Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel.

      Follows here the strict receipt
For that sauce to dainty meat,
Named Idleness, which many eat
By preference, and call it sweet:
First watch for morsels, like a hound
      Mix well with buffets, stir them round
      With good thick oil of flatteries,
      And froth with mean self-lauding lies.
      Serve warm: the vessels you must choose
      To keep it in are dead men's shoes.


Herrn Bulstrode's Consultation mit Harriet schien den von Herrn Vincy gewünschten Erfolg gehabt zu haben; denn früh am nächsten Morgen traf ein Schreiben ein, welches Fred Herrn Featherstone als die verlangte Bescheinigung bringen konnte.

Der alte Herr war des kalten Wetters wegen im Bett geblieben. Als daher Fred Mary Garth nicht im Wohnzimmer fand, ging er ohne Weiteres hinauf und präsentirte den Brief seinem Onkel, welcher, in seinem Bette behaglich aufsitzend, in nicht geringerem Maße als gewöhnlich im Stande war, sich seiner Stärke im Mißtrauen gegen die Menschen und im Enttäuschen ihrer Erwartungen zu erfreuen. Er setzte seine Brille auf, um den Brief zu lesen, indem er die Lippen spitzte und die Mundwinkel herabzog:

›Unter den obwaltenden Umständen will ich mich nicht weigern, meine Ueberzeugung dahin auszusprechen –‹

»Oho! wie gewählt der Patron sich ausdrückt; er spricht ja wie ein Auctionator –«

›daß Dein Sohn Frederic keinen Geldvorschuß auf Grund eines ihm von Herrn Featherstone zugesagten Vermächtnisses erhalten hat –‹

»Zugesagten? Wer hat behauptet, daß ich je etwas zugesagt habe? Ich sage nichts zu – Ich werde Codicille machen, so lange ich Lust habe –«

›und daß es in Betracht der Natur eines solchen Verfahrens unvernünftig wäre anzunehmen, daß ein junger Mann von Verstand und gutem Charakter sich zu demselben herbeigelassen haben sollte –‹

»Oho! aber der Herr sagt nicht, daß Du ein junger Mann von Verstand und gutem Charakter bist, merken Sie sich das, mein Verehrter –«

›Was meinen Antheil an einem derartigen Gerüchte betrifft, so erkläre ich bestimmt, daß ich niemals eine Aeußerung des Inhalts gethan habe, daß Dein Sohn auf irgend welches Eigenthum hin, welches ihm bei Herrn Featherstone's Ableben zufallen mögte, Geld geborgt habe.‹

»Gott steh mir bei! ›Eigenthum‹ – ›zufallen‹ – ›Ableben!‹ Advokat Standish ist Nichts dagegen. Er könnte sich nicht schöner ausdrücken, wenn er selbst Geld borgen wollte. – Nun?« – Hier sah Herr Featherstone Fred über seine Brille hinweg an und reichte ihm dabei den Brief mit einer verächtlichen Geberde. »Du denkst doch nicht, daß ich etwas darum glaube, weil Bulstrode es in schönen Worten sagt! Wie?«

Fred erröthete. »Du hast ja den Brief verlangt, Onkel. Ich sollte doch denken, Herrn Bulstrode's Erklärung wäre leicht so viel werth, wie die Behauptung dessen, der Dir erzählt hat, was Jener in Abrede stellt.«

»Ganz gewiß. Ich habe nie gesagt, daß ich weder dem Einen, noch dem Andern etwas glaube. Und was erwartest Du jetzt?« fragte Herr Featherstone kurz, indem er seine Brille aufbehielt, aber seine Hände unter seine Decke steckte.

»Ich erwarte nichts, Onkel.« – Fred mußte gewaltsam an sich halten, um seiner gereizten Stimmung nicht Luft zu machen. – »Ich bin hergekommen, Dir den Brief zu bringen. Wenn Du es wünschest, will ich wieder fortgehen.«

»Noch nicht, noch nicht, klingle, die Kleine soll kommen.«

Auf das Klingeln erschien ein Dienstmädchen.

