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Sechsunddreißigstes Capitel.
Ariadne entkrönt sich.


Es dauerte länger als drei Wochen bis die Bibliothek gänzlich verpackt und fortgeschafft war. Romola hatte, statt Augen und Ohren zu schließen, den ganzen Verlauf dieser Arbeit überwacht. Die einer heftigen Aufregung folgende Erschöpfung vermag einen träumerischen Unglauben an die Wirklichkeit ihrer Ursache hervorzurufen; und an dem Abend, als die Arbeiter sich entfernt hatten, nahm Romola ihre kleine Lampe und ging langsamen Schrittes zwischen dem Durcheinander von Stroh und Holzkisten umher, bei jedem leeren Piedestale, bei jedem wohlbekannten am Boden liegenden Gegenstande stehen bleibend, und mit dem schmerzlichen Wunsche, sich zu überzeugen, daß ein genügender Grund vorhanden sei, warum ihre Liebe entschwunden und die Welt jetzt öde für sie war. Und immer, so oft der Abend wiederkehrte, wiederholte sie diesen Gang, nicht um sich zu überzeugen, sondern weil die Wiederauffrischung des Grams und der Verzweiflung über diese Andenken an ihren Vater das gewaltigste ihrer Liebe gelassene Lebenszeichen war. Und am dreiundzwanzigsten December wußte sie, daß das letzte Gepäck fortgeschafft wurde. Sie eilte zur Loggia auf dem Dache des Hauses, um sich auch nicht den letzten Kummer zu ersparen, den, die langsamen Räder über die Brücke dahin rollen zu sehen.

Es war ein wolkentrüber Tag und beinahe Dämmerung. Der Arno floß dunkel und schaurig dahin, die Anhöhen waren finster, und Florenz, mit seinen umgebenden Steinthürmen, hatte jenes unheimlichstille grabähnliche Ansehen, welches ein ununterbrochener Schatten einer von obenherunter beschauten Stadt giebt. Santa Croce, wo ihr Vater lag, ragte dunkel aus dem Dunkel hervor, und langsam über die Brücke herankriechend und eben so langsam durch die enge Straße wieder verschwindend, zeigte sich die weiße Wagenladung, wie ein grausames, langsam einherschleichendes Fatum, ihres Vaters ganze Lebenshoffnung davon schleppend, um sie in ein namenloses Grab zu legen. Romola fühlte weniger daß sie selbst dies sah, als daß ihr Vater es gewahrte, wie er hülflos unter dem fesselnden Gestein dalag, wo ihre Hand die seinige nicht erfassen konnte, um ihr zu sagen, daß er nicht allein sei.

So stand sie noch, als der Wagen verschwunden war, der Kälte nicht achtend, und umhüllt vom Dunkel, das sie wie ein Trauergewand zu umhüllen und den Mißton der Freude auszuschließen schien, als plötzlich die große Glocke im Palastthurme ihr mächtiges Geläute erhob; nicht die Hammerschläge der Sturmglocke waren es, sondern die lebhaften Schwingungen des Triumphs, und diese Schwingungen schien eine Glocke nach der andern auf allen Thürmen nachzufühlen und in den Chor mit einzustimmen. Und wie dieser Ton immer höher und lauter anschwoll, bis die Luft ein einziges Klangmeer zu sein schien, sprühten Flämmchen, gleichfalls mit anschwellendem Züngeln, als ob die Töne Feuer gefangen hätten, zwischen den Palastzinnen und aus den mauerumgebenden Thürmen hervor.

