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Dreiunddreißigstes Capitel.
Baldassarre macht eine Bekanntschaft


Als Baldassarre Florenz durchwanderte, um eine freie Hinterwohnung zu suchen, wo er am billigsten eine geschützte Schlafstelle finden könnte, hatte er seine Schritte nach dem einzigen Fleck innerhalb der Stadtmauer gelenkt, der nicht vollkommen eben ist, und von wo aus der Beobachter seine Blicke über die Dächer der Häuser und die Stadt hinaus bis zu den schützenden Anhöhen und dem langgedehnten Thale schweifen lassen kann, welche sonst dem Auge verborgen sind, ausgenommen an der vom Arno gelassenen, willkommenen Fernsicht. Einen Theil dieses Grundes, die Anhöhe von Bogoli (damals ein großer Steinbruch), haben wir bereits gesehen, aber die Seite, welcher Baldassarre zuschritt, senkte sich nach der Rückseite der Via de' Bardi zu hinab, und wurde gewöhnlich die Anhöhe von San Giorgio genannt. Bratti hatte ihm gesagt, daß Tito in der Via de' Bardi wohnte, und nachdem er sich diese Straße angesehen hatte, wandte er sich dem Abhang jenes Hügels zu, den er von der Brücke aus bemerkt hatte. Wenn er nur ein Hinterhaus auf dieser Anhöhe als Obdach finden könnte, so wollte er froh sein; er war seit einigen Jahren gewohnt gewesen, unter freiem Himmel zu leben, und obendrein trugen die engen Straßen, mit dem dünnen Strich von Himmel über sich und dem unbekannten Labyrinth umher, dazu bei, sein Gefühl von Einsamkeit und Gedächtnißschwäche zu erhöhen.

Die Anhöhe war nur spärlich bewohnt und hauptsächlich von Gärten eingenommen; an einem Platz aber befand sich ein rauher, mit Steinen bedeckter Fleck Erde, der, seitdem gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts ein Bergsturz einige dort stehende Häuser zerstört hatte, nicht wieder bebaut worden war. Oben am Rande dieses verfallenen Platzes stand ein wunderliches, kleines, viereckiges, einem abgestumpften, mit geriefelten Ziegeln gedeckten Thurm ähnliches Gebäude, und dicht daneben ein kleines, augenscheinlich an eine niedergebrochene Steinmauer angebautes Hinterhaus. Unter einem großen, halb abgestorbenen Maulbeerbaume, der jetzt seine letzten raschelnden Blätter in den offenen Thorweg hineinwehen ließ, band eben eine alte und runzlige, aber noch rüstige Frau eine Ziege mit zwei Zicklein los und Baldassarre konnte sehen, daß dieser Theil des Hintergebäudes von lebenden Wesen bewohnt war; aber die Thür des andern Theils stand offen, und in diesem befand sich nichts, als einige Werkzeuge und Stroh. Das war gerade ein Platz, wie er ihn suchte.

Er redete das alte Weib an; aber er mußte erst ganz nahe an sie herantreten und ihr in's Ohr schreien, ehe er ihr deutlich machen konnte, daß er eine Wohnung brauche und dafür zahlen wolle. Zuerst konnte er nichts von ihr herausbekommen, als ein Kopfschütteln und die Worte: »Nein, keine Wohnung,« die in dem, tauben Leuten eigenthümlichen dumpfen Tone vorgebracht wurden. Endlich machte er ihr durch beharrliches Wiederholen klar, daß er ein armer, weit über's Meer hergekommener Fremdling sei, und nicht die Mittel besitze, in einer Herberge zu wohnen, daß er weiter nichts verlange, als ein Strohlager im Hinterhause, und ihr für dieses Obdach wöchentlich einen oder zwei Quattrini zahlen wolle. Sie sah ihn noch immer unschlüssig an, den Kopf schüttelnd und leise vor sich hin brummend; plötzlich aber, als ob ihr ein neuer Gedanke gekommen wäre, holte sie ein Beil aus dem Hause und fragte ihn, indem sie auf einen in einer Ecke liegenden, halb mit Streu bedeckten Klotz zeigte, ob er ihn für sie hauen wolle; in diesem Falle könne er auf eine Nacht im Hinterhause liegen. Er erklärte sich damit einverstanden, und Monna Lisa stand, die Arme in die Seite gestemmt und mit dem Lächeln gelungener List, daneben und sah ihm zu, während sie zu sich selbst sagte:

