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Siebenunddreißigstes Capitel.
Der erschlossene Schrein.


Romola wurde durch ein Klopfen an die Thüre erweckt. Das fahle Licht des frühesten Morgens war im Zimmer, und Maso war wegen der Reisetasche gekommen. Der alte Mann konnte seinen Schreck nicht unterdrücken, als sie die Thüre öffnete, und er statt der schlanken, von hellschimmerndem Haar gekrönten Gestalt, an die er gewöhnt war, die dicken Falten des grauen Mantels und das bleiche, von der Kapuze überschattete Gesicht erblickte.

»Es ist gut, Maso,« sagte Romola, indem sie versuchte im ruhigsten Tone zu sprechen und den Greis zu beschwichtigen, »hier ist die Tasche schon ganz in Ordnung. Gehe Du nur voran, ich werde Dir gleich folgen. Wenn Du außerhalb des Thores bist, kannst Du langsamer gehen, denn ich werde Dich wahrscheinlich einholen, ehe Du nach Trespiano kommst.«

Sie schloß die Thür hinter ihm, und führte dann die Hand zum Schlüssel, den sie in verwichener Nacht zuletzt aus dem Kästchen genommen hatte. Es war der ursprüngliche Schlüssel zu dem kleinen gemalten Schrein. Tito hatte vergessen, ihn in den Arno zu werfen, und er war, wie dies oft mit kleinen Gegenständen geschieht, in einer Ecke der gestickten Gürteltasche, die er bei der Purpurtunica zu tragen pflegte, liegen geblieben. Eines Tages, lange Zeit nach der Hochzeit, hatte Romola ihn dort gefunden und ihn zu sich gesteckt, ohne sich seiner zu bedienen, aber zufrieden, daß sie ihn unter ihrer Obhut hatte. Das Wandschränkchen, auf welchem der Schrein zu stehen pflegte, war an die Seitenwand des Zimmers, und dicht an eines der Fenster gestellt worden, wo das fahle Morgenlicht so darauf fiel, daß Romola die gemalten, ihr so wohl bekannten Figuren: den triumphirenden Bacchus mit seinen Reben und dem weinumrankten Speer, wie er die gekrönte Ariadne umfaßte, dann die rosenstreuenden Liebesgötter, die bekränzten Schiffe, die Delphine mit den klugen Augen und die sich kräuselnde See, das Ganze von einer Blumenguirlande, wie von einer Paradieseslaube umgeben, ziemlich deutlich erkennen konnte. Romola sah mit erneuter Bitterkeit und mit Widerwillen auf die bekannten Bilder; sie erschienen ihr an diesem kalten Morgen, als sie erwacht war, um ihren einsamen Weg zu wandeln, mehr denn je als eine erbärmliche Verhöhnung. Sie waren ihr kein Grab des Kummers, sondern ein lügender Schirm. Thörige Ariadne! mit ihrem Blick voll Liebe, als ob dieses freundliche Antlitz, mit seinen hyacinthfarbenen Locken, gleich Ranken zwischen Weinlaub, das tiefe Geheimniß ihres Lebens bewahrte!

»Ariadne ist wundersam verändert,« dachte Romola, »sie würde jetzt sich sonderbar zwischen den Rosen und Weinblättern ausnehmen.«

Sie nahm den Spiegel und beschaute sich nochmals in demselben; aber der Anblick war so abschreckend, daß sie ihn gleich wieder bei Seite legte, indem sie davor eben so sehr zurückschauderte, wie vor dem Anblick der fröhlichen Ariadne. Das Anschauen ihres eigenen, von der Kapuze umhüllten Gesichts, jagte ihr von Neuem die Furcht ein, daß sie doch endlich in die Genossenschaft irgend eines jämmerlichen Aberglaubens, in die Gesellschaft heulender Fanatiker und weinender Nonnen, die sie von ihrer Kindheit an verachtet hatte, hineingezogen werden möchte. Eilig steckte sie den Schlüssel in den Schrein, eilig öffnete sie denselben und nahm das Crucifix heraus, ohne es anzusehen; dann zog sie mit zitternden Fingern eine Schnur durch den daran befindlichen Ring, hing dasselbe um den Hals und verbarg es in den Busenlatz ihres Mantels. »Es ist um Dino's willen,« sagte sie zu sich selbst.

