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Zweiunddreißigstes Capitel.
Eine Enthüllung.


Am nächsten Tage war Romola, wie alle übrigen Florentiner, über den Abzug der Franzosen freudig erregt. Neben ihren anderen Gründen zur Freude hegte sie eine unbestimmte und wie sie selbst einsah, halb abergläubische Hoffnung, daß ihre neuen Besorgnisse wegen Tito's, die mit den lästigen Gästen gekommen waren, auch mit ihnen verschwinden würden. Die Franzosen waren kaum eilf Tage in Florenz gewesen, aber während dieser Zeit hatte sie sich viel unglücklicher gefühlt als je zuvor in ihrem ganzen Leben. Tito hatte die ihr so verhaßte Rüstung am Tage ihrer Ankunft angelegt, und obgleich sie sich keine bestimmte Vorstellung machen konnte, wieso ihr Abmarsch auch die Ursache seiner Furcht zu entfernen im Stande war (wiewol, wenn sie an diese Ursache dachte, das Bild des ihn anpackenden Gefangenen, wie sie es in Piero's Skizze gesehen hatte, sich vor ihre Seele stellte und jedes andere daraus verdrängte), so hoffte sie doch nach der Entfernung der Franzosen eines mit ihrem Leid eng verbundenen Gegenstandes los zu werden.

In ihren Mantel gehüllt stand sie unter der, auf dem Dache des Hauses befindlichen Loggia, wo sie das Erscheinen der Truppen und des königlichen Gefolges, wie sie auf ihrem Zuge nach der gen Siena und Rom führenden Porta San Piero über die Brücken zogen, beobachtete. Sie kehrte sogar auf ihren Posten zurück, nachdem die Thore wieder geschlossen waren, damit das Geläute der Glocken sie durchbebe. Der Abend war inzwischen herangedunkelt, und als sie endlich in die Bibliothek hinabging, zündete sie ihre Lampe an, entschlossen, die Aufregung zu bemeistern, welche sie den ganzen Tag über am Arbeiten verhindert hatte, und sich an das Abschreiben des Katalogs zu machen. Tito war zeitig am Morgen ausgegangen und sie erwartete ihn noch nicht so bald. Sie wollte aber, ehe er käme, die Bibliothek verlassen, und sich in den zierlichen Salon mit den tanzenden Nymphen und den Vögeln setzen. Das hatte sie an jedem Abend gethan, seitdem er sich gegen die Bibliothek, als einen kalten und finstern Aufenthalt, erklärt hatte.

Noch saß sie nicht lange bei der Arbeit, als zu ihrem Erstaunen Tito zu ihr eintrat. Ihr erster Gedanke war, wie unheimlich er sich in dem weiten Dunkel dieses großen, von einer kleinen, in einer fernen Ecke brennenden Oellampe erleuchteten Zimmers, in dem das Feuer fast erloschen war, fühlen würde. Sie stürzte ihm beinahe entgegen.

»Tito, theurer Freund, ich glaubte nicht, daß Du so früh kommen würdest!« rief sie in hoher Aufregung, ihre weißen Arme erhebend, um seinen Halsumwurf abzunehmen.

»Ich bin Dir also nicht willkommen?« fragte er, mit seinem heitersten Lächeln sie umfangend, aber wie neckend seinen Kopf zurückbeugend.

»Tito!« rief sie im Tone liebenden Vorwurfs. Er aber küßte sie herzlich, streichelte ihr Haar, wie er öfter zu thun pflegte, und schien nicht daran zu denken, schon seinen Mantel abzulegen. Romola bebte vor Freude. Die Aufregungen des Tages hatten eine lebhaftere Empfänglichkeit für diese Wiederkehr zu seinen früheren Gewohnheiten in ihr hervorgebracht. »Das frühere Glück,« sagte sie zu sich selbst, »wird vielleicht zurückkehren; er ist wieder, wie er vordem gewesen.«

Tito gab sich die größte Mühe zu sein, wie er vordem gewesen; sein Herz schlug ängstlich.

