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Band III
Es war am siebenzehnten November des Jahres 1494; länger als achtzehn Monate, seitdem Tito und Romola zur schönen Osterzeit endgültig vermählt worden waren, und ein regenbogenfarbiger Confectenschauer nach der alten griechischen Sitte, zum Zeichen, daß der Himmel ihr ganzes Doppelleben hindurch gleichsam Süßes auf sie herabregnen lassen würde, über sie ausgegossen war.
Seit jener Osterzeit war aber eine große Veränderung in den Angelegenheiten von Florenz eingetreten, und wie in dem Baume, der Myriaden von Blüthen trägt, jede Knospe und ihre Frucht von dem ersten Umlauf des Saftes abhängt, so hing das Geschick Tito's und Romola's von gewissen großen politischen und socialen Verhältnissen ab, die eine Epoche in der Geschichte Italiens ausmachten.
In diesem November, etwas länger als vor einer Woche, schien der Geist vergangener Jahrhunderte wieder in die Brust der Florentiner eingezogen zu sein. Die große Glocke im Thurm des Palastes hatte mit ihrem Hammer das Lärmzeichen gegeben, und das Volk hatte sich mit den rostigen Waffen, den Werkzeugen aller Art und improvisirten Knütteln versammelt, um die Medici zu vertreiben. Das San-Gallothor war dem anmaßenden, die Gemüther erbitternden Piero, der mit seinen erschrockenen Miethstruppen zu Pferde nach Bologna galoppirte, so wie seinem klügeren jüngeren Bruder, dem Cardinal, der sich in der Verkleidung eines Franciscanermönchs rettete, vor der Nase zugeschlagen worden, und man hatte einen Preis auf ihren Kopf gesetzt. Darauf wurden nach altherkömmlichem Brauch einige Häuser geplündert; die auf den öffentlichen Gebäuden angebrachten Schandgemälde von Personen, die sich vordem in Verschwörungen gegen die Medici eingelassen hatten, wurden ausgelöscht, und die in die Verbannung geschickten Feinde der Medici wurden zur Rückkehr aufgefordert. Die halbflüggen Tyrannen waren aus ihrem prachtvollen Nest in der Via Larga entflohen, und die Republik hatte die Macht, nach ihrem Willen zu handeln, wieder erlangt.
Aber jetzt, eine Woche später, war der Palast in der Via Larga zum Empfange eines andern Bewohners hergerichtet worden, und, wenn Draperieen, welche die Straßen mit ungewohnten Farben überdachten, wenn Banner und Gewinde, die aus den Fenstern herabhingen, wenn Teppiche und Decken, die sich über alle Stufen und das Pflaster, welches auserwählte Füße betreten sollten, breiteten, unwiderlegbare Beweise von Freude sind, so war Florenz in der Erwartung seines neuen Gastes sehr freudig gestimmt. Der farbige Strom verbreitete sich vom Palaste in der Via Larga rund um die Kathedrale, dann von der großen Piazza della Signoria, und quer über den Ponte vecchio nach der Porta San Frediano, dem Thore, welches nach Pisa führt. Dort dicht neben dem Thore war ein Gerüst mit Baldachin für die Signoria errichtet worden, und der Doctor der Rechte, Messer Luca Corsini, fühlte sein Herz bei dem Gedanken, daß er eine lateinische Rede vorzutragen hatte, pochen; und jeder Oberalte in Florenz mußte sich bereit halten, mit glattem Kinn und schön gefüttertem seidenem Talar in Procession zu gehen; und die edlen Jünglinge sahen auf ihre reichen, neuen, nach der französischen Mode zugeschnittenen Tuniken, was den Fremden andeuten sollte, daß diese Gewänder eine ganz besondere Anmuth hätten, wenn sie von Florentinern getragen wurden; und eine große Schaar Geistlicher, vom Erzbischof in seinem Glanze bis zu dem Gefolge von schwarzen, weißen und grauen Mönchen, berathschlagte schon in der Frühe des Morgens, wie sie sich mit ihrer Masse von Reliquien, heiligen Fahnen und geweihten Edelsteinen ordnen sollte, daß ihr Zug mit der erwarteten Ankunft des erlauchten Gastes, der um drei Uhr Nachmittags erwartet wurde, zusammenfallen könne.
