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Siebenundzwanzigstes Capitel.
Die junge Frau.


Während Tito mit dem eben gekauften Panzerhemd unter dem Mantel über die Brücke eilte, ging Romola in der alten Bibliothek auf und nieder, an ihn denkend und sich nach seiner Rückkehr sehnend.

Nur wenige schöne Gesichter gab es, die heute nicht aus den Fenstern lugten, um den Einzug des französischen Königs und seiner Edlen mit anzusehen. Eines von den wenigen war das Romola's. Sie hatte es seit dem Tode ihres Vaters, der vor drei Monaten plötzlich in seinem Sessel gestorben war, nicht geöffnet, um hinaus zu sehen.

»Kommt Tito nicht zum Schreiben?« hatte er damals gesagt, als die Glocke die gewöhnliche Abendstunde längst geschlagen hatte. Er hatte vorher aus Furcht vor einer verneinenden Antwort nicht gefragt; Romola hatte aber an seinen gespannten Zügen und unruhigen Bewegungen gemerkt, daß seine Seele ganz davon erfüllt war.

»Nein, Vater, er ist zum Abendessen beim Cardinal; Ihr wißt, daß er überall so sehr begehrt ist,« antwortete sie im Tone freundlicher Entschuldigung.

»So! nun, dann wird er mir vielleicht einen bestimmten Bescheid wegen der Bibliothek bringen, der Cardinal hat es mir in voriger Woche versprochen,« sagte Bardo, augenscheinlich von dieser Hoffnung beruhigt.

Er schwieg einige Augenblicke, dann rief er, plötzlich auffahrend:

»Ich muß ohne ihn fortfahren. Hole die Feder! Er hat mir keinen neuen Text zum Commentiren gebracht, ich muß aber dennoch sagen, was ich wegen der Neuplatoniker sagen will. Ich werde sterben, und es wird noch nichts gethan sein. Tummle Dich, Romola!«

»Ich bin bereit, Vater!« sagte sie einen Augenblick darauf, die Feder in der Hand haltend.

Aber Schweigen herrschte. Romola legte eine Zeitlang darauf kein Gewicht, da sie an Pausen beim Dictiren gewöhnt war, und als sie sich endlich wie fragend umsah, saß er noch da, wie er gesessen hatte.

»Ich bin bereit, Vater!«

Bardo schwieg noch immer, und sein Schweigen war ein ewiges.

Romola sah auf diese Stunde mit Erbitterung gegen sich selbst zurück, weil selbst in den ersten Ausbruch ihres Kummers sich der unabweisbare Gedanke: vielleicht wird mein Dasein mit Tito jetzt vollkommener werden, gemischt hatte.

