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Neununddreißigstes Capitel.
Eine Abendmahlzeit im Park Rucellai's.


Tito erkannte, indem er in den schönen Pavillon trat, mit schnellem Blicke an der Wahl der Gäste, daß seine Muthmaßung die richtige gewesen, nämlich daß der Zweck der Versammlung ein politischer, vielleicht aber kein anderer als die Stärkung der Partei durch gute Kameradschaft herbeiführen sollender, war. Leckere Gerichte und gute Weine erhöhten nach den Begriffen der damaligen Zeit, das Bewußtsein politischer Vorzüglichkeit, und in der begeisterungsvollen Behaglichkeit einer Abendtischunterhaltung bestimmte man, wie es allgemein hieß, seine Meinung mit einer, uneingeladenen Mägen ganz unerreichbaren Klarheit. Die Florentiner waren ein mäßiges und nüchternes Völkchen; aber wo Menschen Reichthümer gesammelt haben, werden auch Madonna della Gozzoviglia und San Buonvino verehrt, und die Rucellai gehörten zu den wenigen florentinischen Familien, welche eine reichbesetzte Tafel führten und in Freuden lebten. Es war unwahrscheinlich, daß an diesem Abend ein Versuch angestellt werden würde, hohe philosophische Theorieen in Anwendung zu bringen; und man konnte nichts dagegen einzuwenden haben, daß die Büste Plato's zuschaute, oder selbst daß die Cardinaltugenden sich bescheiden in Frescogemälden an der Wand zeigten.

Diese Büste Plato's hatte lange Zeit dazu gedient, auf Gelage mehr transcendentaler Art herniederzublicken, denn sie war nach Lorenzo's Tode aus seiner Villa hierhergebracht worden, als man die Versammlungen der platonischen Akademie in diesen Park verlegte. Besonders an jedem dreizehnten November, dem angeblichen Todestag Plato's, hatte sie, mit Lorbeer bekränzt, eine ausgewählte Gesellschaft von Gelehrten und Philosophen gesehen, welche zusammenkamen, um mäßig zu essen und zu trinken, und um – vielleicht nicht ganz so mäßig – die Lehren des großen Meisters zu besprechen und zu bewundern. Diese Büste hatte herniedergesehen auf Pico della Mirandola, einst einen jugendlichen genialen Don Quixote, mit langen Locken, über seine eigenen Talente erstaunt, und Rom mit unrechtgläubigen Lehrsätzen in Erstaunen setzend; dann einen einfacheren Gelehrten, mit einer verzehrenden Leidenschaft für innere Vervollkommnung, und der endlich dahin gelangt war, das Weltall erstaunlicher zu finden, als seine eigenen Talente. Sie hatte herabgeschaut auf den harmlosen ämsigen Marsilio Ficino, der schon in seiner Jugend auserlesen war in der platonischen Philosophie großgezogen zu werden, und sich vom Platonismus in allen dessen Phasen nährte, bis sein Geist von dieser zu ausschließlichen Diät doch etwas gar zu breiartig wurde. Sie hatte herabgeblickt auf Angelo Poliziano, das literarische Hauptgenie seiner Zeit, einen geborenen Dichter und gelehrt, ohne schwerfällig zu sein, dessen Phrasen Blut in sich hatten und noch fortleben. Sie hatte, wenn wir noch weiter zurückgehen wollen, auf einen Leon Battista Alberti herabgeblickt, der ein ehrwürdiger Alter war, als jene eben genannten Drei noch in ihrer Jugendblüthe standen, von einem großartigeren Typus als sie, ein kräftiger Universalgeist, praktisch und theoretisch zugleich, ein Mann der Wissenschaft, Erfinder und Dichter – und auf noch viele andere rüstige Arbeiter, deren Namen nicht eingetragen sind, wo wir jeden Tag ein Blatt aufschlagen können, sie zu lesen, deren Werke aber einen, wenn auch ungekannten Theil unserer Erbschaft bilden, gleichwie die Arbeit des Pflügens und Säens vergangener Geschlechter.

Bernardo Rucellai war der Mann, eine hervorragende Stellung in dieser Akademie einzunehmen, noch ehe er ihr Wirth und Gönner wurde. Er war noch in seinem besten Alter, etwa vierundvierzig Jahre, mit einem etwas stolzen, vorsichtig würdevollen Wesen, sich einer erstaunlich reinen Latinität bewußt, aber wie Erasmus sagt, niemals darüber ertappt gewesen Latein zu sprechen – selbst der tüchtigste Teutone war nicht im Stande, ihm ein Wörtchen Latein zu entlocken. Er begrüßte Tito mit mehr als gewöhnlich hervortretender Freundlichkeit, und wies ihm einen Platz zwischen Lorenzo Tornabuoni und Gianozzo Pucci, zwei ausgezeichneten jüngeren Mitgliedern der medicäischen Partei, an.

Natürlich war die Unterhaltung die leichteste in der Welt, während die mit wohlriechendem Wasser gefüllte Messingschale umherging, damit die Gesellschaft ihre Hände waschen konnte, und Ringe glänzten beim Scheine der Wachskerzen auf weißen Fingern, und der frische, erst vor Kurzem aus Frankreich gekommene Damast verbreitete einen angenehmen Duft. Der Ton der Bemerkungen war damals allgemein in der Mode. Einer fragte, was Dante's Florentiner von altem Schrot und Korn wol sagen würde, wenn er wieder unter seinem Ledergurt und den knöchernen Spangen Leben bekommen und silberne Gabeln auf dem Tische sehen könnte? Und man kam allgemein dahin überein, daß die Gebräuche der Nachwelt die Vorfahren gewaltig in Erstaunen setzen würden, wenn diese nur im Stande wären sie kennen zu lernen. Während die silbernen Gabeln eben mit den appetitreizenden Delicatessen tändelten, welche den gewichtigeren Theil des Abendmahls (wie z. B. Leber, die so vortrefflich gekocht war, daß sie im Munde zerging) einleiteten, war Zeit genug übrig, die Dessins auf den emaillirten Mittelplatten des Messinggeschirrs zu bewundern, und wie gewöhnlich etwas über die Silberschüssel für confetti – ein Meisterstück Antonio Pollajuolo's, den seine päpstlichen Gönner von seiner Vaterstadt Florenz nach dem prunkvolleren Rom gelockt hatten – zu sagen.