Ein beispielloser Besucher! denn er war mit einer Armee, wie Italien sie noch nie gesehen hatte, über die Alpenpässe herabgestiegen; mit Tausenden von furchtbaren Schweizern, die gewohnt waren, eben sowohl aus Zuneigung oder Haß, als für den Lohn zu fechten, mit einer Schaar tapferer Ritter, die auf ihre Namen stolz waren, mit einem Fußvolk, wie es noch nie dagewesen war, von denen jeder hundertste Mann eine Arquebuse trug, ja sogar mit ehernen Kanonen, die nicht Steine, sondern eiserne Kugeln schleuderten, die nicht von Stieren, sondern von Pferden gezogen waren, und einen zweiten Schuß abfeuern konnten, ehe eine Stadt die Bresche, welche die erste Kugel gemacht hatte, auszubessern im Stande war. Einige verglichen den Ankömmling mit Karl dem Großen, dem angeblichen Erbauer der Stadt Florenz, dem willkommenen Besieger entarteter Fürsten, dem Ordner und Wohlthäter der Kirche; Andere wollten ihn lieber mit Cyrus verglichen wissen, dem Befreier des auserwählten Volks, dem Wiederhersteller des Tempels. Er war ja mit den erhabensten Plänen über die Alpen gekommen, er sollte Italien unter dem Jubel einer dankbaren und bewundernden Bevölkerung durchziehen; er sollte alle einander widerstreitenden Klagen in Rom schlichten; er sollte kraft des Erbrechts und einigen Kämpfens Besitz vom Königreich Neapel nehmen, und von diesem passenden Ausgangspunkt sollte er sich zur Besiegung der Türken aufmachen, welche er theils in Stücke hauen, theils zum Christenthum bekehren würde. Das war ein Plan der sich für den allerchristlichsten König schickte, für das Haupt Einer Nation, welche durch die Anschläge des schlauen Ludwig's des Elften, der vor zehn Jahren voll Angst wegen seiner persönlichen Aussichten gestorben war, die gewaltigste unter den christlichen Monarchieen geworden war; und dieses Gegenmodell zu Cyrus und Karl dem Großen war eben der Sohn jenes schlauen Ludwig's, der junge Karl der Achte von Frankreich.
Sicherlich konnte, im Allgemeinen genommen, nichts großartiger oder mehr danach angethan sein, im menschlichen Herzen die Erinnerung an große Begebenheiten aufzufrischen, welche in der Geschichte der Völker als neue Grundlagen gedient hatten. Es herrschte eine weitverbreitete Ueberzeugung, daß die Ankunft des französischen Königs und seines Heeres in Italien eines von jenen Ereignissen war, bei welchen man wohl glauben konnte, daß Bildsäulen schwitzen, gespenstige feurige Krieger in der Luft kämpfen und vierfüßige Thiere Ungeheuer gebären, und daß dieselbe nicht nach der gewöhnlichen Ordnung der Schöpfung geschehe, sondern im besondern Sinne des Wortes ein Werk Gottes sei. Es war dieses eine Ueberzeugung, die sich weniger auf den nothwendig vorübergehenden Charakter einer gewaltigen fremden Invasion, als auf gewisse sittliche Gefühle gründete, welchen das Aussehen der Zeit die Gestalt von Ahnungen verlieh, – Gefühle, welche einen besonders bemerkenswerthen Ausdruck in der Stimme eines einzelnen Mannes gefunden hatten.