Dieses plötzliche Klingen, dieses hüpfende Leuchten durchzuckte Romola wie schmerzhafte Wunden. Es war der Triumph böser Geister über den glücklichen Erfolg der Verrätherei ihres Gatten und über das Elend ihres Lebens. Vor etwas mehr als drei Wochen hatte der Ton derselben Glocken sie berauscht, und in der Freude der ganzen Stadt hatte sie die Prophezeihung ihrer eigenen Freude vernommen. Jetzt aber erschien ihr die allgemeine Freude wie eine Grausamkeit gegen sie; sie stand hoch oben über dem Alltagsleben, über dem Florenz, welches seinen lauten Jubel ausströmte, um das Ohr des Kummers und der Verlassenheit zu betäuben. Nie wieder konnte sie der Freude die Hand reichen, sondern nur denen, die zu vergessen in der Charakterhärte der Freude lag. Und in ihrer Bitterkeit fühlte sie, daß alle Freude nur Trug sei. Die Menschen sangen mit beladenen Herzen Jubellieder und blickten dabei ihre Nebenmenschen an, um zu sehen, ob diese auch in der That freudig gestimmt wären. Romola hatte ihren Glauben an das Glück, das sie einst so brünstig ersehnt hatte, verloren – denn es war ein gehässiges, lächelndes, weichhändiges Wesen dieses Glück mit dem kleinlichen, selbstsüchtigen Herzen.

Sie stürmte von der Loggia fort, mit den Händen das Ohr bedeckend, und eilte durch das Vorzimmer, als sie zurückbebte, indem sie unerwartet auf ihren Gatten traf, der sie aufsuchte.

Sein Schritt war elastisch, und ein ungewöhnliches Lächeln der Zufriedenheit umstrahlte ihn.

»Wie! das Gelärm war Dir ein wenig zu arg?« fragte Tito, denn Romola hatte, als sie bei seinem Anblick zurückwich, ihre Hände noch fester gegen die Ohren gepreßt. Er faßte sie freundlich bei der Hand, zog ihren Arm in den seinigen, führte sie in den mit tanzenden Nymphen und Faunen decorirten Salon, und fuhr fort: »Florenz ist ganz außer sich, daß es seinen großen Rath erhalten hat, der allen Uebeln unter der Sonne ein Ende machen soll, besonders dem Laster der Fröhlichkeit. Du hast Ursache, betäubt zu sein, Romola, auch ist Dir kalt. Du mußt Dich nicht so spät ohne Mantel dem Zuge in der Loggia aussetzen. Ich kam, um Dir zu sagen, daß ich plötzlich in einer wissenschaftlichen Angelegenheit für Bernardo Rucellai nach Rom berufen worden bin. Ich gehe unverzüglich ab, denn ich muß meine Reisegesellschaft in San Gaggio treffen, und zwar noch heute Abend, damit wir früh Morgens aufbrechen können. Ich brauche Dich auch nicht zu stören, denn mein Gepäck ist bereits in Ordnung; übrigens werde ich nicht lange ausbleiben.«

Er war sich recht wohl bewußt, daß er von ihr nichts als stillschweigendes Hinnehmen alles Dessen, was er sagte und that, zu gewärtigen hatte. Er mochte jetzt nicht einmal wagen, ihre Stirn zu küssen, sondern begnügte sich damit, ihre Hand an seine Lippen zu drücken, und entfernte sich. Tito fühlte, daß Romola unversöhnlicher war, als er gedacht hatte; ihre Liebe war nicht jener süße sich anschmiegende Instinct, der stärker ist als jedes Urteil und, wie er jetzt zu begreifen anfing, den großen Reiz des Weibes ausmacht. Doch war diese versteinerte Kälte ihm lieber als eine heftige, werthlose Widersetzlichkeit. Ihr Stolz und ihre Fähigkeit, die Nutzlosigkeit des Widerstandes zu erkennen, kamen ihm sehr gelegen.

Als die Thür sich aber hinter Tito geschlossen hatte, verlor Romola den Blick der kalten Unbeweglichkeit, die sie immer, wenn er ihr nahte, wie ein unwillkürlicher Frost überkam. Ihr Inneres war nichts weniger als in einem Zustande ruhigen Duldens, und die Tage seit jenem Auftritte, der sie von Tito geschieden hatte, waren in eifrigen Entwürfen und Vorbereitungen für die Vollführung eines Zweckes verstrichen.

Das Erste was sie jetzt that, war: daß sie den alten Maso zu sich berief.