»Da hat der Klotz gelegen, seitdem mein Alter gestorben ist! Was nun? Ich hätte eben so gut einen Stein auf's Feuer legen können. Er haut sehr gut, obgleich er ganz fremdartig spricht und nicht sonderlich aussieht. Billiger hätte ich es gar nicht haben können. Und wenn er weiter nichts als ein wenig Stroh zum Lager verlangt, so kann ich ihn ja dafür manchmal zu irgend einer Verrichtung die Anhöhe hinauf und herunter schicken. Wer braucht das zu wissen? Und dann ist ›eine Sünde, die Niemand erfährt, schon halb vergeben.‹ Er ist hier fremd; er wird sie gar nicht bemerken. Ich werde ihr auch noch sagen, daß sie den Mund halten soll.«

Das Subject, auf welches das eben genannte Pronomen » sie« sich bezog, hatte ein Paar blaue Augen, die in diesem Augenblicke durch ein großes rundes Loch in dem Laden des offenen Fensters herniederblickten. Der Laden war geschlossen, nicht etwa aus Strafe, sondern weil nur das gegenübergelegene Fenster den Luxusartikel von Glasscheiben aufzuweisen hatte. Das Wetter war nicht warm, und ein rundes vierzölliges Loch genügte zu jeglichen Zwecken des Beobachtens. Unglücklicherweise war das Loch etwas zu hoch angebracht, und nöthigte die kleine Zuschauerin, sich auf einen niedrigen, etwas krüppelhaften Stuhl zu stellen. Aber Tessa, denn sie war es, hätte lange Zeit in einer viel unpassenderen Stellung ausgeharrt, wenn es eine kleine Abwechslung in ihrem Leben galt. Sie war bei den ersten Lauten des fremden, zu Monna Lisa redenden Mannes zur Oeffnung hingezogen worden, und leise durch ihr Zimmer fliegend, um von Zeit zu Zeit auf etwas zu sehen, blieb sie dort stehen, bis das Holz gehauen war, und sie Baldassarre, da es dunkel wurde, in das Haus gehen und sich auf das Stroh setzen sah.

Tessa's Geist war in eine große Versuchung geführt worden; sie wollte zu dem alten Manne hingehen, ihm einen Theil ihres Abendbrotes bringen und ein wenig mit ihm sprechen. Er war nicht taub wie Monna Lisa, und überdies konnte sie ihm eine Menge Dinge erzählen, die sie Monna Lisa nicht in's Ohr zu schreien brauchte, da diese sie schon wußte. Dazu kam, daß er ein Fremder war; und Fremde kamen von so ferne her und gingen wieder fort, und hatten keinen bestimmten Wohnort. Sie wußte, daß sie eigentlich schlecht handelte, denn Gehorsam war eine Hauptsache in Tessa's Ideen über Pflicht. Aber nun hatte sie doch dadurch etwas am nächsten Osterfeste dem Padre zu beichten; sonst war ja auch nichts da, was sie beichten konnte, als höchstens, daß sie zuweilen beim Beten des Rosenkranzes einschlief, und daß sie mitunter mürrisch gegen Monna Lisa auftrat, weil diese so sehr taub war; denn jetzt hatte sie so viel Zeit zum Müssiggang, wie ihr beliebte, und wurde niemals so geängstigt, daß sie »weiße Lügen« zu sagen nöthig gehabt hätte. Sie entfernte sich vom Fensterladen mit dem Ausdruck der Aufregung in ihrem kindlichen Gesicht, das noch immer »so anmuthig und strotzend war wie vordem. Ihr Anzug war auch noch immer der einer Bäuerin, aber einer zum Fest geschmückten; ihr Rock von dunkler grüner Serge mit dem rothen Gürtel war sehr rein und zierlich, sie trug eine Schnur von rothen Glasperlen um den Hals, und ihr wegen seiner Kräuse unglattes braunes Haar war auf herkömmliche Weise geknotet und mit der silbernen Nadel befestigt. Sie besaß nur ein Stück neuen Zierraths, und war sehr stolz darauf, denn es war ein schöner goldener Ring.

