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Sechsundzwanzigstes Capitel.
Das Gewand der Furcht.


Um sechs Uhr an diesem Abend waren die meisten Leute in Florenz froh, daß der Einzug des neuen Karl's des Großen vorüber war. Sicherlich war es, als das Rasseln der Trommeln, das Schmettern der Trompeten, der Huftritt der Rosse auf der Pisaner Landstraße sich mit dem Geläute der in Bewegung gesetzten Glocken vermischte, ein großartiges Schauspiel für Diejenigen, welche auf den Zinnen von Dächern standen und den sich in langen Ringeln herziehenden furchtbaren Pomp am Hintergrund der grünen Hügel und Thäler gewahren konnten. Kein Sonnenschein lag auf dem Glanz der Banner, Speere, Federn und seidenen Wappenröcke, aber sie wurden auch von keinen dichten Staubwolken verhüllt, und als die auserlesenen Truppen immer näher kamen, konnte man sie eben wegen der Abwesenheit jenes unstäten blendenden Schimmers desto deutlicher sehen. Hohe und abgehärtete schottische Bogenschützen, finstere und schwere schweizer Hellebardiere, schlanke, zu Schwenkungen und Erkletterungen geeignete Gascogner, Reuterei, von der jeder einzelne Mann mit seinem Speer und auf seinem Streitroß wie ein fahrender Ritter aussah. Es war ein Glück, die Ueberzeugung zu haben, daß sie nur den Feinden Gottes gefährlich sein würden! Mit dieser Ueberzeugung im Herzen war es ein minder zweifelhaftes Vergnügen, den Aufzug von Kraft und Glanz bei Edlen, Rittern und den jugendlichen, vornehmen Pagen, ferner die mit erhabener Arbeit und mit Edelsteinen verzierten Schwertgriffe, die mit wunderlichen Emblemen der Frömmigkeit oder Minne gestickten Atlasschärpen, die goldenen Ketten und mit Juwelen besetzten Reiherbüsche, die prachtvollen Pferdegeschirre und Brocatmäntel, und den hohen, von ausgesuchten Jünglingen über Seine Allerchristlichste Majestät gehaltenen Baldachin zu bewundern. Um mit den kurzen Worten einer, hinter den Wundern dieses königlichen Besuchs zurückbleibenden Phrase eines alten Chronikenschreibers zu reden: »es war eine große Pracht.«

Der Signoria aber, die auf ihrem Gerüste an den Thoren gewartet hatte, und im passenden Augenblicke, ihren Sprecher voran, ausbrechen sollte, den mächtigen Gast zu empfangen, war die Großartigkeit des Schauspiels durch etliche Unannehmlichkeit verleidet worden. Hätte Messer Luca Corsini eine kurze lateinische Begrüßung in lesbaren Zügen aus seinem Munde herabhängen lassen können, so wäre dies weniger störend gewesen, als es plötzlich zu regnen anfing und eine Unruhe unter Menschen und Pferden hervorrief, welche den Vortrag seiner wohleinstudirten Redesätze unterbrach, und die Repräsentanten der gelehrten Stadt nöthigte, im improvisirten Französisch einen Willkommsgruß als Nothbehelf darzubringen. Diese plötzliche Verwirrung war aber ein glücklicher Zufall für Tito. Er befand sich als einer der Secretäre unter den Beamten, die hinter der Signoria standen, und mit denen diese höchsten Würdenträger des Staates durch das Andrängen der Pferde zusammengeschoben wurden.

»So trete doch Jemand hervor und sage einige französische Worte!« rief Soderini; aber kein Mann von Gewicht wollte einen zweiten Fehlschlag wagen. »Francesco Gaddi, Ihr könnt ja sprechen!« Dieser aber, welcher seiner eigenen Fertigkeit nicht traute, zog sich zurück und sagte, Tito vorschiebend: »Redet Ihr, Melema!«

