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Einunddreißigstes Capitel.
Frucht ist Saat.


Liebe Romola,« sagte Tito am zweiten Morgen, nachdem er seine Rede auf der Piazza del Duomo gehalten hatte, »ich werde heute hohen Besuch erhalten; der Mailänder Graf kommt wieder und der Seneschal de Beaucaire, der große Liebling Seiner Allerchristlichsten Majestät. Ich weiß, Dir ist es nicht besonders lieb, alle die lächelnden Ceremonien mit diesen in Seide daher rauschenden Magnaten durchzumachen, die wir wahrscheinlich doch nie wiedersehen werden; und da sie sich wohl die Alterthümer und die Bibliothek ansehen werden, so dürfte es besser sein, Du ließest heute die Arbeit bei Seite und besuchtest die Muhme Brigida.«

Romola entdeckte einen Wunsch in dieser Andeutung, und gab sogleich ihre Zustimmung, denn nachdem sie Mantel und Kapuze übergeworfen hatte, kam sie wieder zu ihm, indem sie sagte: »Florenz wird aber hoch aufathmen, wenn die Thore geöffnet sind und der letzte Franzose aus ihnen hinausmarschirt. Selbst Dir mit aller Deiner Geduld fängt die Sache an lästig zu werden, Tito, gestehe es nur! O, wie Dein Kopf brennt.«

Er saß, über sein Pult gebeugt, schreibend, und sie hatte ihm, wie zum Abschiedsgruß, die Hand auf's Haupt gelegt. Sie hatte oft diese Stellung angenommen, und Tito war gewohnt, wenn er ihre Hand dort fühlte, das Haupt emporzurichten, sich etwas zurück zu lehnen und zu ihr hinauf zu blicken. Jetzt aber fühlte er sich so unvermögend, das Haupt emporzurichten, als ob ihre Hand eine Bleikappe gewesen wäre; dagegen sagte er, fortwährend schreibend, in leichtem Tone:

»Die Franzosen haben gerade so viel Lust, Florenz zu verlassen, als die Wespen eine reife Birne, auf der sie sich eben festgesetzt haben.«

Romola, welcher der Mangel an der gewöhnlichen Entgegnung in greller Weise auffiel, nahm ihre Hand fort, indem sie sagte: »Ich gehe, Tito!«

»Lebe wohl, meine Beste. Ich muß zu Hause bleiben. Nimm Maso mit Dir!«

Tito blickte noch immer nicht auf, und Romola ging hinaus, ohne ein Wort mehr zu sprechen. Kleine Dinge machen im ehelichen Zusammensein Epoche, und heute Morgen zuerst gestand sie sich selbst, nicht nur, daß Tito sich verändert hatte, sondern auch, daß er gegen sie ein Anderer geworden war. Lag der Grund in ihr? Das hätte sie vielleicht geglaubt, wenn nicht die Thatsachen der Rüstung und des Gemäldes eine, für sie ein Geheimniß bergende äußere Begebenheit hätten vermuthen lassen.