»Aha, ich erinnere mich,« sprach Niccolo Ridolfi, ein Mann in mittleren Jahren, mit jener nachlässigen Leichtigkeit, welche, indem sie nichts zu fordern scheint, doch auf dem lebenslangen Bewußtsein einer hohen Stellung beruht, »ich erinnere mich, daß unser Antonio beim Ciseliren und Emailliren dieser Metallarbeiten ärgerlich wurde, und in einem Anfall von Wuth sich auf die Malerei warf, weil, wie er sagte, der Künstler, der seine Arbeit in Gold und Silber macht, sein Gehirn in den Schmelztigel wirft.«

»Und diese Ahnung Antonio's scheint nicht ganz unrichtig zu sein,« bemerkte Gianozzo Pucci, »wenn dieser allerliebste Krieg mit Pisa fortdauert, und der Aufruhr sich nicht nur ein wenig über unsere anderen Städte verbreitet, so ist es nicht allein unser Silbergeräth, das sich auf den Weg machen wird, ich bin überzeugt, daß Antonio's silberne Heilige um den Altar von San Giovanni eines schönen Tages vor den Augen der Gläubigen verschwunden sein, und noch viel andächtiger in der Gestalt von Münzen angebetet werden.«

»Der Mönch bereitet uns schon darauf vor,« sagte Tornabuoni, »er belehrt das Volk, daß Gott keine silbernen Crucifixe und verhungernde Mägen haben will, und daß die Kirche am passendsten mit den Edelsteinen der Frömmigkeit und dem feinen Golde der brüderlichen Liebe geschmückt wird.«

»Eine sehr nützliche Lehre für Kriegsfinanzen, wie so mancher Condottiere schon gefunden hat,« sagte Bernardo Rucellai trocken, »aber die Politik kommt erst nach den confetti, Lorenzo, wenn wir Wein genug zu trinken haben, um sie hinunterzuspülen, denn sie ist eine zu derbe Kost, um mit Gesottenem und Gebratenem genossen zu werden«

»So ist es,« erwiderte Niccolo Ridolfi, »unser Luigi Pulci würde gesagt haben: dieses delicat gekochte Zicklein muß mit unparteiischem Sinn gegessen werden. Ich erinnere mich, daß Luigi eines Tages, als er in seiner geschwätzigen Laune war, in Careggi behauptete, daß nichts den Gaumen so sehr verderbe, wie Meinung.« ›Meinung,‹ sagte er, ›afficirt den Speichel, darum nehmen die Menschen ihre Zuflucht zum Pfeffer. Der Skepticismus ist die einzige Philosophie, welche keinen Geschmack im Munde macht.‹ ›Da seid Ihr aber,‹ entgegnete unser arme Lorenzo de' Medici, ›gewaltig im Irrthum. Da ist dieser ächte Skeptiker, Matteo Franco, der schärfere Saucen verlangt, als irgend Einer von uns.‹ – ›Ja, weil er eine große Meinung von sich selbst hat,‹ polterte Luigi heraus, ›was das ursprüngliche Ei aller anderen Meinungen ist. Er ein Skeptiker? Er glaubt an die Unsterblichkeit seiner eigenen Verse. Er ist eben solch ein Logiker, wie jener Predigermönch, der das Pflaster des bodenlosen Pfuhls beschrieb.‹ – Der arme Luigi, sein Geist war wie der schärfste Stahl, der nichts berühren kann, ohne zu schneiden.«

»Und dennoch,« bemerkte Gianozzo Pucci, »ein gutmüthiger Charakter; sein Geschwätz kommt mir vor wie Seifenblasen. In welche Dithyramben ergoß er sich über Essen und Trinken! und doch war er so mäßig wie ein Schmetterling.«

Das leichte Gespräch und die schweren Speisen waren noch lange nicht zu Ende, denn nach dem Gebratenen und Gesottenen kamen die unvermeidlichen Kapaunen und das Wildpret und, als Krone des wohlgedeckten Tisches, ein nach dem von Apicius zum Bereiten der Rebhühner gegebenen Recepte gekochter Pfau, nämlich: mit seinen Federn, aber nicht nachher gerupft, wie jener große Gewährsmann hinsichtlich seiner Rebhühner vorschreibt, sondern im Gegentheil so aufgetragen, daß er so viel wie möglich einem lebendigen, seine ungekochte Ruhe behauptenden Pfau gleichsah. Eine große Geschicklichkeit wurde von dem vertrauten Diener verlangt, der der officielle Vorschneider war, um den classischen aber faden Vogel auf den Rücken zu legen und die gerupfte Brust, von welcher er jedem der ehrenwerthen Gesellschaft eine Schnitte vorzulegen hatte, den Blicken auszusetzen, wenn nicht irgend ein Gast so unabhängigen Charakters war, daß er die kostbare Zähigkeit ausschlug und die gemeine Verdaulichkeit eines Kapauns vorzog.

Kaum Einer hatte diese Kühnheit. Tito citirte den Horaz und vertheilte seine Schnitte in kleinen Fragmenten über den Teller; Bernardo Rucellai machte eine gelehrte Bemerkung über die alten Preise von Pfaueneiern, beanspruchte aber keinesweges seine Schnitte zu essen; Niccolo Ridolfi aber hielt einen Bissen auf der Gabel, während er eine Lieblingsgeschichte Luigi Pulci's erzählte, nämlich von einem Manne in Siena, der, um ein glänzendes Mahl mit geringen Kosten zu geben, eine wilde Gans kaufte, ihr Schnabel und Schwimmfüße abschnitt und sie mit den Federn kochen ließ, um sie für eine Pfauhenne auszugeben.

Es wurde in der That auch sehr wenig Pfau gegessen, aber man hatte die Befriedigung, an einer Tafel zu sitzen, an der Pfau auf eine bemerkenswerthe Art aufgetragen wurde, und zu wissen, daß solche Einfälle nur denen zu Gute kommen konnten, welche mit den allerreichsten Leuten zusammen zu Abend aßen. Es wäre auch vermessen gewesen, von Pfauenfleisch oder irgend einem andern ehrwürdigen Herkommen, zu einer Zeit, wo Fra Girolamo die beunruhigende Lehre verkündete, daß es nicht die Pflicht der Reichen sei, verschwenderisch zu sein der Armen wegen, geringschätzig zu sprechen.

Inzwischen wanderte der einsame, verstoßene Mann in dem kalten Dunkel, welches diesen Mittelpunkt von Wärme, Licht und kräftigen Wohlgerüchen umgab, in nach und nach immer enger werdenden Kreisen umher. Er stand von Zeit zu Zeit zwischen den Bäumen still und blickte in die Fenster, welche sich glänzend gegen die Dunkelheit abmalten. Er konnte das Lachen hören, er konnte Tito sehen, wie dieser mit sorgloser Anmuth sich bewegte, er konnte seine Stimme bald vereinzelt, bald sich in das heitere Durcheinander hin und her schallender Reden mischend, hören. Baldassarre's Geist war auf das äußerste angespannt. Er bereitete sich auf den Augenblick vor, wo er in diese glänzende Gesellschaft eintreten konnte, und er fühlte eine barbarische Freude beim Anblicke von Tito's ungezwungener Fröhlichkeit, welche das ahnungslose Opfer zu einer nur desto wirksameren Folter vorzubereiten schien.

