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Einundzwanzigstes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 21:

Hire facounde eke full womanly and plain,
No contrefeted termes had she
To semen wise.

Chaucer: The Physician's Tale.


So war es gekommen, daß Dorothea, sobald sie sich sicher allein wußte, in Thränen ausbrach. Aber plötzlich wurde sie durch ein Klopfen an der Thür aufgestört, in Folge dessen sie rasch ihre Thränen trocknete, ehe sie »Herein« rief.

Tantripp überbrachte eine Visitenkarte und sagte, der Herr warte im Vorzimmer; der Courier habe ihm berichtet, daß nur Frau Casaubon zu Hause sei; er aber habe gesagt, er sei ein Verwandter des Herrn. Ob die gnädige Frau ihn empfangen wolle?

»Ja,« sagte Dorothea, ohne sich zu besinnen, »führen Sie ihn in den Salon.«

Ihre Erinnerungen an den jungen Ladislaw beschränkten sich wesentlich darauf, daß sie, als er ihr in Lowick vorgestellt worden war, Casaubon's großmüthiges Benehmen gegen ihn erfahren und daß sie sich auch für seine Unentschlossenheit in Betreff des von ihm zu wählenden Berufs interessirt hatte. Sie war immer höchst empfänglich für Alles, was ihr Gelegenheit gab, eine thätige Theilnahme zu beweisen, und in diesem Augenblicke schien es ihr, als ob der Besuch ihr geschickt sei, um sie aus ihrem Zustande einer sich in sich selbst versenkenden Gemüthsverstimmung herauszureißen, sie an die Güte ihres Gatten zu erinnern und sie mit dem Gefühl zu durchdringen, daß sie jetzt das Recht habe, ihm bei allen seinen guten Thaten hülfreiche Hand zu leisten.

Sie ließ noch ein paar Minuten verstreichen, ehe sie in das nächste Zimmer trat; aber auch jetzt waren die Spuren ihrer eben vergossenen Thränen noch deutlich genug erkennbar, um ihrem Gesichte mehr als gewöhnlich den Ausdruck der Jugendlichkeit und Hülfsbedürftigkeit zu geben. Sie trat Ladislaw mit jenem Lächeln des reinsten Wohlwollens entgegen, an welchem die Eitelkeit keinen Theil hat, und reichte ihm die Hand.

Er war mehrere Jahre älter als sie; aber in diesem Augenblick sah er viel jünger aus, denn seinen durchsichtigen Teint überflog plötzlich eine tiefe Röthe und er sprach mit einer Schüchternheit, welche den schärfsten Contrast zu der dreisten Lässigkeit seines Benehmens im Verkehr mit seinem männlichen Freunde bildete, während Dorothea, darüber verwundert, nur um so lebhafter wünschte, ihm jedes Gefühl der Befangenheit zu benehmen, und selbst ruhiger wurde.

»Ich hatte nicht gewußt, daß Sie und Herr Casaubon in Rom seien, bis ich Sie heute Morgen im vaticanischen Museum sah,« sagte er. »Ich erkannte Sie sogleich, aber ich dachte mir, Herrn Casaubon's Adresse würde auf der Post zu erfahren sein, und ich wünschte lebhaft, ihm und Ihnen sobald wo möglich meine Aufwartung machen zu können.«

»Bitte, nehmen Sie Platz. Casaubon ist augenblicklich nicht zu Hause, er wird sich aber gewiß freuen, von Ihnen zu hören,« sagte Dorothea, indem sie sich, ohne etwas dabei zu denken, zwischen das Kamin und das hohe Fenster setzte und mit der Ruhe einer wohlwollenden Matrone auf einen ihr gegenüber stehenden Stuhl deutete. Die Spuren eines mädchenhaften Kummers auf ihrem Gesichte wurden dadurch nur um so frappanter. »Casaubon ist sehr beschäftigt; aber Sie lassen mir Ihre Adresse, nicht wahr? – und er wird Ihnen schreiben.«