Denn der Traum eines dreifältigen Lebens mit einer ungetheilten Summe Glücks war nicht ganz in Erfüllung gegangen. Der regenbogenfarbige Schauer von Süßigkeiten, mit denen man sie bei ihrer Verlobung überschüttet hatte, mußte, um ein vollkommenes Sinnbild gewesen zu sein, mit einigen unsichtbaren Körnern Bitterkeit gemengt gewesen sein. Die gekrönte Ariadne hatte unter den auf sie herabschneienden Rosen immer mehr und mehr das Vorhandensein von unvermutheten Dornen empfunden. Er war noch immer voll Liebenswürdigkeit gegen sie und auch gegen ihren Vater. Romola hatte nicht aufgehört, sich selbst zu sagen: daß es nicht Tito's Schuld sei. Aber, und das sah sie jetzt klar ein, es lag in der Natur der Dinge, daß Niemand außer ihr Monat auf Monat und Jahr aus Jahr ein beständig allen den einförmigen, lästigen Wünschen so geduldig nachkommen konnte. Sie selbst sogar, deren Sympathie mit dem Vater den ganzen Kreis der Leidenschaften und Pflichten ihres jungen Lebens ausgemacht hatte, war nicht immer geduldig, sondern öfters in ihrem Innern rebellisch gewesen. Es war nicht zu läugnen, daß vor ihrer Hochzeit und selbst noch einige Zeit nachher Tito unermüdlicher gewesen war als sie. Diese Mühseligkeit wurde ihm aber durch die Neuheit der Sache leicht gemacht. Wir nehmen eine Bürde mit vertrauensvoller Bereitwilligkeit auf unsere Schultern, und bis zu einem gewissen Punkte ist die zunehmende Lästigkeit des Druckes erträglich, zuletzt aber wird es unmöglich, dem Wunsche nach Erlösung zu widerstehen. Romola sagte sich selbst, daß sie in ihren Jugendjahren thörig und unklug gewesen sei; sie war jetzt weiser und würde sicher von dem Manne, dem sie das Edelste ihrer weiblichen Liebe und Verehrung dargebracht hatte, nichts Unbilliges verlangen. Die Tiefe der Traurigkeit, die noch immer an ihr Schicksal sich heftete, als sie ihren Vater von Monat zu Monat immer mehr von seinen stolzen Hoffnungen in neue Enttäuschungen versinken sah, indem Tito ihrem Vater stets weniger und weniger von seiner Zeit widmete, und sich höflich entschuldigte, daß er in seiner Theilnahme an dem gemeinsamen Werke nachließ, diese Traurigkeit war nicht, wie sie sagte, ihrem Gatten, sondern ihrem unvermeidlichen Geschicke zuzurechnen. Wenn er immer seltener um sie war, so kam das daher, weil sie fast nie allein sein konnten. Seine Liebkosungen waren darum nicht minder zärtlich; wenn sie schüchtern bat, daß er irgend einen Abend bei ihrem Vater bleiben solle, statt eine andere, nicht dringend wichtige Einladung anzunehmen, so entschuldigte er sich mit so liebenswürdiger Heiterkeit, und schien mit so liebevollem Tändeln in ihre Nähe gebannt zu sein, ehe er sie verließ, daß sie nur ein leises Herzweh inmitten ihrer Liebe empfand, und dann zu ihrem Vater ging und seinen Verdruß zu beschwichtigen suchte, während ihre Phantasie beschäftigt war, herauszufinden, welchergestalt Tito so gut sein könnte, wie sie sich ihn dachte, und es doch unmöglich fände, jene Gesellschaftsbelustigungen zu opfern, die einem so glänzenden Wesen gleich ihm lebhafter erscheinen mußten, als der gewöhnlichen Masse der Menschen. Ihr selbst wäre etwas mehr Fröhlichkeit, mehr Bewunderung erwünscht gewesen; sie gab sie allerdings ihrem Vater zu Lieb' gern hin, und hätte noch mehr als Das hingegeben, um den leisesten Wunsch Tito's zu erfüllen. Es war offenbar, daß ihre Charaktere ganz verschieden von einander waren, aber vielleicht war es nur der angeborene Unterschied zwischen Mann und Weib, der ihre Affecte erschöpfender machte; und wenn noch ein anderer Unterschied vorhanden war, so versuchte sie sich zu überreden, daß sie es sei, die tief unter ihm stehe. Tito war ja auch wirklich ihrer Meinung nach freundlicher, gutmüthiger, minder stolz und rachsüchtig als sie, heftige Erwiderungen waren ihm fremd, und er nahm alle Klagen mit vollkommener Sanftmuth hin, nur daß er so ruhig wie möglich allen Unannehmlichkeiten aus dem Wege ging.