»Wenn ich Dich so früh zurückerwartet hätte,« sagte Romola, als sie ihm endlich behülflich war, sein Gewand abzulegen, »so würde ich zu diesem freudigen Geläute der Glocken eine kleine Festlichkeit angeordnet haben. Ich glaubte nicht, daß ich hier in der Bibliothek sein würde, als Du nach Hause kamst.«

»Das thut nichts, mein süßes Weib,« antwortete er leichthin, »sorge Dich nicht um das Feuer, komm und setze Dich!«

Neben Tito's Sessel stand ein niedriger Stuhl, auf dem Romola zu sitzen pflegte, wenn sie sich mit einander unterhielten. Sie stützte ihren Arm auf sein Knie, wie sie es bei ihrem Vater gewohnt war, und blickte ihn an, während er sprach. Er hatte das Bild noch gar nicht bemerkt, und sie hatte nicht darüber gesprochen, desto mehr aber an dasselbe gedacht.

»Ich habe mich zum ersten Male am Glockenklange erfreut, Tito,« hub sie an, »es war mir ordentlich ein Vergnügen, mich davon erschüttern und betäuben zu lassen; mir kam es vor, als sei ich eine von göttlichem Wahnsinn besessene Bacchantin. Sehen die Leute heute nicht Alle fröhlich aus?«

»Ja, fröhlich in einer sauertöpfischen und frömmelnden Art,« erwiderte Tito mit Achselzucken, »aber wahrlich, Diejenigen, die in Florenz zurückgeblieben sind, haben wenig Ursache froh zu sein; mir scheint, der vernünftigste Grund sich zu freuen wäre der, aus Florenz hinaus zu sein.«

Tito hatte die von ihm gewünschte Note ohne Unruhe oder anscheinende Absichtlichkeit angeschlagen. Er sprach ohne Emphase, sah aber dabei so ernst aus, daß Romola ihn ziemlich besorgt fragte:

»Wie so Tito? Giebt es wieder neue Unruhen?«

»Wir brauchen gar keine neuen, Romola. In der Stadt sind drei starke Parteien, bereit, einander bei der Gurgel zu packen. Wenn die Partei des Mönchs stark genug ist, die beiden anderen zum Schweigen zu bringen, wie es allen Anschein hat, so wird hier das Leben so unterhaltend und angenehm werden, wie ein Leichenbegängniß. Sie kochen schon den Plan zu einem großen Concilium aus, und wenn sie es durchgesetzt haben, so wird Derjenige als der Tauglichste zu einem Amt erwählt werden, der am lautesten fromme Hymnen singen kann. Ueberdies wird die Stadt durch die Zahlung der großen Hülfsgelder an den König von Frankreich und durch den Krieg zur Wiedereroberung Pisa's so trocken gelegt werden, daß die Aussichten auch ohne die Herrschaft der Fanatiker trübe genug sind. Im Ganzen genommen wird Florenz ein angenehmer Aufenthaltsort für die Ehrenmänner werden, die sich damit unterhalten, Abends die Gräber zu besuchen und sich zu geißeln; was alles Andere betrifft, so sind die Verbannten am besten daran. Ich meinestheils habe schon ernstlich daran gedacht, ob es nicht das Klügste für uns wäre, Romola, Florenz zu verlassen.«

Sie fuhr zurück. »Tito, wie können wir Florenz verlassen? Das kann doch Dein Ernst nicht sein, daß ich es verlassen sollte, wenigstens jetzt nicht, noch lange nicht.« Sie war eiskalt geworden und zitterte an allen Gliedern, die Sprache versagte ihr fast. Tito mußte ihre Beweggründe kennen.

