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Dreiundzwanzigstes Capitel.
Zu spät überlegt.


Ihr seid aber leicht zu erschrecken« rief Piero, abermals höhnisch lachend. »Mein Porträt ist nicht so gut wie das Original, aber der alte Kerl hatte in der That einen Tigerblick. Ich muß in den Dom hineingehen und ihn nochmals sehen.«

»Es ist nicht angenehm, von einem Verrückten angepackt zu werden, wenn es wirklich ein Wahnsinniger war,« sagte Lorenzo Tornabuoni mit einer höflichen Entschuldigung gegen Tito. »Vielleicht ist es aber nur ein Spitzbube. Wir werden ja hören; jedenfalls müssen wir zusehen, ob wir Autorität genug haben, um eine Reibung zwischen unserer Bevölkerung und Euren Landsleuten zu verhindern,« fuhr er, zu dem französischen Herrn gewendet, fort.

Sie schritten mit gezückten Schwertern, von allen ruhigen Zuschauern begleitet, auf den Volkshaufen zu. Tito ging mit ihnen, er mußte erfahren, was Andere über Baldassarre wußten, und dem ersten Schreck, der ihn gelähmt hatte, folgten die raschen Entschlüsse, zu denen Todesgefahr furchtsame Charaktere aufstachelt.

Der aus Männern und Jungen zusammengesetzte Pöbelhaufen, welcher geneigter war, den Soldaten anzuschreien und zu belästigen, als wirkliche Wunden auszutheilen oder zu empfangen, machte bei der Annäherung der Signori mit ihren bloßen Schwertern Platz, und der französische Soldat wurde befragt. Er und seine Kameraden hatten ganz einfach ihre Gefangenen in die Stadt gebracht, daß diese sich ein Lösegeld zusammenbitten möchten; zwei von den Gefangenen waren toskanische, bei Lunigiana gefangene Soldaten, der Andere, ein ältlicher Mann, hatte sich bei einer Schaar Genueser befunden, die mit den französischen Fouragirern in der Nähe von Fivizzano handgemein geworden war. Er war möglicherweise wahnsinnig, aber unschädlich. Weiter wußte der Soldat nichts, da er von dem, was der alte Mann sagte, kein Wort verstehen konnte. Dies Alles hörte Tito mit an, aber er war für alles Andere taub, bis er geradezu angeredet wurde. Es war Tornabuoni, der sprach:

»Wollt Ihr mit uns zurückgehen, Melema? Oder da der Herr hier sich jetzt nach Signa begibt, wollt Ihr nicht so weise sein, der Mode des Tages zu huldigen und den Mönch mit anhören, der heute Morgen einem angeschwollenen Strome gleichen wird; Ihr wißt, wir Alle müssen dies thun, um unsere medizäische Haut zu retten. Ich würde jedenfalls gehen, wenn ich die gehörige Muße hätte.«

Tito's Gesicht hatte jetzt seine Farbe wieder gewonnen, und er vermochte es über sich, heiter lächelnd zu antworten:

»Natürlich gehöre ich zu den Bewunderern des begeisterten Redners; aber unglücklicherweise werde ich bis zur Procession beim Secretarius beschäftigt sein.«

»Ich,« sagte Piero »gehe in den Dom, um den alten, wüsten Menschen wieder zu sehen.«

»Dann habt doch die Güte, lieber Piero, ihn zu einem der Hospitäler für Reisende zu führen,« sagte Tornabuoni, »die Mönche werden schon sehen, ob er in einen Käfig gesperrt werden muß.«

Die Gesellschaft trennte sich, und Tito begab sich nach dem Palazzo Vecchio, wo er Bartolommeo Scala antreffen sollte. Der Weg war nicht weit, dehnte sich aber für Tito wie die Minuten eines Morgentraumes aus; der beschränkte Raum der Piazza und der Straße enthielt Erinnerungen, Erwartungen und quälende Besorgnisse, welche die Begebenheiten von Monaten hätten umschließen können. Es war ihm, als ob eine Schlange seine Glieder umringe. Baldassarre am Leben und in Florenz, das war eine lebende Rache, welche eben so wenig rasten möchte, als eine Schlange ruht, bis sie nicht ihre Beute zermalmt hat. Es lag nicht im Charakter jenes Mannes, einen Schimpf ungeahndet hingehen zu lassen; seine Liebe und sein Haß besaßen jene leidenschaftliche Gluth, welche das ganze andere Wesen des Menschen unterjocht, und bewirkt, daß er sich seiner Leidenschaft opfert, als ob diese eine Gottheit sei, die man mit der Zerstörung seiner selbst verehren müsse. Baldassarre hatte ihn losgelassen und war verschwunden. Tito wußte nur zu wohl, was das zu bedeuten hatte, nämlich daß die Rache wohlüberdacht werden würde, um sicher zu sein. Hätte er nicht die entscheidenden Worte: »es ist ein Verrückter!« gesagt, hätte er die Geistesgegenwart und den Muth gehabt, der nöthig war, um Baldassarre wiederzuerkennen, wäre da die Gefahr nicht viel geringer gewesen? Er hätte ja erklären können, daß er zuverlässige Mittheilungen von Baldassarre's Tod zu besitzen geglaubt hatte, und die Einzigen, welche sichere Kunde genug hatten, ihm zu widersprechen, waren Fra Luca, der todt war, und die Bemannung der zweiten Galeere, die diesem die Nachricht von der Begegnung mit den Piraten überbracht hatte. Die Möglichkeit war gar zu gering, daß Baldassarre je wieder mit einem von jener Schiffsbesatzung zusammengetroffen war, und Tito sah voll Bitterkeit ein, daß eine zeitige, wohl ausgesonnene Lüge ihn von allen verhängnißvollen Folgen gerettet hätte. Aber um diese Lüge zu sagen, hätte es in dem Augenblicke einer krampfhaften Erschütterung der vollkommensten Selbstbeherrschung bedurft; er schien ohne Vorüberlegung gesprochen zu haben, und die Worte waren hervorgekommen, wie eine plötzliche im Dunkel gezeugte und genährte Geburt.

