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Vierunddreißigstes Capitel.
Kein Raum zur Reue.


Messer Naldo kam früher wieder als man erwartete. Er kam am Abend des 28. Novembers, nur eilf Tage nach seinem früheren Besuch, ein Beweis, daß er nicht weit über die Berge fort gewesen war; und ein Auftritt, dem wir an jenem Abend in der Via de' Bardi beigewohnt haben, mag dazu dienen, den Beweggrund darzuthun, welcher seine Schritte nach der Anhöhe von San Giorgio gelenkt hatte.

Als Tito nach seiner Rückkehr aus Rom, vor länger als anderthalb Jahren, diesen Aufenthalt für Tessa gefunden, hatte er, wie er sich selbst überredete, nur unter dem, ihm von seiner eigenen Güte auferlegten Zwange gehandelt, nach dem unseligen Zufall, welcher die thörichte, kleine Tessa hatte glauben lassen, daß er ihr Gatte sei. Es war freilich wahr, daß die Güte einem hübschen, vertrauensvollen Kinde erwiesen ward, in dessen Nähe Niemand verweilen konnte ohne sie zu hätscheln und zu verzärteln; nicht minder wahr war es aber, daß Tito Regungen der Güte für sie fühlte, ohne einen für sich selbst bezweckten Gewinn. Sonst hätte er, so reizend ihre Unbefangenheit und ihr Geplauder in einem müßigen Augenblicke waren, es wol vorgezogen sich von ihr los zu machen; denn er liebte Tessa nicht – er liebte zum erstenmale in seinem Leben ein ganz verschiedenes weibliches Wesen, die er nicht nur mit Liebkosungen zu überschütten sich bewogen fühlte, sondern deren Nähe ihn so befing, daß das einfache Dahingleiten ihrer langen Flechten über seine Wange ihn noch stundenlang zu durchbeben schien. Die ganze jugendliche, ideale Leidenschaft die in ihm lag, war von Romola erweckt worden, und seine Nerven waren zu fein, sein Geist war zu glänzend, als daß er sich zu den Gewohnheiten eines groben Wüstlings hätte verleiten lassen. Er hatte aber ein Netz um sich und Tessa gewoben, das zu zerreißen er sich zu schwach fühlte. In den ersten Augenblicken nach der Scheinehe hatte er sich durch eine klare Berechnung seines eigenen etwaigen Bedürfnisses versucht gefühlt, sie von einem Wahn befangen zu lassen; seit jenem kritischen Augenblicke aber schien es ihm, als ob das Netz sich wider seinen Willen immer fester gewoben hätte, gleich wie ein Wachsthum, über das er keine Gewalt besäße. Die Elemente von Güte und Nachsicht mit sich selbst, sind in einem weichen Charakter, wie der Tito's war, schwer zu unterscheiden. Der Aerger, welchen Tessa's Nachstellungen ihm am Tage seiner Vermählung bereitet hatten, die ernstliche Absicht, mit der er aufbrach, sein Versprechen der Wiederkehr zu halten, nämlich die: ihr die volle Wahrheit mitzutheilen, waren in seinen Augen hinlänglich starke Beweise, daß er sich von seiner Herzensgüte hatte hinreißen lassen, indem er schließlich Tessa in ihrem Wahn ließ und ihr eine Häuslichkeit verschaffte. Und in jenen Tagen seiner ersten Liebe zu Romola bedurfte er Rechtfertigungen vor sich selbst. Er hatte gelernt sich darüber zu freuen, daß sie über gewisse Dinge in der Täuschung erhalten wurde. Jedes starke Gefühl aber bildet sich selbst sein eigenes Gewissen – seine eigene Pietät, so wie die Liebe eines Sohnes zur Mutter oft unter den widrigsten Ausbrüchen der Entsittlichung fortlebt, und Tito war noch nicht so weit gekommen sich behaglich zu fühlen, während er sich gegen seine vor Gott angetraute Liebe eines Vergehens schuldig machte.