»Aber, mein süßes Weib, das ist ja Alles nur ein Werk Deiner Einbildung. Dein einsames Leben trägt die Schuld, daß Du auf einige Dinge ein so ganz unnöthiges Gewicht legst. Du wirst Dich erinnern, daß ich Dir schon vor unserer Hochzeit sagte, wie sehr ich wünschte, ich wäre anderswo als in Florenz. Wenn Du mehr Städte und Menschen gesehen hättest, so würdest Du wissen, was ich damit meine, wenn ich sage, daß die Florentiner etwas von ihren scharfen Stoßwinden an sich haben. Ich liebe Leute, die das Leben weniger schwer nehmen, und es würde meiner Romola auch gut thun, ein neues Leben zu sehen. Wie gerne möchte ich sie ein wenig in die milden Wasser des Vergessens tauchen.«

Er neigte sich vornüber, küßte ihre Stirn und legte seine Hand wieder auf ihr schönes Haar; sie empfand aber seine Liebkosung nicht mehr, als hätte er eine Larve geküßt. Sie war bei dem Bewußtsein der Entfremdung zwischen ihren Seelen zu aufgeregt, um zu fühlen, daß seine Lippen sie berührten.

»Tito, nicht weil ich meine, daß Florenz die angenehmste Stadt in der Welt sei, wünsche ich hier zu bleiben, sondern weil ich – weil wir den Wunsch meines Vaters erfüllen müssen. Mein Pathe ist alt, einundsiebenzig Jahre, wir könnten ihm die Sache nicht überlassen.«

»Gerade dieser Aberglauben, der Deinen Geist wie eine verdunkelnde Wolle umhüllt, Romola, ist eine der Hauptursachen, warum ich wünschte, wir wären zweihundert Meilen von Florenz. Ich habe die Pflicht, selbst gegen Deinen Willen, für Dich zu sorgen; wenn diese lieben Augen, dieser zärtliche Blick falsch sehen, so muß ich für sie sehen und mein Weib davor retten, daß sie ihr Leben durch unpraktische Träumereien verfehlt.«

Romola saß schweigend und regungslos da, sie konnte sich nicht über Das, wohin Tito's Worte zielten, täuschen. Gewiß wollte er sie überreden, die Bibliothek in einem Kloster niederzulegen, oder ein anderes Mittel zu ergreifen, sie von einer Mühwaltung und einem sie an Florenz fesselnden Bande loszumachen. Sie hatte sich aber vorgenommen, ihren Entschluß in dieser Frage wegen der Pflicht gegen ihren Vater nie seinem Urteil unterzuordnen, und bereitete sich in diesem Widerstande, jeder Art von Kummer entgegen zu treten, vor. Allein diesen Entschluß verheimlichte sie in diesen ersten Augenblicken, indem sie mit gebrochenem Herzen erkannte, daß jetzt endlich Tito's und ihre Wünsche offen auseinander gingen. Er freute sich ihres Schweigens, denn, so sehr er die Gewalt ihrer Empfindungen gefürchtet hatte, es war unmöglich für ihn, der in den engen Kreis gebannt war, welcher alle, weiter nichts als fähige und leidenschaftslose Menschen umgibt, nicht die Ueberredungskraft seiner Gründe zu überschätzen. Sein Verfahren erschien ihm keineswegs in einem häßlichen Lichte, und seine Einbildungskraft reichte nicht aus, ihm zu zeigen, in welchem Lichte es Romola erscheinen könnte. Er fuhr in demselben milden, belehrenden Tone fort:

»Du weißt, meine Theure, wenigstens hat Deine klare Urteilskraft es Dir dargethan, daß die Idee, eine Sammlung von Büchern und Alterthümern zu vereinzeln und für immer einen bestimmten Namen daran zu knüpfen, keinen praktischen wesentlichen Vortheil bot, ja noch mehr, daß sie auf tausend Arten hintertrieben werden konnte. Sieh nur, was aus Medici's Sammlungen geworden ist! Und ich, meinestheils, halte es sogar für tadelnswerth, solche kleinliche Anschauungen vom Eigenthum zu hegen. Was hat man für einen vernünftigen Grund, sich darüber zu freuen, daß Florenz vor allen anderen Städten die Vortheile gelehrter Forschungen und des Geschmacks besitzt? Ich weiß Deine Gefühle hinsichtlich der Wünsche Verblichener zu würdigen, aber die Klugheit muß diesen Empfindungen ihre Gränze vorschreiben, sonst kann man das ganze Leben in solcher nichtigen Frömmigkeit vergeuden, wie wenn man tauben Götzen Loblieder sänge. Du widmetest Dein ganzes Dasein dem Vater, so lange er lebte, warum willst Du Dir noch mehr auferlegen?«

»Weil es etwas Anvertrautes war,« sagte Romola leise, aber vernehmbar, »er traute mir, so wie Dir, Tito. Ich dachte nicht, daß Du in dieser Beziehung anders empfändest, und wenn Du auch nicht Alles fühlst wie ich, so glaubte ich doch, daß Du hierin wenigstens wie ich fühlen würdest.«

»Das würde ich auch sicherlich thun, wo es Deines Vaters wirkliches Wohl und Glück beträfe, aber davon ist ja jetzt gar keine Rede. Wenn wir an das Fegefeuer glaubten, so würde ich eben so daran dringen wie Du, Messen für ihn lesen zu lassen, und wenn ich der Meinung wäre, es könnte Deinem Vater noch Schmerzen machen, seine Bibliothek auf eine andere als die von ihm gewünschte Weise erhalten und behandelt zu sehen, so würde ich die Strenge Deiner Ansichten theilen. Aber ein wenig Philosophie sollte uns lehren, diese luftgewobenen Fesseln abzustreifen, welche die Sterblichen sich umhängen, ihr Leben unter dem leeren Wahn eines Gewichts dahinkeuchend. Dein Geist, Romola, welcher so schnell faßt, ist wol befähigt, zwischen wirklichen Gütern und solchen Hirngespinnsten zu unterscheiden. Frage Dich selbst, meine Theure, können diese Bücher und Alterthümer mehr nützen, wenn sie unter Deines Vaters Namen in Florenz aufgespeichert liegen, als wenn sie getrennt oder anderswohin gebracht werden? Ja, ist nicht gerade diese Verbreitung in verschiedenen Händen, die sie zu schätzen wissen, ein Mittel, ihren Nutzen allgemeiner zu machen? Diese Eifersucht zwischen den italiänischen Städten ist kleinlich und unedel. Der Verlust Constantinopels war ein Gewinn für die ganze civilisirte Welt.«

Romola war noch zu sehr unter dem schmerzlichen Druck dieser Selbstenthüllung Tito's, als daß ihr Widerstand sich kräftig hätte äußern können. Als seine fließende Rede an ihr Ohr schlug, entstand in ihr eine Verachtung, welche ihr ihre verzweifelnde Liebe, die Liebe zu dem Tito, den sie geheirathet, an den sie geglaubt hatte, in immer deutlicherem Lichte zeigte. Ihr mit der Energie starker Leidenschaft begabter Charakter fühlte sich zurückgestoßen von dieser hoffnungslos seichten Schmiegsamkeit, welche die weitumfassendsten Sympathieen sich anzueignen behauptete, und kein Gefühl für die am nächsten liegenden hatte. Sie sprach noch immer wie Jemand, der verhindert ist, seinen Empfindungen freien Lauf zu lassen; nur daß sie ihren Arm von seinem Schoose fortgenommen hatte und die Hände vor sich zusammengefaltet dasaß, kalt und regungslos, wie ein gesperrtes Wasser.

