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Neuntes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 9:

1st Gent.
An ancient land in ancient oracles
Is called »law-thirsty«: all the struggle there
Was after order and a perfect rule.
Pray, where lie such lands now? …

2nd Gent.
Why, where they lay of old – in human souls.


Casaubon's Benehmen in Betreff des Ehecontracts war derart, daß es Herrn Brooke in hohem Grade befriedigte, und die der Heirath vorausgehenden Verhandlungen gingen so glatt von Statten, daß die Zeit des Brautstandes dadurch noch abgekürzt wurde. Die Braut mußte ihr künftiges Daheim in Augenschein nehmen, und alle die Veränderungen bestimmen, welche sie darin vorgenommen zu sehen wünschte. Ein Mädchen gebietet vor der Heirath, damit es sich nachher desto besser in die ihm obliegende Ergebung finde. Die Mißgriffe, welche wir Sterblichen, Männer und Frauen, begehen, wenn wir in der Lage sind, ganz nach unserem Willen zu handeln, wären fürwahr geeignet, es auffallend erscheinen zu lassen, daß wir ein unbehindertes Schalten so sehr lieben.

An einem grauen, trockenen Novembermorgen fuhr Dorothea in Gesellschaft ihres Onkels und Celien's nach Lowick. Casaubon wohnte im Herrenhause. Dicht dabei, und von einigen Theilen des Gartens aus sichtbar, lag die kleine Kirche, und ihr gegenüber das alte Pfarrhaus. Im Beginne seiner Laufbahn hatte Casaubon nur die Pfarre inne gehabt, aber der Tod seines Bruders hatte ihn auch in den Besitz des Gutes gesetzt. Zu demselben gehörte ein kleiner Park, mit einzelnen schönen Eichen, und einer in der Richtung der Südwestfronte des Hauses gelegenen Lindenallee; Garten und Park waren durch einen niedrigen Zaun getrennt, so daß der Blick vom Wohnzimmer aus ununterbrochen über eine geneigte grüne Ebene bis dahin schweifte, wo sich an die Lindenallee Kornfelder und Viehweiden schlossen, welche im Scheine der untergehenden Sonne oft in einen See zu verschmelzen schienen.

Die Seite des Hauses, von welcher man diese Aussicht genoß, war die günstigste, denn die Süd- und Ostseite gewährten selbst am schönsten Morgen einen etwas melancholischen Anblick. Hier waren die Rasenplätze beschränkter, die Blumenbeete nicht sehr sorgfältig gepflegt, und große Baumgruppen, namentlich von finstern, hohen Eibenbäumen standen nicht dreißig Schritt von den Fenstern entfernt. Das aus grünlichem Sandstein errichtete Gebäude war ein alt englisches Haus, nicht gerade häßlich, aber mit kleinen Fenstern und von melancholischem Aussehen, eines jener Häuser, welche munterer Kinder, offener Fenster, vieler Blumen und kleiner freundlicher Aussichten bedürfen, um sie als ein heiteres Daheim erscheinen zu lassen. An diesem Spätherbsttage mit seinen spärlichen, gelben Blättern, die langsam auf das dunkle Immergrün herab fielen, mit seiner sonnenlosen Stille machte auch das Haus einen herbstlichen Eindruck, und Casaubon's Erscheinung war nicht geeignet, das melancholische Aussehen des Ganzen zu mildern.

»O, du lieber Gott,« dachte Celia bei sich, »in Freshitt Hall würde der Aufenthalt gewiß heiterer gewesen sein, als in diesem Hause.«

Vor ihrem innern Auge erhob sich das schöne Gebäude aus weißem Sandstein mit seinem von Säulen getragenen Porticus, und der reich mit Blumen besetzten Terrasse; dann sah sie Sir James, wie er lächelnd, gleich einem verzauberten Prinzen, plötzlich mit einem rasch aus den zartesten duftigsten Staubfäden gewobenen Schnupftuche, hinter einem Rosenbusche hervortrat, – Sir James, der so angenehm über verständige Dinge zu reden wußte und sich nicht mit gelehrtem Kram befaßte! Celia hatte jene leichten, jungen, weiblichen Neigungen, welche ernste und in den Stürmen des Lebens ergraute Männer bisweilen an ihren Frauen vorziehen; aber Casaubon hatte einen andern Geschmack und das war gut für ihn; denn er würde bei Celien entschieden nie Glück gemacht haben.