»Sag' Fräulein, sie solle kommen!« sagte Herr Featherstone ungeduldig. »Warum ist sie fortgegangen?« In diesem Tone sprach er auch mit Mary selbst, als sie erschien.

»Warum bist Du nicht ruhig hiergeblieben, bis ich Dir gesagt habe, daß Du fortgehen sollest? Ich will meine Weste haben. Ich habe Dir gesagt, Du sollst sie immer auf's Bett legen.«

Mary's Augen waren etwas geröthet, als ob sie geweint hätte. Es war klar, daß Herr Featherstone diesen Morgen in einer seiner bissigsten Launen war, und obgleich Fred jetzt Aussicht hatte, das so sehnlichst gewünschte Geldgeschenk zu bekommen, würde er es doch vorgezogen haben, sich ganz ungenirt gegen den alten Tyrannen aussprechen und ihm sagen zu können, daß Mary Garth zu gut sei, um auf einen Wink von ihm gehorchen zu müssen. Obgleich Fred bei ihrem Eintritt aufgestanden war, hatte sie ihn doch kaum bemerkt und sah aus, als ob ihre Nerven in der Erwartung, daß ihr etwas an den Kopf geworfen werden würde, zitterten.

Aber etwas schlimmeres als Worte hatte sie in der That nie zu befürchten. Als sie nun die Weste von einem Kleiderhaken herabnehmen wollte, trat Fred an sie heran und sagte: »Erlauben Sie mir.«

»Laß nur, Fred! Du sollst es mir selbst bringen, Mary, und hieher legen,« sagte Herr Featherstone. »Und jetzt geh' wieder fort, bis ich Dich rufe,« fügte er hinzu, als sie ihm die Weste auf's Bett gelegt hatte. Es war für ihn eine unentbehrliche Würze des Lebens, einer Person seine besondere Gunst dadurch zu beweisen, daß er gegen eine andere besonders unangenehm war, und Mary war als willkommenes Gewürz immer bei der Hand. Wenn seine eigenen Verwandten ihn besuchten, behandelte er Mary besser.

Jetzt nahm er langsam ein Schlüsselbund aus der Westentasche und zog ebenso langsam einen Blechkasten unter der Bettdecke hervor.

»Du denkst wohl, ich werde Dir jetzt ein kleines Vermögen schenken, wie?« sagte er, indem er über seine Brille hinwegsah und in dem Oeffnen des Deckels innehielt.

»Durchaus nicht, Onkel. Du warst so gut, neulich zu sagen, daß Du mir ein Geschenk machen wollest; sonst würde ich natürlich gar nicht daran gedacht haben.«

Aber Fred war in einer hoffnungsvollen Stimmung, und schmeichelte sich mit der Aussicht auf eine Summe, welche gerade groß genug sein würde, ihn aus einer dringenden Verlegenheit zu ziehen. So oft Fred Schulden machte, schien es ihm immer höchst wahrscheinlich, daß irgend etwas, wenn er sich auch nicht klar bewußt war, was, sich ereignen und ihn in den Stand setzen würde, seine Schuld zur rechten Zeit abzutragen. Und jetzt, wo das Eingreifen der Vorsehung so augenscheinlich nahe bevorstand, würde es ja absurd von ihm gewesen sein, zu glauben, daß die Unterstützung nicht ausreichen werde, das Bedürfniß zu decken – gerade so absurd, wie ein Glaube, welcher aus Mangel an Kraft, an ein ganzes Wunder zu glauben, an ein halbes Wunder glauben würde.

Der Alte ließ viele Banknoten, eine nach der andern, durch die Finger seiner hagern, mit Adern bedeckten Hände gleiten und legte dieselben wieder ausgebreitet hin, während Fred, der in seinem Stuhl zurückgelehnt dasaß, es verschmähte genau zuzusehen. Er hielt sich für einen echten Gentleman und fand es unter seiner Würde, dem Alten seines Geldes wegen den Hof zu machen.

Endlich sah ihn Herr Featherstone wieder über seine Brille hinweg an und überreichte ihm ein kleines Bündel Banknoten. Fred konnte nur soviel bestimmt sehen, daß es ihrer fünf waren, da auf der ihm zugewandten Ecke die Werthzahl nicht stand; es konnten also möglicherweise lauter 50-Pfundnoten sein.