Es mußten nun noch die Briefe geschrieben werden, die Maso von Bologna zurückbringen sollte. Sie waren nur kurz. Der erste lautete:

 

»Tito! meine Liebe zu Dir ist todt, also bin auch ich, sofern ich Dein war, todt. Versuche nicht, die Gesetze in Anspruch zu nehmen, um mich zurückzuholen; es würde Dir kein Glück bringen. Die Romola, die einst Dein Weib war, kehrt nie wieder. Ich brauche Dir, nach den Worten die ich zu Dir in unserer letzten langen Unterredung sprach, nichts weiter zu erklären. Wenn Du gemeint hast, daß es Worte vorübergehenden Zornes waren, so wirst Du jetzt einsehen, daß sie das Zeichen einer unwiderruflichen Veränderung sind.

Ich hoffe, Du wirst meinen Wunsch erfüllen, daß meine Brauttruhe meinem Pathen, der sie mir gab, zugeschickt werde. Sie enthält meine Hochzeitskleider, die Portraits meiner Eltern und andere Andenken an dieselben.«

 

Sie legte den Ring in den Brief, auf den sie Tito's Namen schrieb. Der zweite Brief war an Bernardo del Nero gerichtet:

 

»Theuerster Pathe! Wenn ich durch mein Bleiben Eurem Leben irgendwie hätte nützen können, so wäre ich nicht so weit in die Ferne gezogen. Jetzt aber bin ich fort. Fragt nicht um die Gründe, und wenn Ihr meinen Vater liebtet, so sucht es zu verhindern, daß mich Jemand aufsucht. Ich konnte das Leben in Florenz nicht länger ertragen; warum? das kann ich Niemandem mittheilen. Seid mir behülflich, mein Geschick mit Schweigen zu bedecken. Ich habe gewünscht, daß meine Brauttruhe Euch zugesandt werde; wenn Ihr sie öffnet, so werdet Ihr die Ursache erkennen. Ich bitte Euch, Alles was meiner Mutter gehörte, der Muhme Brigida zu geben, und bittet sie für mich um Verzeihung, daß ich ihr kein Lebewohl sagte.

Und so lebt wohl, mein zweiter Vater! Das Beste was mir das Leben läßt, ist: Eurer Güte zu gedenken, und Euch dankbar zu sein.

Eure

Romola.«

 

Diese Briefe steckte Romola in die Tasche neben das Crucifix, und wußte nun, daß Alles gethan war; sie war zur Abreise bereit.

Nichts rührte sich im Hause, und sie schritt ruhig, wie ein graues Phantom, über die Treppe hinab und hinaus auf die öde Straße. Ihr Herz pochte heftig, und doch freute sie sich, als sie so fest über die breiten Quadersteine dahinging, als ihre Bewegung rasch wurde, wie ein langgehemmter Entschluß, der endlich zum freien Durchbruch kommt. Der Eifer, ihre That zu vollziehen, und die Furcht vor Hindernissen, ließen den Kummer nicht aufkommen; und als sie die Rubacontebrücke erreichte, achtete sie weniger darauf, daß Santa Croce vor ihr lag, als daß der gelbliche Streif des Morgenlichts, welcher das Dämmerungsgrau vertrieb, immer breiter und breiter wurde, und daß, wenn sie ihre Schritte nicht beeilte, ihr vielleicht bekannte Gesichter begegnen möchten. Der kürzeste Weg für sie war der rechts nach dem Borgo Pinti, und von da die Mauern entlang zu dem San Gallothore, durch welches sie die Stadt verlassen mußte, und dieser Weg führte sie bei der Piazza di Santa Croce vorüber. Sie ging aber so rasch und so entschlossen wie je über den Platz, ohne daß sie es wagte, einen Blick nach der Kirche zu werfen. Der Gedanke, daß vielleicht Blicke der Neugier oder die eines Bekannten auf sie gerichtet wären, oder daß Gleichgültige über den Kummer, den sie empfand, nachgrübeln könnten, bewirkten, daß Romola körperlich, wie vor dem Gedanken an die Folter, zurückschauderte. Sie fühlte sich sogar von der Handlung ihres Gatten, unter der sie hülflos litt, entehrt. Aber nichts deutete darauf hin, daß irgend Augen aus einem Fenster blickten, um die hohe graue Schwester mit dem festen Schritt und der stolzen Haltung des vermummten Hauptes zu beachten. Ihr Weg lag seitab von dem Getreibe früher Geschäftigkeit, und als sie das San Gallothor erreichte, so wurde es ihr leicht, unbemerkt durch dasselbe zu gelangen, indem sich ein Streit wegen der Versteuerung von Körben mit Eiern und Marktwaaren, welche eben herein gebracht wurden, erhob.