»Sie sind sehr gütig,« entgegnete Ladislaw, welcher anfing über dem Interesse, mit welchem er die Spuren der Thränen beobachtete, die ihre Züge so ganz veränderten, seine Schüchternheit zu verlieren. »Meine Adresse steht auf meiner Visitenkarte. Aber wenn Sie erlauben, werde ich morgen zu einer Stunde, wo ich darauf rechnen darf, Herrn Casaubon zu Hause zu treffen, wieder vorsprechen.«

»Er geht jeden Tag auf die vaticanische Bibliothek, um dort zu studiren, und Sie können nur sicher darauf rechnen, ihn zu Hause zu finden, wenn wir eine feste Verabredung treffen, besonders jetzt, wo wir im Begriff stehen, Rom zu zu verlassen, und er sehr beschäftigt ist. Er geht gewöhnlich nach dem Frühstück fort und kommt erst zu Tisch wieder nach Hause. Aber er wird gewiß wünschen, daß Sie mit uns zu Mittag essen.«

Will Ladislaw vermochte einige Augenblicke keine Worte zu finden. Er hatte Casaubon nie leiden können und würde, wenn ihn nicht das Gefühl der Dankbarkeit davon abgehalten hätte, ihn als eine gelehrte Fledermaus verspottet haben. Aber der Gedanke, daß dieser vertrocknete Pedant, dieser Ausarbeiter kleiner Erklärungen, – die ungefähr soviel zu bedeuten hatten wie der überschüssige Vorrath an falschen Antiken im Hinterzimmer eines Antiquitätenhändlers –, erst dieses anbetungswürdige junge Geschöpf dahin gebracht habe, ihn zu heirathen, und dann seine Flitterwochen damit zubringe, von ihr entfernt in kleinlichem gelehrten Kram herumzustöbern, – Will liebte die Hyperbeln –, dieses plötzlich vor ihm aufsteigende Bild erweckte ihm eine Art von komischem Widerwillen und machte ihn zwischen der Lust laut aufzulachen und der ebenso unpassenden Lust, in höhnische Invectiven auszubrechen, schwanken. Einen Augenblick fühlte er, daß dieser innere Kampf eine komische Contorsion seiner beweglichen Gesichtsmuskeln hervorbringe; aber er nahm sich zusammen und es gelang ihm, diese Wirkung seiner Empfindungen als ein harmlos heiteres Lächeln erscheinen zu lassen.

Dorothea wunderte sich ein wenig; aber das Lächeln war unwiderstehlich und spiegelte sich auf ihrem Antlitz wieder. Will Ladislaw's Lächeln war entzückend für Jeden, der nicht schon vorher gegen ihn eingenommen war; es war wie eine Ausgießung von innerm Lichte, welches die durchsichtige Haut nicht weniger als die Augen erhellte und jede Linie und alle Züge seines Gesichts umspielte, als ob ein Ariel, indem er sie berührte, ihnen einen neuen Reiz verliehen und jede Spur von Verdrossenheit für immer von ihnen verbannt hätte.

Der Abglanz dieses Lächelns an Dorotheen's Gesicht mußte demselben auch etwas von Heiterkeit verleihen, wenngleich ihre Augenwimpern noch feucht waren, als sie sagte: »Ist Ihnen etwas Ergötzliches eingefallen?«

»Ja,« sagte Will, der sich rasch zu helfen wußte. »Ich dachte eben an die komische Figur, die ich damals bei unserer ersten Begegnung abgegeben haben muß, als Sie meiner armen Skizze mit Ihrer vernichtenden Kritik zu Leibe gingen.«

»Mit meiner Kritik?« fragte Dorothea noch erstaunter. »Ich habe gewiß keine Kritik geübt. Ich fühle mich immer Allem, was Malerei heißt, gegenüber besonders unwissend.«

»Ich hatte Sie im Verdacht, durch das gründlichste Wissen in den Stand gesetzt zu sein, das auszusprechen, was den Künstler am tiefsten verletzen muß. Sie sagten, Sie erinnern sich Ihrer Aeußerung vielleicht nicht mehr so genau wie ich, daß Ihnen das Verständniß des Verhältnisses meiner Skizze zur Natur ganz verschlossen sei. Wenigstens war das der Sinn Ihrer Worte.«

Jetzt konnte Will seiner Lust zu lachen freien Lauf lassen.