Dieser Mann war Fra Girolamo Savonarola, Prior des Dominicanerklosters San Marco in Florenz. An einem Septembermorgen, als das Gerücht von dem Einrücken einer französischen Armee in Italien aller Leute Ohren erfüllte, hatte er in der Kathedrale über den Text: »Siehe, auch ich bringe eine Fluth von Gewässern über die Erde« gepredigt. Er glaubte, es wäre ein Zeichen von Oben, daß er verwichene Fasten gerade so weit mit der Erklärung des ersten Buches Mosis gekommen war; er glaubte ferner, daß die Wasserfluth, das Zeichen des rächenden Zornes und der läuternden Gnade, das von Gott selbst verkündete Symbol der französischen Armee sei. Seine Zuhörer, von denen einige für die ausgewähltesten Geister des Jahrhunderts, die gebildetsten Leute in der gebildetsten Stadt Italiens gehalten wurden, waren desselben Glaubens und hörten ihm mit schaudernder Ehrfurcht zu. Denn dieser Mann besaß eine unvergleichliche Gewalt, Anderen seine Ueberzeugung beizubringen und die verschiedenartigsten Charaktere zu beherrschen. Schon vor vier Jahren hatte er von der Hauptkanzel in Florenz verkündet, daß eine Geißel über Italien kommen und die Kirche läutern würde. Savonarola glaubte, und seine Zuhörer glaubten es mehr oder weniger zuversichtlich mit ihm, daß er eine Sendung gleich der der alten hebräischen Propheten habe, und daß die Florentiner, an die sie gerichtet war, in gewisser Beziehung ein zweites auserwähltes Volk seien. Der Glaube an prophetische Gaben war damals nichts Ungewöhnliches, und Seher, von künftigen Dingen Zeugniß ablegende Herolde, waren häufig, sowohl inner- als außerhalb der Klöster; aber gerade diese Thatsache ließ Savonarola desto mehr als eine großartige Ausnahme erscheinen. Während in Anderen die Gabe der Prophezeiung einem Dreierlichte glich, das die kleinen Winkel menschlicher Geschicke mit weihsagendem Geschwätz erleuchtete, war sie bei Savonarola wie ein gewaltiges Leuchtthurmfeuer, das zur Warnung und Leitung der Menschheit weit hinaus strahlte. Bei einigen der Besonnensten schöpfte der übernatürliche Charakter seines Einblicks in die Zukunft ein kräftiges Zeugniß aus den besonderen Verhältnissen des Jahrhunderts.
Gegen Ende des Jahres 1492, in welchem Lorenzo de' Medici starb und Tito Melema als ein Wanderer nach Florenz kam, genoß Italien eines von keiner nahen oder fernen Gefahr bedrohten Friedens und Glückes. Man fürchtete keine Hungersnoth, denn es waren reiche Jahrgänge von Wein, Korn und Oel gewesen; neue Paläste erhoben sich in allen schönen Städten und neue Landhäuser auf reizenden Abhängen und Gipfeln, und die Leute, welche mehr als ihren Antheil an diesen guten Dingen besaßen, hatten keine Besorgnisse vor der größeren Zahl derjenigen, die weniger besaßen. Denn die Waffen der Bürger waren rostig geworden, und die Völkerschaften schienen zahm zu sein und die Hände der Gebieter zu lecken, welche eine ganz fertige Armee bezahlten, wenn sie deren bedurften, gerade so wie sie für Smyrnaer Waaren zahlten. Selbst die Furcht vor den Türken hatte abgenommen, und der Papst fand es viel vortheilhafter, für eine kleine in der Ferne ersichtliche Vergiftung von ihnen Bestechungen anzunehmen, als Pläne zu entwerfen, sie zu besiegen oder zu bekehren.