Dorothea dagegen fand das Haus mit seiner Umgebung ganz nach ihrem Geschmacke; die dunklen Büchergestelle in der langen Bibliothek, die Teppiche und Gardinen mit ihren von der Zeit gebleichten Farben, die sonderbaren alten Landkarten und Ansichten aus der Vogelperspective, welche an den Wänden des Vorplatzes, hie und da über einer alten Vase, hingen, hatten für sie nichts Bedrückendes, und schienen ihr ein erfreulicherer Anblick, als die Bronze-Statuen und Bilder auf Tipton-Hof, welche ihr Onkel vor langen Jahren von seinen Reisen, – vermuthlich als Zubehör der Ideen, welche er seiner Zeit in sich aufgenommen, mit nach Hause gebracht hatte. Die classischen Nuditäten und die lüstern lächelnden Gesichter aus der Renaissancezeit starrten die arme in puritanischen Anschauungen befangene Dorothea unverstanden an. Sie hatte nie gelernt, diese Dinge als etwas für ihr geistiges Leben Bedeutsames zu betrachten. Die Eigenthümer von Lowick hatten augenscheinlich keine Reisen gemacht und Casaubon hatte sich bei seinen Studien über die Vergangenheit keiner künstlerischen Hülfsmittel bedienen können.

Dorothea ging in freudiger Aufregung durch das ganze Haus. Alles in diesen Räumen schien ihr geheiligt: dies war die Stätte, wo sie als Frau ihre Heimath finden sollte, und mit vertrauensvollen Blicken sah sie zu Casaubon auf, so oft er ihre Aufmerksamkeit auf irgend eine vorhandene Einrichtung lenkte, und sie fragte, ob sie eine Veränderung derselben wünsche. Sie nahm jede solche Rücksicht auf ihren Geschmack dankbar auf, fand aber nichts zu ändern. Seine Anstrengungen, sich einer peinlichen Höflichkeit und einer förmlichen Zärtlichkeit zu befleißigen, hatten für sie nichts Abstoßendes. Sie füllte alle Lücken seines Wesens mit verborgenen Vollkommenheiten aus, indem sie sich dieses Wesen wie die Werke der Vorsehung erklärte, und anscheinende Disharmonien auf Rechnung der Stumpfheit ihres Ohrs für höhere Harmonien setzte. Und in welchem Brautstande gäbe es nicht Lücken, welche ein liebendes Auge mit glücklicher Zuversicht ausfüllt?

»Jetzt aber, meine liebe Dorothea, mußt Du mir den Gefallen thun, mir zu sagen, welches Zimmer Du am liebsten zu Deinem Boudoir gemacht sehen würdest,« sagte Casaubon, und zeigte damit, daß seine Auffassung von weiblichen Bedürfnissen weit genug sei, um auch die Nothwendigkeit eines Boudoirs zu begreifen.

»Es ist sehr freundlich von Dir, daran zu denken,« erwiderte Dorothea,« ich versichere Dich aber, es wäre mir lieber, wenn all dergleichen ohne mein Zuthun für mich entschieden würde. Es wird mich viel glücklicher machen, wenn Alles gerade so bleibt, wie Du es gewöhnt gewesen bist, oder wie Du selbst es einrichten willst. Ich habe keine Veranlassung, es irgend anders zu wünschen.«

»O Dora,« sagte Celia, »willst Du nicht das Zimmer mit dem Bogenfenster oben für Dich nehmen?«

Casaubon ging den Uebrigen voran nach diesem Zimmer hinauf. Durch das Bogenfenster sah man auf die Lindenallee hinab. Die Möbel im Zimmer waren alle mit einem verblichenen blauen Stoffe überzogen, und an der Wand hing eine Gruppe von Miniatur-Bildern gepuderter Herren und Damen. Auf einem Stücke alter Gobelintapete über, der Thür erblickte man in einer verblaßten blaugrünen Landschaft einen Hirsch. Die Tische und Stühle hatten dünne Beine und waren so leicht gebaut, daß man immer in Gefahr war, sie umzuwerfen. Man fühlte sich in diesem Zimmer wie von dem Geiste einer Dame im Reifrock umweht, welche gekommen wäre, die ehemals von ihr bewohnten Räume wieder aufzusuchen. Ein leichtes Büchergestell, welches in Kalbsleder gebundene Duodez-Bände einer eleganten Literatur enthielt, vervollständigte das Mobiliar.