»Maso,« sagte sie in entschiedenem Tone, »wir reisen morgen früh. Wir können jetzt die erste Tuchsendung einholen, während sie in San Piero Rast halten. Besorge noch heute Abend zwei Maulthiere, halte Dich bereit, Dich mit Tagesanbruch auf den Weg zu machen, und erwarte mich mit den Thieren in Trespiano.«

Sie wollte Maso mit sich bis nach Bologna nehmen, und ihn von da mit Briefen an ihren Pathen und an Tito, worin sie diesen anzeigte, daß sie fort sei und nimmer wiederkehren würde, zurückschicken. Sie hatte den Plan ihrer Abreise so entworfen, daß derselbe geheim bliebe, damit ihr verschwundenes Liebes- und Lebensglück von ungeweihten Augen nicht erspäht werde. Bernardo del Nero, der sich vor politischem Verdacht zu seinen ländlichen Lieblingsbeschäftigungen geflüchtet hatte, befand sich auf seiner Villa und sie hatte ihm die Schuld entrichtet, ohne ihn gesehen zu haben. Er wußte nicht einmal, daß die Bibliothek verkauft war, sondern vermuthete, daß irgend ein unerwarteter Glückszufall Tito in den Stand gesetzt hatte, diese Summe Geldes zu erheben. Maso war von ihr nur in so weit in's Vertrauen gezogen worden, daß er wußte, ihre Reise solle ein Geheimniß sein, und ihm lag in seinem welken, winterlichen Greisenalter nichts mehr auf, als zu thun, was sie ihm gebot.

Romola beschloß, in dieser Nacht nicht zu Bette zu gehen. Als sie die Thüre verschlossen hatte, nahm sie die Kerze und ging zu der geschnitzten und bemalten Truhe, in der ihre Hochzeitskleider lagen, das Gewand von weißer Seide und Gold, der lange, weiße Schleier und der Perlenkranz. Sie stieß, als sie diese Sachen erblickte, einen tiefen Seufzer aus, denn sie schienen ihr das Leichentuch ihres todten Glücks zu sein. In einer kleinen goldenen Rundschnur des Perlenkranzes hatte sich eine Zuckererbse verfangen, eine röthliche Schlosse von dem Confectenhagel, die Tito zuerst entdeckt hatte, und die nach seinem Willen dort stecken bleiben sollte. In gewissen Augenblicken, und der jetzige war ein solcher, wurde Romola plötzlich durch eine plötzlich hereinbrechende Erinnerungswoge zurückgetragen in jene Zeiten des Vertrauens und empfand wieder die Nähe des Gatten, dessen Liebe ihr die Welt so frisch und wunderbar schön machte, wie einem in der Stille unter sonnenbeglänzten Blumen sitzenden Kinde; sie hörte wieder die lieben Töne und sah die sanften Augen ohne Falsch, sie athmete wieder jene hohe Freiheit der Seele, welche dem Glauben entspringt, daß das Wesen, welches uns das Theuerste ist, höher steht als wir. Und in solchen kurzen Momenten traten ihr stets die Thränen in's Auge; die Zärtlichkeit des Weibes hatte ein Gefühl gleich dem der Mutter, die ihr Kind verloren hat, und der die kleinen Finger noch immer warm auf ihrem Busen zu ruhen scheinen, und doch kalt wie Marmor sind, wenn sie ihre Lippen darauf drückt, indem sie sich auf das stille Bettchen herabneigt.

Es lag aber neben den Hochzeitsgewändern noch etwas in der Truhe, etwas Dunkles und Grobes eng zusammengerollt. Sie wandte ihre Augen von dem Weiß und Gold ab und auf das dunkle Päckchen hin, und als sie die Serge berührte, versiegten ihre Zähren. Die grobe Rauhheit des Stoffes rief sie in die liebe- und freudenleere Gegenwart zurück. Sie löste die dicke, weiße Schnur und breitete das Bündel auf dem Tische aus. Es war das graue Sergegewand der frommen, zum dritten Rang des Franziskanerordens gehörenden Schwestern, welche sich hauptsächlich frommen Werken widmeten, und von den Florentinern gewöhnlich Pinzochere genannt wurden. Romola wollte sich dieses Gewandes als einer Verkleidung bedienen, und sie beschloß, es zur Stelle anzulegen, so daß, wenn sie noch vor dem Morgen des Schlafes bedürfen sollte, sie bei ihrem Erwachen vollkommen zur Reise gerüstet sein möge. Sie legte ihre schwarzen Kleider ab, und als sie ihre weichen, weißen Arme in die groben Aermel des Sergemantels steckte und der harte Gürtelstrick ihre Finger beim Zubinden verletzte, gefielen ihr diese rauhen Berührungen; sie paßten zu ihrer neuen Verachtung jener, die Menschen erniedrigenden Dinge, die man »Vergnügen« nennt – dieses schlaue Streben nach selbstischer Bequemlichkeit, dieses Zurückbeben vor Leiden und Anstrengung, während Andere unter zu schweren Lasten erlagen, ein Streben, welches sich ihr jetzt als in ihrem Gatten verkörpert darstellte.