Aber die Männer, welche um die Armleuchter und blinkenden Becher umhersaßen, konnten unmöglich etwas von dem bleichen wilden Antlitz wissen, das sie von draußen beobachtete. Das Licht kann eben so gut wie das Dunkel als Vorhang dienen.

Die Unterhaltung wurde immer lebhafter, je weniger unzusammenhängend und alltäglich sie sich gestaltete. Der Bürgersinn drängte sich damals sogar den Gleichgültigsten auf. Was der Alle beherrschende Fra Girolamo sagte und wozu er antrieb, beherrschte auch in der That die Gedanken aller Tischgenossen, und noch ehe der geschmorte Fisch abgetragen und das Confect servirt war, drehte sich das Gespräch hauptsächlich um ihn und wurde, trotz Rucellai's früherem Verbot, wieder politisch. Zuerst und während die Dienerschaft noch zugegen war, erging man sich nur in Stadtklatsch: was an diesem ersten Tage der Wahlen zum großen Rath im Palast geschehen war, wie heftig und herrschsüchtig Francesco Valori sich benahm, als ob Alles, seiner strengen Tugend zu Liebe, nach seinem Kopfe gehen müßte, und wie es Jedermann, der Soderini's Reden zu Gunsten des großen Raths und die Predigten des Mönchs gehört hatte, klar geworden sei, daß Beide in einem und denselben Trog gebacken wären.

»Meine Meinung,« sagte Niccolo Ridolfi, »ist, daß der Mönch einen größeren Kopf für öffentliche Angelegenheiten hat, als Soderini oder ein anderer von diesen Heulern. Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß er eher aus Soderini, als daß dieser aus ihm spricht.«

»Nein, Niccolo,« entgegnete Bernardo Rucellai, »darin bin ich gar nicht Eurer Meinung; der Mönch hat einen klaren Geist und sieht sehr wohl, was in seinen Kram paßt; aber es ist nicht wahrscheinlich, daß Pagolantonio Soderini, der eine langjährige Geschäftserfahrung besitzt und hauptsächlich die venetianischen Rechtsangelegenheiten studirt hat, einem Mönch Ideen dieser Art verdanken sollte. Nein, nein! Soderini ladet das Geschütz, obgleich ich Euch gern einräume, daß Fra Girolamo das Pulver herbeischafft und die Lunte anzündet. Er ist der Herr des Volkes, und das Volk wird unser Herr. So stehen die Sachen!«

»Nun gut!« rief Lorenzo Tornabuoni, sobald die Diener das Zimmer verlassen hatten und nur noch der Wein vor den Gästen stand, »ob Soderini etwas verdankt oder nicht, jedenfalls verdanken wir dem Mönch die allgemeine Amnestie, welche zugleich mit dem Vorschlage wegen des Raths durchgegangen ist. Wir hätten recht gut bestehen können, auch ohne daß die Gottesfurcht und die Sittenreform mit einer Stimmenmehrheit vermittelst schwarzer Bohnen angenommen wurden, aber der ausgezeichnete Vorschlag, daß unsere medicäischen Köpfe unbehelligt auf unseren Schultern bleiben konnten, und daß wir nicht genöthigt waren, unser Vermögen als Strafgeld hinzugeben, hat meinen lebhaftesten Beifall, und ich bin fest überzeugt, daß nur die Gewalt des Mönches dieses Alles zuwege zu bringen vermochte. Ihr könnt Euch auch darauf verlassen, daß Fra Girolamo, was die Beförderung des Friedens betrifft, so fest wie ein Fels ist. Ich habe eine Unterredung mit ihm gehabt.«

Ein Gemurmel des Erstaunens und der Neugier erhob sich am unteren Ende der Tafel, aber Bernardo Rucellai nickte, als wisse er, was Tornabuoni sagen wolle, und als wünsche er, daß Jener fortfahren möge.

»Ja,« sprach Tornabuoni weiter, »ich bin mit einer Zusammenkunft in der Zelle des Mönchs beehrt worden, was, wie ich Euch versichern kann, keine geringe Begünstigung ist, denn ich habe Ursache anzunehmen, daß sogar Francesco Valori ihn selten unter vier Augen sieht. Ich glaube indeß, daß er mich um so lieber empfing, als ich kein ausgemachter Anhänger von ihm war, sondern erst bekehrt werden mußte; anderntheils sehe ich sehr gut ein, daß die einzige gesunde und sichere Politik für uns Medicäer die ist, unsere Macht in die Wagschale der Partei des Mönchs zu werfen. Wir sind nicht stark genug, selbstständig dazustehen, und wenn der Mönch und die Volkspartei fallen, so weiß Jeder, der mich jetzt hört recht gut, welche Partei dann die Oberhand gewinnen würde; ich meine die Nerli, Alberti, Pazzi und die übrigen Arrabbiati (Terroristen) – wie sie neulich Jemand betitelte – welche, statt uns eine Amnestie zu gewähren, wie tolle Hunde uns bei der Kehle packen und sich nicht eher zufrieden geben würden, bis die Hälfte von uns verbannt worden ist.«

Laute zustimmende Ausrufungen ließen sich bei dieser letzteren Behauptung Tornabuoni's hören, als er innehielt und umherblickte.

»Weise Verstellung,« fuhr er fort »ist das einzige Mittel für vernünftige Menschen in den Zeiten, wo heftige Parteigefühle vorherrschen. Ich brauche den anwesenden Gästen wol kaum meine wirklichen politischen Neigungen mitzutheilen; ich bin nicht der einzige hier Gegenwärtige, welcher in engen persönlichen Verbindungen mit den verbannten Familien steht, aber von diesen persönlichen Banden abgesehen, stimme ich darin mit meinen erfahreneren Freunden, die mir gestatten in ihrer Anwesenheit für sie das Wort zu nehmen, überein, daß der einzige dauernde und friedliche Zustand für Florenz die Oberherrschaft eines einzelnen Familieninteresses ist. Die Theorie des Mönchs, daß wir eine Volksregierung haben müssen, unter der Jedermann für das allgemeine Beste streben muß und keine Parteinamen kennen darf, mag für irgend eine, noch von Cristoforo Colombo zu entdeckende Insel, nicht aber für unser schönes, altes, hadersüchtiges Florenz passen. Es kann nicht lange dauern, bis ein Wechsel eintritt, und wir haben alle Aussicht, mit Geduld und Vorsicht diesen Wechsel zu unseren Gunsten herbeizuführen. Inzwischen ist das Beste, was wir thun können, die Fahne des Mönchs hoch zu halten, denn wenn jetzt eine andere aufgezogen würde, so könnte es für uns nur eine schwarze sein.«