Es ist eine Eigenthümlichkeit jedes großen Charakters, sofern er nicht unter dem unmittelbaren Einflusse einer starken, nichts berücksichtigenden Bewegung ist, sich selbst zu mißtrauen und die Wahrhaftigkeit seiner eigenen Eindrücke zu bezweifeln, da er weiß, daß es Möglichkeiten giebt, die über seinen Horizont gehen. Und Romola drängte es um so mehr, an sich selbst zu zweifeln, um ihre Enttäuschung hinsichtlich ihres Zusammenlebens mit Tito zu erklären, so daß sie zugleich ihrem Stolze und ihrer Liebe nicht zu nahe träte. Enttäuschung? Ja, es gab kein milderes Wort, um die Wahrheit zu bezeichnen. Vielleicht hatten alle Frauen an Enttäuschung ihrer aus Unkenntniß gehegten Hoffnungen zu leiden, wenn sie nur deren Erfahrung hatten. Doch war etwas Eigenthümliches in ihrem Schicksal; ihre Beziehung zu ihrem Vater hatte ihrem Gatten ungewöhnliche Opfer auferlegt. Einst hatte Tito geglaubt, daß seine Liebe ihm diese Opfer leicht machen würde; dazu aber war diese Liebe nicht mächtig genug gewesen. Sie war nicht berechtigt, eine Selbsttäuschung zu ahnden. Nein, Empfindlichkeit durfte sie nicht zeigen; jedes Leiden schien für Romola erträglicher, als ein Seelenzustand, in welchem sie sich selbst gestehen mußte, daß Tito unwürdig gehandelt habe. Hatte sie in den einsamen Stunden an der Seite ihres Vaters während der letzten Monate seines Lebens neues Herzweh empfunden, so hatte kein unverzeihlicher Fehler ihres Gemahls das verschuldet; und jetzt – eine Hoffnung, die sich sogar schon in den ersten Augenblicken, als die Stelle ihres Vaters leer war, bemerkbar machte! – gab es ferner keine lästigen Ansprüche, die sie von Tito trennen konnten; Beider jugendliches Leben, hoffte sie, würde von nun an in einem Strome fortfließen, und ihre eigentliche Ehe jetzt erst beginnen.

Aber eine der Schuld gegen ihren Vater ähnliche Empfindung, einer Schuld, die in der seinem Tode entkeimenden Hoffnung begründet war, erhöhte die ängstliche Sorge um die Mittel und Wege, seinen letzten Wunsch zu erfüllen. Diese Pietät gegen sein Andenken war die einzige Buße für den, der Freude über seinen Verlust nahe kommenden Gedanken, den sie gehegt hatte. Das arbeitsame, einfache, von gemeinem, verderblichen Ehrgeiz freie, von der Vereitelung der theuersten Hoffnungen verbitterte, endlich in gänzliche Finsterniß versunkene Leben – eine lange Zeit der Aussaat, aber ohne Ernte! – war jetzt vorüber, und Alles, was außer dem Täfelchen in Santa Croce und dem unvollendeten Manuscript, einem weitschweifigen Commentar zu Tito's Text, übrig geblieben war, bestand in der Sammlung von Handschriften und Alterthümern, der Frucht fünfzigjähriger Mühen und Entbehrungen. Die Erfüllung des lebenslang genährten Wunsches hinsichtlich dieser Bibliothek war für Romola eine heilige Pflicht. Diese kostbare Reliquie war frei von Gläubigern, denn als ihre Rückstände ausgerechnet worden waren, hatte Bernardo del Nero, obgleich er nichts weniger als zu den reichsten Florentinern gehörte, dennoch das benöthigte Capital von tausend Gulden, in damaligen Zeiten eine bedeutende Summe! gezahlt, und dagegen ein Anrecht auf die Sammlung als Sicherheit angenommen.

»Der Staat wird es mir schon wiederbezahlen,« hatte er zu Romola gesagt, indem er that, als ob er die Dienstleistung nicht hoch anschlage, obgleich sie ihm ziemlich schwer gefallen war, »wenn der Kardinal ein Gebäude findet, wie er seiner Aussage nach hofft, so wird die Signoria schon bereit sein, das Uebrige zu thun. Ich habe keine Kinder, ich kann es darauf ankommen lassen.«

Aber seit zehn Tagen waren alle Hoffnungen auf die Medici vernichtet, und die berühmten medicäischen Sammlungen in der Via Larga waren selbst in Gefahr, verstreut zu werden. Französische Agenten hatten bereits angefangen zu sehen, daß so schöne antike Steine, wie sie Lorenzo gesammelt hatte, von Rechtswegen der ersten unter den europäischen Nationen gehören müßten; und der florentinische Staat, der die medicäische Bibliothek in Besitz genommen hatte, war aller Wahrscheinlichkeit nach froh, einen Kunden dafür zu finden. Die Regierung mußte also wol, Angesichts eines Krieges behufs der Wiedereroberung Pisa's, und wohl wissend, daß sie dem Könige von Frankreich große Subsidien zu zahlen haben würde, Geld den Handschriften vorziehen.