Desto sorgsamer traf er aber alle Anstalten, die Heimlichkeit seines Vergehens zu bewahren. Monna Lisa, welche wie viele ihres Standes ihre Wohnung nur verließ, um in ein paar bestimmte Läden zu gehen, und nur einmal im Jahre beichtete, kannte weder seinen wirklichen Namen noch seine sonstigen Verhältnisse. Sie wußte weiter nichts, als daß er ihr genug zahle um sie gemüthlich einzurichten, und kümmerte sich um alles Uebrige sehr wenig, nur daß sie Tessa sehr lieb gewann und die Pflicht für die man sie bezahlte, gern that. Es steckte ein Geheimniß dahinter, das sah sie recht wohl ein, denn Tessa war eine Bäuerin und Messer Naldo ein vornehmer Herr, aber – so viel Monna Lisa wußte war er doch wol ihr wirklicher Ehemann. Denn Tito hatte Tessa durch Angst zum Schweigen über die näheren Umstände ihrer Hochzeit vermocht, indem er ihr sagte, daß wenn sie nicht schwiege, sie ihn nie wieder sehen würde, und Monna Lisa's Taubheit, welche es unmöglich machte, daß man ihr irgend etwas ohne vorheriges Ueberdenken der Sache sagen konnte, hatte Tessa vor der Gefahr einer unvorsichtigen Enthüllung, wie ihr im Gespräch mit Baldassarre entschlüpft war, bewahrt. Eine lange Zeit hindurch waren auch Tito's Besuche so selten, daß die Wahrscheinlichkeit einer Reise zwischen jeder einzelnen von ihnen vorhanden war. Diese Besuche waren hauptsächlich durch den Wunsch veranlaßt: zu sehen, daß es Tessa in allen Dingen gut gehe, und obgleich er stets den Besuch selber angenehmer fand als die Aussicht darauf und den Zauber dieser reizenden, unwissenden Liebeshingegebenheit und Vertrauensschwärmerei immer wieder auf's Neue empfand, so fühlte er doch noch kein wahrhaftes Bedürfniß danach. Er war aber entschlossen, die kindliche Einfalt, in der dieser Zauber wurzelte wo möglich zu bewahren, Tessa so zu lassen wie sie war: eine wirkliche Bäuerin, und die kleine Feldpflanze nicht in einen Boden zu versetzen, wo sie ihre Anmuth einbüßen mußte. Es wäre ihm widerwärtig gewesen sie anders gekleidet zu sehen, als ihrem Stande zukam, das Pikante ihres Geplauders würde verschwinden, wenn die Dinge sich ihr in einem andern Lichte zeigten, wenn ihr Horizont sich erweiterte, ihre Unterhaltungen weniger kindlich würden; und das eichkätzchenartige Vergnügen an einer unbeschränkten Anzahl von Nüssen bezeichnete den Grad von Luxus, mit welchem er sie versah. Auf diese Weise bewahrte Tito Tessa's Reize vor irgend einer Befleckung, und sich selbst zu gleicher Zeit vor der Vermehrung seiner Ausgaben, die einem Manne, dessen Geld von seinen Lebensgewohnheiten vollkommen in Anspruch genommen wurde, ohnehin schon lästig genug fielen.

Dieses war in Kürze die Geschichte der Beziehungen Tito's zu Tessa bis in die jüngste Zeit. Allerdings hatte die Idee, daß Tessa oben auf der Anhöhe wohnte, und daß er mit ihr ein Stündchen angenehm hinbringen könne, Tito schon ein paarmal vor Bardo's Tode verleitet, der Langweiligkeit des alten Mannes zu entgehen, während er dieselbe wol ertragen und Romola's Last getheilt haben würde, wenn kein bestimmtes Stelldichein gewinkt hätte. Aber der Augenblick, wo er zuerst ein wahrhaftes Bedürfniß nach Tessa's unwissender Liebesinnigkeit und ihrem Vertrauen zu ihm empfunden hatte, war erst vor Kurzem gekommen, und zeigte sich deutlich durch Umstände, die man so wenig vergessen kann wie das Herannahen einer Krankheit, die unaufhörlich Gesicht und Gehör afficirt hat. Es war an dem Tage, an welchem er zuerst Baldassarre gesehen und die Rüstung gekauft hatte. Als er an jenem Abend über die Brücke zurückkehrte, das Panzerhemd mit sich tragend, hatte er einen unbesiegbaren Widerwillen vor einem unmittelbaren Zusammentreffen mit Romola empfunden. Auch sie wußte wenig von der wirklichen Welt, auch sie vertraute ihm; aber er hatte das unbehagliche Bewußtsein, daß hinter ihren redlichen Blicken ein Charakter wohne, der ihn richten könnte, und daß ein ungerechtfertigtes Vertrauen zu ihm nicht aus liebenswürdiger aber thierähnlicher Urteilsunfähigkeit, sondern aus einem Adel der Seele entspränge, der am Ende ein beunruhigender Prüfstein sein möchte. Er bedurfte etwas Muße, ein Ausruhen von einer Selbstprüfung nach den Anstrengungen und Aufregungen des Tages; er mußte irgend wo sein, wo er seinen Geist zu morgen sammeln konnte, ohne zu sorgen wie er sich im Augenblicke benähme. Und es gab ein reizendes, ihn anbetendes Wesen ganz in seiner Nähe, dessen Anwesenheit so sicher und so zwanglos für ihn war, wie die Zicklein die es pflegte – ein Wesen, das jedes Märchen glauben und von der öffentlichen Meinung ganz unbeeinflußt bleiben würde. Und so richtete er an jenem Abende, an welchem Romola ihn erwartete, seine Schritte nach dem Hügel.