»Du sprichst von wirklichen Gütern, Tito! Sind Treue, Liebe, und liebe, dankbare Erinnerungen keine Güter? Ist es kein Gut, daß wir unsere stillschweigenden Versprechungen halten, auf welche Andere bauen, weil sie an unsere Liebe und Aufrichtigkeit glaubten? Ist es kein Gut, daß ein redliches Leben redlich geehrt werden muß? Oder ist es ein Gut, daß wir unser Herz gegen alle Bedürfnisse und Hoffnungen Derer, die auf uns zählten, verhärten? Welches Gut können Menschen besitzen, in denen eine solche Seele wohnt? Vielleicht das: gut zu sprechen, ein sanftes Lager für sich zu betten, und mit ihrem gemeinen Ich als passendstem Spießgesellen zu leben und zu sterben.«

Ihre Stimme war nach und nach kräftiger geworden, bis durch ihre letzten Worte ein Ton tiefer Verachtung erklang. Sie hielt einen Augenblick inne, aber er sah, daß noch weitere Worte auf ihren Lippen bebten, und er wollte auch diese noch hervorkommen lassen.

»Ich kenne kein Gut für Städte oder für die Welt, wenn sie aus solchen Wesen bestehen. Ich aber denke nicht an andere Städte Italiens oder an die ganze civilisirte Welt, sondern nur meines Vaters, meiner Liebe und Sorge für ihn und seiner gerechten Ansprüche an uns. Ich würde allem Anderen entsagen, würde Florenz verlassen, – für wen habe ich denn sonst gelebt als für ihn und Dich, Tito? Aber dieser Pflicht werde ich nicht entsagen. Was habe ich mit Deinen Beweisgründen zu thun? Es war ein Verlangen seines Herzens, und daher ist es auch ein Verlangen des meinigen.«

Ihre Stimme, die zuerst gebebt hatte, war jetzt fest und voll. Sie fühlte, daß sie gezwungen worden war, Alles zu sagen, was sie nothwendig sagen mußte. Die Aermste wähnte, daß nichts Härteres mehr kommen würde, als dieser Kampf gegen Tito's Eingebungen, den niedrigeren Theil ihres Ichs.

Er sah nun wol ein, daß er sie nicht zu überreden vermochte, er mußte also einen anderen Weg einschlagen und ihr zeigen, daß die Zeit des Widerstandes verstrichen sei. Das mußte wenigstens dem Kampfe ein Ende machen, und wenn er ihr die Enthüllung nicht heute selbst machte, so würde sie ihr morgen auf andere Weise werden. Diese Nothwendigkeit stählte seinen Muth, und seine Erfahrungen hinsichtlich der Zuneigung und Unterwürfigkeit, die sie ihm vom Tage ihrer Vermählung bis auf den heutigen gezeigt hatte, erregten in ihm die Hoffnung, daß sie sich schließlich Dem fügen würde, was sein Wollen gewesen war.

»Es schmerzt mich,« sagte er gelassen, »Dich in diesem Geiste blinden Eigenwillens reden zu hören, theure Romola, weil es mich zwingt, Dir wehe zu thun. Ich sah aber zum Theil Deinen Widerstand voraus, und da ein rascher Entschluß nothwendig war, umging ich dieses Hinderniß und machte die Sache ab, ohne Dich zu Rath zu ziehen. Die Sorge selbst, die der Gatte für das Interesse seines Weibes hegen muß, nöthigt ihn zuweilen zu solchem einseitigen Handeln, – selbst wenn er ein Weib hat gleich Dir, Romola!.«

Sie sah ihn athemlos mit forschenden Blicken an.

»Ich will sagen,« erwiderte er, ihrem Blicke begegnend, »daß ich über die Bücher und Alterthümer so verfügt habe, daß sie den größten Nutzen stiften und den höchsten Werth haben. Die Bücher sind für den Herzog von Mailand angekauft, die Marmorarbeiten, Bronzen und das Uebrige kommen nach Frankreich, und Beide werden durch den festen Bestand einer großen Macht gesichert, statt in einer Stadt zu bleiben, welche der Zerstörung ausgesetzt ist.«

Ehe er noch seine Rede geschlossen hatte, war Romola von ihrem Sitze aufgefahren und stand aufrecht auf ihn herabblickend da, die ineinander gekrampften Hände vor sich herabfallend, und vielleicht zum ersten Male in ihrem Leben mit einem Aufblitzen von Heftigkeit in Zorn und Verachtung.