Für Romola hatten diese ernsten politischen Veränderungen hauptsächlich nur insofern Interesse, als sie die Erfüllung der Wünsche ihres Vaters berührten. Sie war in gelehrter Abgeschlossenheit von den Interessen des alltäglichen Lebens erzogen und daran gewöhnt worden, heroische Thaten und große Ideen als etwas der gemeinen Gegenwart ganz Entgegengesetztes, und die Pnyx Der auf einem Hügel gelegene Marktplatz in Athen, auf dem Volksversammlungen gehalten wurden. – D. Uebers. und das Forum als etwas der Beachtung viel Würdigeres, als die Berathungen der lebenden Florentiner zu betrachten. Die Vertreibung der Medici hatte daher für sie kaum eine andere Bedeutung, als die Vernichtung ihrer schönsten Hoffnungen hinsichtlich der Bibliothek ihres Vaters. Die Zeiten waren, das wußte sie, für die Freunde Medici's, wie Tito und ihr Pathe, nicht günstig; abergläubische Krämer und der einfältige große Haufen waren voll Mißtrauens; aber ihr neues, lebhaftes Interesse an öffentlichen Begebenheiten, am Ausbruch des Krieges, an dem Erfolge des Besuchs des Königs von Frankreich, an den wahrscheinlich bevorstehenden Staatsveränderungen war einzig und allein den Gefühlen der Liebe und Pflicht für das Andenken an ihren Vater entsprossen. Alle innere Gluth Romola's war in ihrer Liebe concentrirt. Die Gelehrsamkeit ihres Vaters war für sie eine um seinetwillen erträgliche Pedanterie, und Tito's leichteres, glänzenderes Talent hatte für sie keine Anziehungskraft, welche nicht in die der jugendlichen Liebe und dem Vertrauen eigenthümlichen tieferen Sympathieen getaucht war. Romola war mit keinem Geiste in Berührung gekommen, der die größeren Fähigkeiten ihres Charakters hätte anregen können; sie lagen zusammengefaltet und zerpreßt in ihr wie Embryonenflügel, und bildeten in ihrem Bewußtsein kein Element, außer dann und wann ein unbestimmtes Unbehagen.

Aber dieses ihr neue persönliche Interesse an öffentlichen Angelegenheiten hatte bewirkt, daß sie sich endlich darum bemühte, genau zu erforschen, welchen Einfluß Fra Girolamo's Predigten wahrscheinlich auf die Wendung der Dinge haben könnten. Man sprach von Veränderungen in der Staatsform, und Alles, was sie von Tito, dessen Stellung als Secretarius und nützlichen Talente ihn mitten in den öffentlichen Geschäften festhielten, erfahren konnte, flößte ihr noch mehr Begierde ein, ihre einsamen Tage damit auszufüllen, daß sie hinging, um selbst mit anzuhören, was das sei, was ganz Florenz jetzt so in Bewegung setzte. Heute Morgen war sie zum ersten Male im Dom gewesen, um eine Adventspredigt zu hören. Als Tito von ihr gegangen war, hatte sie einen plötzlichen Entschluß gefaßt, und nachdem sie die Stätte in Santa Croce besucht hatte, wo ihr Vater begraben war, begab sie sich sofort in den Dom. Die Erinnerung an ihr letztes Zusammentreffen mit Dino trat noch immer lebhaft vor ihre Seele, wenn sie sich dasselbe in's Gedächtniß zurückrief, aber es war doch vor den Erfahrungen und Sorgen des Ehelebens zurückgewichen. Jene neuen Empfindungen und Fragen, die es halb in ihr erweckt hatte, waren wieder durch jene Unterwürfigkeit unter den Geist ihres Mannes beruhigt, welche jedes, ihren Gatten mit leidenschaftlicher Hingebung und Vertrauensfülle liebende Weib fühlt. Sie erinnerte sich der Wirkung, welche Fra Girolamo's Stimme und Anwesenheit auf sie gemacht hatte, als eines Grundes für die Erwartung, daß seine Rede sie, trotzdem er nur ein einfacher Mönch wäre, ergreifen könne. Die Predigt hatte aber weiter keine Wirkung auf sie, als den früheren Eindruck, nämlich: daß dieser Trübsalprediger doch wol ein Mann sei, vor dem sie persönliche Achtung und Ehrfurcht hegen könne, noch ein wenig zu verstärken. Die Verkündigungen und Ermahnungen erregten weiter nichts als ihre Aufmerksamkeit. Sie empfand keine Angst, keine Gewissensbisse, es war ihr wie das Rollen eines fernen Donners, der gewaltig war, sie aber nicht zu erschüttern vermochte. Als sie aber Savonarola nach dem Martyrthum verlangen hörte, schluchzte sie eben wie alle Anderen; sie fühlte sich von einer neuen Empfindung durchdrungen, von einer wunderbaren Sympathie mit einem Etwas, das allen ihren faßlichen Lebensverhältnissen fern stand. Es ähnelte in etwas dem Schauer, der gewisse seltene heroische Züge in Geschichte und Poesie begleitete, aber es war eine Aehnlichkeit, wie die zwischen der Erinnerung an eine Musik und dem Gefühl, eben noch klingende Harmonieen zu vernehmen.