Kaum aber hatte Romola, nach Tito's Berechnung, das Haus verlassen, als er die Feder nieder legte und in freudiger Sicherheit, nichts Anderes als Pergamente und Marmorstücke um sich zu sehen, aufblickte. Eigentlich war er mit sich selbst höchst unzufrieden, daß er nicht fähig gewesen war, Romola anzusehen und sich gegen sie wie gewöhnlich zu benehmen. Er wäre gern, wenn er gekonnt hätte, noch freundlicher gegen sie gewesen als sonst, aber es war ihm plötzlich unmöglich geworden, ein unwillkürliches Zurückbeben vor ihr zu bemeistern, das, durch eine delicate geistige Eigenthümlichkeit, in seinem Charakter lag, der in seinen Kundgebungen von Liebe nicht gern nachlassen mochte. Er war im Begriff, einen Schritt zu thun, der, wie er wußte, sie auf's tiefste empören würde, und mußte vieles Unangenehme ertragen, ehe er ihre Vergebung erlangen konnte. Und Tito fand es niemals behaglich, dem Mißvergnügen oder dem Zorne gegenüber zu stehen; sein Charakter war einer von den am weitesten von Mißtrauen oder Unverschämtheit entfernten, und alle seine Neigungen gingen dahin, sich Romola's Liebe zu erhalten. Nicht, daß er von sentimentalen Gewissensskrupeln gepeinigt wurde, welche, wie er sich selbst in einer sehr raschen Beweisführung auseinander gesetzt hatte, in gar keiner Beziehung zu einer praktischen Nützlichkeit standen; aber diese Abwesenheit aller Skrupel befreite ihn doch nicht von der Furcht vor Unannehmlichkeiten. Mangel an Gewissenszweifeln befreit von vielen Dingen, aber nicht von Zahnschmerzen, oder verletzter Eitelkeit, oder vom Gefühle der Vereinsamung, – Dinge, gegen welche, wie die Welt jetzt ist, es keinen Schutz giebt, als durchaus gesunde Backen und eine redliche, liebende Seele. Und Tito empfand in diesem Augenblicke sehr tief, daß keine Kunstgriffe ihn in dem drohenden feindlichen Zusammentreffen mit Romola vor Widerwärtigkeiten retten, keine schmeichelnde Ueberredungsgabe ihn vor dem Anprall schirmen konnte, dem er jetzt unwiderstehlich entgegengetrieben wurde, wie ein ängstliches Thier, das von der Furcht vor den ihn verfolgenden Klauen und Zähnen zu einem verzweiflungsvollen Sprunge gehetzt wird.

Die geheime Ueberzeugung, die er gehegt hatte, daß das zähe Befolgen der Wünsche Bardo's hinsichtlich der Bibliothek, unter den bestehenden schwierigen Verhältnissen eine sentimentale Thorheit sei, die ihn und Romola materieller Vortheile beraube, würde vielleicht nie zum wirklichen Durchbruch gekommen sein, wenn die Ereignisse der vorigen Woche, welche den Druck eines neuen Beweggrundes und zugleich den Ausweg einer seltenen, günstigen Gelegenheit gebracht hatten, nicht gewesen wären. Erst als seine Angst durch den Anblick Baldassarre's, der jetzt seinem früheren Selbst in gesünderen Tagen glich, erhöht wurde, erst als er angefangen hatte, einzusehen, daß er genöthigt sein könnte, aus Florenz zu fliehen, hatte er sich entschlossen, sich seines gesetzmäßigen Rechts zu bedienen: die Bibliothek zu verkaufen, ehe die günstige, durch die Anwesenheit französischer und mailändischer Kauflustiger sich darbietende Gelegenheit ihm entschlüpfte. Denn wenn er auch Florenz verlassen mußte, so wollte er doch nicht wie ein armer Auswanderer fortziehen. Er war an ein behagliches Leben gewöhnt worden, und wünschte alle die Mittel mit sich zu nehmen, die ihm dieselbe angenehme Lage verschaffen konnten. Er wünschte unter Anderem, Romola mit sich zu nehmen, wenn möglich aber keine Entehrung. Der Erfolg hatte ihm ein immer wachsendes Bedürfniß nach allen den Vergnügungen, die eine vortheilhafte bürgerliche Stellung mit sich bringt, eingeflößt, und es konnte ihm auch nicht auf einen Augenblick als eine lockende Versuchung, sondern vielmehr als eine scheußliche Wahl erscheinen, ehrloser Weise, selbst mit einem Sack Diamanten, auf und davon zu gehen und das Leben eines Abenteurers zu führen. Es war ihm nicht gegeben, sich von den Florentinern, selbst von denen, die ihn nur achtungsvoll grüßten, unabhängig zu machen, noch weniger also von Romola. Sie war das Weib seiner ersten Liebe, er liebte sie noch; sie gehörte zu der Lebensausstattung, von der er sich nicht losmachen konnte. Er wand sich unter ihrem Urteil, er wußte nicht genau, wie weit die Abwendung ihrer Gefühle gegen ihn gehen mochte, und das volle Bewußtsein der Gewalt über ein Weib, wodurch ein Ehemann sich zu Hintergehungen verleiten läßt, die der Geliebte nie wagen würde, genügte nicht, Tito's Unruhe zu bewältigen. Dieses war das Bleigewicht, welches stärker war als sein Wille und ihn verhinderte, sein Haupt zu erheben und ihr in's Auge zu blicken. Das reine Licht dieser Augen rückte ihm die Aussicht« au einen bevorstehenden Kampf zu nahe. Da war aber Nichts zu machen; mußten sie Florenz verlassen, so brauchten sie auch Geld; und Tito konnte sich das Leben durchaus nicht ohne eine beträchtliche Summe Geldes denken. Das Problem, sich das Leben so zu ordnen, war die Quelle aller seiner Fehltritte gewesen. Er hätte allenfalls jedes Opfer gebracht, nur durfte es nichts Unangenehmes im Geleite haben.