»Wahr ist's,« sagte Niccolo Ridolfi kurz und entscheidend, »was Ihr da sagt, Lorenzo, ist vollkommen wahr. Was mich betrifft, so bin ich zu alt, als daß Jemand glauben sollte, ich hätte mein Gefieder geändert, und es sind Einige unter uns, wie z. B. unser alter Bernardo del Nero, die Ihr niemals überreden könntet, eines Anderen Schild zu borgen. Wir können aber still liegen, wie schläfrige alte Hunde, und es ist ganz offenbar, daß uns das Bellen jetzt zu gar nichts helfen würde. Was die psalmensingende Partei betrifft, welche nur für die Verherrlichung Gottes stimmen und uns einreden wollen, daß wir Alle einander lieben können, und die da reden, als ob das Laster von den acht Magnifici mit einem Besen ausgekehrt werden könne, so wird ihr Tag nicht lange dauern. Trotz allen Geschwätzes der Gelehrten gibt es nur zwei Arten von Regierung; eine, wo die Leute einander die Zähne zeigen, und eine, wo sie ihre Zungen zeigen und die Füße des Mächtigsten küssen. Morgen werden sie ihren Großen Rath endgültig ernennen, das ist gewiß, und glauben eine neue Regierungsform gefunden zu haben, aber so gewiß wie unter jedem Talar im Rath Menschenhaut steckt, so gewiß wird ihre neue Form wie jede andere enden mit Anknurren oder mit Speichellecken. Das ist meine Ansicht, die eines einfachen Mannes, von der ganzen Sache. Nicht etwa, als ob ich es für Männer von Geburt und Ansehen, auf deren Beständigkeit und Parteitreue Andere sich verlassen, für schicklich halte, mit einem feinen Netze auf die Jagd zu gehen, um Gründe in der Luft zu fangen, wie Advocaten – aber ich sage es ganz offen, als Haupt meiner Familie: ich werde meinen alten Verbindungen treu bleiben und habe noch niemals ein Kreidezeichen auf politischen Gründen gesehen, welches mir gesagt hätte,was wahr oder falsch ist. Mein Freund Bernardo Rucellai hier ist, wie ich weiß, ein Mann der Gründe, und ich habe nichts dagegen, wenn Jemand fein ausgesonnene Gründe für mich auffindet, nur dürfen sie nicht gegen meine Handlungen, als Mann von Familie, der seinen Verbindungen die Treue bewahren muß, streiten.«

»Wenn sich diese Aeußerungen an mich richten Niccolo,« entgegnete Bernardo Rucellai mit angenommener Würde, welche auf eine komische Art gegen Ridolfi's kurze und kernige Leichtigkeit abstach, »so kann ich diese Gelegenheit ergreifen, um zu sagen, daß, während meine Wünsche theilweise durch langjährige persönliche Beziehungen bestimmt werden, ich mich auf keine bestimmten Pläne mit Leuten, über deren Handlungen mir keine Controle zusteht, einlassen kann. Ich meinestheils könnte mit der Wiederherstellung der alten Zustände zufrieden sein, das heißt mit Aenderungen – mit wichtigen Aenderungen. Der einzige Punkt, in dem ich mit Lorenzo Tornabuoni übereinzustimmen erkläre, ist: daß die beste Politik für unsere Freunde die ist, das Gewicht ihres Interesses in die Wagschale der Volkspartei zu werfen. Ich persönlich kann mich nicht zur Verstellung erniedrigen, auch sehe ich bis jetzt noch gar keine Partei oder keinen Plan, der meinen vollen Beifall hätte. In allen herrscht eine Rohheit und Verwirrung der Gedanken, und unter allen den Zwanzigen, die in der jetzigen Krisis meine Collegen sind, befindet sich auch nicht ein Einziger, mit dem ich nicht völlig uneinverstanden wäre.«

Niccolo Ridolfi zuckte die Achseln und überließ es einem Andern, die Entgegnung zu übernehmen. Während die Becher kreisten, wurde die Unterhaltung immer ungezwungener und lebendiger, und der Wunsch der einzelnen Individuen, Jeder als Hauptredner aufzutreten, war, wie gewöhnlich, die Ursache, daß die Gesellschaft sich in kleine Gruppen, je zu Zweien und Dreien, theilte. Dieses Ergebniß hatten Lorenzo Tornabuoni und Gianozzo Pucci vorhergesehen, und sie waren mit die Ersten, von dem Heerwege des allgemeinen Gesprächs abzuweichen und sich in eine besondere Unterhaltung mit Tito einzulassen, welcher zwischen ihnen saß, indem sie nach und nach ihre Sitze zurückschoben, dem Tische und dein Weine den Rücken kehrend.

»In Wahrheit, Melema,« sagte Tornabuoni, in dieser Stellung eines seiner hosenbekleideten Beine über das Knie des andern legend und seinen Knöchel streichelnd, »ich kenne Niemanden in Florenz, der unserer Partei bessere Dienste leisten kann, als Ihr dies im Stande seid. Ihr seht, weß Geistes Kind die meisten unserer Freunde sind; Menschen, die ihre Vorurteile nicht besser verheimlichen können, als ein Hund den Ton seines natürlichen Gebells, oder solche, deren politische Verbindungen so allgemein bekannt sind, daß sie stets Gegenstände des Verdachts sein müssen. Gianozzo und ich, wie ich mir schmeichle, wir vermögen es, diesen Verdacht zu besiegen, wir besitzen die Gabe der Verstellung und Schlauheit, ohne die ein vernünftiger gebildeter Mann, statt irgend ein Vorrecht zu haben, in der That gegen einen wüthenden Bullen oder einen Wilden im Nachtheil ist. Ich kenne aber, Euch ausgenommen, Niemanden sonst, auf den wir uns, wegen der nöthigen Discretion, verlassen können.«

»Ja,« sagte Gianozzo Pucci, die Hand auf Tito's Schulter legend, »so ist es, Tito mio, Ihr könnt uns mehr nützen, als wenn Ihr Ulysses in Person wäret, denn ich bin überzeugt, daß Ulysses sich oftmals unbeliebt machte. Um die Menschen zu leiten, braucht man einen scharfen Geist in einer sammtenen Scheide. Und es ist keine lebendige Seele in ganz Florenz, welche ein Geschäft, wie das einer Reise nach Rom zum Beispiel, so ungefährdet unternehmen könnte, wie Ihr. Zuerst ist es Eure Gelehrsamkeit, die immer als Vorwand für solche Reisen dienen kann, und was noch besser ist, Ihr habt Euer Talent für Euch, dem noch schwerer gleichzukommen ist, als Eurer Gelehrsamkeit. Niccolo Macchiavelli hätte die Sache machen können, wenn er auf unserer Seite gewesen wäre, aber kaum so gut, wie Ihr es könnt. Er ist zu sehr von abstracten Begriffen befangen, und besitzt nicht Eure Gabe, die Leute für sich einzunehmen. Desto schlimmer für ihn. Er hat ein großes Glück im Leben verscherzt, und Ihr habt es gewonnen.«