Aber diese vorübergehende Bewegung schien, wie stark sie auch war, ganz außerhalb des innersten Heiligthums ihres Lebens zu liegen. Sie dachte jetzt nicht an Fra Girolamo, sondern lauschte ängstlich den Schritten ihres Gatten. Während dieser drei Monate ihrer doppelten Einsamkeit hatte sie jeden Tag als eine Epoche, in welcher ihre Verbindung anfangen könne, noch inniger zu werden, betrachtet. Sie fühlte recht gut, daß sie zuweilen etwas zu traurig oder zu dringend in Allem, was das Andenken an ihren Vater betraf, war, etwas zu kritisch oder kühl zurückhaltend, wenn Tito die Dinge, die in den Kreisen, welche er besuchte, gesprochen und gethan wurden, erzählte, etwas zu rasch in ihren Anmahnungen, daß sie durch ein einfaches Leben nach dem Vorbilde ihres Vaters, reich genug werden könnten, um Bernardo del Nero zu zahlen und die Schwierigkeiten wegen der Bibliothek zu beseitigen. Es war unmöglich, daß Tito in dieser letzten Beziehung so lebhaft empfinden konnte, wie sie es that, und daß es viel von ihm verlangt sei, daß er den Annehmlichkeiten des Lebens, für welche er sich so abmühte, entsagen solle. Sie nahm sich vor, das nächste Mal, daß Tito nach Hause kommen würde, dieses Antreiben bei Seite zu lassen, das sie ihm zu entfremden schien.

Romola bemühte sich, wie dies jedes liebenden Weibes Pflicht ist, ihren Charakter dem ihres Gatten unterzuordnen. Das mächtige Bedürfniß ihres Herzens trieb sie an, mit einem verzweifelten Entschlusse jedes aufsteigende Gefühl, wie Mißtrauen, Stolz oder Empfindlichkeit zu ersticken; sie fühlte sich jeder Selbstmarter gewachsen, die sie vor dem Ende ihres Liebens schützen könnte. Ein solches Ende wäre ihr wie ein scheußlicher Alp gewesen, bei dem die Welt um sie her verginge und sie mit den Füßen über dem finstern Abgrund schwebte. Romola hatte niemals eine solche Zukunft, als ihr bevorstehend, im Ernst erwogen; sie begann nur die Anwesenheit einer Anstrengung in diesem sich gewaltsam anklammernden Vertrauen zu fühlen, das einst nur ein freiwilliger Ruhepunkt war.

Sie wartete und lauschte lange Zeit, denn Tito war nicht unmittelbar von Niccolo Caparra heimgekehrt, und es waren mehr als zwei Stunden, nachdem er über die Rubacontebrücke gegangen war, verflossen, daß Romola die große Hofthür in ihren Angeln knarren hörte; und sie eilte an das obere Ende der steinernen Stufen. Eine Lampe hing über der Treppe, und sie konnten einander, während er hinausging, deutlich sehen.

Die achtzehn Monate hatten in Romola's Zügen eine sichtbarere Veränderung hervorgebracht, als in denen Tito's. Ihr Ausdruck war weicher, minder kalt, und bittender; und als jetzt eine freudige Röthe ihre Wangen überflog, daß das bange Warten ein Ende hatte, war sie viel reizender als an dem Tage, an welchem Tito sie zuerst gesehen hatte. Damals hätte Jeder, der sie anblickte, gesagt, daß Romola's Charakter zum Gebieten, der Tito's zum Gehorchen geschaffen sei; jetzt aber zuckte ihr Mund ein wenig und ein Anflug von Schüchternheit zeigte sich in ihrem Blicke.