»Du hast sie also verkauft?« fragte sie, als traue sie ihren Ohren nicht.

»Ja,« entgegnete Tito, etwas kleinmüthig. Dieser Auftritt war unangenehm; die Verachtung, die ihn traf, versengte ihn schon.

»Du bist ein Verräther!« rief sie knirschend, indem sie ihn von oben herab mit den Augen maß.

Sie hielt einen Augenblick inne, und er blieb ruhig im Sessel sitzen, da er wol fühlte, daß in diesem Augenblicke eine angenommene Treuherzigkeit übel angebracht sei. Plötzlich drehte sie sich um und sagte in aufgeregtem Tone: »es kann noch hintertrieben werden, ich gehe zu meinem Pathen.«

Im Nu sprang Tito empor, eilte zur Thür, verschloß dieselbe, und zog den Schlüssel ab. Es war Zeit, daß er alle in ihm verborgene männliche Obergewalt entwickelte. Er war aber nicht zornig, sondern fühlte nur, daß der Augenblick außerordentlich unangenehm war, und daß, wenn dieser Auftritt vorüber wäre, er froh sein würde, sich eine kurze Zeit von Romola fern zu halten. Aber es war unumgänglich nothwendig, daß sie zuvor zum ruhigen Gehorsam gebracht wurde.

»Suche Dich ein wenig zu fassen, Romola,« sagte er, indem er sich in der möglichst unbefangenen Stellung gegen das Piedestal eines finstern, alten Römers lehnte. Nicht daß er innerlich ruhig war, sein Herz schlug in sittlicher Furcht, gegen die kein Panzerhemd etwas verschlägt. Er hatte den Zorn und die Verachtung seiner Gattin eingeschlossen, aber sich mit ihnen; sein Blut wallte nicht bei diesem Streite, – seine olivenfarbige Wange war sichtlich bleich geworden.

Romola schwieg und blickte ihn an, während er seine Stellung einnahm und den Schlüssel in die Gürteltasche steckte. Ihre Augen blitzten und ihr ganzer Körper schien von einer ungestümen Kraft besessen zu sein, die in irgend einer Handlung sich gewaltsam Bahn brechen zu wollen schien. Der ganze zermalmende Schmerz der Enttäuschung über ihren Gatten, also das, was sie noch vor wenigen Augenblicken am lebhaftesten empfand, war von der Gewalt ihrer Entrüstung zu nichte gemacht. Sie vermochte in diesem Augenblicke nicht, zu beachten, daß dieser Mann, den sie geringschätzte, während er so dastand in seiner verhaßten Schönheit, ihr Gatte war; sie konnte nur empfinden, daß sie ihn verachtete. Der Stolz und die Heftigkeit des alten Bluts der Bardi waren zum ersten Male vollständig in ihr aufgestachelt.

»Versuche wenigstens die Thatsache zu begreifen,« sagte Tito, »und unternimm es nicht, thörichte Schritte zu thun, die verhängnißvoll werden können. Es nützt Dir gar nichts, zu Deinem Pathen zu gehen; Messer Bernardo vermag nicht rückgängig zu machen, was ich gethan habe. Setze Dich wenigstens! Du würdest doch schwerlich, wenn Du bei Ueberlegung wärest, wollen, daß ein Dritter erführe,was zwischen uns Beiden vorgeht.«

Tito wußte, daß er die rechte Saite berührt hatte. Sie setzte sich aber nicht, denn sie dachte zu wenig an ihren Körper, um wissentlich ihre Stellung zu ändern.