Tito erfuhr jenes unerbittliche Gesetz menschlicher Geister, daß wir uns zu plötzlichen Thaten durch die wiederholte Wahl zwischen Gut und Bös, welche nach und nach den Charakter bildet, vorbereiten.

Es gab nur noch einen Rettungsweg für ihn, nämlich den, wenn Baldassarre's Rache mißlang. Und – Tito faßte einen Gedanken, der wirklich grausamer war, als er je einen hatte in sich aufsteigen lassen – konnten seine eigenen zufälligen Worte nicht einige Wahrheit enthalten? wenigstens so viele Wahrheit, ihn in seinem Abläugnen jeder Auseinandersetzung, die Baldassarre etwa über ihn geben konnte, zu vertheidigen? Der alte Mann mit seinem leidenschafterfüllten Herzen und Hirn sah seltsam und wild aus, sein Leiden mochte aller Wahrscheinlichkeit nach Irrsinn erzeugt haben. Wenn dem so war, konnte die Rache, die darauf ausging, Tito Schmach zu bereiten, vereitelt werden.

Es gab aber noch eine andere Rache, welche nicht durch sinnreiche Lügen unwirksam gemacht werden konnte. Baldassarre gehörte einem Stamme an, dem ein Dolchstoß ein eben so naturgemäßer Antrieb scheint, als das Hervorstrecken einer Tigerkralle. Tito bebte mit schaudernder Furcht vor Beschimpfung zurück, aber er besaß auch jene physische Furcht, welche von einem weichen, vergnügungsliebenden Charakter unzertrennlich ist, und welche den Mann verhindert, Wunden und Tod, als einer willkommenen Erlösung von Schmach, zu trotzen. Seine Gedanken richteten sich sogleich auf eine geheime Rüstung, die ihn vor einer Rache schützen sollte, die keine Schlauheit abzuwenden im Stande war.

Er staunte über die Macht der heftigen Furcht, die sich seiner bemeistert hatte. Es schien ihm, als wäre er von einer verderblichen Krankheit befallen, die plötzlich den fröhlichen, jugendlichen Lebensmuth in Gram verwandelt hätte.

Noch ein Ausweg blieb ihm offen. Er konnte umkehren, Baldassarre aufsuchen, ihm Alles gestehen – ihm und Romola und der ganzen Welt. Das fiel ihm aber gar nicht bei. Die Reue, welche dem Uebel jedes Ankertau kappt, bedingt etwas mehr als selbstische Furcht. Er fühlte nicht, daß Kraft und Sicherheit nur in der Wahrheit liegen; die einzige Kraft, auf die er baute, lag in seiner Schlauheit und Verstellungskunst. Jetzt, da die erste Erschütterung, welche die verrätherischen Anzeichen der Furcht in ihm erweckt hatte, vorüber war, glaubte er vermittelst kaltblütigen Betrugs und einer schützenden Rüstung auf alle Ereignisse vorbereitet zu sein.

Es war eine bezeichnende Thatsache in Tito's Plänen bei dieser Krisis, daß ihm keine ausdrücklichen Mittel, sich von Baldassarre zu befreien, in den Sinn kamen. Alle anderen Möglichkeiten, sogar seine Flucht aus Florenz schwebten ihm vor, aber er dachte an keinen Entwurf, seinen Feind los zu werden. Seine Angst erzeugte keine thätliche Bosheit, und er wäre noch immer froh gewesen, keinem Menschen einen Kummer zu verursachen. Er hatte es sich einfach zur Aufgabe gestellt, sich das Leben angenehm zu machen, sein irdisches Loos, wenn möglich, so zu tragen, daß es ihn nirgends drücke, und diese Aufgabe hatte ihn zu verschiedenen Malen in unerwartete Lagen gebracht. Die Frage war jetzt, nicht ob er den allgemeinen Druck des Schicksals mit seinen leidenden Nebenmenschen theilen solle, sondern ob alle Hilfsquellen der Lüge verhindern könnten, daß er von den Folgen seiner gewöhnlichen Lebensaufgabe zermalmt würde.



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