Er versuchte zu lächeln, als sie sagte:

»Mein theurer Tito, Du bist ermüdet; es war ein mühseliger Tag, nicht wahr?«

Maso war zugegen; man sprach daher nicht weiter, als bis sie das Vorzimmer durchschritten und die Thür der Bibliothek hinter sich geschlossen hatten. Die Holzscheite brannten hell auf den großen Böcken. Dies war ein Willkommsgruß für Tito, so sehr er sich auch verspätet hatte, der zweite war Romola's sanfte Stimme.

Er wandte sich um und küßte sie, als sie ihm den Mantel abnahm, dann warf er sich in einen für ihn neben das Feuer gesetzten hochlehnigen Sessel und sagte, indem er seine Mütze von sich that, nicht gerade mürrisch, aber in einem abgespannten, verweisenden Tone und dabei leise fröstelnd:

»Ich möchte doch, Romola, daß Du das Verweilen in dieser Bibliothek aufgäbest. Unsere Zimmer sind ja doch viel behaglicher bei dem kühlen Wetter.«

Romola fühlte sich verletzt. Niemals hatte sie Tito so gleichgültig in seinem ganzen Wesen gesehen; er war gewöhnlich voll lebhaft besorgter Aufmerksamkeit für sie. Und sie hatte sich so auf seine Heimkehr nach eines langen Tages Abwesenheit gefreut! Er mußte sehr abgespannt sein.

»Du scheinst wol vergessen zu haben, Tito,« antwortete sie, ihn ängstlich gespannt betrachtend, als ob sie eine Entschuldigung seines Benehmens in den Spuren körperlicher Ermüdung zu finden wünschte, »daß ich den Katalog des Entwurfs, den mein Vater gewünscht hatte, mache; da Du keine Zeit hast, mir zu helfen, so muß ich fleißig dabei sein.«

Tito schloß, statt Romola's Blick zu begegnen, seine Augen und fuhr mit der Hand über sein Gesicht und Haar. Er fühlte, daß er sich gegen seine sonstige Weise benähme, wollte ihr aber ganz gewiß morgen Ersatz dafür leisten. Das furchtbare Wiedererwachen geheimer Besorgnisse, welche, wenn Romola sie gekannt hätte, sie ihm für immer entfremdet haben würden, bewirkte, daß er fühlte, wie diese Entfremdung zwischen ihnen bereits begonnen hatte, und daß er eine Art von Widerwillen gegen ein Weib empfand, von dessen Charakter ihm eine stäte Gefahr drohte. Dieses Gefühl hatte ihn, ohne daß er es gewahrte, beschlichen, und er war über sich selbst ärgerlich, daß er sich auf diese fremde, kalte Art gegen sie zeigte. Es war ihm nicht möglich, plötzlich liebevolle Blicke oder Worte bereit zu haben, und er vermochte nur mit Mühe einige Worte zu finden, die als Entschuldigung dienen konnten.

»Mir ist nicht wohl, Romola, Du mußt Dich nicht darüber wundern, wenn ich mürrisch bin.«

»Du bist auch heute so angestrengt gewesen,« antwortete sie, neben ihm hinkniend und ihren Arm auf seine Brust lehnend, während sie ihm das Haar liebkosend streichelte.

Plötzlich aber riß sie ihren Arm mit einer gewaltsamen Bewegung und dem Ausdruck fragender Bestürzung zurück.

»Was hast Du da unter Deiner Tunica, Tito? etwas Hartes wie Eisen.«

»Es ist auch Eisen, ein Kettenpanzer,« erwiderte er schnell. Er war schon auf das Staunen und diese Frage vorbereitet, und sprach ruhig, wie von einer Sache, mit deren Erläuterung er sich eben nicht zu beeilen brauchte.