»Das war wirklich nur der Ausdruck meiner Unwissenheit,« erwiderte Dorothea, indem sie Will's gute Laune bewunderte. »Ich kann das nur gesagt haben, weil ich nie irgend etwas Schönes in den Bildern entdecken konnte, von denen mir mein Onkel gesagt hatte, daß alle Kenner dieselben für Meisterwerke hielten. Und dieselbe Unwissenheit hat mich auch in Rom nicht verlassen. Es giebt hier vergleichsweise wenige Bilder, an denen ich mich wahrhaft erfreuen kann. So oft ich einen Raum betrete, dessen Wände mit Fresken oder seltenen Gemälden bedeckt sind, empfinde ich im ersten Augenblick eine Art von ehrfurchtsvoller Scheu – wie ein Kind, das einer festlichen Ceremonie mit Processionen in Prachtgewändern beiwohnt; ich fühle mich einem Leben gegenüber, das höher ist als das meinige. Wenn ich dann aber anfange, mir die Gemälde eines nach dem andern näher anzusehen, scheint mir das Leben wieder von ihnen zu weichen oder macht mir doch einen gewaltsamen und fremdartigen Eindruck. Das muß an meiner geistigen Schwerfälligkeit liegen. Ich sehe so vielerlei zu gleicher Zeit, von dem ich nicht die Hälfte verstehe. Das giebt Einem immer ein Gefühl der Dummheit. Es ist peinlich, sich sagen lassen zu müssen, daß etwas sehr schön sei, und nicht im Stande zu sein zu fühlen, daß es schön sei. Es ist, wie wenn ein Blinder vom blauen Himmel reden hört.«

»O,« erwiderte Will, der jetzt nicht mehr an der Aufrichtigkeit von Dorotheen's Bekenntniß zweifeln konnte, »ein guter Theil dessen, was das echte Kunstgefühl bildet, will erlernt sein. Die Kunst ist eine alte Sprache, aus welcher sich sehr viele künstliche manierirte Stilarten herausgebildet haben, und bisweilen besteht das Hauptvergnügen, welches man aus dem Verständniß dieser Stilarten schöpft, lediglich in dem Bewußtsein eben dieses Verständnisses. Mir gewährt hier die Kunst in allen ihren Gestalten einen außerordentlich großen Genuß; ich glaube aber, daß ich, wenn ich diesen Genuß zerlegen könnte, finden würde, daß derselbe aus sehr verschiedenen Fäden gewebt ist. Etwas trägt es auch dazu bei, wenn man selbst ein bischen schmiert und ein wenig von dem technischen Verfahren versteht.«

»Sie wollen vielleicht Maler werden?« fragte Dorothea mit aufrichtigem Interesse. »Sie wollen die Malerei zu Ihrem Beruf machen? Casaubon wird sich freuen zu hören, daß Sie einen Beruf gewählt haben.«

»O nein, o nein,« erwiderte Will etwas kalt. »Ich bin fest entschlossen, nicht Maler zu werden. Die Malerei als Beruf bedingt eine zu einseitige Auffassung des Lebens. Ich habe hier viel mit den deutschen Künstlern verkehrt, mit einem von ihnen bin ich von Frankfurt hergereist. Einige unter ihnen sind prächtige, ja glänzend begabte Menschen, – ich möchte aber nicht in ihre Art verfallen, die Welt nur aus dem Gesichtspunkte des Studio zu betrachten.«