Die prunkenden großen Herren kamen und gingen, der Handel war geschlossen und Romola kam wieder nach Hause; es wurde aber an diesem Abende nichts besonders Wichtiges mehr besprochen; nur daß Tito munter und gesprächig war, und mehr, als er je gethan hatte, Anekdoten und Schilderungen von dem, was er während des Besuchs der Franzosen erfahren hatte, vor ihr auskramte. Romola glaubte eine besondere Absichtlichkeit in seiner Lebendigkeit zu entdecken, und da sie dieses seinem Bewußtsein, sie am heutigen Morgen verletzt zu haben, zuschrieb, nahm sie sein Bestreben als einen Act der Reue hin, obgleich in ihrem Inneren schmerzlich berührt von diesem Zeichen zunehmender Entfremdung: daß eine Beleidigung vorhanden sei, über die Beide nicht zu sprechen wagten.

Am nächsten Tage kam Tito bis spät in die Nacht nicht nach Hause. Es war dies ein besonders bemerkenswerther Tag für Romola, denn Piero di Cosimo, durch die Besorgniß, daß er in vergangener Woche ihr Kummer verursacht haben könne, zu verdoppeltem Fleiße in ihrem Interesse angespornt, hatte ihr das Bildniß ihres Vaters zugeschickt. Sie hatte es gegen die Rücklehne seines alten Sessels gestellt und es eine geraume Weile betrachtet, als die Thüre hinter ihr sich öffnete und Bernardo del Nero eintrat.

»O, Ihr seid es, Pathe! Wie sehr wünschte ich, Ihr wäret etwas früher gekommen; es wird schon dunkel!« rief Romola, ihm entgegen gehend.

»Ich bin nur vorgekommen, Dir die guten Neuigkeiten mitzutheilen. denn ich weiß, daß Tito noch nicht wieder zu Hause ist,« sagte Bernardo. »Der König von Frankreich zieht morgen ab, nicht bevor es hohe Zeit ist! Heute Morgen gab es wieder ein Scharmützel zwischen unseren Leuten und den französischen Soldaten; aber jetzt ist die Aussicht vorhanden, daß wieder einmal Ordnung in der Stadt wird und der Handel gedeiht.«

»Das ist etwas Erfreuliches,« sagte Romola, »aber es kam plötzlich, nicht wahr? Tito meinte gestern noch, es seien wenig Aussichten vorhanden, daß der König so bald abziehen werde.«

»Das kommt, weil er ordentlich angebellt worden ist,« entgegnete Bernardo lächelnd, »seine eigenen Generale haben den Mund nicht wenig aufgerissen und zum Schluß entsandte unsere Signoria Fra Girolamo, den Stadtbullenbeißer. Der Allerchristlichste wurde von diesem Donner erschreckt und gab Befehl aufzubrechen. Ich fürchte, es wird, wenn er fort ist, wenig Harmonie unter uns herrschen, jedenfalls aber sind alle Parteien darin einig, daß sie froh sind, Florenz nicht länger an Soldaten ersticken zu sehen, und der Mönch hat dieses Mal wenigstens nicht vergeblich gebellt.«

»Ah, was ist denn das?« fuhr er fort, als Romola ihn am Arme faßte und vor das Gemälde hinführte; »laß doch einmal sehen!«

Er begann, seine langes Schärpe loszuwinden, während sie einen Sitz für ihn zurecht rückte.

»Braucht Ihr denn Eure Brille nicht, Pathe?« fragte Romola, eifrig besorgt, daß er dasselbe sehen solle, was sie sah.