Tito trat auch sogleich vor, und mit der Miene tiefer Unterwürfigkeit, die ihm so geläufig war wie das Gehen, sprach er die wenigen erforderlichen Worte im Namen der Signoria; dann wich er mit Leichtigkeit zur Seite und ließ den König weiterreiten. Die Geistesgegenwart, die ihn in der furchtbaren Krisis des heutigen Morgens verlassen hatte, war ihm jetzt, ein bereites Werkzeug, dienstbar gewesen. Sie war ein trefflicher Diener, die ihn nie verließ, wenn keine Gefahr sich zeigte. Als man ihm aber wegen seiner gelegenen Dienstleistung Schmeichelhaftes sagte, lehnte er dieses lachend als etwas nicht der Rede Werthes, ab, und ließ Gaddi das Verdienst der improvisirten Begrüßung in den Augen Derjenigen, welche diese nicht mit angehört hatten. War da Tito's Beliebtheit ein Wunder? Der Probirstein, auf dem uns die Menschen untersuchen, ist gewöhnlich ihre eigene Eitelkeit.

Es war übrigens außer der Bewillkommnungsrede noch anderes mißlungen. Wenn Alles so gegangen wäre, wie man es klüglich angeordnet hatte, so würde die florentinische Procession der Geistlichen und Laienbrüder ihren Weg nicht versperrt gefunden haben, und wäre nicht genöthigt gewesen, durch die Seitengäßchen zu eilen, um den König wenigstens noch an der Kathedrale zu treffen. Auch wäre, wenn der junge, auf seinem Streitrosse sitzende, die auf dem Schenkel ruhende Lanze haltende Monarch, unter seinem Baldachin etwas mehr von Karl dem Großen und etwas minder von einer übereilt modellirten Groteske an sich gehabt hätte, der Phantasie seiner Bewunderer eine große Hülfe zu Theil geworden. Es wäre wünschenswerth gewesen, daß die »Geißel der Sündhaftigkeit Italiens,« der »Kämpe der Ehre der Damen« minder jämmerliche Beine und nur die gewöhnliche Anzahl von Zehen an den Füßen gehabt hätte, daß sein Mund wenig reptiliengleich weitaufgeschlitzt, und Nase und Kopf nicht von so übermäßigem Umfang gewesen wären. Aber das magere Bein ruhte auf einem mit Gold und Perlen gestickten Tuch, und sein Kopf war doch nur eine Unterbrechung innerhalb einiger Quadratzolle schwarzen Sammets und Goldes, und der Glanz der Rubinen, die schimmernden Farben des gestickten und mit Perlen besäeten Baldachins – dies Alles »war eine große Pracht.«

Und das Volk hatte: Francia! Francia! mit einem Enthusiasmus geschrieen, wie er dem Glanze des Baldachins, den sie nach altherkömmlichem Brauch als Volksbeute zerrissen hatten, angemessen war; die königlichen Lippen hatten pflichtgemäß den Altar geküßt, und nach allen Unfällen war der König mit seinem Hofstaat in dem Palast auf der Via Larga abgestiegen, während die übrigen Herren vom hohen und niedern Adel in den großen Häusern von Florenz untergebracht und die furchtbaren Soldaten im Prato und anderen öffentlichen Räumlichkeiten einquartirt wurden. Die Arbeit des Tages war beendet.

Die Straßen boten aber immer noch einen Anblick dar, wie ihn die Florentiner noch niemals in einer Novembernacht erlebt hatten. Statt der, nur von einer hier und da vor einem Heiligenbilde an den Straßenecken matt glimmenden Lampe, oder von einem helleren röthlichen, aus irgend einem offenen Thorwege dringenden Lichte unterbrochenen Dunkelheit, hingen an allen Hausfenstern Lampen, so daß man eben so sicher und bequem umhergehen konnte, wie am hellen lichten Tage; »es war eine große Pracht.«