Sie saß auf dem niedrigen Stuhl, einige Augenblicke lang ihre Knie streichelnd, während ihre kleine Seele in unruhiger Bewegung am Rande dieser angenehmen Pflichtüberschreitung auf- und abschwebte. Da half kein Widerstreben; es war ihr befohlen worden, keine Bekanntschaften anzuknüpfen, und man hatte ihr damit gedroht, daß, wenn sie es doch thäte, ihr neues Glück verschwinden und wie ein verborgener Schatz sein würde, der sich in Blei verwandelte, sobald man ihn an's Licht des Tages brächte. Sie war auch so folgsam gewesen, daß sie, so oft sie zur Kirche ging, immer ihr Gesicht mit der Kaputze verdeckte und ihre Lippen dicht zusammenpreßte. Allerdings wurde diese Folgsamkeit durch die Furcht unterstützt, daß ihr sie so beunruhigender Stiefvater Nofri bis in dieses, doch vom Prato-Thore so entfernte Stadtviertel kommen, sie wenigstens schlagen, wo nicht gar zurückschleppen würde, um sie wieder zu zwingen, für ihn zu arbeiten. Dieser alte Mann aber war keine Bekanntschaft; er war nur ein armer Fremdling, der im Hinterhause schlafen sollte, und wahrscheinlich nichts vom Stiefvater Nofri wußte. Ueberdies würde er ja, wenn sie ihm ein Abendessen brächte, sie lieb haben und nichts über sie weitererzählen wollen. Monna Lisa würde bestimmt sagen, sie solle nicht zu ihm gehen und mit ihm sprechen, darum durfte Monna Lisa auch gar nicht befragt werden. Was sie, wenn es geschehen wäre, entdecken würde, daraus machte sich Tessa nichts.

Das Abendessen wurde bereitet, ein ganzer Berg von Maccaroni mit Käse schmackhaft zubereitet und so schön duftend, daß sie fest überzeugt war, es müsse jeden Fremden zähmen. So trippelte sie die Stiege hinab, den Geist von tiefen Plänen erfüllt, und nachdem sie zuerst mit harmlosen Blicken gefragt hatte, was das für ein Gespräch vorhin gewesen sei, und dann, ohne eine Antwort abzuwarten, ihre Stirn gebieterisch zusammenzog, wie ein Kätzchen, das furchtbar aussehen will, schickte sie die Alte hinauf und sagte: sie wolle heute lieber hier unten essen. Drei Augenblicke später stieß Tessa, ihre Laterne in der einen und eine hölzerne Schale voll Maccaroni in der andern Hand, leise gegen die Thür des Hinterhauses, und Baldassarre, aus seinem trüben Nachdenken aufgeschreckt, zweifelte im ersten Augenblick, ob er wache, als er beim Oeffnen der Thür diese überraschende kleine Dienstmagd, deren große Augen vor Vergnügen glänzten, erblickte, die seine traurige Einsamkeit störte.

»Ich habe Euch etwas zum Abendessen gebracht,« sagte sie, ihren Mund gegen sein Ohr emporstreckend und laut schreiend, als ob er eben so taub gewesen wäre, wie Monna Lisa, »setzt Euch und eßt, während ich bei Euch bleibe.«

Staunen und Mißtrauen überwucherten jede andere Empfindung in Baldassarre, aber, obgleich er weder ein Lächeln noch ein Wort des Dankes zu finden wußte, so war doch kein Beweggrund vorhanden, diesen Gast fortzuweisen, und er sank gleichgültig wieder auf sein Lager zurück, während Tessa sich dicht neben ihn setzte, die Holzschüssel ihm auf den Schoos und die Lampe gegenüber hinstellte, und die Hände vor sich hin faltete, indem sie mit bedeutsamem Lächeln, als wollte sie sagen: »ja, ja, Ihr dürft es wirklich essen,« auf die Schale deutete. In der Aufregung, ihr Unternehmen auszuführen, hatte sie nämlich ihre frühere Ueberzeugung, daß der Fremde nicht taub sei, vergessen und war wieder in ihre frühere Gewohnheit, abwechselnd sich durch Pantomimen oder Schreien verständlich zu machen, verfallen.

Die Einladung war keine unerfreuliche, denn er hatte die Ueberbleibsel eines harten Brotes gekaut, welches ihm einen bedeutenden Appetit nach etwas Warmem und Wohlschmeckendem gelassen hatte. Tessa beobachtete das Verschwinden von zwei oder drei guten Portionen, ohne zu sprechen, denn seine Blicke waren ihr Anfangs etwas wild vorgekommen; jetzt aber wagte sie es, ihren Mund wieder an sein Ohr zu halten und zu schreien:

»Euch schmeckt mein Abendessen, nicht wahr?«

Es war kein Lächeln, sondern eher der freundliche Blick eines Hundes, der von einer erwiesenen Wohlthat gekirrt wird, aber nicht lächeln kann, den Baldassarre auf das derbe, blauäugige Wesen richtete, das sich seiner annahm.

