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Fünfundzwanzigstes Capitel.
Außerhalb des Domes.


Während Baldassarre von Savonarola's Stimme so ergriffen wurde, hatte er nicht bemerkt, daß noch ein Mann durch den Gang hinter ihm eingetreten war und, ihn beobachtend, in seiner Nähe sich aufgestellt hatte. Es war dieses Piero di Cosimo, der auf die Predigt durchaus nicht Acht gab, da er nur eingetreten war, um sich den entkommenen Gefangenen anzusehen. Während der Pause, in welcher der Prediger und seine Zuhörer in unartikulirter Aufregung verharrten, trat der Neuangekommene näher und berührte Baldassarre's Arm. Dieser sah sich um, während die Thränen noch langsam über seine Wangen herniederrollten, aber mit einem lauten Seufzer, als ob er damit seinen Gefühlsausdruck abgeschlossen hätte. Der Maler sagte mit gedämpfter Stimme:

»Soll ich Eure Stricke zerschneiden? Ich habe vernommen, auf welche Weise Ihr gefangen genommen worden seid.«

Baldassarre antwortete nicht sogleich, sondern sah den dienstfertigen Unbekannten mißtrauisch an; endlich entgegnete er: »wenn Ihr es thun wollt.«

»Es ist besser, Ihr geht mit hinaus!«

Baldassarre maß ihn von Neuem mit argwöhnischen Blicken, und Piero, der seine Gedanken theilweise errieth, zog lächelnd ein Messer hervor und durchschnitt die Stricke. Er fing an zu glauben, daß die Vermuthung wegen der Tollheit des Gefangenen doch nicht unwahrscheinlich sei, so etwas ganz Absonderliches lag in dessen Gesichtszügen. Er dachte bei sich: »Gut, wenn er irgend ein Unheil anstiftet, so ist er ja bald wieder gebunden; der arme Teufel soll wenigstens sein Glück versuchen.«

»Ihr fürchtet Euch vor mir,« fuhr er mit leiserer Stimme fort, »Ihr wollt mir nichts über Euch mittheilen.«

Baldassarre faltete seine Arme im freudigen Genuß dieser lang entbehrten Muskelempfindung, dann erwiderte er dem Maler mit minderem Mißtrauen und in einem Tone, der einen ruhigen Entschluß andeutete:

»Nein, ich habe nichts mitzutheilen.«

»Wie es Euch beliebt,« sagte Piero; »aber Ihr bedürft vielleicht einer Zufluchtsstätte und scheint nicht zu wissen, wie gastfrei wir Florentiner gegen Fremde in zerrissenem Wamms und mit leerem Magen sind. Da giebt es außerhalb der Thore ein Hospital für arme Reisende, und wenn es Euch recht ist, will ich Euch den Weg zu einem derselben zeigen. Von Eurem französischen Soldaten habt Ihr nichts zu befahren, der ist fortgeschickt worden.«

Baldassarre nickte, wendete sich, das Anerbieten stillschweigend annehmend um, und Beide verließen zusammen das Gotteshaus.

Während sie die Via dell' Orinolo entlang nach dem Thore von Santa Croce zugingen, fragte Piero: »möchtet Ihr mir nicht zu Eurem Conterfei sitzen? Ich bin ein Maler, und würde Euch Geld geben, um Euer Bild zu haben.«

Der Argwohn zeigte sich auf's Neue in Baldassarre's Blicken, indem er Piero ansah und ihm ganz entschieden antwortete: »Nein.«

»Ah so,« sagte der Maler kurz; »nun gut, so geht gerade aus, und Ihr werdet die Porta Santa Croce und außerhalb derselben ein Hospital für Reisende finden. Ihr wollt also keinen Dienst von mir annehmen?«

»Ich danke Euch für das, was Ihr bereits für mich gethan habt, ein Mehres brauche ich nicht.«

»Gut,« entgegnete Piero, die Achseln zuckend, und Jeder ging seines Weges.

»Ein geheimnißvoller alter Tiger!« dachte der Künstler bei sich, »der Mühe werth zu malen! Häßlich, mit tiefen Furchen, aussehend als ob Pflug und Egge über sein Herz gegangen wären. Ein prächtiger Contrast zu meinem liebenswürdigen und lächelnden Griechen, meinem triumphirenden Bacchus, der die schöne Antigone, im Widerspruch mit Geschichte und Convenienz, geheirathet hat. Haha! Sein Gelehrtenblut gerann auf eine höchst ungemüthliche Art, als ihn der alte Kerl anpackte!«

Als Piero wieder die Piazza del Duomo betrat, strömte die Menge, welche den Fra Girolamo gehört hatte, aus allen Thüren, und die Eile, mit welcher sie wieder, ein Jeder seiner Wege ging, bewies, für wie wichtig sie die Predigt erachteten, welche sie von ihren anderen Tagesgeschäften abgehalten hatte. Der Künstler lehnte an einer Ecke der Taufkapelle und betrachtete die fortgehende Menge, sich an der Mannichfaltigkeit der Anzüge und der lebendigen, charaktervollen Gesichter ergötzend, Gesichter, wie sie Masaccio vor länger als fünfzig Jahren gemalt hatte, und wie Domenico Ghirlandajo noch zuweilen malte.