Durch diese erleuchteten Straßen schritt, gegen acht Uhr des Abends, Tito auf seinem Heimwege. Er hatte den ganzen Tag über unter dem Drucke seiner heimlichen Angst gerungen, und es war ihm endlich geglückt, sich unbemerkt vom Mahle aus einer fröhlichen Abendgesellschaft fortzuschleichen. Einmal im Stande, seine Lage mit Muße zu betrachten und genau zu überlegen, hoffte er sich in ihr und für alle mögliche Fälle so einzurichten, daß er seine kindische Furcht fahren lassen konnte. Wenn ihm nur wenigstens die bei dieser Ueberraschung so nothwendige Geistesgegenwart, Baldassarre zu erkennen, nicht verlassen hätte! es wäre das in jeder Beziehung besser gewesen; denn er wand sich noch immer unter dem Gedanken, daß er absichtlich seinen Vater peinige, und er hätte doch viel lieber Baldassarre glücklich und im Wohlstande gesehen. Jetzt aber gab es für ihn keinen Ausweg, keinen Widerstand der Empfindungen mehr; das Einzige, was ihm zu thun übrig blieb, war: auf seiner Hut zu sein.

Während diese Gedanken ihn beschäftigten, war er von der Piazza di Santa Croce in die Via dei Benci gekommen, und als er sich der nach dem Borgo Santa Croce führenden Ecke näherte, hörte er Klänge, welche nicht von einem nächtlichen Gelage, sondern von kräftiger Arbeit herrührten; es waren die Klänge eines Amboßes. Tito zuckte leicht und förderte seine Schritte, denn diese Töne hatten ihm einen günstigen Gedanken eingegeben. Er wußte, daß sie von der Werkstätte des Niccolo Caparra her schallten, dem bekannten Versammlungsorte aller Florentiner, die Freunde von seltenen und schönen Eisenarbeiten waren.

»Was hat denn der Riese noch so spät zu arbeiten?« dachte Tito. »Um so besser für mich; so kann ich das kleine Geschäft anstatt morgen früh noch heute Abend abmachen.«

Obgleich sehr zerstreut, konnte er nicht umhin, einen Augenblick bewundernd vor der Werkstatt stehen zu bleiben. Der breite Thorweg, der sich an einen abgestumpften Winkel einer großen, allein stehenden Gruppe von Häusern lehnte, wurde von einer mit geriefelten Ziegeln gedeckten Loggia überragt und von steinernen Säulen mit roh gearbeiteten Capitälern getragen. Gegen das von den Umrissen der geriefelten Ziegeln und Säulen eingerahmte rothe Licht erhob sich in dunklen Contouren die hohe Gestalt Niccolo's mit seinen gewaltigen Armen, die sich regelmäßig hoben und senkten, das Profil seines scharfgeschnittenen Mundes und der mächtigen Stirne erst verbergend, dann wieder zeigend; zwei kleinere schwärzliche Gestalten, die eine am Ambos, die andere beim Blasebalge, dienten dazu, seine überlegene Körpergröße hervorzuheben.

Tito verdunkelte den Thorweg durch seine, von denen Niccolo's sehr verschiedenen Körperumrisse und blieb dort schweigend stehen, da es doch nichts genutzt hätte, zu sprechen, ehe Niccolo sich herbeiließ, innezuhalten und Notiz von ihm zu nehmen. Solches geschah aber nicht eher, als bis der Schmied den Kopf einer Axt zu der nöthigen Schärfe der Schneide gehämmert und vom Ambos fortgebracht hatte. Mittlerweile hatte er seinen Blick über die ganze Werkstatt gleiten lassen und mit Befriedigung wahrgenommen, daß der Gegenstand, welchen er suchte, noch vorhanden war.

Niccolo nickte ungezwungen, aber gutmüthig, indem er sich vom Ambos abwendete und den Hammer auf die Hüfte stemmte.

»Was giebt es, Messer Tito? ein Geschäft?«

»Gewiß, Niccolo! sonst hätte ich es nicht gewagt, Euch zu stören, da Ihr außer der Zeit arbeitet, was ich als ein Zeichen ansehe, daß Eure Arbeit drängt.«

»Ich bin den ganzen Tag an der Arbeit gewesen, Aexte und Speerspitzen zu schmieden. Und jeder Narr, der vorüberging, hat seinen Kürbiskopf hereingesteckt und mich gefragt, ob ich nicht mitkommen und den König von Frankreich mit seinen Soldaten sehen wolle? Ich habe aber geantwortet: Nein, ich mag ihre Gesichter nicht sehen, sondern ihre Rücken.«