Er nahm die Noten mit den Worten zu sich: »Ich bin Dir sehr verbunden, Onkel,« und war im Begriff sie, anscheinend ohne an ihren Werth zu denken, aufzurollen. Aber das war nicht nach dem Sinne des Alten, der ihn scharf beobachtete.

»Komm, hältst Du es nicht der Mühe werth, sie zu zählen? Du nimmst ja Geld, als wärst Du ein Lord; da wirst Du es auch wohl wie ein Lord wieder verlieren.«

»Ich dachte: ›Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul‹, Onkel. Aber ich werde die Banknoten mit Vergnügen zählen.«

Fred's Vergnügen war jedoch etwas geringer, nachdem er sie gezählt hatte. Denn sie hatten wirklich die Absurdität, eine geringere Summe darzustellen, als seine hoffnungsvolle Phantasie sie ihm vorgespiegelt hatte. Es war eine böse Erschütterung für Fred, als er fand, daß er nicht mehr als fünf 20-Pfundnoten in der Hand hielt. Nichtsdestoweniger sagte er, indem er mehrmals rasch die Farbe wechselte: »Es ist sehr freundlich von Dir, Onkel.«

»Das wollt' ich meinen,« sagte Herr Featherstone, indem er seinen Blechkasten schloß und wieder unter die Decke schob, dann seine Brille bedächtig abnahm und, als habe ein tieferes Nachdenken ihn noch inniger von der Wahrheit dieser Worte überzeugt, noch einmal wiederholte: »das wollt ich meinen, daß es freundlich ist.«

»Ich versichere Dich, Onkel, daß ich Dir sehr dankbar bin!« erwiderte Fred, welcher inzwischen Zeit gehabt hatte, sich zu fassen und wieder eine heitere Miene anzunehmen.

»Das mußt Du auch sein. Du möchtest gern etwas in der Welt vorstellen, und Peter Featherstone ist, glaube ich, der einzige Mensch, auf den Du Dich verlassen kannst.«

Bei diesen Worten schien sich in den unheimlich glänzenden Augen des Alten die eigenthümlich gemischte Genugthuung darüber zu malen, daß dieser schmucke Junge sich auf ihn verlasse und doch eigentlich ein Narr sei, das zu thun.

»Ja, es ist wahr, ich habe mich von Haus aus keiner sehr glänzenden Aussichten zu erfreuen; wenige Menschen sind mehr geplagt worden als ich,« sagte Fred, nicht ohne ein gewisses bewunderndes Staunen über seine Tugend, wenn er bedachte, wie bös ihm mitgespielt worden sei. »Es ist doch wirklich gar zu arg, einen Lungenpfeifer reiten zu müssen und um sich her Leute zu sehen, die es nicht halb so gut verstehen wie man selbst; und die für ihre schlechten Einkäufe Berge Geld wegwerfen können.«

»Nun, Du kannst Dir ja jetzt ein schönes Reitpferd kaufen. Achtzig Pfund sind ja dazu wohl genug, denke ich, und dann hast Du noch zwanzig Pfund übrig, um Dich etwa aus einer kleinen Verlegenheit zu ziehen,« sagte Herr Featherstone, indem er leise in sich hinein lachte.

»Du bist sehr gütig, Onkel,« sagte Fred im vollen Bewußtsein des Widerspruchs seiner Worte mit seinen Empfindungen.

»O ja, ein besserer Onkel als Dein Onkel Bulstrode, – was? Von dem würdest Du, glaube ich, bei all seinen Spekulationen nicht viel herausbringen. Er hat Deinen Vater häßlich am Bande, nach dem, was ich höre, wie?«

»Mein Vater theilt mir nie etwas über seine Geschäfte mit, Onkel.«

»Nun, das ist ganz verständig von ihm. Aber andere Leute wissen von seinen Geschäften Bescheid, ohne daß er ihnen etwas davon sagt. Er wird Dir nie viel zu hinterlassen haben. Er wird höchst wahrscheinlich ohne Testament sterben, er ist ganz der Mann dazu, sie mögen ihn soviel zum Mayor von Middlemarch machen, wie sie wollen. Aber Du würdest nicht viel Vortheil davon haben, wenn er ohne Testament stürbe, obgleich Du der älteste Sohn bist.«

Fred meinte den alten Featherstone noch nie so unangenehm gesehen zu haben, wenn er ihm auch noch nie so viel Geld auf einmal gegeben hatte.

