhindert haben, blindlings die drohende Ausschließlichkeit Savonarola's anzunehmen. Sie hatte ganz einfach gefühlt, daß sein Geist ihr eine tiefere und wirksamere Wahrheit eingegeben hatte, als sonst Jemand es vermocht hatte, und der weite Ruheplatz, den sie in seiner großartigen Ansicht von Menschenpflichten fand, hatte sie nachsichtig gegen den Theil seiner Lehre gemacht, der ihr ungenießbar war, so lange dessen praktische Wirkung mit keiner starken in ihr liegenden Kraft in feindliche Berührung kam. Diese feindliche Berührung war jetzt aber durch eine plötzliche Gefühlsempörung bewirkt worden. Ihre einmal durch Camilla's Gesichte hervorgerufene Entrüstung blieb nicht dabei stehen, sondern fuhr wie ein anhaltendes Feuer über alle ähnliche Thatsachen in Savonarola's Lehre, und für den Augenblick fühlte sie tiefer, was Wahres in dem verächtlichen Hohne,der fortwährend über ihn ausgegossen ward, lag, als was Unwahres in demselben enthalten war.

Dieses war aber eine Helle, die ihr das ganze Leben schrecklich erscheinen ließ. An welche Wesen konnte sie sich jetzt anschließen? mit wem sollte sie wirken und tragen in dem Glauben, daß sie für das Recht wirke? Auf der Seite, von welcher die sittliche Kraft kam, lag ein Fanatismus, vor dem sie mit neuerwachtem Widerwillen zurückschrak. Auf der Seite, zu welcher sie Liebe und Erinnerung zogen, lauerte die Ahnung eines geheimen Complottirens, welches, wie ihre Urteilskraft ihr sagte, nicht mit Unrecht ein Verbrechen genannt werden konnte. Und jeden anderen Gedanken überragend war die von Tito erweckte Furcht, daß diese Ahnung in eine, sie durch unvereinbare Ansprüche zerreißende Kenntniß der Sachen verwandelt werden könne.

Selbst am Fuße des Altars fand sie die Ruhe nicht; sie fand sie selbst nicht, indem sie auf das freundliche Gemälde blickte, auf welchem der Heilige, in der felsigen Oede schreibend, von Gestalten voll himmlischen Friedens besucht wurde. Romola befand sich unter dem harten Drucke irdisch-schwieriger Verhältnisse, und jene Felseneinsamkeit war zu weit entfernt. Sie erhob sich, um ihre Kranken im Hofraume zu besuchen, und durch irgend eine unmittelbare wohlthätige Handlung jene Empfindung des Lebenswerkes wieder zu erwecken, welche in diesem Augenblicke von keinem umfassenderen Glauben genährt wurde. Als sie sich aber umwendete, befand sie sich einem Manne gegenüber, der nur wenige Schritte von ihr entfernt stand. Der Mann war Baldassarre.



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