Was Wunder also, daß sein Fuß eilf Tage später, an dem Abende als er vor dem ersten stürmischen Zeichen der Verachtung, die Romola ihm zu erkennen gab, zurückweichen mußte, dieselbe Richtung einschlug. Er konnte Tessa nicht an seines Weibes Stelle wünschen oder sich enthalten, zu wünschen, daß Romola wieder ganz mit ihm versöhnt sein möchte; denn Romola war es, und nicht Tessa, die jenen Kreisen angehörte, innerhalb deren alle höhere Wünsche eines mit Ehrgeiz und bedeutenden Fähigkeiten begabten Mannes liegen mußten. Was er aber bedurfte, war ein Asyl vor einer unangenehmen strengen Maßlegung, von der er sich nicht so einfach dadurch emancipiren konnte, daß er sie für Thorheit hielt: und dieses einladende Asyl war Tessa's beschränkte Seele.

Es war noch nicht über acht Uhr, als er die steinernen Stufen zu Tessa's Zimmer emporstieg. Gewöhnlich hörte sie ihn, wenn er in's Haus trat, und eilte ihm entgegen; heute aber unterblieb dieses, und als er die Stubenthür öffnete erkannte er auch sogleich die Ursache. Ein einziges mattes Licht brannte über dem verglimmenden Feuer und zeigte Tessa in knieender Stellung zu Häupten des Bettes, in welchem das Kind lag. Ihr Kopf war seitwärts auf das Bettkissen gesunken, und ihren braunen Rosenkranz, der oberhalb des Kissens über dem Madonnenbilde und den goldenen Palmenzweigen zu hängen pflegte, hielt sie lose in der rechten Hand. Sie war über dem Gebete eingeschlafen. Tito trat leise in das kleine Gemach und setzte sich dicht neben sie. Wahrscheinlich hatte sie das Oeffnen der Thüre wie im Traume, gehört, denn er hatte sie noch keine zwei Secunden betrachtet, so öffnete sie ihre Augen. Sie schlug sie auf ohne aus dem Schlafe aufzufahren, und verharrte regungslos in ihrer Stellung, ihn anblickend, als ob der Gedanke, daß er da sei und sie anlächle, jede Regung, welche diese selige Ruhe stören konnte, ausschlösse. Als er aber mit der Hand unter ihr Kinn fuhr, und sich niederbeugte, um sie zu küssen, sagte sie:

»Mich hat davon geträumt, und da sagte ich mir, daß es ein Traum sei, und dann wachte ich auf und es war doch wahr.«

»Kleine Sünderin!« rief Tito, ihr Kinn kneifend – »Du hast nicht die Hälfte Deiner Gebete hergesagt. Zur Strafe will ich auch Dein Kind gar nicht ansehen; es ist so häßlich.«

Tessa gefielen diese Worte nicht, obgleich er sie lächelnd ausgesprochen hatte. Ihr Gesicht zeigte eine schmollende Traurigkeit indem sie, sich ängstlich über das Kleine neigend, sagte:

»O das ist nicht wahr! es giebt gar nichts Schöneres. Das ist Dein Ernst nicht, daß es garstig ist. Du wirst ihn doch ansehen; er ist viel schöner als früher, nur daß er schläft und daß Du seine Augen und seine Zunge nicht sehen kannst, und daß ich Dir sein Haar nicht zeigen kann – und es wächst schon; ist das nicht ein Wunder? Sieh ihn doch nur an! Es ist wahr, sein Gesicht ist ganz gleich, wenn er schläft; da ist nicht so viel zu sehen als wenn er wacht. Wenn Du ihn leise küssest, so wird er nicht aufwachen; Du wirst ihm doch einen Kuß geben, nicht wahr?«

Tito that ihr den Willen, indem er die kleine Mumie oberflächlich mit den Lippen berührte, und dann, indem er seine Hand auf ihre Schultern legte und ihr Gesicht nach sich zu wendete, sagte: »Du siehst also lieber nach dem Kleinen als nach Deinem Manne, Du Falsche!«

Sie kniete noch und legte ihre Hände auf seine Knie, zu ihm aufblickend wie einer von Lippo Lippi's pausbäckigen anbetenden Engeln.