Darauf nahm sie ihr langes Haar zusammen, zog es ganz aus dem Gesicht zurück, band es rückwärts in einen großen, festen Knoten, nahm ein viereckiges Stück Seide, befestigte es, in der Form eines Tuches, dicht über dem Kopfe und unter dem Kinn, und zog dann die Kapuze darüber. Dann erhob sie das Licht gegen den Spiegel. Sicherlich war ihre Verkleidung für Jeden, der nicht in ihrer unmittelbaren Nähe gelebt hatte, vollkommen gelungen. Sie selbst aber kam sich ihrem Bruder Dino ähnlich vor, nur mußte noch das volle Oval ihrer Wangen einfallen, die ohnehin trüben Augen mußten nur noch etwas einsinken. Wurde sie ihm auch noch in andern Dingen ähnlich? Nur darin, daß sie jetzt vollkommen begriff, wie man getrieben werden kann für immer den irdischen Vergnügungen zu entfliehen, und eher bei den Bildern des Kummers, als bei denen der Schönheit und Freude zu verweilen.

Aber sie verweilte nicht vor dem Spiegel, sondern machte sich daran, alle Andenken an ihre Eltern einzupacken, die zu groß waren, um sie in die kleine Reisetasche zu stecken. Sie sollten sämmtlich zu den Hochzeitskleidern in die Truhe gelegt, und diese ihrem Pathen zugestellt werden, sobald sie glücklich fort war. Zuerst that sie die Portraits hinein, und dann nacheinander wurde jede Kleinigkeit, an die sich eine geheiligte Erinnerung knüpfte, in die Tasche oder in die Truhe gelegt.

Sie hielt inne. Es war noch etwas, das sie von sich thun mußte und das der Vergangenheit angehörte, der sie nun für immer den Rücken kehren wollte. Sie legte Daumen und Zeigefinger an den Trauring, aber sie blieben da, ohne ihn abzuziehen. Romola's Geist war wie durch einen heftigen Strom zu diesem Schritte hingerissen worden, einen Gatten zu verlassen, der ihr ganzes Vertrauen getäuscht hatte, und ein äußeres Band zu lösen, welches nicht mehr das innere Band der Liebe vorstellte. Aber die Macht der äußerlichen Symbole, durch die unser tägliches Leben zusammengehalten wird, um eine unerbittliche äußere Gleichheit für uns zu schaffen, die unser wankendes Bewußtsein nicht erschüttern kann, diese Macht verlieh der einfachen Bewegung, den Ring abzustreifen, einer Bewegung, die doch nur eine Folge ihres energischen Entschlusses war, eine eigenthümliche Wirkung. Diese Wirkung war eine unbestimmte, aber hemmende Ahnung, daß sie ihr ganzes Leben in zwei Theile zerriß, ein bebendes Vorgefühl, daß der mächtige Antrieb, welcher jeden Zweifel zu beseitigen und ihren Pfad zu ebnen schien, am Ende doch nur ein blinder war, und daß in dem Bande, welches Menschen verbindet, doch etwas lag, welches nicht zuließ, daß man es zugleich mit zerstörten Illusionen zerreiße.