»Warum kann es nicht rückgängig gemacht werden?« fragte sie nach kurzem Schweigen, »es ist ja noch nichts von der Stelle gerührt worden.«

»Einfach deshalb, weil die Kaufacte niedergeschrieben ist; die Käufer haben Florenz verlassen, und ich habe die Verschreibung über das Kaufgeld in Händen.«

»Wenn mein Vater Dich im Verdacht gehabt hätte, ein Verräther zu sein,« sagte Romola im Tone bitterster Verachtung, die sich gern Luft gemacht hätte, ehe sie noch ein Wort redete, »so würde er die Bibliothek schon in Sicherheit vor Dir gebracht haben. Aber der Tod ereilte ihn zu rasch, und als Du Dich überzeugt hattest, daß sein Ohr taub, seine Hand starr war, bestahlst Du ihn!« Sie hielt eine kleine Weile inne, dann fuhr sie mit verhaltener Heftigkeit fort: »Hast Du sonst noch Jemanden bestohlen, der nicht todt ist? Ist das die Ursache, weshalb Du gewappnet gehst?«

Romola war zu dieser Aeußerung getrieben, unwillkürlich, wie Leute, die sich hinreißen lassen, Jemandem einen Reitpeitschenhieb zu versetzen. Zuerst war Tito gänzlich eingeschüchtert; es schien ihm, daß die Schmach, die er fürchtete, grausamer sein würde, als er geglaubt hatte. Bald aber trat ein Rückschlag ein, Alles, was er an Kraft des Widerstands und des Unmuths besaß, begann sich jetzt gegen eine Frau zu erheben, deren Stimme ihm ein Herold des rächerischen Geschicks schien. Sie wenigstens konnte er, das sagte ihm sein scharfer Verstand, bemeistern, und er antwortete kalt:

»Es ist nutzlos, etwas auf die Worte des Wahnsinns zu entgegnen, Romola. Dein eigenthümliches Gefühl in Betreff Deines Vaters hat Dich in diesem Augenblick toll gemacht. Jeder vernünftige Mensch, der die Sache aus der gehörigen Entfernung betrachtet, wird einsehen, daß ich das gethan habe, was am vernunftgemäßesten ist; und ich bin überzeugt, daß Messer Bernardo, wenn er nicht von Deinen überspannten Gefühlen beeinflußt wird, derselben Meinung sein dürfte.«

»Das würde er nicht!« rief Romola, »er lebt der Hoffnung, meines Vaters Willen pünktlich vollzogen zu sehen. Wir haben erst gestern darüber gesprochen. Er wird mir auch jetzt helfen. Wer sind die Männer, denen Du meines Vaters Eigenthum verkauft hast?«

»Ich sehe keinen Grund ein, warum ich es Dir nicht sagen sollte, nur daß es zu nichts hilft. Der Graf di San Severino und der Seneschall de Beaucaire sind jetzt schon mit dem Könige unterweges nach Siena.«

»Man kann sie noch einholen und überreden, von ihrem Handel abzustehen!« rief Romola eifrig, indem ihr Zorn von Besorgniß überwunden wurde.

»Nein, das kann man nicht,« erwiderte Tito kalt.

»Und warum nicht?«

»Weil ich nicht will, daß man es soll.«

»Wenn man Dir aber das Geld auszahlt, – wir werden es Dir zahlen,« sagte Romola. Keine Worte hätten die Entfremdung, die sie gegen Tito empfand, vollständiger enthüllen können, als diese, obgleich sie weniger mit Bitterkeit, als wie besorgt und bittend geäußert wurden. Er aber fühlte sich jetzt kräftiger, denn er sah, daß der erste Zornesausbruch vorüber war.