»Ja,« sagte Herr Brooke, »das würde ein hübsches Zimmer sein, wenn man es frisch tapezirte, neue Sopha's hineinsetzte und dergleichen. So ist es ein bischen kahl.«

»Nein; Onkel,« entgegnete Dorothea eifrig, »bitte, sprich nicht von irgend welcher Veränderung. Es giebt so viele andere Dinge in der Welt, die verändert werden müßten – mir gefällt dieses Zimmer so wie es ist. Und Dir gefällt es auch, nicht wahr?« fügte sie hinzu, indem sie Casaubon ansah. »Vielleicht war dies das Zimmer Deiner Mutter in ihrer Jugend?«

»Das war es allerdings,« erwiderte er, indem er den Kopf wie gewöhnlich langsam neigte.

»Ist dies das Portrait Deiner Mutter?« fragte jetzt Dorothea, welche sich der Betrachtung der Miniaturen zugewandt hatte. »Es ist dem kleinen Bilde, welches Du mir gebracht hast, ganz ähnlich, nur scheint es mir ein besseres Portrait zu sein. Und das hier gegenüber, wer ist das?«

»Ihre ältere Schwester. Sie waren, wie Du und Deine Schwester, die einzigen Kinder ihrer Eltern, deren Bilder da über ihnen hängen.«

»Die Schwester ist hübsch,« bemerkte Celia, und gab damit zu verstehen, daß ihr Casaubon's Mutter weniger gut gefiel. Es war für Celien's Phantasie eine ganz neue Vorstellung, daß Casaubon einer Familie entsprossen sei, deren weibliche Mitglieder ihrer Zeit Alle einmal jung gewesen seien, und Halsbänder getragen hätten.

»Es ist ein eigenthümliches Gesicht,« sagte Dorothea, indem sie das Bild genauer betrachtete. »Diese tiefen, grauen, etwas dicht nebeneinander stehenden Augen, und die feine unregelmäßige Nase mit einer Art Falte in der Mitte, und die im Nacken hängenden gepuderten Locken, – Alles in Allem, scheint es mir mehr eigenthümlich als hübsch. Mit Deiner Mutter hat aber ihre In der Übersetzung steht hier »Deine«; im englischen Orginal heißt es aber: » There is not even a family likeness between her and your mother.« Der Bezug zu » her« kann nur die zuvor und auch im Anschluss wieder erwähnte Schwester der Mutter Casaubon's sein; von einer Schwester Casaubon's ist dagegen niemals die Rede. – Anm.d.Hrsg. Schwester nicht einmal eine Familienähnlichkeit.«

»Nein. Und auch ihre Schicksale waren verschieden.«

»Du hast ihrer gegen mich noch keine Erwähnung gethan,« fuhr Dorothea fort.

»Meine Tante war unglücklich verheirathet. Ich habe sie nie gesehen.«

Dorothea war ein wenig überrascht, fühlte aber, daß es indiscret sein würde, sich grade jetzt nach den näheren Umständen, welche Casaubon mitzutheilen nicht für gut fand, zu erkundigen, und trat ans Fenster, um sich der Aussicht zu erfreuen. Die Sonne war vor Kurzem aus den Wolken hervorgetreten, und die von ihr beschienenen Linden warfen ihre Schatten vor sich her.

»Sollen wir nicht ein wenig im Garten spazieren gehen?« fragte Dorothea.

»Und Du möchtest ja auch gern die Kirche sehen, weißt Du,« bemerkte Herr Brooke, »es ist eine drollige kleine Kirche. Und das Dorf – es liegt Alles wie in einer Nußschaale zusammen. Beiläufig, es wird Dir gefallen, Dorothea; denn die Bauernhäuser sehen aus, wie eine Reihe von Freiwohnungen, – mit kleinen Gärten, Nelken und dergleichen mehr.«

»Ja, ja, bitte,« sagte Dorothea, Casaubon ansehend, »ich möchte das Alles gern sehen.«

Sie hatte von ihm nichts Genaueres über die Wohnungen der ländlichen Arbeiter in Lowick erfahren können, als daß sie »nicht schlecht seien«.