Dieser Morgen bot eine besondere Gelegenheit dar, und die Zuhörerschaft des Mönchs, die ohnehin immer sehr gemischt war, hatte heute noch vollständiger als sonst die verschiedenen Schichten und politischen Parteien in Florenz aufgewiesen. Man traf da Männer von hoher Geburt, an öffentliche Aemter daheim und in der Fremde gewohnt, welche sich vor Kurzem nicht nur als Feinde der Medici und Freunde der Volksherrschaft, sondern sogar als » Heuler« (piagnoni) hervorgethan hatten, welche für die Grundsätze und den praktischen Unterricht des Mönchs auf's Aeußerste begeistert waren, und San Marco als den Sitz eines neuen Samuel besuchten. Manche von ihnen, Männer von gebieterischem und stattlichem Wesen, wie z. B. Francesco Valori, vielleicht auch von heftigem und anmaßendem Charakter, und sehr erfreut über eine unmittelbare göttliche Autorität, durch die sie die Freiheit auf ihre Art und Weise herbeiführen konnten; Andere wieder, wie Soderini, weniger inbrünstige »Heuler« als kluge Politiker. Es waren dort auch Männer, gleichfalls von guter Herkunft, wie z. B. Piero Capponi, einfach tüchtige, nicht doctrinaire Freunde vernünftiger republikanischer Freiheit, die lieber fechten als disputiren mochten, und keine besonderen Gründe hatten, irgendwelche Meinungen, welche die Medici fern hielten und dem Volksgeist freieren Spielraum gestatteten, für falsch zu halten. Neben ihnen waren Rechtsgelehrte, deren Studium des Accursius und seiner Collegen ihre Leidenschaft noch nicht so ganz aufgezehrt hatte, daß sie nicht enthusiastische Heuler wurden. Messer Luca Corsini selbst war unter ihnen, der bei einer späteren merkwürdigen Gelegenheit seine gelehrten Arme erhob, um für Religion, Freiheit und den Mönch Steine zu schleudern. Und unter diesen Würdenträgern, die ihren schwarzen Lucco oder pelzverbrämten Talar mit einer Miene gewohnter Autorität trugen, befanden sich zahlreiche Männer mit ernsteren und nachdenkenderen Zügen, Gelehrte, die einen hohen Namen geerbt hatten, wie Strozzi und Acciajoli, von denen wir bereits erwähnt haben, daß sie die Mönchskutte angelegt und sich der Brüderschaft von San Marco angeschlossen hatten; Künstler, die durch die Lehren Savonarola's zu einem neuen und erhabenen Ehrgeiz angefeuert waren, wie jener junge Maler, der sich vor Kurzem, in seinem Frescogemälde vom Jesusknaben auf der Wand der nackten Zelle des Mönchs, selbst übertroffen hatte, und der damals noch nicht ahnte, daß er selbst eines Tages Tonsur und Kutte tragen und Fra Bartolommeo genannt werden würde. Da war auch der mystische Dichter Girolamo Benevieni, welcher sich vielleicht beeilte, Nachricht von der baldigen Ankunft des geliebten Mönchs, an dessen Freund Pico della Mirandola, der das Licht des nächsten Morgens nicht mehr erblicken sollte, zu überbringen. Da waren ferner Damen von Stande, mit solcher sorgfältigen Einfachheit gekleidet, daß ihre ausgesuchtere Anmuth der Hauptunterschied zwischen ihnen und ihren weniger aristokratischen Schwestern war. Die überwiegende Mehrzahl bestand aus den ächten popolani oder mittleren Bürgerklassen, von den höheren oder niederen Zünften, und sich eines Vermögens bewußt, welches von Kriegssteuern bedroht war. Auffallender und mannichfaltiger als vielleicht alle übrigen Anhänger des Mönchs sah man hier noch die lange Reihe ärmerer Gewerks- und Handwerksleute, deren Hoffnung und Zuversicht auf seine göttliche Sendung von dem rohen, blinden Glauben an ihn als den Freund der Armen und den Feind der schwelgerischen, übermüthigen Reichen, bis zu dem eifrigen Geschmack an Bibelauslegung (den der Handwerker mit seiner sitzenden Lebensart besonders gern hegt, da derselbe ihm die weiten dunklen Räume jenseits seines Arbeitstisches mit einem fahlen Lichte, das ihm als die Leuchte göttlicher Wissenschaft erscheint, erhellt) ging.