»Nicht doch,« entgegnete sie, den Kopf schüttelnd – »ich liebe Dich am meisten, nur will ich, daß Du das Kind ansiehst und es lieb hast; ich pflegte ja sonst nur zu verlangen, daß Du mich liebst.«

»Und erwartetest Du mich so bald zurück?…« fragte Tito, aufgelegt sie zum Plaudern zu bringen. Er fühlte noch immer die Wirkungen der Aufregung, die er gehabt, fühlte noch immer wie Jemand, der eine heftige Erschütterung erlitten hatte, und das war die angenehmste Erlösung von Schweigen und Einsamkeit

»Ach nein« – sagte Tessa – »ich habe die Tage gezählt – heute habe ich wieder beim rechten Daumen angefangen – seitdem Du das schöne Panzerhemd angelegt hast, das Messer Sanct Michael Dir gegeben hat, damit Du Dich auf der Reise schützen solltest. Und Du hast es jetzt auch an« – fuhr sie fort, durch die Oeffnung in dem Bruststück seiner Tunika blickend – »vielleicht ist das die Ursache, daß Du früher zurückgekommen bist.«

»Das ist wol möglich Tessa« – antwortete er – »aber laß jetzt das Panzerhemd sein. Sage mir lieber was sich ereignet hat, seit ich zuletzt hier war. Hast Du die Zelte im Prato gesehen und die Soldaten und Reiter als sie über die Brücke marschirten? hast Du die Trommeln und Trompeten gehört?«

»Ja wol, und ich war sehr ängstlich, weil ich glaubte die Soldaten würden hierher kommen. Und Monna Lisa war auch ein wenig besorgt, sie meinte, sie möchten unsere jungen Ziegen mitnehmen, denn es sei, so sagte sie, das Geschäft dieser Menschen, Unheil anzustiften. Aber die heilige Jungfrau hat uns behütet, denn wir haben hier Keinen von ihnen gesehen. Etwas hat sich aber doch ereignet, nur getraue ich mich kaum es Dir zu sagen, und deshalb sagte ich noch einige Ave's mehr.«

»Was willst Du sagen, Tessa?« – fragte Tito etwas besorgt – »schnell, erzähle!«

»Ja, Du mußt mich aber auf Deinem Knie sitzen lassen, nicht wahr? denn dann glaube ich, werde ich nicht so ängstlich sein.«

Er nahm sie auf's Knie und schlang seinen Arm um sie, sah aber dabei sehr ernst aus. Es schien, als ob ihn auch hierher etwas Unangenehmes verfolgen sollte.

»Erst wollte ich es Dir gar nicht sagen« – « sprach sie flüsternd, als ob dieses ihr Unrecht mildern würde – »weil wir glaubten, der alte Mann würde fort sein, ehe Du wieder da wärest, und es würde dann sein, als wenn nichts vorgefallen wäre. Jetzt ist er aber da, und Du bist gekommen, und ich habe nie etwas gethan, was Du mir nicht vorher sagtest zu thun. Und nun muß ich Dir erzählen, und dann wirst Du mir vielleicht verzeihen, denn das währt noch lange ehe ich zur Beichte gehe.«

»Ja, erzähle mir Alles, Tessa!« – er hoffte schon, daß es sich am Ende nur um eine unbedeutende Sache handle.

»O, er wird Dir leid thun; ich fürchte, daß er über Etwas weint, wenn ich ihn nicht sehe. Das war aber nicht die Ursache, weshalb ich zuerst zu ihm ging, sondern weil ich mit ihm plaudern und ihm das Kind zeigen wollte, und es war ein Fremder, der nirgendwo wohnte, und ich glaubte Du würdest nichts dagegen haben, wenn ich mit ihm spräche. Ich glaube nicht, daß er ein so böser alter Mann ist, und er kam und wollte auf der Streu neben den Ziegen schlafen, und ich hielt Monna Lisa an, daß sie ihm sagte: ›ja, Ihr dürft's,‹ und er ist fast den ganzen Tag fort, wenn er aber wieder kommt, so spreche ich mit ihm und bringe ihm etwas zum Essen.«

»Wahrscheinlich irgend ein Bettler. Das war schlecht von Dir, Tessa, und ich bin böse auf Monna Lisa. Der Mann muß weggeschickt werden.«

»O nein, ich glaube nicht, daß er ein Bettler ist, denn er wollte Monna Lisa bezahlen, nur daß sie statt dessen verlangte, daß er für sie arbeiten sollte. Er läßt sich auch rasiren und seine Kleider sind ganz anständig; nur mitunter kommt es mir vor, als sei es bei ihm nicht recht richtig im Kopfe. Lupo in Peretola war nicht recht bei Sinnen, und er sieht zuweilen wie Lupo aus, als ob er nicht wisse, wo er sich eigentlich befindet.«

»Was für eine Art von Gesicht hat er?« – fragte Tito, indem sein Herz seltsam zu pochen begann. Der Gedanke an Baldassarre verfolgte ihn so sehr, daß er ihn schon in seiner Phantasie einige wenige Ellen davon auf dem Stroh sitzen sah – »hole Deinen Stuhl, Tessa, und setze Dich!«

»Wirst Du mir nicht verzeihen?« fragte sie schüchtern, von seinem Schoose aufstehend.