Bald gingen sie Alle auf einem Kieswege, welcher hauptsächlich zwischen Rasen und Baumgruppen hinführte, und welchen Casaubon als den kürzesten zur Kirche bezeichnet hatte. An dem kleinen Gitter, durch welches man auf den Kirchhof trat, standen sie still, während Casaubon nach dem dicht daneben gelegenen Pfarrhause ging, um den Schlüssel zu holen.

Celia, die ein wenig zurückgeblieben war, trat jetzt, als sie sah, daß Casaubon sich entfernt hatte, rasch heran, und sagte in ihrer ruhig abgemessenen Weise, mit welcher sie immer gegen jeden Verdacht einer malitiösen Absicht zu protestiren schien:

»Weißt Du, Dorothea, ich habe eben einen ganz jungen Menschen auf einem der Gartenwege gehen sehen.«

»Was ist denn daran Merkwürdiges, Celia.«

»Vielleicht ist es ein junger Gärtner, weißt Du, warum nicht?« bemerkte Herr Brooke. »Ich habe Casaubon schon gesagt, er solle sich einen andern Gärtner nehmen.«

»Nein, kein Gärtner,« erwiderte Celia; »ein Herr mit einem Skizzenbuch. Er hatte helle, braune Locken, ich habe ihn nur von rückwärts gesehen. Aber er war ganz jung.«

»Vielleicht der Sohn des Vicars,« sagte Herr Brooke. »Ah, da ist Casaubon wieder, und Tucker mit ihm. Er wird uns Tucker vorstellen, den Ihr ja noch nicht kennt.«

Der Vicar, Herr Tucker, war ein Mann von mittleren Jahren, einer von der »niederen Geistlichkeit,« deren Mitglieder keinen Mangel an Söhnen zu haben pflegen. Aber die Unterhaltung, welche sich nach seiner Vorstellung entspann, führte zu keiner Frage in Betreff seiner Familie, und die auffallende jugendliche Erscheinung wurde alsbald von Allen außer von Celien wieder vergessen. Sie sträubte sich innerlich gegen die Annahme, daß die hellen, braunen Locken und die schlanke Gestalt in irgend einer verwandtschaftlichen Beziehung zu Herrn Tucker stehen könnten, der ganz so alt und verbraucht aussah, wie sie sich Casaubon's Vicar vorgestellt hatte, der gewiß ein vortrefflicher Mann war und ohne Zweifel in den Himmel kommen würde, – denn Celia wollte keinen frivolen Gedanken, in sich aufkommen lassen –, dessen Mundwinkel ihr aber so sehr mißfielen. Celia dachte mit Unbehagen an die Zeit, welche sie als Brautjungfer in Lowick zuzubringen haben würde, wo es gewiß keine Vicarskinder gebe, mit denen sie sich ergötzen könnte.

Herr Tucker war von unschätzbarem Werth als Begleiter auf ihrem Spaziergange; und vielleicht hatte Casaubon das voraus bedacht, da der Vicar im Stande war, alle Fragen Dorotheen's in Betreff der Dorfinsassen und der übrigen Kirchspielsbewohner zu beantworten. Jedermann in Lowick, versicherte er sie, sei in ganz guten Verhältnissen; in jenen billig vermietheten Doppelhäuschen sei kein Bewohner, der nicht sein eigenes Schwein habe, und die Streifen Gartenlandes hinter den Häuschen seien gut gepflegt. Die kleinen Jungen trügen Zeug von vortrefflichem schwerem Wollenstoffe, die Mädchen wären als sehr ordentliche Dienstmädchen gesucht, oder beschäftigten sich zu Hause mit Strohflechten. Hier finde man keine Webstühle und keine Dissenters, und obgleich im Allgemeinen die Neigung zum Gelderwerb größer sei, als der Sinn für kirchliche Dinge, so kämen doch nicht viele Verbrechen vor.