War auch jener geliebte Tito, der den Trauring an ihren Finger gesteckt hatte, wirklich nicht mehr derselbe Tito, den sie aufgehört hatte zu lieben, warum sollte sie ihm das Zeichen seiner Verbindung zurückstellen, statt es als Andenken zu bewahren? Und diese, als ein fühlbarer Beweis ihrer und seiner Einswerdung dienende Handlung hatte eine, ihr selbst unerklärliche Macht, sie zu erschüttern. Dies ist der Fall bei der Hälfte des Wahren, zwischen dem wir leben, daß es uns nur beunruhigt und dumpfe Pulsschläge verursacht, die niemals zum hellen Durchbruch kommen. In ihr aber sprach eine leidenschaftliche Stimme, die alles dieses gedämpfte Murmeln vernichtete.

Es kann nicht sein! Ich kann ihm nicht unterthan sein! Er ist falsch! Ich schaudere vor ihm zurück! Ich verachte ihn!

Sie riß den Ring vom Finger und legte ihn auf den Tisch, neben die Feder, mit welcher sie schreiben wollte. Und wiederum fühlte sie, daß es für sie kein Gesetz geben könne, als das ihrer Liebe. Die Zärtlichkeit und das mächtige Mitgefühl für die Nächsten und die Geliebten, welche das Hauptergebniß der Liebe sind, hatten die Religion ihres Lebens ausgemacht. Sie hatten sie, trotz ihres angeborenen Ungestüms, geduldig gemacht; sie würden hingereicht haben sie zu einer heldenmüthigen That anzufeuern. Jetzt aber war alle diese Kraft entschwunden oder vielmehr in die Kraft des Widerwillens verwandelt. Sie hatte sich von Tito, nach Maßgabe der Allgewalt ihrer jungen Eingebung und Liebe, welche er verrathen hatte, und der lebenslangen Hingebung an ihren Vater, gegen welche sie unwiederbringlich verstoßen hatte, zurückgezogen. Und jetzt schien es ihr, als ob ihr jeder Grund, ausgenommen die Entrüstung und Verachtung, welche die Ursache waren, daß sie sich von ihm losgerissen hatte, mangelte. Sie handelte nicht in Gemäßheit eines früheren Falles, und gehorchte keinen angenommenen Grundsätzen. Die große Strenge der stoischen Philosophie, in welcher ihr Vater sie sorgfältig erzogen hatte, war ihren Ohren und Lippen bekannt genug, und der erhabene Geist des Stoicismus hatte eine Art Widerhall in ihr erweckt, aber sie hatte sich seiner nie bedient, ihn nie als Lebensregel gebraucht. Sie hatte geduldet und geschont, weil sie liebte; Grundsätze, welche von ihr heischten, weniger zu fühlen, und sich nicht fest anzuschmiegen, damit der Verlauf der großen Natur sie nicht erschüttere, hatten eben so wenig Macht über ihre Zärtlichkeit, als über ihres Vaters Durst nach gerechtem Ruhm. Sie hatte sich keine Theorieen angeeignet, sondern sich stark durch die Macht der Liebe gefühlt, und das Leben ohne diese Energie trat wie ein ganz neues Problem an sie heran.

Sie wollte dieses Problem in einer ihr sehr natürlich scheinenden Weise lösen. Ihr Geist hatte sich noch nie vor irgend einer andern Verpflichtung als vor persönlicher Liebe und Achtung gebeugt; sie hatte keinen regen Sinn für andere menschliche Beziehungen, und jetzt hatte sie nur dem Instinct zu gehorchen, sich von dem Manne, den sie nicht mehr liebte, zu trennen.

Aber dieser unwandelbare Entschluß war von fortwährend wechselnden Phasen von Qualen begleitet. Und jetzt, da die wirklichen Vorbereitungen zu ihrer Abreise beinahe vollendet waren, säumte sie noch; sie zögerte, die unwiderruflichen Worte des Abschieds von ihrer ganzen kleinen Welt niederzuschreiben. Die Aufregung der vergangenen Wochen schien mit grausamer Eile wiederzukehren und sich sogar ihres Körpers zu bemächtigen. Sie wollte schreiben, und ihre Hand sank herab. Bittere Thränen stürzten jetzt bei der Enttäuschung hervor, welche den Mehlthau über ihre Jugendblüthe ausgestreut hatte, Thränen, so ganz verschieden von den, bei der Erinnerung an die Glückseligkeit, mit welcher sie den Perlenkranz und die röthliche Hagelschlosse betrachtet hatte, vergossenen. Und jetzt empfand sie eine krampfhafte Scham über die Worte der Beschimpfung, die sie gegen Tito geäußert hatte: »hast Du sonst noch Jemanden bestohlen, der nicht todt ist?« Daß sie sich solche Worte hatte entreißen lassen, daß sie sie ihrem Gatten gesagt hatte, schien ihr eine Entwürdigung ihres ganzen Lebens. Harte Reden zwischen Denen, die einander geliebt haben, sind eine widerwärtige Erinnerung, wie der Anblick der in Laster und Lumpen versunkenen Größe und Schönheit.