»Das kann ich verstehen,« sagte Dorothea herzlich. »Und in Rom gerade drängt es sich Einem auf, daß es doch in der Welt so viele Dinge giebt, die nöthiger thäten als Bilder. Aber wenn Sie Talent zur Malerei besitzen, wäre es da nicht richtig, sich von demselben leiten zu lassen? Sie könnten vielleicht bessere Bilder malen oder doch Bilder von einer andern Art, damit es nicht so viele einander fast ganz gleiche Bilder an demselben Orte gäbe.«

Die Aechtheit der Empfindung, aus welcher diese Aeußerungen hervorgingen, war so unverkennbar, daß Will sich dadurch zu voller Offenheit bestimmen ließ.

»Es bedarf einer ganz außerordentlichen Begabung, um in dieser Weise umgestaltend in der Kunst zu wirken. Ich fürchte, mein Talent würde nicht einmal hinreichen, mich auf dem hergebrachten Wege etwas so Gutes machen zu lassen, wie es andere vor mir geschaffen haben; wenigstens Nichts, was der Mühe werth wäre. Und mühsame Plackerei würde mir nie zu einem Erfolge verhelfen. Was mir nicht leicht wird, erreiche ich nie.«

»Ich habe Casaubon sagen gehört, daß er Ihren Mangel an Ausdauer beklage,« sagte Dorothea in sanftem Ton. Sie war etwas unangenehm berührt von dieser Art, das ganze Leben wie einen Feiertag zu behandeln.

»Ja wohl, ich kenne Herrn Casaubon's Ansicht, er und ich, wir weichen von einander ab.«

Die Nüance von Geringschätzung, welche in dieser raschen Antwort lag, verletzte Dorothea. Die Scene, die sie am Morgen mit Casaubon gehabt hatte, machte sie nur um so empfindlicher.

»Gewiß weichen Sie von einander ab,« sagte sie etwas stolz. »Ich habe nicht daran gedacht, Sie mit einander zu vergleichen; eine solche Kraft ausdauernd hingebender Arbeit, wie sie Casaubon besitzt, ist nichts Gewöhnliches.«

Will sah, daß sie sich verletzt fühlte; das war aber für ihn nur ein neuer Anreiz, sich seiner schlummernden Abneigung gegen Casaubon noch deutlicher bewußt zu werden. Es war doch gar zu unerträglich, daß Dorothea einen solchen Gatten verehrte; eine solche Schwäche bei einer Frau ist für Niemanden als für den fraglichen Gatten selbst angenehm. Wir Sterblichen fühlen uns nur zu leicht versucht, dem in der Luft schwirrenden Ruhme unserer Nebenmenschen das Leben auszustechen, und halten ein solches Tödten für keinen Mord.

»Nein, gewiß nicht,« antwortete er rasch. »Und deshalb wäre es schade, wenn eine solche Arbeit, wie so viele englische Gelehrsamkeit aus Mangel an Kenntniß dessen, was die übrige Welt bereits geleistet hat, verschwendet sein sollte. Wenn Herr Casaubon Deutsch verstände, würde er sich sehr viele mühsame Arbeit ersparen können.«

»Ich verstehe Sie nicht,« sagte Dorothea erschreckt und unbehaglich.

»Ich meine nur,« antwortete Will leichthin, »daß die Deutschen Meister in der historischen Untersuchung sind, und sie lachen daher über Ergebnisse, zu denen Jemand gelangt, indem er mit einem Taschencompaß in den Wäldern umhertappt, durch welche sie bereits gute Wege geschlagen haben. Während meines Aufenthalts in Herrn Casaubon's Hause beobachtete ich, daß er sich gegen die deutsche Wissenschaft absichtlich verschloß, kaum daß er sich einmal widerwillig dazu bereit finden ließ, eine von einem Deutschen geschriebene lateinische Abhandlung zu lesen. Das that mir sehr leid.«

Will wollte mit dieser Aeußerung nur einen vernichtenden Streich gegen die von Dorotheen so hochgerühmte Arbeitsamkeit führen und hatte keine Ahnung davon, wie tief er sie damit verwundete. Der junge Herr Ladislaw war selbst nichts weniger als vertraut mit der deutschen Literatur, aber es gehört sehr wenig dazu, sich mitleidig über die Unzulänglichkeit eines Andern zu äußern.