Auf ihrem Wege sahen sie so viele gesprenkelte Hühner, daß Herr Brooke bemerkte:

»Ihre Pächter lassen etwas Gerste zur Nachlese für die Frauen im Dorfe über, wie ich sehe. Die armen Leute hier scheinen wirklich Sonntags ihr Huhn im Topfe zu haben, wie es der gute französische König für sein ganzes Volk wünschte. Die Franzosen essen sehr viele Hühner – magere Hühner, wissen Sie.«

»Mir scheint der Wunsch des Königs war sehr billig,« sagte Dorothea entrüstet. »Sind denn die Könige solche Ungeheuer, daß ein solcher Wunsch als ein Beweis königlicher Tugend aufgezeichnet wird?«

»Und wenn er ihnen ein mageres Huhn wünschte,« bemerkte Celia, »so wäre das doch keine angemessene Speise. Aber vielleicht wünschte er, sie sollten fette Hühner haben.«

»Ja, aber dieses Wort ist im Texte ausgelassen, oder war vielleicht subauditum; das will sagen: von dem Könige gemeint, aber nicht ausgesprochen,« erklärte Casaubon, indem er lächelnd den Kopf zu Celia hinneigte, welche sofort ein wenig zurücktrat, weil es ihr unerträglich war, wenn Casaubon sie anblinzelte.

Dorothea wurde auf dem Rückwege nach dem Hause ganz schweigsam. Sie empfand eine gewisse Enttäuschung, deren sie sich gleichwol schämte, darüber, daß in Lowick nichts für sie zu thun sei, und malte sich aus, wie sie es vorgezogen haben würde, ihre neue Heimath in einem Kirchspiele zu finden, in welchem größeres Elend geherrscht hätte, so daß sie in demselben mehr Gelegenheit zu thätiger Pflichterfüllung gefunden hätte. Dann wandte sie sich wieder ihrer Zukunft zu und beruhigte sich in dem Gedanken, daß sie sich noch vollständiger den Zwecken Casaubon's zu widmen und damit neue Pflichten zu übernehmen haben werde. Viele solche Pflichten würden sich ihr vielleicht erst nach Erlangung der höheren Erkenntniß offenbaren, welche sie in dem Zusammenleben mit ihrem künftigen Gatten gewinnen würde.

Herr Tucker verließ die Gesellschaft bald wieder, da ihm einige Amtsgeschäfte oblagen, welche es ihm nicht gestatteten, bei Casaubon zu frühstücken. Als sie durch das kleine Gitter wieder in den Garten traten, sagte Casaubon:

»Du siehst etwas traurig aus, Dorothea. Ich hoffe, Du bist befriedigt von dem, was Du eben gesehen hast.«

»Mich bewegt etwas, was vielleicht närrisch und verkehrt ist,« antwortete Dorothea mit ihrer gewöhnlichen Offenheit, »ich wünschte beinahe, daß die Leute hier in einer Lage wären, in welcher man mehr für sie thun müßte. Ich habe bis jetzt so wenig Gelegenheit gehabt, mein Leben irgendwie nützlich zu machen, daß meine Begriffe von dem was nützlich ist, daher natürlich beschränkt sind. Ich muß neue Mittel kennen lernen, mich hülfreich zu erweisen.«

»Ohne Zweifel,« erwiderte Casaubon. »Jede Lage des Lebens bringt ihre entsprechenden Pflichten mit sich. Die Erfüllung Deiner Pflichten, als Herrin von Lowick, wird Dir hoffentlich kein Verlangen unerfüllt lassen.«

»Das hoffe ich zuversichtlich,« entgegnete Dorothea ernst. »Denke nicht, daß ich traurig bin.«

»Das ist gut. Wenn Du nicht ermüdet bist, wollen wir auf einem anderen Wege, als auf dem wir vorhin gegangen sind, nach Hause zurückkehren.«

Dorothea war durchaus nicht ermüdet, und man machte einen Umweg in der Richtung des schönen Eibenbaumes, welcher von Alters her die Hauptzierde des Gartens an dieser Seite des Hauses war. Als sie sich dem Baume näherten, wurde eine sitzende männliche Gestalt sichtbar, die sich von dem dunklen Hintergrunde des immergrünen Laubes abhob: Es war ein junger Mann, welcher den alten Baum skizzirte.

Herr Brooke, der mit Celien voranging, wandte sich um und sagte:

»Wer ist der junge Mensch, Casaubon?«

Sie waren dem Baume bereits sehr nahe gekommen als Casaubon antwortete:

»Das ist ein junger Verwandter von mir, ein Groß-Cousin, – der Enkel der Dame,« fügte er mit einem Blicke auf Dorothea hinzu, »deren Portrait Dir aufgefallen ist, meiner Tante Julie.«

Der junge Mann hatte sein Skizzenbuch bei Seite gelegt und war ausgestanden. Seine dichten, hellbraunen Locken und seine jugendliche Gestalt, ließen keinen Zweifel darüber, daß es derselbe junge Mann sei, welchen Celia vorhin aus der Entfernung gesehen hatte.