Dieser herzzerreißende Vergleich der Gegenwart mit der Vergangenheit drängte sich Romola auf, bis er sich in Empfindungen des Elends verwandelte; sie schien für Alles unempfänglich, außer für ein inneres Beben, und begann das Bedürfniß einer harten Berührung zu fühlen. Sie fuhr mit der Hand scharf über den rauhen, knotigen Strick, der an ihrer Seite herabhing. Sie sprang empor und ergriff den rauhen Deckel der Truhe; ging nichts mehr hinein? Nein. Sie schloß den Deckel, drückte die Hand auf das rauhe Schnitzwerk und verschloß sie.

Dann erinnerte sie sich daran, daß sie noch ihren Anzug als pinzochera zu vervollständigen hatte. Die große Ledertasche ( scarsella) mit Scheidemünze mußte an den Strick, den sie um die Hüften trug, gehängt werden (die Gulden und kleinere, von ihrem Pathen und von der Muhme Brigida ihr geschenkten Juwelen waren sicher im Futter des Sergemantels untergebracht), und an der andern Seite mußte der Rosenkranz einen Platz finden. Während Romola diese Gebetschnur anhängte, fiel es ihr gar nicht bei, daß es wol noch eines Mehren als des bloßen Gewandes bedürfe, um sie als pinzochera gelten zu lassen, und daß ihre Miene und ihr ganzes Wesen so wenig wie möglich das Gepräge einer frommen Schwester trug, deren Augen beständig niedergeschlagen, und deren Lippen gewöhnt sein mußten, sich in innerem Gebet zu bewegen. Ihre Unerfahrenheit verhinderte sie, sich entfernte Begebenheiten vollständig auszumalen und kam ihrem stolzen Muthe zu Hülfe, indem sie jede Ahnung von Gefahr oder Beschimpfung beseitigte. Sie wußte nicht ob jemals eine Florentinerin den Schritt gethan hatte, den sie unternahm; unglückliche Frauen hatten, so viel sie wußte, oftmals bei ihren Verwandten oder im Kloster eine Zuflucht gesucht, Beides aber war für sie eine Unmöglichkeit. Sie hatte selbst ein Loos für sich ersonnen, nämlich sich zu Cassandra Fedela, dem gelehrtesten Frauenzimmer in der Welt, nach Venedig zu begeben, und diese zu befragen, wie ein vereinzelt dastehendes, gebildetes, weibliches Wesen sich dort am besten durchbringen könne. Die thatsächlichen Schwierigkeiten auf diesem Wege, oder die düstere Ungewißheit am Ende des Ziels schreckten sie nicht ab. Glücklich konnte ihr Leben fürder nicht werden, aber unwürdig durfte es nicht sein. Und vermittelst einer rührenden Mischung von kindlicher Romantik und ihren Prüfungen als Frau, fand die Philosophie, die mit diesem bedeutsamen, entscheidenden Schritte nichts gemein hatte, einen Platz in ihren Zukunftsphantasieen. So weit sie ihr einsames, liebeleeres Leben überhaupt erfaßte, sah sie es von einem stolzen, stoischen Muthe und einem noch unbestimmten, aber festen Arbeitsplan beseelt, daß sie so gelehrt sein könne, etwas zu schreiben, was den Namen ihres Vaters der Vergessenheit zu entreißen im Stande sei; kurz sie war weiter nichts als ein junges Mädchen, diese arme Romola, die schon am Ende aller ihrer Lebensfreuden stand.