»Soll ich diesen Brief von Herrn Bulstrode vernichten, Onkel?« fragte Fred, indem er mit dem Brief in der Hand aufstand, als ob er denselben ins Feuer werfen wolle.

»Ja, ja, ich verlange ihn nicht, er ist für mich keinen Heller werth.«

Fred warf den Brief ins Feuer und half dem Verbrennungsprozeß eifrigst mit dem Poker nach. Er sehnte sich danach, fortzukommen, aber er schämte sich ein wenig vor sich selbst und vor seinem Onkel, gleich, nachdem er das Geld eingesteckt hatte, wegzulaufen. In diesem Augenblick erschien der Verwalter des Pachthofes, um seinem Herrn Bericht zu erstatten, und Fred wurde zu seiner unaussprechlichen Genugthuung mit der Weisung entlassen, bald wieder zu kommen.

Er hatte sich danach gesehnt, nicht nur von seinem Onkel freizukommen, sondern auch Mary Garth aufzusuchen. Sie saß jetzt an ihrem gewöhnlichen Platze am Kamin, mit einer Näharbeit in der Hand und einem offenen Buche auf dem neben ihr stehenden kleinen Tische. Ihre Augen sahen nicht mehr so geröthet aus und ihr Gesicht hatte wieder den gewöhnlichen Ausdruck von Selbstbeherrschung.

»Soll ich hinaufkommen?« sagte sie halb aufstehend, als Fred ins Zimmer trat.

»Nein, ich bin nur entlassen, weil Simmons gekommen ist.«

Mary setzte sich wieder hin und nahm ihre Arbeit wieder auf. Sie war in ihrem Benehmen gegen Fred ersichtlich gleichgültiger als gewöhnlich, sie wußte nicht, wie zärtlich entrüstet er vorhin oben um ihretwillen gewesen war.

»Darf ich ein wenig hier bleiben, Mary, oder incommodire ich Sie?«

»Bitte, setzen Sie sich,« sagte Mary, »Sie werden mich ganz gewiß nicht so incommodiren, wie Herr John Waule, der gestern hier war und sich zu mir setzte, ohne mich um Erlaubniß zu fragen.«

»Der arme Kerl! ich glaube, er ist in Sie verliebt.«

»Davon weiß ich nichts. Und es gehört für mich zu den widerwärtigsten Seiten in dem Leben eines Mädchens, daß kein Mann freundlich gegen sie und sie keinem Manne dankbar sein darf, ohne daß die Menschen gleich an ein Verlieben zwischen ihr und diesem Manne denken. Ich hätte gedacht, daß ich wenigstens von dergleichen verschont bleiben würde. Ich habe keine Ursache zu der albernen Eitelkeit mir einzubilden, daß jeder Mann, der mir nahe kommt, in mich verliebt ist.«

Mary wollte bei dieser Aeußerung nichts von ihren Empfindungen verrathen; aber unwillkürlich sprach sie die letzten Worte in einem zitternd gereizten Tone.

»Hol' der Henker John Waule, ich wollte Sie nicht erzürnen. Ich wußte nicht, daß Sie irgend eine Ursache hätten, ihm dankbar zu sein. Ich vergaß, für einen wie großen Dienst Sie es halten, wenn Jemand ein Licht für Sie putzt.«

Auch Fred hatte seinen Stolz und wollte nicht zeigen, daß er wisse, was diesen Gefühlsausbruch bei Mary veranlaßt habe.