»Dorothea, erlaube mir Dir meinen Vetter Ladislaw vorzustellen, Will, das ist Fräulein Brooke.«

Der Vetter stand Dorotheen jetzt ganz nahe, und sie sah, als er seinen Hut abnahm, ein Paar graue, etwas dicht zusammenstehende Augen, eine feine unregelmäßige Nase mit einer kleinen Falte, und in den Nacken fallende Locken; Mund und Kinn dagegen traten mehr hervor und hatten einen herausfordernderen Ausdruck, als es bei dem Portrait der Großmutter der Fall war. Der junge Ladislaw schien es nicht für nothwendig zu halten, verbindlich zu lächeln, als sei er entzückt über die Vorstellung seiner künftigen Cousine und ihrer Verwandten, sondern zeigte eher etwas von verdrossener Unzufriedenheit in seinen Mienen.

»Sie sind Künstler, wie ich sehe,« sagte Herr Brooke, indem er das Skizzenbuch in seiner ungenirten Weise in die Hand nahm und durchblätterte.

»Nein, ich skizzire nur ein wenig. In dem Skizzenbuch ist nichts des Ansehens Werthes,« erwiderte der junge Ladislaw, indem er vielleicht mehr aus übler Laune, als aus Bescheidenheit erröthete.

»O nicht doch, das hier ist eine recht hübsche Skizze. Ich habe selbst meiner Zeit ein wenig auf diesem Gebiete dilettirt, wissen Sie. Seht einmal her, das nenne ich hübsch gemacht, con brio, wie wir es in der Kunstsprache nennen.«

Mit diesen Worten hielt Herr Brooke den beiden Mädchen eine große colorirte Skizze eines Felsgrundes mit Bäumen und einem Teiche hin.

»Ich verstehe nichts von solchen Dingen,« sagte Dorothea nicht kalt, aber mit einer entschiedenen Ablehnung des Appels an ihr Urtheil. »Du weißt Onkel, ich kann die Bilder, welche, wie Du sagst, so hoch gepriesen werden, nie schön finden. Diese Bilder reden eine Sprache, welche ich nicht verstehe Ich denke mir, es besteht eine Beziehung zwischen den Werken der Malerei und der Natur, welche ich herauszufühlen zu unwissend bin, – grade wie Du den Sinn einer griechischen Sentenz verstehst, welche mir nichts sagt.«

Dorothea blickte zu Casaubon auf, der seinen Kopf zu ihr hinneigte, während Herr Brooke lächelnd und in nachlässigem Tone sagte:

»Merkwürdig, wie verschieden die Menschen sind. Aber Ihr seid verkehrt unterrichtet, weißt Du, sonst ist das grade das Rechte für Mädchen, skizziren, schöne Künste und was dahin gehört. Aber Du hast Dich auf's Plänezeichnen gelegt; Du verstehst nichts von Morbidezza und dergleichen. Sie werden uns hoffentlich besuchen, und dann werde ich Ihnen zeigen, was ich selbst in dieser Art gemacht habe,« fuhr er gegen den jungen Ladislaw gewandt fort, der ganz in die Betrachtung Dorotheen's versunken schien.

Ladislaw war davon durchdrungen, daß sie ein unangenehmes Mädchen sein müsse, weil sie Casaubon heirathen wolle, und was sie über ihre Unempfänglichkeit für Bilder sagte, würde ihn nur in seiner Meinung bestärkt haben, selbst wenn er ihren Worten geglaubt hätte; in der That aber hielt er ihre Aeußerungen nur für ein ausweichendes Urtheil und war überzeugt, daß sie seine Skizze abscheulich finde. Ihre ablehnende Entschuldigung war viel zu fein; sie machte sich nur über ihren Onkel und ihn lustig. Aber welche Stimme! Sie klang wie die Stimme einer Seele, welche einmal in einer Aeolsharfe gelebt hatte. Das mußte sich durch eine der häufigen Inconsequenzen der Natur erklären lassen. Leidenschaft konnte in der Seele eines Mädchens, welches Casaubon heirathen wollte, nicht wohnen.