»Es war also heute eine ungeahnte Gefahr vorhanden?« fragte Romola im Tone der Muthmaßung, »Du hattest es Dir für die Prozession geliehen?«

»Nein, es ist mein eigenes. Ich werde genöthigt sein, es einige Zeit hindurch beständig zu tragen.«

»Was bedroht Dich denn, mein Tito?« rief Romola erschrocken und sich wieder an ihn schmiegend.

»Heutzutage ist Jeder bedroht, der kein wüthender Feind der Medici ist. Sieh nicht so verstört darein, Romola, diese Rüstung wird mich vor geheimen Angriffen schützen.«

Tito legte seine Hand auf ihre Schulter und lächelte. Dieses kurze Zwiegespräch über die Rüstung hatte die neue Rinde gesprengt und einen Canal für die liebe alte Gewohnheit der Zärtlichkeit geschaffen.

»Und mein Pathe,« fuhr Romola fort, »schwebt er nicht auch in Gefahr? und er trifft doch keine Vorkehrungen. Sollte er das nicht eigentlich thun, da er eher gefährdet sein muß, als Du, der Du doch im Vergleich mit ihm nur einen geringen Einfluß besitzest?«

»Gerade deswegen, weil ich minder wichtig bin, droht mir auch größere Gefahr,« entgegnete Tito, ohne sich zu besinnen; »ich werde fortwährend verdächtigt, ein geheimer Agent zu sein. Männer wie Messer Bernardo sind durch ihre Stellung und ihre ausgebreiteten Familienverbindungen, die sich über alle Parteien erstrecken, geschützt, während ich ein Grieche bin, dessen Tod Niemand rächen würde.«

»Aber, Tito, ist es die Furcht vor einer bestimmten Person, oder nur eine unbestimmte Ahnung von Gefahr, die Dir den Gedanken eingegeben hat, dieses Ding zu tragen?« Romola vermochte nicht, den Gedanken an eine entwürdigende Furcht in Tito's Seele zu unterdrücken, und dieser Gedanke mischte sich in ihre Besorgniß.

»Es sind mir ganz bestimmte Drohungen zugekommen,« entgegnete Tito, »aber ich bitte Dich, theure Romola, das tiefste Schweigen über diesen Gegenstand zu beobachten. Ich würde es als einen Vertrauensbruch ansehen, wenn Du etwas davon gegen Deinen Pathen erwähnst.«

»Ich werde,« sagte Romola aufgeregt, »nichts davon erwähnen, da Du es nicht wünschest. Aber, mein theurer Tito,« fuhr sie nach kurzem Schweigen im Tone liebender Besorgniß fort, »es wird Dich sehr unglücklich machen.«

»Was wird mich unglücklich machen?« fragte er mit einer kaum bemerkbaren, wie von einer plötzlich aufsteigenden Empfindung hervorgebrachten Bewegung seiner Gesichtsmuskeln.

»Diese Furcht, dieses schwere Panzerhemd. Mich schaudert unwillkürlich, wie ich es unter meinem Arm fühle. Ich möchte es für einen Zauber halten, daß irgend ein böser Geist Deine weiche menschliche Haut in harte Rinde verwunschen hat. Es ist dies Alles meinem freundlichen, leichtherzigen Tito so unähnlich.«

»Du möchtest also Deinen Gatten lieber einer Gefahr ausgesetzt sehen, wenn er das Haus verläßt?« sagte Tito lächelnd. »Nun, wenn es Dich nichts kümmert, ob ich erdolcht oder erschossen werde, was sollte es mich kümmern? Ich will die Rüstung weglassen – soll ich?«

»Nein, Tito, nein! Ich bin wol eine Phantastin! Merke nicht auf das, was ich gesagt habe. Aber dergleichen Verbrechen sind doch nicht gewöhnlich in Florenz? wenigstens haben mein Vater und mein Pathe dies immer behauptet! Sind sie denn in der letzten Zeit so häufig geworden?«

»Wenigstens werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach, bei den bitteren Feindseligkeiten, die fortwährend genährt werden, sehr häufig vorfallen.«

Romola schwieg einige Augenblicke; sie mochte nicht weiter der Rüstung wegen in ihn dringen und suchte ihre Gefühle los zu werden.