Kurzum, diese Welt mit ihrem getheilten Reich und ihrer weiten allgemeinen Kirche, schien eine ganz hübsche Niederlassung für die Wenigen, welche so weise oder so glücklich waren, ihren Vortheil von der Thorheit der Menschen zu ziehen; eine Welt, in der Wollust und Schlüpfrigleit, Lug und Verrath, Unterdrückung und Mord angenehm, nützlich und, wenn klug angestellt, durchaus nicht gefährlich waren. Und als eine Art Besatz oder Zierde für die solideren Genüsse der Tyrannei, Habsucht und Wollust diente die Gönnerschaft geschliffener Gelehrsamkeit und schöner Künste, so daß Schmeicheleien im ausgesuchtesten Latein damals zu jeder Stunde bestellt werden konnten, und ausgezeichnete Künstler stets bereit waren, das Heilige wie das Unfläthige mit unparteiischer Geschicklichkeit zu malen. Die Kirche war, so hieß es, niemals so entwürdigt durch ihr Oberhaupt, und hatte noch nie so wenige Zeichen erfrischenden lebendigen Glaubens in ihren geringeren Mitgliedern von sich gegeben, als jetzt, und dennoch gedieh sie besser als in manchen früheren Tagen. Der Himmel wölbte sich droben heiter und lächelnd, und hier unten war kein Vorzeichen eines Erdbebens.
Doch lebte damals, wie wir gesehen haben, ein Mann in Florenz, der seit zwei Jahren und noch länger gepredigt hatte, daß eine Geißel drohe, daß die Welt nicht für die fortdauernde Bequemlichkeit von Heuchlern, Lüstlingen und Unterdrückern geschaffen sei. Aus jenen lächelnden Himmeln hatte er ein Schwert herabhängen gesehen, das Schwert der göttlichen Gerechtigkeit, das nur zu bald zur läuternden Bestrafung auf die Kirche und die Welt herabfahren würde. In dem glänzenden Ferrara hatte vor siebenzehn Jahren der Widerspruch zwischen der Lebensweise der Menschen und dem Glauben, den sie bekannten, einen gewaltigen Eindruck auf ihn gemacht, einen Eindruck, der genügend war, in ihm die Weltlust zu zerstören, und ihn mit dreiundzwanzig Jahren in's Kloster getrieben hatte. Er glaubte, daß Gott der Kirche die heilige Leuchte der Wahrheit zur Leitung und Erlösung der Menschheit verliehen hatte, und er sah, daß die Kirche in ihrer Verderbtheit gleichsam eine Gruft geworden war, um diese Leuchte zu verbergen. Im Verlauf der Jahre nahm das Aergerniß zu und vermehrte sich, und die Heuchelei schien der Unverschämtheit Platz gemacht zu haben. Hatte die Welt nun keinen gerechten Regierer mehr? war die Kirche durchaus verlassen? Nein, sicher nicht! Im heiligen Buch befand sich eine Aufzeichnung des Vergangenen, in welcher man wie in einem Spiegel die Zukunft erkennen konnte, und das Buch zeigte, daß, als die Schlechtigkeit des auserwählten Volkes, dieses Sinnbildes der christlichen Kirche, zum Himmel schrie, das Gericht Gottes über dasselbe herabfuhr. Ja, die Vernunft selbst zeigte, daß die Rache nahe war, denn was sonst vermöchte wol die Menschen von ihrer Hartnäckigkeit im Bösen abzuwenden? Und wenn die Kirche nicht umkehrte, wie konnte die Verheißung in Erfüllung gehen, daß die Heiden bekehrt werden sollten, und daß die ganze Welt dem einen, wahren Gesetz unterworfen werden würde? Er hatte seinen Glauben in Gesichten widergespiegelt gesehen, eine Weise zu sehen, die sich schon seit seiner Jugend bei ihm offenbart hatte.
Aber die wirkliche Kraft des Beweises lag bei Girolamo Savonarola in seiner eigenen lodernden Entrüstung beim Anblick des Unrechts, in seinem inbrünstigen Glauben an eine unsichtbare Gerechtigkeit, welche dem Unrecht ein Ende machen würde, und an eine unsichtbare Reinheit, der die Lüge und Unreinheit Gräuel waren. In seinem glühenden, machtliebenden Geiste, der an erhabene Zwecke glaubte und danach strebte, diese Zwecke durch die Anstrengungen eines gewaltigen edlen Willens zu erreichen, wurde der Glaube an einen erhabenen und gerechten Lenker der Dinge eins mit dem Glauben an eine rasche göttliche Einmischung, welche Strafen und Besserung bringen würde.