»Schmiedet Ihr denn Waffen für die Bürger, Niccolo, daß sie etwas Besseres als rostige Sensen und Bratspieße im Fall eines Aufstandes haben?«

»Wir wollen einmal sehen. Waffen sind gut, und Florenz wird sie wahrscheinlich brauchen können. Der Mönch sagt uns; wir werden Pisa wiederbekommen, und ich halte es mit dem Mönche; aber ich möchte gern wissen, wie die Verheißung in Erfüllung gehen soll, wenn wir keine guten Waffen geschmiedet bekommen. Der Mönch sieht weit voraus, das glaube ich schon, aber er sieht nicht, daß man Vögel fängt, indem man ihnen zuwinkt, wie Einige behaupten wollen. Er sieht Vernünftiges vorher, aber keinen Unsinn. Ihr seid aber so ein Stück von einem Medicäer, Messer Tito Melema. Na, ich bin es ja auch gewesen, ehe das Faß sauer ward. Was für ein Geschäft führt Euch her zu mir?«

»Ich möchte ganz einfach den Preis dieses feinen Panzerhemdes wissen, das ich neulich hier hängen sah. Ich möchte es für Jemanden kaufen, der einen Schutz dieser Art unter seinem Wamms braucht.«

»So laßt ihn selbst kommen und es kaufen,« sagte Niccolo barsch; »ich bin sehr wählerisch in dem was ich, und wem ich es verkaufe. Ich mag gern wissen, wer mein Kunde ist.«

»Ich kenne Eure Scrupel, Niccolo; aber es ist ja nur eine Rüstung zum Schutz und kann Niemanden verwunden.«

»Sehr richtig; aber es kann den Mann, der es trägt, sicherer machen, wenn er Jemanden verwunden will. Nein, nein, es ist nicht meine eigene Arbeit, sondern ein schönes Werk von Maso aus Brescia. Es sollte mich ärgern, wenn es das Herz eines Schurken bedeckt. Ich muß wissen, wer es tragen soll.«

»Nun wohl, um offen mit Euch zu sprechen, liebster Niccolo, ich brauche es für mich,« sagte Tito, wohl einsehend, daß es zu nichts führen würde, Jenen überreden zu wollen; »ich werde nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach eine Reise machen müssen, und Ihr wißt am besten, was es heißt, in diesen Zeiten zu reisen. Ihr werdet mich doch nicht eines Hochverraths gegen die Republik für verdächtig halten?«

»Nein, ich weiß eben nichts Schlimmes von Euch,« entgegnete Nicolo in seiner gewöhnlichen derben Weise; »aber habt Ihr das Geld, um das Panzerhemd zu bezahlen? Ihr seid oft genug an meiner Werkstatt vorübergegangen, um mein Schild zu kennen. Ihr habt die brennenden Rechnungsbücher gesehen; ich gebe Niemandem Credit. Der Preis ist zwanzig Gulden, und das nur, weil es schon gebraucht ist. Wahrscheinlich habt Ihr nicht so viel Geld bei Euch. Laßt die Sache also bis morgen.«

»Zufällig habe ich das Geld,« sagte Tito, der Tages vorher im Spiel gewonnen und seine Börse noch nicht geleert hatte, »ich will die Rüstung mit nach Hause nehmen.«

Nicolo langte das schön gearbeitete Panzerhemd herab, welches, als er es zusammenlegte, nicht mehr als zwei Hände füllte.

»Also da,« rief er, nachdem ihm die zwanzig Gulden in die Hand gezahlt worden waren, »nehmt das Panzerhemd; es kann dem Schwert, dem Dolch oder dem Pfeile Trotz bieten. Ich meinestheils möchte so ein Ding niemals anlegen. Es ist so, als ob man die Furcht mit sich herumträgt.«

Niccolo's Worte enthielten für Tito eine unangenehm ernste Bedeutung; er lächelte indeß und erwiderte:

»Ja, Niccolo, wir Gelehrten sind alle feig. Die Feder führen macht den Arm nicht so kräftig, wie Euer Schwingen des Hammers. Addio!«

Er nahm das zusammengelegte Waffenstück unter seinen Mantel und eilte über die Rubacontebrücke nach Hause.



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