»Ja,« flüsterte Tornabuoni bedeutungsvoll, »Ihr braucht nur Euer Spiel geschickt zu spielen, Melema, und die Zukunft gehört Euch. Die Medici, darauf könnt Ihr Euch verlassen, werden sich in Rom wie in Florenz behaupten, und es ist möglich, daß die Zeit nicht mehr fern ist, wo sie im Stande sein werden, ihren Anhängern eine schönere Laufbahn zu eröffnen, als in früheren Zeiten. Warum solltet Ihr nicht später einmal in den geistlichen Stand treten? am Ende dieser Laufbahn winkt ein Cardinalshut, und Ihr wäret nicht der erste Grieche, der diesen Schmuck getragen hätte.«

Tito lachte munter. Er war zu klug, um nicht Tornabuoni's übertriebene Schmeichelei zu ermessen, aber sie klang doch ganz angenehm.

Meine Glieder sind noch nicht so steif,« sagte er, »daß ich nicht veranlaßt werden könnte, auch ohne einen so hohen Preis die Laufbahn zu betreten. Ich glaube, die Einkünfte einer oder zweier in commendam gehaltener Abteien würden mir vorläufig genügen, ohne daß ich die Beschwerde hätte, mir meinen Kopf rasiren zu lassen.«

»Ich scherzte nicht,« sagte Tornabuoni mit ernster Milde, »ich meine, ein Gelehrter steht sich immer am besten, wenn er in den geistlichen Stand tritt. Doch davon ein andermal. Eine Hauptsache, die zu beherzigen wäre, ist: daß Ihr das Vertrauen der Leute, welche in San Marco verkehren, gewinnt. Gianozzo und ich werden dies auch thun, aber Ihr könnt es in der Sache weiter bringen als wir, da Ihr weniger beobachtet seid. Auf diese Weise könnt Ihr eine vollständige Kunde von ihrem Thun erlangen, und einen breiteren Deckschirm für Eure Beschäftigung auf unserer Seite machen. Es kann natürlich nichts unternommen werden, ehe Ihr nach Rom abreist, weil dies Geschäft zwischen Piero de' Medici und den französischen Großen gleich abgemacht werden muß. Ich meine, wie sich von selbst versteht, wenn Ihr zurückkehrt; mehr brauche ich nicht zu sagen. Ich glaube, Ihr könnt Euch zum Liebling unter den Anhängern von San Marco machen, wenn Ihr wollt; allein Ihr seid klug genug, um zu wissen, daß eine wirksame Verstellung niemals übertrieben ist.«

»Wenn eine Anhänglichkeit an die Volkspartei für Eure Sicherheit als unser Agent nicht nöthig gewesen wäre, Tito mio,« sagte Gianozzo Pucci, der brüderlicher war und weniger den Gönner spielte als Tornabuoni, »so hätte ich wol gewünscht, Eure Geschicklichkeit auf eine andere Art, die ihr besser zusagt, verwendet zu sehen. So müssen wir uns aber nach einem Andern von unserer Partei umsehen, der es versuchen soll, sich in das Vertrauen unserer geschworenen Feinde, der Arrabbiati zu schleichen; ihre Bestrebungen zu kennen, ist uns wichtiger als die der Partei des Mönchs, die stark genug ist, offenes Spiel zu spielen. Es wäre aber eine schwierige Sache für Euch gewesen, und zwar wegen Eurer allgemein bekannten Beziehungen zu den Medici vor Kurzem, und wegen der Verwandtschaft Eures Weibes mit del Nero. Wir müssen einen Mann suchen, der weder angesehene Verbindungen, noch bis jetzt eine bestimmte Partei ergriffen hat.«

Tito strich sein Haar maschinenmäßig zurück, wie er es zu thun pflegte, und sagte rasch, indem er Pucci mit einem kaum bemerkbaren Lächeln gerade in's Gesicht sah:

»Ihr braucht Euch nach keinem Andern umzusehen, ich kann die ganze Sache bequem allein abmachen. Ich verpflichte mich, mich zum intimsten Vertrauten des dickköpfigen Dolfo Spini zu machen, und seine Pläne zu kennen, noch ehe er sie selbst kennt.«

Tito sprach selten so zuversichtlich von seinen eigenen Talenten, aber er befand sich in einem aufgeregten Zustande angesichts des neuen Pfades, der sich ihm so plötzlich eröffnete, und wo das Glück ihm höhere Belohnungen aussetzte, als er bisher gehofft hatte. Bis dahin hatte er den glücklichen Erfolg nur als ein Ergebniß der Gunst gesehen, jetzt zeigte er sich ihm aber in der Gestalt der Macht, einer Macht, wie sie dem Talent ohne altherkömmliche Bande und ohne Ueberzeugungen möglich ist. Jede Partei, die sich seiner als Werkzeug bedienen wollte, konnte nur von ihm abhängen. Seine Stellung als Fremder, seine Gleichgültigkeit gegen die Gedanken oder Vorurteile der Menschen, unter denen er lebte, waren plötzlich in Vorzüge verwandelt; er wurde erst vor Kurzem auf seine eigene Geschicklichkeit in Anwesenheit eines Spiels, das er spielen sollte, aufmerksam. Und alle Gründe, welche Tito vermocht haben könnten, vor dem dreifachen Betrug, der sich ihm als lockendes Spiel zeigte, zurückzubeben, waren langsam durch die aufeinanderfolgenden Falschheiten seines Lebens beseitigt worden.

Unser individuelles Leben schafft für unser Ich eine moralische Ueberlieferung, wie das Leben der Menschen im Allgemeinen eine moralische Tradition für das menschliche Geschlecht bildet; und einmal groß gehandelt zu haben, scheint ein Grund dafür zu sein, sich immer edel zu zeigen. Tito aber empfand die Wirkung einer entgegengesetzten Tradition; er hatte keine Erinnerungen an Selbstüberwindung und vollkommene Treue aufzuweisen, von denen er einen Begriff des Abfallens haben konnte.