»Erzähle mir, was sich heute begeben hat,« sagte sie in heiterem Tone, »ist Alles gut abgelaufen?«

»Ganz vortrefflich. Zuvörderst kam der Regen und machte der Rede Luca Corsini's, die Niemand hören wollte, ein Ende, und eine mundfertige Person, – Einige sagen, es war Gaddi, Andere behaupten, daß es Melema gewesen, aber die Sache wurde so schnell abgemacht, daß Niemand weiß, wer diese Person war, – hatte die Ehre, dem Allerchristlichsten Könige den möglichst kurzen Willkommsgruß in schlechtem Französisch darzubringen.«

»Tito, Du warst es, das weiß ich!« rief Romola selig lächelnd und ihn küssend, »warum giebst Du Dir denn nur nie die Mühe, irgend etwas zu beanspruchen? Und nachher?«

»Nachher war ein großes Schaugepränge von Rüstungen und Juwelen und Rossegeschirr, wie Du auf dem letzten Turnier sahst, nur noch in viel größerem Maßstabe. Das war ein Stolziren und Prunken, und ein Durcheinander, und ein Gekletter, und das Volk brüllte, und der Allerchristlichste lächelte von einem Ohr bis zum andern. Und darauf setzte es eine gute Menge Schmeicheleien, Essen und Spiele. Ich war bei Tornabuoni. Ich werde Dir morgen Alles erzählen.«

»Ja, mein Theurer, Du sollst es jetzt auch nicht. Aber ist nun etwas mehr Hoffnung vorhanden, daß die Dinge für Florenz einen friedlichen Verlauf nehmen? daß die Republik nicht in neue Verwirrungen gestürzt wird?«

Tito antwortete achselzuckend: »Florenz wird keinen andern Frieden haben, als für den es gut zahlt; das ist ganz sicher.«

Romola's Gesicht wurde traurig, aber sie beherrschte sich und sagte in heiterem Tone: »Du wirst nicht errathen, wo ich heute war, Tito! Ich bin in den Dom gegangen, um Fra Girolamo zu hören.«

Tito sah sie erschrocken an. Ihm war sogleich Baldassarre's Flucht in den Dom eingefallen; aber Romola legte seinen Blick anders aus.

»Du wunderst Dich, nicht wahr? Es war so ein Einfall von mir. Ich muß jetzt Alles wissen, was die öffentlichen Angelegenheiten betrifft, und beschloß daher, in eigener Person mit anzuhören, was der Mönch dem Volke über diese französische Invasion verkündete.«

»Nun, und was hältst Du von dem Propheten?«

»Er besitzt wirklich eine mysteriöse Gewalt. Ein großer Theil seiner Predigt war, was ich erwartet hatte; aber einmal ward ich seltsam bewegt und weinte eben so wie alle Uebrigen.«

»Nimm Dich in Acht, Romola,« sagte Tito scherzend und froh, daß sie nichts von Baldassarre erwähnt hatte; »Du hast eine Spur von Fanatismus in Dir, und wirst am Ende noch Visionen haben, wie Dein Bruder.«

»Nicht doch, es ging Allen so; er riß Alles hin, nur den dicken Dolfo Spini nicht, den ich Gesichter schneiden sah. Da war sogar ein elend aussehender Mensch mit einem Strick um den Hals, ich glaube ein entwischter Gefangener, der in der Kirche Schutz suchte, ein wildblickender alter Mann, den sah ich Thränen vergießen, während er aufmerksam den Mönch ansah und anhörte.«

Es trat eine kurze Pause ein, ehe Tito antwortete:

»Ich sah den Mann auch, den Gefangenen. Ich stand mit Lorenzo Tornabuoni vor dem Dom, als er hinein eilte. Er war einem französischen Soldaten entwischt. Sahst Du ihn, als Du aus der Kirche gingst?«

»Nein, er ging mit unserem guten alten Piero di Cosimo fort. Ich sah Piero in die Kirche treten, den Strick zerschneiden und den Greis hinaus begleiten. Aber Du bedarfst wol der Ruhe, Tito? Fühlst Du Dich unwohl?«

»Ja,« antwortete Tito, sich erhebend. Das schreckliche Bewußtsein, daß er in fortwährender Angst vor dem leben mußte, was Baldassarre gesagt oder gethan hatte, drückte ihn wie eine eiskalte Last nieder.



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