Es war aber noch Anderes zu thun. In einem auf dem Tische stehenden Kästchen lag noch ein Schlüssel, aber in diesem Augenblicke sah Romola daß ihre Kerze dem Erlöschen nahe war, und sie hatte vergessen sich mit einer zweiten zu versehen. In einigen Secunden herrschte die tiefste Finsterniß im Zimmer. Sie tappte nach dem nächsten Sessel, in den sie sich setzte, um den Morgen zu erwarten.

Ihr Suchen nach dem Schlüssel hatte gewisse Erinnerungen wach gerufen, welche während der vorigen Woche mit jener erneuten Lebendigkeit zurückgekehrt waren, welche Worte für uns haben, die uns wieder einfallen, wenn wir ihnen eine andere Deutung als vordem, zu geben gelernt haben. Seit der Erschütterung durch die Enthüllungen, welche sie auf immer von Tito zu trennen schienen, war ihr das letzte Gespräch mit Dino oft stundenlang nicht aus dem Kopfe gekommen. Und es beunruhigte sie um so mehr, als die so in's Gedächtniß zurückgerufenen Bilder sie fast mit der Gewalt wirklicher Eindrücke drängten, und doch zugleich ringende Gedanken erweckten, welche ihren Einflüssen widerstanden. Sie konnte nicht umhin, in ihrem Innern die sterbende prophetische Stimme zu hören, wie sie immer die Worte wiederholte: »Der Mann, dessen Gesicht ein leerer Raum war, ließ Deine Hand los und entfernte sich, und als er ging, konnte ich seine Züge sehen, es waren die des großen Versuchers, und Du, Romola, rangst die Hände und suchtest nach Wasser, und es war keines da, und die Ebene war wieder öde und steinig, und Du standest allein mitten in derselben und dann, war es mir, als bräche die Nacht herein, und ich sah nichts mehr.« Sie konnte nicht umhin in todespeinlicher Bezauberung auf das eingefallene Gesicht zu starren, an den dem Crucifix zugewandten Blick, an die heilige Scheu die sie zu knieen gezwungen hatte, an die letzten unzusammenhängenden Worte und das darauf folgende ununterbrochene Schweigen, an alle die Einzelnheiten der Sterbescene zu denken, welche der plötzlichen Eröffnung einer, ihrer ganzen bisherigen Kenntniß fremden Welt glichen.

Aber ihr Geist erwachte zum Widerstande gegen Eindrücke, die, wiewol sie offenbare Schattenbilder waren, im Licht des Tages Gestalt zu gewinnen schienen. Wie ein starker Körper desto heftiger gegen Dünste ankämpft, je mehr sie mit Ersticken drohen, so kämpft eine starke Seele gegen Phantasieen mit aller auf's Höchste gespannten Kraft an, wenn sie an der Stelle des gesunden Verstandes zu herrschen dräuen. Was hatten die Worte jener Vision mit ihrem wirklichen Kummer zu thun? Dieses Zutreffen gewisser Phrasen war ja doch weiter nichts, als etwas Zufälliges; alles Uebrige war unbestimmt, ja die Worte selbst waren es; und nur durch die Erinnerungen und den Glauben ihres Bruders hervorgerufen. Er glaubte, daß die heidnische Gelehrsamkeit unheilvoll sei; er glaubte, daß das Cölibat heiliger sei als der Ehestand; er erinnerte sich des väterlichen Hauses, und aller Gegenstände in der Bibliothek, und aus diesen Fäden war jene Vision gewoben. Welche vernünftige Gewähr konnte sie möglicherweise haben, um an solche Erscheinungen zu glauben und danach zu handeln? Keine! So wahrhaft die Stimme der Ahnung sich auch erwiesen hatte, so erkannte Romola doch, mit unerschütterter Ueberzeugung, daß es eine mattherzige Thorheit gewesen wäre, einer solchen Warnung zu lieb, Tito entsagt zu haben. Ihr Vertrauen hatte sie allerdings getäuscht, aber sie hätte eher noch einmal in ähnlicher Weise gehandelt, als daß sie ein Geschöpf geworden wäre, welches sich von Phantomen und unzusammenhängenden Flüsterworten hätte leiten lassen, und das in einer Welt, in welcher es die volle Musik vernünftiger Sprache und den warmen Druck lebendiger Hände gab.