Das Dreigespräch wurde mit einer zunehmenden Lebendigkeit fortgesetzt, bis es durch einen Zuruf vom Tische her unterbrochen wurde. Vermuthlich kam die Bewegung von den Zuhörern in der Gesellschaft, welche zu fürchten schienen, daß die Redenden sich abmüden möchten. Jedenfalls kam man dahin überein, daß jetzt genug Ernst vorgeherrscht hatte, und Rucellai hatte eben eine neue Anzahl Flaschen Montepulciano kommen lassen.

»Wie viele Sänger haben wir unter uns?« fragte er, als Alle sich wieder um den Tisch gesetzt hatten, »ich glaube, Melema, Ihr seid der erste unter ihnen. Matteo wird Euch die Laute geben.«

»Ach ja!« rief Gianozzo Pucci, »führt den letzten Chor aus Poliziano's Orpheus, für den Ihr einen so trefflichen Rhythmus gefunden habt, und wir Alle fallen mit ein:

» Ciascun segua, o Bacco, te:
Bacco, Bacco, evoè, evoè!« Jeder folge Dir, o Bacchus! Bacchus, Bacchus! Evoë, Evoë! – Der Uebers.

Der Diener gab Tito die Laute in die Hand, und flüsterte darauf seinem Gebieter etwas in's Ohr. Ein leises Fragen und Antworten zwischen den Beiden erfolgte, während Tito auf der Laute das Vorspiel zum Chorus präludirte, und ein Gesumme von Worten und musikalischen Tönen umschwirrte den Tisch.

Bernardo Rucellai hatte gerufen: »Wartet einen Augenblick, Melema!« aber dieser, der sich gegen Pucci hinüberneigte und ihm leise die Sätze aus dem Mänaden-Chor vorsang, hatte nichts gehört. Er merkte auch nichts, als bis das Gesumme rings umher plötzlich aufhörte, und die Töne seiner eigenen Stimme, mit ihren sanften, tiefen Accenten des Triumphs: Evoë, Evoë, in beunruhigender Vereinsamung erklangen.

Es war ein seltsamer Augenblick. Baldassarre war rings um den Tisch gegangen, bis er Tito gegenüber stand, und als das Geräusch verstummt war, konnte man einen Augenblick lang Baldassarre's wilde, dunkle Augen auf Tito's freundlich lächelnde Ahnungslosigkeit starren sehen, während die tiefen Triumphtöne von seinen Lippen das Schweigen unterbrachen.

Tito blickte, nur ein wenig zusammenfahrend, auf, und seine Lippen wurden bleich, aber er schien nicht mehr bewegt als Gianozzo Pucci, der im nämlichen Moment aufgeblickt hatte, oder als mehre andere um den Tisch sitzende Gäste, denn das bleichgelbe Gesicht mit den tiefen Furchen und den Augen voll Haß erschien in der von Kerzen beleuchteten Behaglichkeit und Fröhlichkeit wie ein furchtbares Gespenst. Tito gewann schnell wieder einige Selbstbeherrschung. »Ein verrückter alter Mann, er sieht so aus, er ist verrückt!« Das war der augenblickliche Gedanke der ihm etwas Muth einflößte, denn er konnte nicht muthmaßen, daß in Baldassarre's Geist seit ihrem letzten Zusammentreffen eine Veränderung vorgegangen sei. Er blickte nur nieder und legte die Laute mit anscheinender Ruhe auf den Tisch; aber seine Finger preßten den Hals des Instruments krampfhaft, während er sein Haupt und seine Mienen hinreichend in der Gewalt hatte, um Bernardo Rucellai wie fragend und unbefangen anzusehen. Dieser rief alsbald:

»Guter Freund, was wollt Ihr? was ist das für eine wichtige Mittheilung, die Ihr zu machen habt?«

»Messer Bernardo Rucellai, ich wollte Euch und Euren ehrenwerthen Freunden nur verkünden, in welcher Gesellschaft Ihr Euch befindet. Ein Verräther ist unter Euch.«

Eine allgemeine Bewegung des Schreckens wurde sichtbar; alle Anwesenden, Tito ausgenommen, dachten an eine politische Gefahr, nicht aber an ein Privatunrecht.

Baldassarre hub an zu sprechen, als ob er dessen, was er zu sagen hatte, ganz sicher wäre; aber trotz seiner langen Vorbereitungen auf diesen Augenblick lag das Beben überwältigender Aufregung in seiner Stimme. Seine Leidenschaftlichkeit erschütterte ihn. Er fuhr fort, ohne aber das zu sagen, was er eigentlich hatte sagen wollen. Als er seine Blicke wieder auf Tito heftete, wurden die leidenschaftlichen Worte zu Schlägen, sie trotzten der Vorsätzlichkeit.

»Es befindet sich ein Mann unter Euch, der ein Schurke, ein Lügner, und ein Dieb ist. Ich war ein Vater für ihn. Ich rettete ihn aus der Armuth, als er noch ein Kind war; ich zog ihn auf, pflegte ihn, bildete ihn und machte einen Gelehrten aus ihm. Mein Haupt lag hart, damit seines ein weiches Kissen haben konnte. Und er ließ mich in der Sclaverei; er verkaufte die Edelsteine, die mir gehörten, und als ich zurückkehrte, verleugnete er mich.«

Die letzten Worte wurden mit einer fast krampfhaften Aufregung geäußert, und Baldassarre hielt zitternd inne. Alle Blicke richteten sich auf Tito, welcher jetzt Baldassarre fest ansah. Es war ein Augenblick der Verzweiflung, der alle Gefühle, außer den Entschluß, Alles zu wagen, um der Gefahr zu entrinnen, vernichtete. Er fand seine Fassung in der Aufregung, welche Baldassarre augenscheinlich durchbebte. Er hatte den Hals der Laute losgelassen, und den Daumen in den Gurt gesteckt, während er die Lippen leicht aufwarf. Noch niemals hatte er eine Handlung der Grausamkeit, selbst gegen das kleinste Thier, das einen Schmerzensschrei ausstoßen konnte, verübt, aber in diesem Augenblicke hätte er seiner Sicherheit wegen ein lächelndes Kind mit einem Fußtritt ersticken können.

»Was bedeutet das, Melema?« fragte Bernardo Rucellai im Tone vorsichtigen Staunens. Er und alle Anwesenden fühlten sich erleichtert, daß die Anklage sich auf nichts Politisches bezog.