Hinaus! War sie erst bei den Häusern des Borgo vorbei, so hatte sie den äußersten Saum von Florenz hinter sich, der Himmel wölbte sich dann frei über ihrem Haupte, und sie trat ihr neues Leben an, ein Leben von Einsamkeit und Entbehrung, aber auch voll Freiheit. Sie war stark genug gewesen, die Bande zu zerreißen, die sie sich in blindem Vertrauen angelegt hatte. Was ihr auch fernerhin zustoßen mochte, so durfte sie doch nicht mehr den Athem weicher, verhaßter Lippen warm auf ihrer Wange fühlen, den Athem eines verabscheuungswürdigen Geistes, der den ihrigen erstickte. Der öde Wintermorgen, die kalte Luft, waren mit ihrer Strenge willkommen; die laubleeren Bäume, die düstren Anhöhen, waren nicht von den Göttern der Schönheit und Freude, deren Dienst sie jetzt für immer entsagt hatte, bevölkert.

Aber plötzlich brach das Licht sich gewaltig die Bahn, Schatten über den Weg werfend. Es war als ob die Sonne das Grauen des Morgens verjagte. Nie vielleicht wird das Licht als eine, alle unbestimmten Empfindungen, welche unser innerstes Leben bilden, stärker aufregende göttliche Offenbarung gefühlt, als in den Augenblicken, in denen es urplötzlich den Schatten hervorlockt. Eine gewisse heilige Scheu, welche diese rascheste Handlung ihres Lebens begleitete, wurde zu einer bestimmten Empfindung in ihr, als sie sich plötzlich in dem unfaßbaren goldenen Schein und neben ihrem langgedehnten Schatten, dem sie nicht entfliehen konnte, befand.

Bis jetzt hatte sie Niemanden getroffen, als dann und wann einen Landmann mit Maulthieren, und wegen der vielfachen Wendungen des Weges in der Ebene, konnte sie nicht bemerken, daß Maso nicht sehr weit vor ihr war. Als sie aber durch Pietra gekommen war und sich auf einem ansteigenden Pfade befand, lüftete sie den herabhängenden Zipfel der Kaputze und sah eifrig vor sich.

Alsbald aber wurde die Kapuze wieder herabgelassen. Sie sah nicht Maso, sondern zwei Mönche, die in ihre Nähe kamen. Der Zipfel der Kapuze, welcher eine Art Schirmdach über die Stirn bildete, hatte die oberhalb der geraden Nichtlinie ihrer Augen liegenden Gegenstände verdeckt, und während der letzten paar Augenblicke hatte sie nur die Helle des Weges und ihren eigenen, wie ein schreckliches Gespenst langen und eingehüllten Schatten erblickt.

Ihre Verkleidung machte ihr die Begegnung mit Mönchen besonders unangenehm, denn diese konnten irgend ein frommes, ihr ganz unbekanntes Losungswort von ihr erwarten, und sie setzte ihren Weg mit einem sorgsamen Anschein von Zerstreutheit fort, bis sie den Saum der schwarzen Mäntel vorüberziehen gesehen hatte. Bei dieser Begegnung schlug Romola's Herz unruhig, denn sie empfand ein Mißbehagen in ihrer geistlichen Vermummung, eine Scham über dieses absichtliche Verbergen, welche durch eine besondere Anstrengung, vor scharfen Blicken unbefangen zu thun, noch deutlicher hervortraten.

Aber die schwarzen Gewänder mußten ihr um so schneller aus dem Gesichte kommen, als sie bergab gingen, und da sie einen großen flachen Stein neben einer Cypresse, die hinter einer vorspringenden Rasenbank emporwuchs, erblickte, gab sie dem, von der Aufregung in ihr erweckten Wunsche, sich zu setzen und auszuruhen, nach.

Sie wandte sich mit dem Rücken gegen Florenz, da sie es nicht eher ansehen wollte, bis die Mönche ihr aus dem Gesicht gekommen waren, und indem sie beim Niedersetzen die Kapuze wieder zurückschlug, erblickte sie Maso mit den Maulthieren in einer Entfernung, die es ihr möglich erscheinen ließ, ihn zu überholen, da der alte Mann wahrscheinlich auf sie warten würde.

Inzwischen durfte sie etwas ausrasten. Sie war allein und frei.



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