»Ja wohl,« antwortete er, »aber ich bin nicht taub.«

»Es ist ja wahr; das habe ich rein vergessen,« rief Tessa, die Hände erhebend und zusammenschlagend, »aber Monna Lisa ist taub, und ich wohne mit ihr zusammen. Sie ist eine gute alte Frau, und ich fürchte mich nicht vor ihr. Und wir leben sehr gut, wir haben eine Menge hübscher Sachen. Ich kann Nüsse essen, wenn ich will, und ich werde jetzt auch nicht mehr gezwungen, zu arbeiten. Ich mußte früher immer arbeiten, und das mochte ich nicht; aber ich mochte die Maulthiere füttern, und möchte gern meine liebe Giannetta, das kleine Maulthier, einmal wiedersehen. Wir haben nur eine Ziege mit zwei Jungen, und ich pflegte viel mit der Ziege zu plaudern, weil sonst Niemand da war, als Monna Lisa. Jetzt habe ich aber noch etwas Anderes; könnt Ihr errathen, was das ist?«

Sie warf ihr Köpfchen zurück und sah Baldassarre mit einem herausfordernden Lächeln an, als ob sie ihm ein schwieriges Räthsel zu lösen aufgegeben hätte.

»Nein,« antwortete er, die Schale wegsetzend und sie träumerisch ansehend. Es war ihm, als sei dieses junge schwatzende Geschöpf eine Erinnerung aus seiner eigenen Jugendzeit.

»Ihr mögt doch gern, daß ich mit Euch plaudere, nicht wahr?« fragte Tessa, »aber Ihr müßt es Keinem sagen. Soll ich Euch etwas kalte Wurst bringen?«

Er schüttelte den Kopf, sah aber dabei so mild aus, daß Tessa sich ganz behaglich in seiner Nähe fühlte.

»Nun also, ich habe ein kleines Kind, so einen wahren kleinen Schatz, mit solchen Fingerchen und Nägelchen, und noch gar nicht alt; es wurde, wie Monna Lisa sagt, um Weihnachten geboren. Ich wurde auch an Mariä Geburt verheirathet; o schon lange, lange her, und Niemand wußte etwas davon. O Santa Madonna! da habe ich Euch etwas gesagt, was ich gar nicht erzählen wollte!«

Tessa zog die Schultern in die Höhe und biß sich auf die Lippen, Baldassarre dabei ansehend, als ob diese Offenbarung ihrer Geheimnisse auch auf ihn einen tiefen Eindruck machen müßte. Er schien sich aber nicht darum zu kümmern; das war vielleicht bei Fremden so Brauch.

»Ja,« fuhr sie fort, ihre Gedanken laut werden lassend, »Ihr seid ein Fremder, Ihr habt keinen festen Wohnort und kennt auch Niemanden, nicht wahr?«

»Nein,« antwortete Baldassarre, gleichfalls laut denkend, ohne zu wissen, daß er sprach, »ich kenne nur einen Menschen.«

»Heißt der etwa Nofri? wie?« fragte Tessa ängstlich.

»Nein,« sagte Baldassarre, ihren Blick voll Furcht bemerkend; »ist das der Name Eures Mannes?«

Diese irrige Vermuthung schien Tessa zu belustigen. Sie lachte und klatschte in die Hände, während sie sagte:

»O nein! ich darf Euch aber nichts über meinen Mann sagen; wer der ist, das fiele Euch nie ein; ganz und gar nicht wie Nofri.«

Sie lachte von Neuem über diesen komischen Mangel an Uebereinstimmung zwischen dem Namen: Nofri, der von dem Gedanken an ihren widerhaarigen Stiefvater unzertrennlich war, und dem ihres Gatten.

»Doch ich sehe ihn nicht sehr oft,« fuhr sie, ernster werdend, fort, »und zuweilen bete ich zur heiligen Jungfrau, ihn öfter zu schicken; einmal hat sie es auch gethan. Jetzt muß ich aber zu meinem Kinde gehen; ich will es Euch morgen sehen lassen. Ihr würdet Euch über seinen Anblick freuen. Manchmal schreit es auch und verzieht das Gesicht, aber nur, wenn es hungrig ist, sagt Monna Lisa. Die Monna Lisa hatte, Ihr werdet es Euch gar nicht denken können, auch einmal kleine Kinder; das sind aber jetzt lauter todte alte Leute. Mein Mann sagt, sie würde jetzt gar nicht mehr sterben, weil sie so gut eingedörrt ist. Das ist mir auch lieb, denn ich mag sie recht gern leiden. Ihr würdet morgen auch noch gern hier bleiben, nicht wahr?«