Aber unter diesen verschiedenen Schülern des Mönchs befanden sich Manche, die durchaus nicht zu seinen Anhängern gehörten. Einige waren Parteigänger der Medici, die aus Furcht und Politik bereits begonnen hatten, dem vorherrschenden Geiste der Volkspartei eine erheuchelte Ergebenheit zu erweisen. Andere waren aufrichtige Anwälte einer freien Regierung, hielten aber Savonarola einfach für einen ehrgeizigen, halb schlauen, halb fanatischen Mönch, der sich zu einem gewaltigen Werkzeuge beim Volke gemacht hatte, und also als eine wichtige sociale Erscheinung hingenommen werden mußte. Auch fehlte es dort nicht an bitteren Feinden des Mönchs: theils Mitgliedern der alten aristokratischen anti-medicäischen Partei, welche entschlossen waren, den Versuch zu wagen, die Zügel noch einmal straff in die Hände gewisser hoher Familien zu legen; theils ausschweifenden jungen Leuten, die ihn als den Freudentödter von Florenz verabscheuten. Die Predigten im Dom waren bereits politische Ereignisse geworden, welche die Ohren der Neugier und Bosheit nicht minder als die der Gläubigkeit anzogen. Leute mit speculirenden Ideen, wie der junge Niccolo Macchiavelli gingen hin, um zu beobachten, und an Freunde, die sich auf ihren Landgütern befanden, zu berichten. Männer von Begierden, wie Dolfo Spini, welche den Mönch als einen Landschaden, der ihr Wild verscheuchte, zu Tode hetzen wollten, kamen dorthin, um ihren Haß zu nähren und auf Gründe zur Anklage zu lauern.

Noch nie vielleicht hatte ein Prediger einen so ungeheuern Einfluß wie Savonarola, aber auch zugleich so fremdartige Stoffe, auf die er einwirken mußte. Ein Theil des Geheimnisses dieses ungeheuern Einflusses lag in dem so überaus gemischten Charakter seiner Predigten. Der in eine Ekstase selbstmarternder Rache versetzte Baldassarre war nur ein ganz außerordentlicher Fall unter den beschränkten und engherzigen Sympathieen dieser Zuhörerschaft. Savonarola's Predigten schlugen Töne an, welche zu den feinsten Empfindungen der menschlichen Natur sprachen, und enthielten zugleich Elemente, welche dem gemeinen Egoismus schmeichelten, die schwatzhafte Neugierde kitzelten und den furchtsamen Aberglauben fesselten. Sein Bedürfniß nach persönlichem Einfluß, seine labyrinthartigen allegorischen Auslegungen der heiligen Schrift, seine räthselhaften Visionen und seine falsche Ueberzeugung von den Zwecken Gottes wurden stets in seiner hohen Seele von jener glühenden Frömmigkeit, jener leidenschaftlichen Auffassung des Unendlichen, jener werkthätigen Sympathie und dem klaren, den meisten großen Menschen eigenthümlichen Verlangen nach Unterordnung aller selbstischen Interessen unter das allgemeine Wohl, veredelt. Für die große Masse seiner Zuhörer aber lag die ganze Ueberzeugungsgewalt seiner Predigten in seiner festen Behauptung eines übernatürlichen Berufs, in den weihsagenden Gesichten, in der falschen Zuversichtlichkeit, welche seinen Reden das Interesse eines politischen Bulletins verlieh; und da er einmal diese Zuhörer in seine Gewalt bekommen hatte, war es für ihn selbst, so wie für ihr eigenes Wohl unerläßlich nothwendig, daß er sie darin behielt. Die Wirkung war unvermeidlich. Noch Niemand hat danach gerungen, die Macht über eine gemischte Menge zu behaupten, ohne an sich Verderbniß zu erleiden; sein Ziel muß die Befriedigung ihrer niederen Bedürfnisse, nicht aber seine eigene, bessere Einsicht sein.

Die Geheimnisse des menschlichen Charakters sind selten in einer Weise dargestellt worden, die geeigneter war, die Urteile wohlfeilen Wissens lahm zu legen, als hinsichtlich Girolamo Savonarola's. Wir dürfen ihm aber eine Hochachtung zollen, die deshalb keine Thatsache zu übersehen braucht, wenn wir sein Leben als ein Drama betrachten, in welchem große innere Umgestaltungen die äußeren Veränderungen begleiten. Und bis zu der Periode, wo seine directe Einwirkung auf politische Angelegenheiten eben begonnen hatte, glühte das gebieterische Bedürfniß eines überwiegenden Einflusses unsichtbar in der gewaltigen Flamme des Eifers für Gott und die Menschheit.

Es war im Alterthum Sitte, wenn ein Stier dem Jupiter als Opfer dargebracht wurde, die dunkeln Flecken auf seinem Fell zu überkreiden, und ihm so einen falschen Anschein untadelhafter Weiße zu geben. Wir aber wollen die Kreide fortwerfen und dreist sagen: das Opfer war gesprenkelt, aber darum wurde sein gewaltiges Herz doch nicht vergeblich auf den Altar der erhabensten Hoffnung der Menschheit gelegt.



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