Allein die beharrliche Anwesenheit dieser Erinnerungen, welche sich in ihrer Phantasie mit ihrem gegenwärtigen Geschick verbanden, gewährte ihr einen Einblick des Verständnisses in Existenzen, die ihren Sympathieen bisher ganz fern geblieben waren, in das Leben von Männern und Frauen, die sich von solchen inneren Bildern und Stimmen leiten ließen.

»Wenn sie noch etwas stärker in mir wären,« sagte sie zu sich selbst, »so würde ich den Begriff dessen, was jene Vision eigentlich war, verlieren, und sie für eine prophetische Erleuchtung halten. Ich könnte am Ende gar noch selbst eine Seherin werden, wie Schwester Maddalena, Camilla Rucellai und die Uebrigen.«

Romola schauderte es bei dieser Möglichkeit. Die ganze Gelehrsamkeit, die Haupteindrücke ihres Lebens, hatten ihre Verachtung jenes krankhaften Aberglaubens gestählt, welcher Männer und Frauen verführte, mit Augen, die zu schwach waren für das Licht des Tages, in dunklen Sümpfen zu verweilen und zu versuchen, die Geschicke der Menschen aus den zufälligen Flämmchen der vorüberhuschenden Dünste zu lesen.

Und dennoch war sie sich eines Etwas bewußt, das tiefer war, als das Eintreffen von Worten, welche die letzte Zusammenkunft mit ihrem sterbenden Bruder auf's Neue in ihr Gedächtniß zurückriefen, und ihr eine neue Verwandtschaft mit seinen eingefallenen Zügen verliehen. Gab es wirklich noch viele solcher Erfahrungen wie die seinige in der Welt, so hätte sie dieselben gern begriffen, hätte gern die Gedanken solcher Menschen, die über gemalte Todeskämpfe des Märtyrerthums in Ekstase geriethen, kennen gelernt. Es schien ihr doch etwas Höheres, als nur Wahnsinn, in dieser Theilnahme am Leiden zu liegen. Alle Quellen um sie her waren versiegt, und sie war neugierig, zu erfahren, wo es noch andere gab, aus denen Menschen in der Wüste schöpften und Kraft fanden. Jene Augenblicke im Dom, als sie in einem mysteriösen Gemisch von Entzücken und Pein geweint hatte, als Fra Girolamo sich als williges Opfer für das Volk darbot, fielen ihr wieder bei, als wären sie ein flüchtiger Geschmack einer solchen entfernten Quelle gewesen. Sie bebte aber doch wieder vor Eindrücken zurück, die sie in den Kreis von Visionen und kleinlicher Angst verlockten, wo Menschen gezwungen wurden, jede natürliche Zuneigung zu ertödten, wie es bei Dino der Fall gewesen war.

Dies war das verworrene Gewebe in Romola's Seele, während sie ermattet in der Dunkelheit saß. Kein strahlender Engel brachte ihr durch diese Finsterniß eine lichte Botschaft. In jenen, wie in den heutigen Zeiten gab es menschliche Wesen, die niemals Engel sahen oder eine deutliche Botschaft hörten. Die Wahrheit, die ihnen offenbart wurde, kam wirr durcheinander in den Stimmen und Thaten von Menschen, die durchaus nicht den Seraphim mit unfehlbaren Schwingen und mit klarem Gesicht glichen – Menschen, die Wahres und Falsches glaubten und Recht und Unrecht thaten. Die helfenden Hände die ihnen entgegengestreckt wurden, waren die Hände von Menschen, welche strauchelten, und oft nur trübe sahen, so daß diesen, von Engeln nicht besuchten Wesen keine andere Wahl blieb, als sich den strauchelnden Führern auf dem Pfade des Vertrauens und der Thätigkeit, welcher der Pfad des Lebens ist, anzuvertrauen, oder in Vereinsamung und Mißtrauen zu verharren, welches kein Pfad, sondern die Stockung der Unthätigkeit und des Todes ist.

Und so versank Romola, die keinen Strahl die Nacht durchdringen sah, und von einem nichts verändernden inneren Streite ermattet, zuletzt in Schlaf.



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