»Ich möchte diesen Ort gern zum Ausrasten haben, weiter nichts,« sagte Baldassarre, »ich würde dafür zahlen, und Niemandem etwas anhaben.«

»Nein, das würdet Ihr auch nicht; ich glaube gewiß, daß Ihr gar kein böser alter Mann seid; Ihr scheint aber wegen etwas betrübt zu sein. Sagt mir, habt Ihr etwas, worüber Ihr weinen werdet, wenn ich Euch jetzt allein lasse? Ich pflegte sonst zu weinen.«

»Nein, mein Kind, ich glaube, ich werde nicht mehr weinen.«

»So ist es recht; und ich werde Euch ein Frühstück bringen und den Kleinen zeigen. Gute Nacht!«

Tessa nahm Schüssel und Laterne und schloß die Thür hinter sich. Die reizende, liebliche Erscheinung war für Baldassarre nichts mehr gewesen, als ein matter Regenbogen auf finsterem Grunde für den Mann ist, der in den Tiefen der Gewässer ringt. Er dachte ihrer kaum wieder, bis sein träumerisches Wachen sich in die lebhafteren Bilder gestörten Schlafes verlor.

Desto mehr dachte Tessa an ihn. Kaum war sie in's Haus zurückgekehrt, als sie der Monna Lisa erzählte, was sie gethan hatte, und sie bestand darauf, daß es dem Fremden erlaubt werde, so oft zu kommen und im Hinterhause zu wohnen, wie es ihm beliebte. Die Alte, welche ihren Plan gefaßt hatte, ihn zu einem nützlichen Einwohner zu machen, that, als ob sie sich dem heftig widersetze. Sie schüttelte den Kopf und gab Tessa zu bedenken, daß Messer Naldo sehr böse sein würde, wenn sie Jemanden in die Nähe des Hauses ließe. Tessa glaubte dies nicht. Messer Naldo hatte nichts gegen Fremde gehabt, die nirgendwo wohnten, und jener alte Mann kannte Niemanden, außer Einen, der nicht Nofri war.

»Nun gut,« stimmte Monna Lisa endlich bei, »wenn ich ihn eine Zeit lang hier lasse, daß er mir Sachen die Anhöhe hinaufträgt, so mußt Du das Geheimniß bewahren und Niemandem etwas davon sagen.«

»Nein,« erwiderte Tessa »Niemandem, außer dem Kleinen.«

»Und dann,« fuhr Monna Lisa in ihrem schweren gepreßten Tone fort, »möge Gott uns davor hüten, daß Messer Naldo etwas von der Geschichte erfährt. Er kommt immer gegen Dunkel, und da er erst vor zwei Tagen hier war, so wird er wahrscheinlich nicht wieder kommen, ehe der alte Mann fort ist.«

»Ach Himmel, Monna,« rief Tessa, die Hände faltend, »ich wünsche, Naldo müßte nicht zuweilen so lang entfernt sein, bis er zurückkehrt.«

»Ja, mein Kind, die Welt ist weit, wie die Leute sagen, es giebt Ortschaften da dort hinter den Bergen, und wenn man Tag und Nacht, und Nacht und Tag geht, so kommt man nach Rom und sieht den heiligen Vater.«

Tessa sah bei dieser mysteriösen Andeutung voll Demuth nieder und begann ihr Kind zu wiegen, indem sie abgebrochene Töne von unbestimmtem Liebesinhalt wie einen Dreiklang vor sich hin summte.

Am nächsten Morgen war sie ungewöhnlich ämsig in Voraussicht einer weiteren Unterhaltung und des Vergnügens, welches sie dem armen, alten Fremden durch das Vorzeigen ihres Kindes machen würde. Ehe sie aber so weit war, dem Greise das Frühstück zu bringen, fand sie, daß Monna Lisa sich seiner schon zum Wasserholen bedient hatte. Sie verschob ihre Paternoster und eilte hinab, um darauf zu bestehen, daß Baldassarre auf seinem Stroh sitzen solle, so daß sie wieder neben ihm Platz nehmen könne, während er sein Frühstück verzehrte. Diese Stellung machte ihr die neue Bekanntschaft um so angenehmer, als sie gewohnt gewesen war, in früheren Zeiten bei ihren Ziegen und Maulthieren auf der Streu zu sitzen.