»O, ich bin nicht erzürnt, außer über den Lauf der Welt. Ich mag gern, daß man mit mir wie mit einer Person spricht, die gesunden Menschenverstand hat. Ich glaube wirklich bisweilen, daß ich etwas mehr verstehen könnte, als ich je zu hören bekomme, – selbst von jungen Herren, welche auf der Universität gewesen sind.«

Mary hatte sich wieder erholt, und sie sprach mit einem halbunterdrückten kleinen Lachen, das ihrer Stimme etwas angenehmes gab.

»Ich mache mir nichts daraus, wenn Sie heute Morgen auf meine Kosten lustig sind,« sagte Fred. »Als Sie vorhin hinauf kamen, schienen Sie so traurig auszusehen. Es ist eine Schande, daß Sie sich hier so schlecht behandeln lassen müssen.«

»O, mein Leben ist noch leicht genug im Vergleich mit dem Anderer. Ich habe es versucht, zu unterrichten, und habe gefunden, daß ich dazu nicht passe; ich liebe es zu sehr, meinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Ich denke, das härteste Loos ist noch besser, als sich für etwas bezahlen zu lassen, was man in der That gar nicht leistet. Alles, was hier zu thun ist, kann ich so gut wie irgend eine Andere, und vielleicht besser als Einige – z. B. Rosy, die eines von jenen reizenden Geschöpfen ist, wie sie in Märchen verzauberte Prinzen befreien.«

»Rosy?« rief Fred im Tone des äußersten brüderlichen Skepticismus.

»Gehen Sie, Fred,« sagte Mary emphatisch, » Sie haben kein Recht so kritisch zu sein.«

»Meinen Sie damit irgend etwas Besonderes?«

»Nein, ich meine damit etwas Allgemeines.«

»O, daß ich träge und verschwenderisch bin. Nun ja, ich bin nicht dazu gemacht, ein armer Mann zu sein. Ich wäre kein übler Kerl geworden, wenn ich reich geboren wäre.«

»Das heißt, Sie würden Ihre Pflicht in einer Lebenslage gethan haben, in welche es Gott nicht gefallen hat, Sie zu versetzen,« sagte Mary lachend.

»Nun ja, ich könnte als Geistlicher so wenig meine Pflicht thun, wie Sie die Ihrige als Gouvernante. Sie sollten dafür ein wenig Mitgefühl haben, Mary.«

»Ich habe nie gesagt, daß Sie ein Geistlicher werden sollten. Es giebt ja andere Arten-»von Thätigkeit. Es scheint mir sehr erbärmlich, sich nicht zu irgend einer Laufbahn entschließen und diesem Entschluß gemäß handeln zu können.«

»Das würde ich können; wenn –« Fred brach ab, stand auf und lehnte sich an das Kaminsims.

»Wenn Sie gewiß wären, kein Vermögen zu bekommen?«

»Das habe ich nicht gesagt. Sie wollen sich durchaus mit mir zanken. Es ist sehr häßlich von Ihnen, sich von dem, was andere Leute von mir sagen, leiten zu lassen.«

»Wie kann ich mich mit Ihnen zanken wollen? Da würde ich mich ja mit allen meinen neuen Büchern zanken,« sagte Mary, indem sie den auf dem kleinen Tische liegenden Band berührte. »Wie unartig Sie auch gegen andere Leute sein mögen, gegen mich sind Sie doch immer gut.«

»Weil ich Sie lieber habe als irgend einen andern Menschen; aber ich weiß, Sie verachten mich.«

»Ja, das thue ich, ein wenig,« sagte Mary, indem sie lächelnd mit dem Kopfe nickte.

»Sie würden einen ganz ausgezeichneten Menschen bewundern, der weise Ansichten über Alles hätte.«

»Ja, das würde ich.«

Mary nähte mit raschen Stichen an ihrer Arbeit und beherrschte, zu Freddy's Verdruß, ersichtlich die Situation vollkommen. Wenn eine Unterhaltung eine für uns ungünstige Wendung genommen hat, so pflegen wir, nur noch immer tiefer in den Sumpf der Ungeschicklichkeit zu versinken. Das fühlte Fred Vincy.