»Ja, ich will nicht böse sein – setze Dich nur, und sage mir, was das eigentlich für ein alter Mann ist.«

»Ich weiß gar nicht, wie ich Dir das sagen soll. Er ist nicht wie mein Stiefvater Nofri oder wie sonst Jemand. Sein Gesicht ist gelblich und er hat tiefe Furchen darin; sein Haar ist weiß, aber oben auf dem Kopfe hat er gar keines; und seine Augenbrauen sind schwarz und er sieht unter ihnen so heraus auf mich und sagt: ›armes Ding!‹ zu mir, als ob er meinte, ich bekäme Schläge wie früher, und das sieht doch aus, als ob er nicht recht bei Sinnen sein müsse, nicht wahr? Und einmal fragte ich ihn nach seinem Namen, und er konnte ihn mir nicht nennen; es hat aber doch Jedermann einen Namen; habe ich nicht recht? Und jetzt hat er ein Buch, und sieht immer so lange hinein, als ob er ein Padre wäre. Ich glaube eben nicht, daß er betet, denn seine Lippen bewegen sich nie – ah, Du bist böse auf mich; oder thut Dir der alte Mann leid?«

Tito's Augen waren noch immer auf Tessa gerichtet, aber er sah sie nicht mehr, sondern die Gegenstände, die ihre Worte vor seinem Geiste heraufbeschworen hatten. Dieser stiere Blick erschreckte sie, und sie konnte nicht umhin, wieder neben ihm zu knieen. Er aber achtete nicht auf sie, und sie wagte es nicht, ihn zu berühren oder ihn anzureden; sie kniete zitternd und staunend, und da diese Gemüthsstimmung sie an ihren Rosenkranz erinnerte, hob sie denselben vom Fußboden auf und begann ihn wieder aufzusagen, indem ihre hübschen Lippen sich bewegten und in ihre vor Angst weitgeöffneten Augen Thränen traten.

Tito wußte nichts von ihren Bewegungen und von seiner eigenen Stellung; er befand sich in jenem exaltirten Zustande, in welchem man schmerzliche Rauhheit erfaßt und sie immer fester an sich drückt ohne etwas davon zu fühlen. Eine neue Möglichkeit hatte sich ihm gezeigt, welche mit einem Schlage dem jammervollen Zustand von Furcht und Niedergeschlagenheit, die sein Leben vernichteten, ein Ende machen konnte. Das Geschick hatte ihm eine Gelegenheit nahe gerückt, jenen Augenblick auf den Stufen des Domes wieder gut zu machen als die Vergangenheit ihn mit lebendigen, zitternden Händen erfaßt und er sie verleugnet hatte. Einige Schritte, und er stand vielleicht seinem Vater ohne Zeugen gegenüber und konnte um Vergebung und Versöhnung flehen; auch Geld war da, aus dem Verkauf der Bibliothek, um sie in den Stand zu setzen Florenz unentdeckt zu verlassen und nach Süditalien zu übersiedeln, wo er unter der muthmaßlichen französischen Regierung, bereits den Grundstein zur Protection gelegt hatte. Romola brauchte die volle Wahrheit nie zu wissen, denn sie hatte ja keine sicheren Mittel und Wege, den Gefangenen im Dome in Baldassarre zu erkennen, oder zu erfahren, was auf den Stufen des Gotteshauses vorgefallen war, außer durch Baldassarre selbst; aber wenn sein Vater ihm verzieh, so würde er ja auch bereit sein, dieses Unrecht zu verheimlichen. Aber neben dieser Möglichkeit einer leichten Erlösung tauchte auch die Möglichkeit auf, daß der heftige Mann jede Versöhnung von der Hand wies. Nun, in diesem Falle stände die Sache eben nicht schlimmer als zuvor, denn es war ja kein Zeuge dabei. Nicht zur Reue, in ihrem weißen Hemd und mit der Kerze in der Hand, die ihre hassenswerthe Sünde vor den Augen der Welt bekannte, bereitete Tito sich vor; es war nur eine Reue, die Alles wieder ebnen und alle vergangenen unangenehmen Dinge verdecken sollte. Tito's Weichherzigkeit, seine Abneigung, mit irgend einem Geschöpfe in feindlichen Beziehungen zu stehen, zeigten sich in voller Wirksamkeit seinem Vater gegenüber, da dieser ihm nahe war. Sein Charakter konnte nicht anders als solchen Zustand der Beruhigung herbeiwünschen, wenn jener giftige Haß in Baldassarre's Blicken durch einen Anflug der alten Zuneigung und Liebe ersetzt werden würde. Tito sehnte sich danach, seine Umgebungen wieder vollständig auf Wohlwollen ruhend zu sehen, und dieser Wunsch war um so lebhafter, je mehr er durch den feindseligen Auftritt mit Romola eben erst gelitten hatte. Es fiel ihm nicht schwer, Denjenigen, welche er beleidigt hatte, entschuldigend zuzulächeln und ihnen seine besten Liebesdienste anzubieten, und keine Verstandesschärfe konnte ihm genau den Geschmack dieses Honigs auf den Lippen der Beleidigten verkünden. Die günstige Gelegenheit bot sich dar und brachte eine Neigung hervor, welche die berechnende Thätigkeit seines Gedankens umhüllte. Er fuhr empor und ging nach der Thüre zu; aber der Schrei Tessa's, die ihren Rosenkranz fallen ließ, riß ihn aus, seinen Gedanken empor. Er wandte sich um und sagte:

»Tessa, gieb mir eine Lanterne, und weine nicht, mein Täubchen, ich bin ja nicht böse.«

Sie gingen die Treppe hinab, und Tessa wollte eben der Monna Lisa in die Ohren schreien, daß sie die Lanterne hergeben solle, als Tito, der die Thür inzwischen geöffnet hatte, ihr sagte: »Halt, Tessa – ich brauche keine Lanterne; gehe wieder hinaus, sei ruhig und sage der Monna Lisa nichts.«

Eine halbe Minute später stand er vor der verschlossenen Thür des Hinterhauses, wo das weiße Mondenlicht auf dem alten, farbenlosen Holze spielte.

In diesem letzten, entscheidenden Augenblicke fühlte Tito ein Zittern – ein plötzliches instinctartiges Zurückschaudern vor der Möglichkeit eines Tigerblicks, eines Tigersprungs. Aber warum sollte er, ein junger Mann, sich vor einem alten fürchten? – ein junger Mann mit einer Rüstung angethan, vor einem waffenlosen Greise? Das Zaudern währte nur einen Augenblick, und Tito legte seine Hand an die Thüre. Schlief sein Vater? War sonst nichts als die Thüre, die ihn vor der Stimme und dem Blicke, die kein Zauber in Behaglichkeit verwandeln konnte, schirmte?

Baldassarre schlief nicht. Oben in der Mauer des Schuppens war eine viereckige Oeffnung angebracht, durch welche die Mondstrahlen einen bleichen Lichtstrom warfen, und hätte Tito durch diese Oeffnung sehen können, so würde er seinen Vater auf dem Strohe haben sitzen und etwas, einem weißen Sterne Aehnliches in der Hand halten sehen. Baldassarre prüfte die Schneide seines Dolchs, in diesem Gefühle eine Zuflucht vor einer wüsten Gedankenlinie suchend, die wie ein weiter Abgrund zwischen seiner Leidenschaft und deren Ziel lag. Er war in einem der traurigsten Augenblicke seines Gefühls von Hülflosigkeit; er hatte, so lange es noch hell war, über dem offenen, neben ihm liegenden Buche gelegen, dann hatte er versucht, sich die Namen der Edelsteine und das auf ihnen Eingegrabene in's Gedächtniß zurückzurufen, und obgleich er zu verschiedenen Zeiten sich ihrer erinnert hatte, so war heute Alles für ihn in Dunkelheit begraben. Und diese Anstrengung des inneren Gesichts schien endlich eine gänzliche Lähmung seines Gedächtnisses herbeigeführt zu haben. Er befand sich in einer Art wahnsinniger Erkenntniß, daß er ein vereinzelter Puls gerechten Zornes in einer mit frecher Gemeinheit angefüllten Welt sei. Er hatte seinen Dolch gefaßt und entblößt und eine Zeit lang dessen Schneide angefühlt, während sein Geist sich zu einem Bilde und zum Traume einer Empfindung verengte – der Empfindung, diesen Dolch in ein schlechtes Herz zu stoßen, das er auf keine andere Weise zu durchbohren vermochte.

Tito's Hand war an der Thür und zog sie nach sich; sie schleifte am Fußboden, wie dies oft bei alten Thüren der Fall ist, und Baldassarre, aus seinem traumähnlichen Zustande aufgeschreckt, erhob sich in verworrenem Erstaunen aus seiner sitzenden Stellung, nicht recht wissend, wo er sich befand. Er hatte sich noch nicht ganz erhoben, sondern ruhte noch auf einem Knie, als die Thür sich weit öffnete, und er dunkel gegen das Mondenlicht, dessen Strahlen auf eine schimmernde Lockenmasse und eine runde, olivenfarbige Wange fielen, sein Traumbild erblickte, nicht als eine Schattengestalt, sondern wirklich, körperlich, wie man Wasser nach einem durstigen Traume erblickt. Kein Gedanke vermochte es, diesem wilden Durste zuvorzukommen. Im Nu, und ehe Tito zurückspringen konnte, war der Greis, mit der übermenschlichen Kraft der Wuth in seinen Gliedern, aufgesprungen, vorgestürzt und der Dolch blitzte. Im nächsten Augenblicke aber war die Waffe entzweigesprungen und Baldassarre war unter der abwehrenden Gewalt von Tito's Arm, auf das Stroh zurückgetaumelt, den Griff und ein Stück der zerbrochenen Klinge in der Faust haltend. Das spitzige Ende lag schimmernd zu Tito's Füßen.