»Nein, mein Kind,« antwortete Bernardo, sein graues Haupt entblößend, während er sich in gerader Haltung niedersetzte, »meine alten Augen sehen in dieser Entfernung vielleicht besser als Deine jungen! Das Greisenauge gleicht dem Greisengedächtnisse; es taugt am besten für weit entfernte Dinge.«

»Es ist immer besser, als gar kein Bild zu haben,« sagte Romola wie beschönigend, nachdem Bernardo eine Weile schweigend dagesessen hatte, »es gleicht ihm jetzt weniger als das Bild, welches mir im Geiste vorschwebt, das aber doch mit den Jahren verbleichen könnte.« Sie hatte, während sie so sprach, den Arm auf die Schulter des alten Herrn gestützt, zu dem sie sich durch die gemeinsame Theilnahme an dem Verblichenen mächtig hingezogen fühlte.

»Ich weiß nicht,« sprach Bernardo, »mir ist immer, als ob ich Bardo sehe, wie er noch jung war, besser als ihn das Bild mir zeigt, wie er in seinem Alter war. Dein Vater hatte in seiner Jugend sehr feurige Augen. Ich konnte es niemals begreifen, daß er mit seinem Feuergeiste, der heftiger als der meinige schien, über den Büchern liegen und sein ganzes Leben mit Schatten verkehren konnte. Nun, er hatte einmal sein Herz daran gehängt.«

Bernardo zuckte bei diesen Worten leicht mit den Achseln, aber Romola merkte in seiner Stimme ein mit dem ihrigen übereinstimmendes Gefühl.

»Und er wurde bis zum letzten Augenblicke getäuscht!« sagte sie unwillkürlich; aber alsbald fuhr sie, als fürchte sie, daß ihre Worte als eine Beschuldigung gegen Tito angesehen werden möchten, in geflügelter Eile fort: »wenn wir nur seinen längst gehegten, sehnlichsten Wunsch zu seinem Angedenken erfüllt sehen könnten!«

»Das wird sich wol machen,« entgegnete Bernardo freundlich, indem er sich erhob und seine Mütze aufsetzte, »die Zeiten sind jetzt trübe, aber Fische fängt man durch Geduld. Wer weiß, wenn das Rad sich oft genug gedreht hat, so kann ich noch vor meinem Tode Gonfaloniere werden, und dann darf kein Gläubiger diese Sachen anrühren.« Bei diesen Worten sah er sich rings um; dann fügte er, sich zu ihr wendend und ihre Wangen streichelnd, fort: »und Du brauchst Dich auch für den Fall meines Todes nicht zu fürchten; mein Geist wird keine Ansprüche erheben, dafür habe ich schon in meinem letzten Willen Sorge getragen.«

Romola faßte die auf ihrer Wange ruhende Hand und preßte sie stumm an ihre Lippen.

»Hast Du Deinen Mann nicht tüchtig ausgescholten, daß er seit Kurzem so viel außer dem Hause ist? Ich sehe ihn überall, nur nicht hier,« sagte Bernardo in der Absicht, dem Gespräche eine andere Wendung zu geben.

Sie fühlte, wie eine brennende Röthe sich ihr über Gesicht und Hals verbreitete, als sie antwortete: »er ist sehr in Anspruch genommen worden; Ihr wißt, er spricht sehr gut, und ich freue mich, zu wissen, daß man seinen Werth anerkennt.«

»Du bist also zufrieden, Frau Hochmuth?« sagte Bernardo lächelnd, indem er sich der Thüre näherte.

»Sicherlich!«

Arme Romola! Etwas gab es, das sie den Schmerz, sich in ihrem Gatten getäuscht zu haben, noch schwerer tragen machte, und dieses war, daß Jemand ahnen könnte, er gäbe ihr Veranlassung zu diesem Getäuschtsein. Es mochte dieses weibliche Schwäche sein, aber es war nahe verwandt mit weiblichem Adel der Gesinnung. Die, welche bereit ist, den Schleier von ihrem Eheleben zu lüften, hat dasselbe aus einem Heiligthum zu einem Platze der Alltäglichkeit entwürdigt.



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