»Ich glaube, ein Mädchen liebt nie einen Mann, den sie gekannt hat, so lange sie denken kann. Es muß immer ein Fremder sein, der einem Mädchen Eindruck macht.«

»Lassen Sie mich einmal sehen,« sagte Mary, indem sie die Mundwinkel schelmisch verzog; »ich muß mich auf meine Erfahrungen besinnen. Da ist Julia; die scheint ein Beleg für Ihre Behauptung zu sein. Aber auf der andern Seite hatte doch Ophelia Hamlet schon lange gekannt; und Brenda Troil, die hatte doch Mordaunt Merton seit ihrer frühesten Jugend gekannt; aber freilich scheint er auch ein sehr achtbarer junger Mann gewesen zu sein; und wiederum war Minna noch verliebter in Cleveland, der ein Fremder war. iguren aus dem Roman » The Pirate« (1821) von Walter Scott. Waverley war auch ein Fremder für Flora Mac-Ivor, aber sie verliebte sich auch nicht in ihn. Figuren aus dem Roman » Waverly« (1814) von Walter Scott. Und da sind ferner Olivia Primrose Figur aus dem Roman » The Vicar of Wakefield« (1766) von Oliver Goldsmith. und Corinna Titelfigur des Romans » Corinne ou l'Italie« (1807) von Germaine de Staël. – von denen kann man auch sagen, daß sie sich in Fremde verliebt haben. Alles in Allem sprechen meine Erfahrungen gleich stark für beides.«

Bei diesen Worten warf Mary Fred einen schelmischen Blick zu, welchen er sehr gern hatte, obgleich ihre Augen nichts waren als klare Fenster, aus welchen eine scharfe Beobachtung lachend hervorguckte. Er hatte in Wahrheit ein empfängliches Gemüth, und wie er vom Knaben zum Manne herangereift war, war auch seine Liebe für diese alte Spielgefährtin gewachsen, ungeachtet seiner »gelehrten« Erziehung, welche seine Ansprüche an Rang und Vermögen so sehr gesteigert hatte.

»Wenn ein Mann seine Liebe nicht erwidert sieht, nützt es ihm nichts, zu erklären, daß er ein besserer Mensch sein würde – ich meine, daß er Alles leisten könnte, wenn er gewiß wäre, wieder geliebt zu werden.«

»Es nützt ihm nicht das Mindeste zu erklären, er könnte besser sein. – Möchte, wollte, könnte, – das sind lauter nichtsnutzige Hülfszeitwörter.«

»Ich sehe nicht ein, wie ein Mensch viel nütze sein soll, wenn er nicht ein weibliches Wesen hat, das ihn zärtlich liebt.«

»Ich finde, er müßte sich bewähren, bevor er zu einer solchen Erwartung berechtigt wäre.«

»O Mary! Sie wissen doch nur zu gut, daß Frauen die Männer nicht ihrer Güte wegen lieben.«

»Vielleicht nicht, aber wenn sie sie lieben sollen, dürfen sie sie doch nicht für schlecht halten.«

»Es ist doch wohl nicht recht, mich schlecht zu nennen.«

»Ich rede ja gar nicht von Ihnen.«

»Ich werde nie zu irgend etwas in der Welt nütze sein, Mary, wenn Sie nicht erklären wollen, daß Sie mich lieben, wenn Sie nicht versprechen wollen, mich zu heirathen, ich meine, sobald ich im Stande bin zu heirathen.«

»Wenn ich Sie liebte, würde ich Sie doch nicht heirathen – würde ich Ihnen doch nicht das Versprechen geben, Sie je zu heirathen.«

»Das finde ich sehr schlecht von Ihnen, Mary. Wenn Sie mich lieben, so sollten Sie auch versprechen, mich zu heirathen.«

»Im Gegentheil, ich finde, es wäre schlecht von mir, Sie zu heirathen, selbst wenn ich Sie liebte.«

»Sie meinen in meiner jetzigen Lage, wo ich ohne Mittel bin, eine Frau zu ernähren. Natürlich, ich bin erst dreiundzwanzig Jahre alt.«

»In dieser Beziehung werden Sie sich ändern, ob aber auch in irgend einer andern Beziehung, das ist mir zweifelhaft. Mein Vater sagt, ein Müssiggänger sollte gar nicht existiren, geschweige heirathen.«