»Messer Bernardo,« antwortete Tito, »ich glaube dieser Mann ist irrsinnig. Ich erkannte ihn nicht, als er mir das erste Mal in Florenz begegnete, aber jetzt weiß ich, daß er der Diener ist, der mich und meinen Pflegevater vor Jahren nach Griechenland begleitete und wegen schlechten Betragens entlassen wurde. Sein Name ist Jacopo di Nola. Damals schon schien mir sein Verstand aus den Fugen gewichen zu sein, denn er hatte ohne alle Ursache einen eigenthümlichen Haß auf mich geworfen, und jetzt ist er, wie ich überzeugt bin, von einem Wahn befallen, in welchem er sich über seine Person irrt. Er hat schon einmal, seitdem er in Florenz ist, meinem Leben nachgestellt, und ich bin in fortwährender Gefahr vor ihm. Er ist aber eher zu bedauern als zu verdammen. Es ist nur zu gewiß, daß mein Vater todt ist. Ihr habt für diese Behauptung nichts als mein Wort, aber ich kann es Eurem Urteil überlassen, wie fern es möglich ist, daß ein Mann von Verstand und Gelehrsamkeit mir einen Monat lang in dunklen Ecken auflauert, um mich zu ermorden, oder daß ich, wenn dieser Mann wirklich mein zweiter Vater wäre, einen Grund haben könnte, ihn zu verläugnen. Dieses Märchen von meiner Errettung aus der Armuth ist nichts als die Vision eines kranken Hirns; aber es wird mir wenigstens eine Genugthuung sein, wenn Ihr ihn nach den Beweisen seiner Identität fragt, damit nicht irgend ein böswilliger Mensch mir einen Vorwurf auf Grund jener verrückten Anklage machen könne.«

Tito hatte, je mehr er sprach, desto mehr Selbstvertrauen gewonnen; das Lügen wurde ihm nicht mehr so schwer, seitdem er es begonnen hatte, und wie die Worte von seinen Lippen strömten, flößten sie ihm ein Bewußtsein der Kraft ein, wie Menschen fühlen, wenn sie ihre Muskelkraft erfolgreich erprobt haben. Auf diese Weise gewann er den Muth, endlich mit der Forderung eines Beweises hervorzutreten.

Baldassarre hatte, während er im Garten umherging und später in einem Vorzimmer des Gartenhauses bei der Dienerschaft wartete, von Neuem in seinem Geiste die Beweismittel geordnet, die er vorbringen wollte, um seine Identität und Tito's Schlechtigkeit zu beweisen, indem er die Beschreibung und Geschichte seiner Edelsteine in's Gedächtniß zurückrief, und durch flüchtige, geistige Rückblicke sich vergewisserte, daß er seine Gelehrsamkeit und seine Reisen bezeugen könne. Es war vielleicht zum Theil dieser Nervenanstrengung zuzuschreiben, daß der neue Wuthanfall, den er fühlte, als Tito's Lüge sein Ohr traf, körperlich auf ihn einwirkte; ein kalter Strom schien ihn zu überrieseln, und die letzten Worte der Rede schienen in einem Klingen unterzugehen. Seine Gedanken wichen einem taumelnden Entsetzen, als ob die Erde unter seinen Füßen schwände. Alle sahen ihn, als Tito geendet hatte, an und bemerkten, daß die Augen, in welchen vor einigen Minuten eine so wilde Energie lag, jetzt eine unbestimmte Furcht ausdrückten. Er faßte die Rücklehne eines Sessels und verharrte im Schweigen.

Nichts hätte mehr zu Gunsten der Behauptung, die Tito geäußert hatte, sprechen können, als dieses Schweigen.

»Ich muß diesen Mann schon früher irgendwo gesehen haben,« sagte Tornabuoni.

»So ist es,« flüsterte ihm Tito rasch zu; »es ist der flüchtige Gefangene, der mich auf den Stufen des Doms anpackte. Ich erkannte ihn damals nicht; er sieht sich jetzt eher gleich, nur daß er jetzt noch mehr die Spuren des Blödsinns an sich trägt.«

»Ich bezweifle Eure Worte durchaus nicht, Melema,« sagte Bernardo Rucellai mit besonnenem Ernst, »aber Ihr habt Recht, einen positiven Beweis für die Thatsache zu verlangen.« Darauf wandte er sich an Baldassarre und sagte: »wenn Ihr Derjenige seid, der Ihr zu sein behauptet, so könnt Ihr sonder Zweifel die Edelsteine, die Euer Eigenthum waren, beschreiben. Ich selbst habe mehr als einen Edelstein von Messer Tito gekauft; ich glaube sogar, es waren die werthvollsten Ringe aus seiner Sammlung. Einer von ihnen ist ein schöner Sardonyx mit einem Bilde aus dem Homer darauf eingegraben. Wenn Ihr, wie Ihr behauptet, ein Gelehrter und der rechtmäßige Eigenthümer dieses Ringes seid, so wird Euch doch sicherlich die erwähnte Stelle im Homer, der jenes Bild entlehnt ist, gegenwärtig sein. Ist Euch dieser Beweis genügend, Melema? oder habt Ihr etwas gegen seine Gültigkeit einzuwenden? War der Jacopo, von dem Ihr sprecht, ein Gelehrter?«

Es war dieses eine furchtbare Krisis für Tito. Sagte er »Ja«, so würde er – dies zeigte ihm sein scharfer Verstand – die Glaubwürdigkeit seiner Erzählung erschüttern; sagte er »Nein«, so riskirte er Alles gegen das ungewisse Maß von Baldassarre's Blödsinn. Es verstrich aber nur ein kaum bemerkbarer Augenblick, ehe er antwortete: Nein; ich nehme das Beweismittel an.

Ein tiefes Schweigen herrschte, während Rucellai sich nach der Nische verfügte, wo sich die Bücher befanden, und mit der schönen florentiner Ausgabe des Homer in der Hand zurückkehrte. Baldassarre hatte, als er angeredet wurde, den Kopf nach dem Sprecher zugewendet, und Rucellai glaubte, daß jener ihn verstanden hätte. Er wiederholte aber doch seine Worte, damit kein Irrthum bei der Probe vorfallen könne, indem er sagte:

»Der Ring, den ich besitze, ist ein schöner Sardonyx mit einem Bild aus Homer eingegraben; es war kein anderer in der Sammlung des Messer Tito, der diesem gleicht. Wollt Ihr die Stelle im Homer angeben, der dieses Bild entlehnt ist? Setzt Euch hierher,« fügte er hinzu, das Buch auf den Tisch legend und auf seinen Sitz deutend, während er selbst neben demselben stehen blieb.