Die arme Dorothea empfand ein so tiefes Weh bei dem Gedanken, daß die Arbeit des Lebens ihres Gatten verloren sein könnte, daß ihr nicht Kraft genug übrig blieb, sich die sehr nahe liegende Frage vorzulegen, ob nicht dieser junge Verwandte Casaubon's, welcher demselben so viel Dank schuldig war, jedenfalls besser gethan hätte, seine Bemerkung für sich zu behalten. Sie sagte kein Wort, sondern saß in diesen trübseligen Gedanken verloren, auf ihre Hände blickend, da.

Will aber fing, als er durch Dorotheen's Stillschweigen inne wurde, daß er sie noch tiefer verletzt habe, an, sich seines vernichtenden Streichs um so mehr zu schämen, als er sich zugleich bekennen mußte, daß er seinen Wohlthäter bemäkelt habe.

»Ich bedauerte das um so mehr,« nahm er wieder auf, indem er den gewöhnlichen Uebergang von Verkleinerung zu nicht aufrichtig gemeintem Lobe machte, »als ich von Dank und Hochachtung für meinen Vetter erfüllt bin. Die Sache würde bei einem Manne von weniger ausgezeichnetem Talent und Charakter nicht so viel zu bedeuten haben.«

Dorothea sah tief aufgeregt mit einem ungewöhnlich freundlichen Blick zu ihm auf und sagte in einem melancholischen Ton:

»Wie innig wünschte ich, ich hätte während meines Aufenthalts in Lausanne Deutsch gelernt. Da gab es deutsche Lehrer im Ueberfluß, aber jetzt kann ich mich nicht nützlich machen.«

In Dorotheen's letzten Worten lag ein neuer, wenn auch noch geheimnißvoller Aufschluß für Will. Die Frage, wie sie dazu gekommen sei, Casaubon's Hand anzunehmen, diese Frage, welche er bei seiner ersten Begegnung mit ihr damit erledigt hatte, daß er sich sagte, sie müsse ihrer äußern Erscheinung ungeachtet eine unliebenswürdige Person sein, ließ sich jetzt nicht mehr so kurz und leichthin beantworten. Was sie auch sonst sein mochte, unliebenswürdig war sie nicht. Sie war nichts weniger als eine kalt gescheidte, versteckt satirische Person, sie war vielmehr von einer anbetungswürdigen Einfachheit und voll inniger Empfindung. Sie war ein betrogener Engel. Es war ein Hochgenuß, den abgerissenen melodischen Lauten zu lauschen, in welchen sie ihr Herz und ihre Seele so offen und so feinsinnig ausschüttete. Die Aeolsharfe kam ihm wieder in den Sinn.

Offenbar lag dieser Heirath ein von ihr selbst geschaffener Roman zu Grunde. Und wenn Casaubon ein Drache gewesen wäre, der sie ohne Beobachtung gesetzlicher Formen mit seinen Klauen in seine Höhle geschleppt hätte, so würde es eine unerläßliche Heldenthat gewesen sein, sie zu befreien und vor ihr auf die Knie zu sinken. Er war aber ein schwerer zu bewältigendes Hinderniß als ein Drache, er war ein Wohlthäter, der die ganze bürgerliche Gesellschaft auf seiner Seite hatte und in diesem Augenblick in der ganzen tadellosen Correctheit seines Benehmens das Zimmer betrat, während Dorothea und Will beide, sie durch ihr neu erwecktes beängstigendes Bedauern und er durch seine bewundernden Reflectionen über ihre Empfindungen, erregt aussahen.