Tito's Herz hatte sich entsetzt zusammengekrampft, als er unter der Gewalt des Stoßes wankte; jetzt fühlte er den Triumph der Befriedigung und Sicherheit. Seine Rüstung hatte die Probe bestanden und die Rache lag hülflos vor ihm. Dieser Triumph erzeugte aber keinen teuflischen Gedanken; im Gegentheil, der Anblick seines unschädlich gemachten, dicht vor ihm liegenden Vaters erleichterte ihm den Versuch einer Versöhnung. Er war von der Furcht erlöst, aber er fühlte das reinere und nähere Bedürfniß, sich von dem Gefühle, gehaßt zu werden, zu befreien. Nachdem Beide einander eine kurze Zeit angeblickt hatten, sagte Tito, während Baldassarre in verzweiflungsvoller Wuth regungslos am Boden lag, mit sanftem Tone, gerade so wie er bei ihrem letzten Scheiden in Griechenland geklungen hatte:

»Mein Vater!«

Eine Pause folgte diesen Worten, aber keine Bewegung, kein Laut antwortete diesem Rufe; er fuhr fort:

»Ich komme, Eure Vergebung zu erbitten!«

Er hielt von Neuem inne, damit der heilende Balsam dieser Worte Zeit haben möchte zu wirken. Aber es zeigte sich keine Spur von Veränderung an Baldassarre, er lag noch da, wie er hingesunken war, sich auf einen Arm stützend; er zitterte, aber nur von dem Stoß, der ihn zu Boden geworfen hatte.

»Ich ward neulich Morgens überrascht. Ich will Euch wieder ein Sohn sein, und wünsche Eure letzten Lebenstage zu versüßen, damit Ihr vergeßt, was Ihr gelitten habt«

Er schwieg abermals. Er hatte sich der klarsten und kräftigsten Worte, die ihm beigefallen waren, bedient. Es war unnütz, mehr zu sprechen, ehe er nicht einen Beweis hatte, daß Baldassarre ihn verstand. Vielleicht war sein Geist auch dazu zu verstört oder zu schwach; vielleicht hatte die Erschütterung seines Falles und sein vergeblicher Wuthanfall ihn gänzlich des Gebrauchs seiner geistigen Fähigkeiten beraubt.

Jetzt begann Baldassarre sich zu bewegen. Er warf den zerbrochenen Dolch weg und erhob sich langsam nach und nach, und noch immer zitternd, vom Boden. Tito streckte die Hand aus, ihm zu helfen, und so seltsam beweglich ist die menschliche Seele, daß in dem Augenblicke, da er gewahrte, daß seine Sühne angenommen wurde, ein Gedanke an die lästigen Mühseligkeiten, die diese mit sich führte, ihn durchzuckte. Baldassarre erfaßte die ihm dargebotene Hand und erhob sich, ohne dieselbe loszulassen, indem er hart an Tito herantrat, so daß ihre Gesichter kaum eine Spanne breit von einander entfernt waren. Dann hub er mit tiefer bebender Stimme also an:

»Ich habe Dich gerettet, ich habe Dich ernährt, ich habe Dich geliebt. Du aber hast mich verlassen, Du hast mich bestohlen, Du hast mich verleugnet. Was kannst Du mir geben? Du hast mir die Welt vergällt; aber ein Tropfen Süßigkeit ist zurückgeblieben: daß Du die Verzweiflung des Todeskampfes kennen lernen sollst.«

Er ließ Tito's Hand sinken, trat ein Paar Schritte zurück, stützte seinen Arm auf einen hervorspringenden Stein in der Mauer, und sank dann wieder auf die Streu zurück. Der Wuthausbruch beim Dolchstoß hatte ihn augenscheinlich erschöpft.