»Ich werde nicht leiden, daß Monna Lisa Euch zu viele Arbeit giebt,« sagte sie, indem sie ihm eine dampfende Suppe und weiches Brot brachte; »ich mag nicht gern viel arbeiten und Ihr mögt es wahrscheinlich eben so wenig. Ich mag lieber in der Sonne sitzen und die Creaturen füttern. Monna Lisa sagt: arbeiten ist gut, aber sie verrichtet Alles selbst, so kümmere ich mich nicht viel darum. Die alte Frau ist nicht böse, Ihr braucht Euch also nicht vor ihrem Brummen zu fürchten. So, und jetzt eßt Das hier, und ich will gehen, mein Kind holen und es Euch zeigen.«

Sie kam auch alsbald mit dem kleinen Mumienkasten im Arm zurück. Die Mumie sah sehr munter aus, hatte ungewöhnlich große, dunkle Augen, aber nicht mehr als die gewöhnlichen Andeutungen einer zukünftigen Nase.

»Da ist mein Kind,« sagte Tessa, sich dicht neben Baldassarre setzend, »Ihr glaubtet wol nicht, daß es so hübsch sei? Es sieht aus wie das Jesuskindlein, und ich denke, die heilige Gottesmutter wird mir jetzt noch gnädiger sein, meint Ihr nicht auch? Aber ich habe jetzt eben um nichts Besonderes zu bitten, weil ich Alles habe, höchstens, daß ich meinen Mann öfter sehen könnte. Ihr könnt den Kleinen ein wenig halten, wenn Ihr wollt, aber es ist besser, glaube ich, wenn Ihr ihn nicht küßt, weil Ihr ihm wehe thun könnt.«

Sie sprach dies Verbot im Tone mildernder Entschuldigung, und Baldassarre konnte es nicht ablehnen, das kleine Päckchen zu halten. »Armes Ding, armes Ding!« sagte er mit tiefer Stimme, die trotz ihres augenscheinlichen Mitleids etwas seltsam Drohendes hatte. Es schien ihm nicht, als ob dieses arglose, liebevolle Weibchen ihn überall wieder mit der Welt versöhnen könne, wol aber, daß sie mit ihm gegen die Welt sei, und daß sie eines Rächers bedürfe.

»O, Ihr braucht Euch meinetwegen keinen Kummer zu machen,« sagte sie, »denn obgleich ich ihn nicht oft sehe, so ist er doch schöner und besser, als sonst irgend Jemand in der Welt. Ich bete zu ihm, wenn er nicht da ist. Ihr könnt Euch gar nicht denken, was er ist!«

Sie sah Baldassarre mit einem großen Blick voll mysteriöser Bedeutsamkeit an, indem sie ihm das Kind wieder abnahm, und beinahe wünschte er möge sie ausfragen, als ob ihm sehr viel daran gelegen wäre, mehr zu wissen.

»O ja, ich kann es wol« – sagte Baldassarre nicht ohne Bitterkeit.

»Nein, ich bin überzeugt, das könnt Ihr nicht,« sagte Tessa ernst und fügte mit der triumphirenden Miene treffender Logik hinzu: »Ihr denkt etwa, daß es Nofri ist; doch was thut's, Ihr könnt es nicht wissen – wie ist Euer Name?«

Er fuhr mit der Hand über die gerunzelte Stirn, sah sie dann ganz betroffen an und sagte: »Ja, mein Kind, wie heiße ich doch gleich?«

Nicht etwa daß er sich nicht oft genug seines Namens erinnerte; und wenn er eben Geistesgegenwart genug gehabt hätte, um sich desselben zu entsinnen, so würde er ihn wahrscheinlich doch nicht genannt haben. Aber eine plötzliche an sein Gedächtniß sich wendende Frage hatte eine lähmende Wirkung, und in diesem Augenblicke war er sich einzig und allein seiner Hülflosigkeit bewußt.

So unwissend Tessa im Ganzen war, so trieb das, von seinem seelenlosen Blicke in ihr aufgeregte Mitleid, sie zu sagen: »Nun, das thut ja nichts. Ihr seid ein Fremder, und da ist es ja einerlei ob Ihr einen Namen habt oder nicht. Jetzt lebt wohl, ich muß frühstücken. Ihr könnt hierher kommen und ausruhen, wenn es Euch beliebt; Monna Lisa hat es erlaubt. Seid also nicht unglücklich, denn wir werden gut gegen Euch sein.«

»Armes Ding!« wiederholte Baldassarre.



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