Casaubon fand sich durchaus nicht angenehm überrascht; er ließ sich aber dadurch nicht bestimmen, von seiner gewohnten Höflichkeit bei der Begrüßung Will's im Mindesten abzuweichen, als dieser aufstand und ihm die Veranlassung seines Besuches mittheilte. Casaubon fühlte sich weniger glücklich als gewöhnlich und sah vielleicht in Folge dessen nur um so trübseliger und verbrauchter aus; aber auch ohnedies hätte dieser Eindruck leicht durch den Contrast der Erscheinung seines jungen Vetters zu der seinigen hervorgerufen werden können.

Der erste Eindruck, den Will auf Jeden machte, war der einer sonnigen Heiterkeit, welche die Unbestimmtheit seines oft wechselnden Ausdrucks nur noch erhöhte. Dieser Wechsel war so groß, daß er sich selbst auf die Gestalt seines Gesichts erstreckte; seine Kinnlade sah mitunter groß und mitunter klein aus; und die kleine Falte seiner Nase war ein sicherer Vorbote einer Metamorphose. Wenn er den Kopf rasch bewegte, schien von seinen Haaren ein Lichtglanz auszugehen und es gab Leute, welche glaubten, in diesem Funkensprühen ein entschiedenes Zeichen des innewohnenden Genius erblicken zu müssen. Ihm gegenüber stand Casaubon völlig strahlenlos.

Als Dorotheen's Blicke sich jetzt ängstlich auf ihren Gatten richteten, war sie vielleicht nicht unempfänglich für diesen Contrast; aber dieses Gefühl wirkte im Verein mit anderen Momenten nur dahin, ihr die neue Sorge für ihn zum vollen Bewußtsein zu bringen, welche die erste Regung einer mitleidigen, durch seine wirkliche Lebenslage und nicht durch ihre Träume genährten Zärtlichkeit war. Und doch gab die Gegenwart Will's ihrem Benehmen eine größere Freiheit; seine Jugend und vielleicht auch seine Empfänglichkeit für ihre Ueberzeugungen brachten ihn ihr nahe. Sie empfand immer ein dringendes Bedürfniß nach Jemandem, gegen den sie sich aussprechen könnte, und ihr war bis jetzt noch Niemand vorgekommen, der ihr so rasch im Erfassen ihrer Gedanken und so bereit, auf dieselben einzugehen, erschienen wäre.

Casaubon sprach in ernsten Worten die Hoffnung aus, daß Will seine Zeit in Rom ebenso nützlich wie angenehm zubringe; er habe geglaubt, es sei seine Absicht gewesen, in Süddeutschland zu bleiben. Er bitte ihn aber, morgen mit ihnen zu essen, da werde er sich eingehender mit ihm unterhalten können, augenblicklich fühle er sich etwas ermüdet. Ladislaw verstand den Wink, nahm die Einladung an und verabschiedete sich auf der Stelle.

Dorotheen's Blicke folgten ihrem Gatten ängstlich, als er sich ermüdet in eine Sofaecke niederließ und, den Kopf auf die Hand gestützt, die Blicke auf den Boden heftete. Mit ein wenig geröthetem Gesicht und freundlich blickenden Augen setzte sie sich neben ihn und sagte:

»Verzeih mir meine rasche Aeußerung von diesem Morgen. Ich hatte Unrecht. Ich fürchte, ich habe Dich verletzt, und die Last des Tages dadurch schwerer für Dich gemacht.«

»Es freut mich, daß Du das fühlst, liebes Kind,« erwiderte Casaubon. Er sagte das ruhig und neigte dabei den Kopf ein wenig, aber es lag noch immer ein Ausdruck des Unbehagens in seinen Blicken, als er sie ansah.