Tito stand schweigend da. Wäre es eine tiefe Sehnsucht gewesen, die ihn antrieb die Vergebung seines Vaters zu erflehen, so hätte die Verweigerung derselben ihm einen Schmerz verursachen können, der den gewaltsamen Strom von Gedanken, welcher jenen entscheidenden Worten folgte, unmöglich gemacht haben würde. So aber, obgleich dieser Ausspruch unveränderlichen Hasses ihn erschütterte und durchkrampfte, blickte sein Geist mit dem Instinct der Selbsterhaltung um sich, um zu sehen, in wie fern jene Worte die Kraft einer wirklichen Drohung haben konnten. Als er gekommen war um mit Baldassarre zu reden, hatte er zu sich selbst gesagt, daß wenn sein Sühneversuch fehlschlüge, doch Alles beim Alten bleiben würde. Sein Geist kehrte alsbald zu jenem Gedanken zurück, aber die zukünftigen Möglichkeiten der Gefahr, die zugleich heraufbeschworen wurden, ließen ihn bemerken, daß nicht Alles beim Alten blieb, und diese Erkenntniß kam ihm wie eine triumphirende Erleichterung Es war nicht allein der zerbrochene Dolch, es war auch, nach dem was Tessa ihm gesagt hatte, die Gewißheit da, daß Baldassarre's Geist gleichfalls gebrochen war und keine Schärfe mehr hatte, ihn zu treffen. Tito fühlte, daß ihm jetzt keine Wahl mehr übrig blieb, er mußte Baldassarre als einem tollen, schwachsinnigen Manne entgegentreten, und er hatte dabei so viel für sich, daß kaum etwas zu befürchten war. Nichts als die Furcht, mancherlei Unangenehmes zu thun zu haben, um sich vor etwas ihm noch Unangenehmerem zu schützen. Und eine von diesen Unannehmlichkeiten mußte zur Stelle in's Werk gesetzt werden; obgleich es sehr schwierig war.

»Ist es Eure Absicht, hier zu bleiben?« fragte er.

»Nein,« antwortete Baldassarre mit Bitterkeit, »Du willst mich hinaustreiben.«

»Nicht doch« – sagte Tito – »ich frage nur.«

»Ich sage Dir, Du hast mich schon vertrieben. Wenn das Stroh Dir gehört, so hast Du mich bereits vor drei Jahren davon vertrieben.«

»Ihr wollt also diesen Ort verlassen?« – fragte Tito, besorgter die Gewißheit als den Grund derselben zu vernehmen.

»Ich habe es gesagt!« entgegnete Baldassarre.

Tito entfernte sich und ging in's Haus zurück. Monna Lisa war eingenickt. Er ging zu Tessa hinaus, die er neben ihrem Kinde weinend antraf.

»Tessa,« sagte er, sich setzend, und ihren Kopf zwischen die Hände nehmend, »so höre doch auf zu weinen, Du Gänschen, und höre mir zu.«

Er hob ihr Kinn empor, damit sie ihn ansähe, während er deutlich und mit Nachdruck fortfuhr:

»Du darfst nie mehr mit diesem alten Manne reden. Es ist ein Toller, der mich ermorden will. Also, sprich nie wieder mit ihm und höre ihn auch nicht mehr an.«

Tessa's Zähren versiegten und ihre Lippen wurden bleich vor Schreck.

»Ist er fort?« flüsterte sie.

»Er wird gehen. Vergiß nicht, was ich Dir gesagt habe.«

»Ja, ich werde nie mehr mit einem Fremden sprechen« – sagte Tessa wie sich einer Schuld bewußt.

Er sagte ihr, um sie zu beruhigen, daß er morgen wiederkommen würde; darauf ging er zu Monna Lisa hinunter um sie tüchtig auszuschelten, daß sie einen so gefährlichen Menschen in's Haus gelassen habe.

Tito empfand das Abscheuliche dieser Aufgaben, es waren bittere Bissen, aber sie waren ihm aufgedrungen worden. Er hörte, wie Monna Lisa die Thüre hinter ihm verschloß, und entfernte sich ohne einen Blick auf den offenen Schuppen zu werfen. Er war überzeugt, daß Baldassarre gehen würde, und konnte nicht warten, ihn gehen zu sehen. Selbst sein junger Körper und elastischer Geist waren von den sich in diesen einzigen Abend zusammendrängenden Aufregungen erschöpft.

Baldassarre saß noch auf dem Stroh, als Tito's Schatten an ihm vorbeiglitt. Vor ihm lagen die Stücke des zerbrochenen Dolchs, neben ihm lag das offene Buch in das er vergeblich hineingeblickt hatte. Sie schienen ihm verhöhnende Zeichen seiner gänzlichen Hülflosigkeit zu sein, und sein Körper zitterte noch zu stark, als daß er hätte aufstehen und sich entfernen können.

Am nächsten Morgen aber, ganz früh, als Tessa ängstlich durch das Loch in ihrem Fensterladen blickte, stand die Thür des Schuppens offen, und der wunderliche alte Mann war verschwunden.



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