»Dann muß ich mir also eine Kugel vor den Kopf schießen.«

»Nein, Alles in Allem thäten Sie, glaube ich, besser Ihr Examen zu machen. Ich habe Herrn Farebrother sagen hören, das Examen sei schmachvoll leicht.«

»Das ist Alles sehr schön. Ihm ist Alles leicht. Nicht als ob Begabung irgend etwas damit zu thun hätte. Ich bin zehnmal begabter, als viele Leute, die im Examen durchkommen.«

»Du lieber Gott,« sagte Mary, die eine sarkastische Bemerkung nicht unterdrücken konnte, »da begreift man, wie solche Leute, wie Herr Crowse, Pfarrgehülfe werden können. Also: Wenn Sie Ihre Begabung durch zehn dividiren, so kann der armselige Quotient noch immer sein Examen machen; das beweist aber nur, daß Sie zehnmal träger sind als die Uebrigen.«

»Nun, wenn ich auch mein Examen gemacht hätte, so würden Sie doch nicht wünschen, daß ich Geistlicher würde.«

»Es kommt hier nicht darauf an, was ich wünsche, daß Sie thun sollen; ich denke, Sie haben Ihr eigenes Gewissen. – Aber da kommt Herr Lydgate, ich muß ihn meinem Onkel melden.«

»Mary,« sagte Fred, indem er ihre Hand ergriff, als sie aufstand, »wenn Sie mir nicht ein ermuthigendes Wort sagen, so werde ich nicht besser, sondern schlechter werden.«

»Ich will Ihnen kein ermuthigendes Wort sagen,« erwiderte Mary erröthend, »das würde Ihrer Familie ebenso unlieb sein, wie der meinigen. Mein Vater würde es für eine Schande halten, wenn ich einen Mann heirathete, der Schulden hat und nicht arbeiten will!«

Fred fühlte sich in tiefster Seele gekränkt und ließ ihre Hand wieder los. Sie ging nach der Thür, aber hier wandte sie sich um und sagte:

»Fred, Sie sind immer so gütig, so großmüthig gegen mich gewesen. Ich bin nicht undankbar. Aber sprechen Sie nie wieder so mit mir.«

»Seht gut,« entgegnete Fred, indem er mit einem Ausdruck von mürrischem Trotz nach seinem Hut und seiner Reitpeitsche griff. Auf seinem Gesichte zeigten sich blaßrothe und todesbleiche Flecken. Wie so mancher durchgefallene träge junge Mensch war Fred sehr verliebt, und zwar in ein häßliches Mädchen, das kein Geld hatte; aber mit der Aussicht auf Herrn Featherstone's Landbesitz, und mit der Ueberzeugung, daß Mary, sie mochte sagen, was sie wollte, ihn doch wirklich gern habe, war er nicht allzu verzweifelt.

Zu Hause angelangt, gab er seiner Mutter vier von seinen fünf Pfundnoten und bat sie, ihm dieselben aufzubewahren.

»Ich will das Geld nicht ausgeben, Mutter, ich will eine Schuld damit bezahlen. Bewahr' es mir daher so auf, daß ich nicht daran kann.«

»Brav, mein lieber Junge!« sagte Frau Vincy.

Sie schwärmte für ihren ältesten Sohn und für ihre jüngste sechsjährige Tochter, die beiden Kinder, welche von Anderen für ihre wenigst gerathenen gehalten wurden. Und doch täuscht sich das Auge der Mutter nicht immer in seiner Parteilichkeit, wenigstens kann sie am besten darüber urtheilen, ob ein Kind zärtlich und kindlich gesinnt ist. Und Fred liebte seine Mutter wirklich sehr. Vielleicht war es seine Liebe zu noch einer anderen Person, was ihn zu einer so ängstlichen Vorsicht gegen die Möglichkeit seiner Verausgabung der hundert Pfund trieb. Denn der Gläubiger, welchem er 160 Pfund schuldig war, hatte eine Bürgschaft in Gestalt eines von Mary's Vater unterzeichneten Wechsels in Händen.



 << zurück weiter >>