Jetzt aber, wo Herr Brooke ihn anredete, verneigte er sich, indem er sich von Dorotheen abwandte, zum Dank für die ihm gewordene Einladung, gegen diesen.

»Wir wollen zusammen meine italienischen Kupferstiche durchblättern,« fuhr der gutmüthige Mann fort. »Ich habe eine Masse solcher Sachen, die ich seit Jahren gesammelt habe. Man verbauert hier in dieser Gegend, wissen Sie; Sie nicht, Casaubon, Sie leben in Ihren Studien; meine besten Ideen treten ganz zurück – kommen außer Gebrauch, wissen Sie. Ihr begabten jungen Leute müßt Euch vor Indolenz hüten. Ich war zu indolent, wissen Sie, sonst hätte ich in einer gewissen Zeit meines Lebens Alles erreichen können.«

»Das ist eine rechtzeitige Warnung,« sagte Casaubon; »aber jetzt wollen wir in's Haus gehen, damit die jungen Damen nicht vom Stehen müde werden.«

Sobald sie ihm den Rücken gewandt hatten, setzte sich der junge Ladislaw wieder nieder, um an seiner Skizze weiter zu arbeiten, und dabei malte sich in seinen Zügen eine Heiterkeit, welche immer stärker hervortrat, bis er endlich den Kopf in den Nacken warf und in lautes Lachen ausbrach. Was ihn zum Lachen reizte war einmal die Aufnahme, welche seine eigene künstlerische Leistung gefunden hatte; dann die Idee, daß sein ernster Vetter der Liebhaber dieses Mädchens sei, und endlich das was Herr Brooke über die Stellung gesagt hatte, welche er im Leben eingenommen haben würde, wenn ihn nicht Indolenz daran verhindert hätte. Dieser Durchbruch seines Sinnes für das Komische belebte die Züge des jungen Mannes in sehr anmuthiger Weise; es war die reine Freude am Komischen ohne jede Beimischung von Spott und Selbstüberhebung.

»Was gedenkt Ihr Neffe zu werden, Casaubon?« fragte Herr Brooke, als sie mit einander dem Hause zugingen.

»Mein Großcousin, wollen Sie sagen, nicht mein Neffe.«

»Ja, ja, Ihr Vetter. Ich meine aber, welche Laufbahn er ergreifen will, wissen Sie.«

»Die Antwort auf diese Frage muß gänzlich ungewiß ausfallen. Als er die Schule in Rugby verließ, weigerte er sich auf eine englische Universität zu gehen, wohin ich ihn gern geschickt hätte, und faßte den nach meiner Ansicht anomalen Entschluß, in Heidelberg zu studiren. Und jetzt will er wieder ohne irgend welchen anderen Zweck, als um sich, wie er es sehr unbestimmt ausdrückt, zu bilden und, er weiß selbst nicht worauf, vorzubereiten, reisen. Er weigert sich einen Beruf zu wählen.«

»Ich vermuthe, daß er keine anderen Mittel besitzt, als die Sie ihm gewähren.«

»Ich habe ihn und seine Verwandten zu der Erwartung berechtigt, daß ich bereit sein würde in bescheidenem Maaße das zu gewähren, was nothwendig sein würde, um ihm eine gelehrte Erziehung zu geben und ihn für sein Fortkommen anständig auszustatten. Ich bin daher verpflichtet, die in dieser Weise rege gemachten Erwartungen zu erfüllen,« sagte Casaubon, indem er sein Benehmen als eine durch einfache Rechtschaffenheit gebotene Handlungsweise darstellte, ein Zug von Delicatesse, welcher Dorotheen's Bewunderung nicht entging.

»Er scheint von Reisedurst erfüllt zu sein, vielleicht wird er noch einmal ein Bruce, oder ein Mungo Park,« sagte Herr Brooke. »Ich habe auch einmal einen solchen Reisedrang gehabt.«

»Nein, er hat keine Neigung zur Forschung, und zur Erweiterung unserer geognostischen Kenntnisse; das wäre ein bestimmter Zweck, den ich als berechtigt anerkennen und freilich ohne zur Wahl einer Laufbahn, welche so oft zu einem frühzeitigen und gewaltsamen Tode führt, rathen zu können – nicht mißbilligen würde. Aber er ist so wenig von dem Wunsche beseelt, sich eine genauere Kenntniß unserer Erdoberfläche zu verschaffen, daß er mir erklärt hat, er würde es vorziehen die Quellen des Nils nicht zu kennen, und wenn es ihm nachginge, müßten einige unbekannte Gegenden als Jagdgründe für die dichterische Phantasie unerforscht bleiben.«

»Nun, daran ist etwas, wissen Sie,« bemerkte Herr Brooke, der gewiß unpartheiisch war.