Inzwischen waren unter dieser glänzenden Mummerei geistlicher und weltlicher Würden, welche das Leben glücklicher Kirchenfürsten und fürstlicher Familien so prunkend und angenehm zu machen schien, verschiedene Verhältnisse im Geheimen thätig, welche langsam die allgemeine Festlichkeit zu zerstören trachteten. Ludovico Sforza, voll fürstlicher Galanterie und edelmüthiger Gönner des unvergleichlichen Leonardo da Vinci, welcher die Herzogskrone von Mailand in der Hand hatte und sie lieber auf sein eigenes Haupt setzen, als sie auf dem eines schwächlichen Neffen lassen wollte, dem man leicht mit einigem Gift hinhelfen konnte, fürchtete sich sehr vor dem alten, von spanischen Eltern abstammenden König Ferdinand und dem Kronprinzen Alfons von Neapel, welche jeder Grausamkeit und Verrätherei, die ihnen nichts nützte, abhold waren. Letztere erklärten sich gegen die Vergiftung eines nahen Verwandten im Interesse eines lombardischen Usurpators; die königlichen Herrschaften von Neapel fürchteten sich dagegen vor ihrem Souverän, dem Papst Alexander Borgia; diese Drei sahen mit ängstlichen Blicken auf Florenz, daß es nicht mit seinem in der Mitte liegenden Gebiete die Sache durch heimliche Unterstützung entscheide, und alle Vier, sowie jeder andere kleine italienische Staat, fürchteten sich vor Venedig, dem behutsamen, wohlbefestigten und starken, welches seine Arme nicht nur die beiden Seiten des adriatischen Meeres entlang, sondern auch bis hinüber nach den Häfen der Westküste ausstrecken wollte.
Man sagte, daß Lorenzo de' Medici viel dazu beigetragen hatte, den verhängnißvollen Ausbruch dieser Eifersüchteleien zu hintertreiben, indem er die alte Allianz mit Florenz, Neapel und dem Papste aufrecht erhielt, und dabei Mailand überredete, daß jene Allianz zum allgemeinen Besten nöthig sei. Aber die unbedachtsame Eitelkeit des jungen Piero de' Medici hatte bald das Resultat der gewandten Politik seines Vaters zunichte gemacht, und Ludovico Sforza, Verdacht wegen einer wider ihn gerichteten Liga schöpfend, sann über einen Plan nach, seine Gegner lahm zu legen; er beschloß, den französischen König einzuladen, in Italien einzumarschiren, um als Erbe des Hauses Anjou Besitz von Neapel zu nehmen. Gesandte oder, wie sie in der damaligen vielredenden Zeit hießen: oratori kamen und gingen; ein widerspenstiger Cardinal, der einen durch Bestechung erwählten Papst nicht anerkennen wollte und dessen persönlicher Feind war, kam und ging gleichfalls, und unterstützte mit warmer Rhetorik jene Einladung, und der junge König schien endlich ein williges Ohr zu leihen. So verbreitete sich im Jahre 1493 das Gerücht und ward immer lauter und lauter, daß Karl der Achte von Frankreich im Begriff sei, mit einem gewaltigen Heer die Alpen zu übersteigen; und die italiänischen Völkerschaften, welche, seitdem Italien aufgehört hatte, das Herz des römischen Kaiserreichs zu sein, gewöhnt waren, sich nach einem fremden Herrscher umzusehen, fingen an, seine Ankunft als Mittel zu betrachten, das Unrecht, das man ihnen zugefügt hatte, zu rächen und ihren Beschwerden abzuhelfen.