»Verzeihst Du mir denn?« fragte Dorothea mit einem raschen Seufzer.

In ihrem Drange nach einer Kundgebung ihrer Gefühle war sie bereit, ihre Schuld selbst zu übertreiben. Würde nicht echte Liebe die ersten Spuren einer reuigen Umkehr freudig begrüßen und der Umkehrenden um den Hals fallen und sie küssen?

»Meine liebe Dorothea: ›Wer sich mit Reue nicht begnügt erklärt, ist nicht der Erde, nicht des Himmels werth‹. Du glaubst doch nicht, daß ich einen so strengen Richterspruch verdienen könnte?« sagte Casaubon, indem er sich bemühte, den Sachverhalt scharf zu präcisiren und ein wenig zu lächeln.

Dorothea schwieg, aber eine Thräne, welche der Seufzer ihr in's Auge gedrängt hatte, wollte sich nicht zurückhalten lassen und rollte ihr über die Wange.

»Du bist aufgeregt, liebes Kind, und auch ich fühle die unangenehmen Folgen einer zu großen geistigen Aufregung,« fuhr Casaubon fort.

In Wahrheit dachte er daran, ihr zu sagen, daß sie den jungen Ladislaw in seiner Abwesenheit nicht hätte empfangen müssen, aber er unterließ es, theils in dem Gefühle, daß es ungroßmüthig sein würde, in dem Augenblick ihres reuigen Bekenntnisses seine neue Beschwerde gegen sie laut werden zu lassen, theils weil er sich selbst die Aufregung des weiteren Redens ersparen wollte, theils endlich, weil er zu stolz war, um seine Neigung zur Eifersucht zu verrathen, welche durch den Verbrauch derselben gegen seine gelehrten Collegen keineswegs so erschöpft war, daß nicht noch etwas davon zur Verwendung in einer andern Richtung übrig geblieben wäre. Es giebt eine Art von Eifersucht, welcher auch sehr wenig feurige Naturen unterworfen sind; sie ist kaum eine Leidenschaft, sondern ein in der trüben feuchten Verzagtheit eines unbehaglichen Egoismus erzeugter Mehlthau.

»Ich glaube, es ist Zeit, Toilette für das Mittagessen zu machen,« fügte er hinzu, indem er nach der Uhr sah. Beide standen auf.

Nie wieder wurde zwischen ihnen auf die heutigen Vorgänge angespielt. Aber Dorothea erinnerte sich derselben bis an ihr Ende mit der Lebhaftigkeit, mit welcher wir uns Alle solcher Epochen unseres inneren Lebens erinnern, welche uns durch das Schwinden einer theuren Hoffnung oder durch die Gewinnung eines neuen Antriebes für unsere Handlungen merkwürdig sind. Heute hatte sie zu begreifen angefangen, daß sie sich in ihrer Erwartung eines sympathischen Verständnisses ihrer Empfindungen von Seiten Casaubon's gründlich getäuscht habe, und heute war ihr eine Ahnung davon aufgegangen, daß er ein betrübendes Bewußtsein mit sich herumtrage, welches einen für ihn nicht minder als für sie empfindlichen Mangel bezeichne.

Wir werden allesammt mit einer Anlage zu sittlicher Beschränktheit geboren, die uns glauben läßt, die Welt sei eine Euter und nur dazu da unser erhabenes Ich zu nähren. Dorothea hatte zeitig angefangen, sich von den Banden dieser beschränkten Anschauung zu befreien; aber doch war es auch ihr leichter gewesen, sich in dem Traume zu wiegen, wie sie sich Casaubon ganz widmen und durch seine Stärke und Weisheit weise und stark werden wolle, als sich eine klare, mit der Bestimmtheit einer sinnlichen Anschauung wirkende Vorstellung davon zu machen, daß auch er sein individuelles Bewußtsein habe, in welchem sich die Außenwelt immer etwas anders als in ihrem Bewußtsein spiegeln müsse.



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