»Ich fürchte, man darf darin nichts als eine Aeußerung seiner allgemeinen Abneigung gegen alle Genauigkeit und Gründlichkeit erblicken, welche ihm ein schlechtes Prognostikon für jeden bürgerlichen oder geistlichen Beruf stellen würde, selbst wenn er sich der herrschenden Ordnung so weit fügen wollte, überhaupt einen Beruf zu wählen.«

»Vielleicht läßt er sich von Gewissensscrupeln leiten, die sich auf das Gefühl seiner Unfähigkeit gründen,« sagte Dorothea, welche es interessirte eine günstige Erklärung für das Verhalten des jungen Mannes zu suchen. »Denn mit der Jurisprudenz und der Medizin als Beruf sollte es doch in der That sehr ernst genommen werden, nicht wahr? Das Leben und Vermögen der Leute ist ja in den Händen derer, die diese Berufsarten ergreifen.«

»Unzweifelhaft; aber ich fürchte, daß mein junger Verwandter Will Ladislaw sich in seinem Widerwillen gegen diese Berufsarten hauptsächlich von seiner Abneigung gegen beharrlichen Fleiß und gegen jede Art von Fertigkeiten bestimmen läßt, welche als Mittel zum Zweck unerläßlich, aber an und für sich ohne Reiz sind und einem sich selbst verzärtelnden Geschmacke keine unmittelbare Befriedigung gewähren. Ich bin in ihn gedrungen, sich klar zu machen, was Aristoteles mit bewunderungswürdiger Kürze ausgesprochen hat: daß der Vollendung jeder als Zweck in's Auge gefaßten Arbeit die geduldige und energische Uebung vieler Kräfte und der Erwerb von Fertigkeiten untergeordneter Art vorangehen müsse. Ich habe ihn auf die Bände meiner Manuscripte hingewiesen, welche die Frucht jahrelanger Arbeit der Vorbereitung auf ein noch nicht vollendetes Werk sind; aber vergebens. Allen wohlbegründeten Vorstellungen solcher Art begegnet er damit, daß er sich einen ›Pegasus‹, und jede Art vorgeschriebener Arbeiten ein ›lästiges Geschirr‹ nennt.«

Celia lachte, es überraschte sie, daß Casaubon im Stande sei, etwas ganz Amüsantes zu sagen.

»Nun, vielleicht wird er ein Byron, ein Chatterton, ein Churchill oder etwas der Art, wer kann das sagen,« bemerkte Herr Brooke. »Werden Sie ihn nach Italien, oder wohin er sonst Lust hat, gehn lassen?«

»Ja, ich habe mich bereit erklärt, ihm in bescheidenem Maaße die Mittel für etwa ein Jahr zu gewähren, – mehr verlangt er nicht. Ich will ihn die Probe der Freiheit machen lassen.«

»Das ist sehr gütig von Dir,« sagte Dorothea, indem sie entzückt zu Casaubon aufblickte. »Das ist edel. Am Ende kann doch Jemand den Beruf zu etwas in sich tragen, ohne sich selbst ganz klar darüber zu sein, nicht wahr? Ein solcher Mensch erscheint vielleicht schwach und träge, weil er noch in seiner Entwicklung begriffen ist. Ich glaube, wir Menschen sollten viel Nachsicht mit einander haben.«

»Mir scheint Deine Verlobung hat Dich auf den Gedanken gebracht, daß Geduld eine gute Sache sei,« sagte Celia, sobald sie sich mit Dorothea beim Ablegen der Shawls und Hüte allein fand.

»Weil ich selbst sehr ungeduldig bin, willst Du sagen?«

»Ja wohl, sobald die Leute nicht thun, und sagen was Dir gefällt.«

Celia fürchtete sich, seit Dorothea verlobt war, weniger, ihr ihre Meinung zu sagen; sie dachte jetzt geringschätziger als je über höhere Begabung.



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