Baldassarre hatte sich in so weit von dem ersten betäubenden, durch die ihn überströmende Kälte und das Klingen in den Ohren erzeugten Schrecken erholt, daß er theilweise das, was man ihm sagte, verstand. Er merkte, daß man etwas von ihm verlangte, um seine Identität zu beweisen, aber er hatte keine bestimmte Idee von den Einzelheiten. Der Anblick des Buchs rief die gewöhnliche Sehnsucht und schwache Hoffnung, daß er es lesen und verstehen könne, zurück, und er ging alsbald auf den Sessel zu. Das Buch lag vor ihm aufgeschlagen und er neigte sich ein wenig darüber hin, während Alle ihn gespannt beobachteten. Er wendete kein Blatt um. Seine Augen überflogen die Seiten, die ihm vorlagen, und hefteten sich darauf mit stieren Blicken. So vergingen zwei oder drei Minuten im tiefsten Schweigen. Dann fuhr er mit beiden Händen nach den Schläfen und rief in dumpfem Tone der Verzweiflung: »Verloren! verloren!«

Es lag in dem irren Blick und dem dumpfen Schrei etwas so Wehmüthiges, daß sie, während sie den Glauben an seinen Wahnsinn bestärkten, zugleich Mitleiden erregten. Ja die Wirkung des Bewußtseins einer Falschheit in uns ist oft so scharf, daß Tito selbst, trotz seines Triumphes über die anscheinende Bestätigung seiner Lüge, wünschte, daß sie ihm nie nöthig gewesen wäre, daß er seinen Vater auf der Treppe des Doms erkannt, daß er ihn aufgesucht hätte, kurz, daß Alles anders gekommen wäre. Aber er hatte von dem furchtbaren Wucherer Trug ein Kapital ausgenommen, und dieses Anlehen war mit den Jahren immer mehr und mehr angewachsen, bis er dem Wucherer mit Leib und Seele zu eigen war.

Dieses bei allen Zeugen des Auftritts hervorgerufene Mitleid war nicht ohne Gefahr für Tito; denn die Muthmaßung wird stets vom Gefühle geleitet, und mehr als Einer begriff plötzlich, daß dieser Mann vielleicht wirklich ein Gelehrter gewesen war und seine Naturgaben verloren haben konnte. Andererseits dagegen waren ihnen die Gründe, weshalb Tito einen Wohlthäter hätte verläugnen sollen, fremd, und da sie ihm nicht feindselig gesonnen waren, so wäre es ihnen schwer gefallen, zu glauben, daß er die schändlichste aller Lügen gesagt hätte. Und der schon ursprünglich gemeine, durch Jahre der Mühsal noch roher gewordene Ausdruck der Persönlichkeit Baldassarre's sprach zu Gunsten jener Lüge Tito's. Wenn also erstens Baldassarre die Worte genau hätte äußern können, die er sich vorher überlegt hatte, so hätte in der Form seiner Anklage etwas sein können, das ihr den Stempel nicht nur wahrer Erfahrung, sondern auch geistiger Bildung ausgedrückt haben möchte. Aber ein solches Zeugniß fand sich in seinen anreizenden heftigen Worten nicht, es lag vielmehr ein Gegenbeweis in diesem rauhen Antlitz und den groben Händen, welche an demselben zitterten, und die auf's Grellste gegen die in Sammet gekleidete, feinhändige Gesellschaft abstachen. Seine nächste Bewegung, während er schweigend beobachtet wurde, sprach gleichfalls gegen ihn. Er nahm seine Hände vom Kopf fort und schien etwas unter seiner Tunika zu suchen. Ein Jeder errieth, was diese Bewegung bedeutete, daß dieser Mann eine Waffe bei sich trug. Blicke wurden gewechselt, und Bernardo Rucellai sagte in ruhigem Tone, Baldassarre's Schulter berührend:

»Mein Freund, Eure Angelegenheit ist sehr wichtig; es soll Euch alles Recht widerfahren. Folgt mir in ein Privatzimmer.«

Baldassarre befand sich noch in jenem halb bewußtlosen Zustande, in welchem er jeder Mahnung willig folgte, ähnlich wie ein Insect, das keine Ahnung hat, wozu der Antrieb führen soll. Er erhob sich von seinem Sitze und begleitete Rucellai aus dem Zimmer.

Nach zwei oder drei Minuten kehrte Rucellai zurück und sagte:

»Er ist jetzt sicher hinter Schloß und Riegel. Ihr, Piero Pitti, seid ja Einer von den acht Magnifici, was meint Ihr, wenn wir Matteo nach dem Palast schickten,– um ein Paar Sbirren zu holen, die ihn nach der Stinche Das größte Gefängniß in Florenz. bringen? Wenn er, wie ich glaube, ein gefährlicher Mensch ist, so wird er da sicher sein, und wir können morgen das Nähere über ihn herausbringen.«

Pitti gab seine Einwilligung und der Befehl ward gegeben.

»Er ist wirklich ein verdächtig aussehendes Subject,« äußerte Tornabuoni, »und Ihr sagt, daß er Euch schon einmal nach dem Leben getrachtet hat, Melema?«

Man kam jetzt auf die verschiedenen Arten des Wahnsinns und die Wildheit des südlichen Bluts zu sprechen. Wenn irgend ein für Tito ungünstiges Samenkorn des Verdachts in den Geist eines der Anwesenden gelegt worden war, so war dieses doch wol nicht kräftig genug, um ohne die Beihülfe des hellsten Tageslichts und vieles bösen Willens aufzukeimen. Der gemein aussehende, wildblickende alte, in grobe Serge gekleidete Mann hätte ohne besonders starke Beweisgründe Glauben gefunden, wenn er Jemanden angeklagt hätte, der beneidet und verhaßt gewesen wäre. So aber schien die einzige angemessene und wahrscheinliche Ansicht von der Sache die zu sein, welche den widerwärtigen Ankläger wohlbehalten entfernte und den angenehmen, dienstfertigen Tito da ließ, wo er vorher gewesen war.

Dieser Gegenstand verschwand bald vom Tapet, um anderen Platz zu machen, bis schwere Schritte und ein Geräusch wie das eines Ringenden, den man wegschleppte, sich draußen hören ließen. Diese Töne erstarben aber bald, und die Unterbrechung schien die Geselligkeit der letzten Stunde noch kräftiger und entschlossener zu machen. Jeder wollte gern einen unangenehmen Zwischenfall vergessen.

Tito's Herz pochte heftig und der Wein mundete ihm nicht mehr, als hätte er Blut getrunken.

Heute hatte er einen höheren Preis als je gezahlt, um sich zu retten. Dieser Preis war ihm zuwider, und doch mußte er nothwendig über diesen Handel erfreut sein.

Und er mußte ja auch den Chor anführen. Er befand sich in einem Zustande der Aufregung, in welchem niederbeugende Empfindung und das elende Bewußtsein einer häßlichen, aber unwiderruflichen That sich mit einem Gefühle des Triumphs mischten, welches sich als dasjenige Gefühl herauszustellen schien, das anhalten und der Herr des nächsten Tages sein würde.

Und so war es auch. Denn am nächsten Morgen, als er sich auf seine Mission nach Rom begab, hatte er, wie wir gesehen haben, die Miene eines mit der Welt sehr wohl zufriedenen Mannes.



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