Unter diesen Gerüchten hatte Savonarola die Versicherung gehört, daß seine Prophezeiung in Erfüllung gehen werde. Und was erfüllte das Ohr der alten Propheten sonst als der ferne Tritt fremder Heere, welche nahten, um das Werk des Gerichts zu vollziehen? Er sah nicht mehr auf's Gerathewohl nach dem Horizont, woher der Sturm kommen sollte, er zeigte schon die aufsteigende Wolke. Die französische Armee war die neue Sündfluth, welche hereinbrechen und die Erde vom Unrecht säubern sollte; der französische König Karl der Achte war das von Gott erkorene Werkzeug, wie es einst Cyrus gewesen war, und alle Leute, welche das Gute dem Bösen vorzogen, mußten sich seiner Ankunft freuen, denn die Geißel würde nur die Unbußfertigen treffen. Daher möge jede Stadt und vor allen Florenz, das von Gott geliebte Florenz, an das er besonders die warnende Stimme gesendet hatte, Buße thun und umkehren, wie einstmals Niniveh, dann würde die Wetterwolke vorüberziehen und nur erfrischende Regentropfen zurücklassen.
Fra Girolamo's Wort war gewaltig; jetzt aber, da der neue Cyrus schon drei Monate in Italien war und nahe vor den Thoren von Florenz stand, wurde seiner Ankunft mit sehr gemischten Gefühlen, in welchen Besorgniß und Mißtrauen vorherrschten, entgegengesehen. Bis jetzt war noch nichts davon bekannt geworden, daß er irgend welchen Beschwerden abgeholfen hätte, und die Florentiner waren ihm offenbar für nichts zu Dank verpflichtet. Er hatte ihre starken Gränzfestungen besetzt, die Piero de' Medici ihm ohne irgend ehrenvolle Bedingungen übergeben hatte; er hatte nichts gethan, den beunruhigenden Aufruhr in Pisa zu unterdrücken, wo man seine Anwesenheit benutzt hatte, um das florentinische Joch abzuschütteln, und Abgesandte, an deren Spitze sogar ein Prophet stand, konnten ihm keine andere Zusicherung entlocken, als daß er Alles in Ordnung bringen wolle, sobald er innerhalb der Mauern von Florenz sein würde. Dennoch hatte man die Genugthuung zu wissen, daß der Alle erbitternde Piero de' Medici für seine schmähliche Uebergabe der Festungen hinausgejagt worden war, und bei dieser energischen Handlung hatte der Geist der Republik etwas von seinem alten Feuer wiederbekommen.
Die Vorbereitungen zum Empfange des zweideutigen Gastes waren nicht durchweg die einer zur Unterwerfung bereiten Stadt. Hinter den glänzende Freude bedeutenden Draperieen und Bannern wurden, mit vollkommener Uebereinstimmung der Regierung und des Volkes, Vorbereitungen ganz anderer Art getroffen. Wohlversteckt hinter den Mauern befanden sich Miethstruppen der Republik, die man eilig aus den umliegenden Districten herbeigeholt hatte; alte Waffen wurden polirt, scharfe Werkzeuge und schwere Knüttel sorgfältig bereit gehalten, um beim ersten Zeichen ergriffen zu werden; vortreffliche Balken und Pfähle lagen da, um gelegentlich Barricaden zu bilden, sowie auch hinreichende Massen von Steinen, um einen überraschenden Hagel aus den höchsten Fenstern zu bewirken. Vor allen Dingen aber war das Volk besonders aufgelegt, gegen Jeden zu kämpfen, von dem es vermuthete, daß er den Tyrannen spielen wolle, da es sich erst vor Kurzem diesem neuen Vergnügen mit besonderer Vorliebe hingegeben hatte. Diese Stimmung wurde aber nicht durch den Anblick verschiedener Abtheilungen Franzosen vermindert, die schon vorher kamen, ihre Quartiere auszuwählen, etwa mit einem Falken auf der linken Faust und in der Rechten (figürlich gesprochen) ein Stück Kreide, um italiänische Thüren damit zu bezeichnen; besonders da glaubwürdige Geschichtschreiber bemerken, daß damals manche Söhne Frankreichs sich durch ein Benehmen, welches der Windbeutelei ziemlich nahe kam, auszeichneten, was nothwendigerweise die Lust der Florentiner an einigem Werfen mit Steinen erhöht haben mußte.
Und dieses war die Stimmung in Florenz am Morgen des siebenzehnten Novembers im Jahre 1494.