»Nein, meine theure Romola! Sieh doch endlich ein, daß derlei Gedanken ganz unpraktisch sind. Du würdest bei ruhiger Ueberlegung gewiß nicht von Deinem Pathen verlangen, daß er noch dreitausend Gulden zu dem, was er schon auf die Bibliothek gezahlt hat, begraben soll. Ich meine doch, daß Dein Stolz und Dein Zartgefühl davor zurückschrecken würden.«

Sie fing wieder an, vor Entmuthigung zu zittern und von kalten Schauern gerüttelt zu werden, und sank auf den geschnitzten Kasten, neben dem sie stand, nieder. Er fuhr mit heller Stimme fort, während sie dabei zusammenbebte, als wäre ein kleiner eiskalter Strom über eine heiße Wange geflossen:

»Ueberdies wäre es nicht mein Wille, daß Messer Bernardo das Geld vorschösse, selbst wenn dieses Project nicht ein ganz sinnloses wäre; und ich bitte Dich, ehe Du einen Schritt in dieser Sache thust, oder ein Wort darüber äußerst, zu bedenken, was die Folgen davon sein werden, wenn Du Dich mir widersetzest und Deinen Gatten in dem schlechten Lichte erscheinen lassen willst, das Deine krankhaften Gefühle über ihn verbreiten. Wozu soll es Dir dienen, daß Du mich vor Messer Bernardo herabsetzest? Die Thatsache ist unwiderruflich: die Bibliothek ist verkauft und Du bist mein Weib.«

Jedes dieser Worte war auf den Effect berechnet, denn sein Verstand ward von der Gefahr der Krisis zur äußersten Thätigkeit angespornt. Er wußte, daß Romola's Geist die umfassende Meinung seiner Rede rasch begreifen würde. Er wartete und beobachtete sie schweigend.

Sie hatte ihre Augen von ihm ab auf den Fußboden gewendet, und saß mehre Augenblicke in Schweigen versunken. Als sie wieder sprach, war ihre Stimme gänzlich verändert, sie war ruhig und kalt.

»Ich habe noch etwas zu verlangen.«

»Verlange Alles, was ich ohne Nachtheil für uns Beide thun kann, Romola.«

»Daß Du mir den Theil des Geldes gebest, der meinem Pathen gehört, daß ich ihn bezahle.«

»Ich muß zuvörderst eine Sicherheit über die Haltung, die Du mir gegenüber annehmen willst, haben.«

»Glaubst Du denn an Versicherungen?« fragte sie mit einem Anfluge wiederkehrender Bitterkeit.

»An die Deinigen, ja!«

»Ich werde Dir keinen Nachtheil zufügen. Ich werde nichts offenbaren. Ich will nichts sagen, was ihm oder Dir wehe thun kann. Du hast Recht, die Thatsache ist unwiderruflich.«

»So werde ich Deinen Wunsch morgen früh erfüllen.«

»Heute Abend noch,« sagte Romola, »wenn es geschehen kann, damit wir nichts mehr darüber zu sprechen brauchen.«

»Es kann geschehen,« sagte er, nach der Lampe zu gehend, während sie ruhig sitzen blieb, mit stieren Augen von ihm wegblickend.

Er kehrte alsbald zurück und beugte sich über sie, ihr ein Stück Papier in die Hand legend. »Du weißt, daß Du etwas dagegen zurückerhalten wirst, Romola, nicht wahr?« sagte er mild und das, was vorgefallen war, übergehend, da er sich sicher wußte und sich fähig fühlte, den Versuch zu wagen, sie zu versöhnen.

»Ja,« antwortete sie, das Papier nehmend ohne ihn anzusehen, »ich weiß es.«

»Und Du wirst mir verzeihen, Romola, wenn Du Zeit gehabt hast, zu überlegen.« Er berührte ihre Stirn flüchtig mit den Lippen, sie achtete aber nicht darauf und schien es gar nicht zu bemerken.

Sie bemerkte nur, daß er die Thüre aufschloß und hinausging. Sie wandte das Haupt und lauschte. Das große Hofthor öffnete und schloß sich wieder. Sie sprang empor, als ob eine plötzliche Freiheit über sie gekommen wäre, und indem sie auf den Sessel ihres Vaters zuschritt, an dem sein Bild angelehnt war, sank sie vor demselben in die Kniee und brach in lautes Schluchzen aus.



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