Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 19:

L' altra vedete ch'ha fatto alla guancia
Della sua palma, sospirando, letto.

Dante: Purgatorio


Es war zu jener Zeit, da Georg IV. noch einsam in dem Schlosse von Windsor hauste, da der Herzog von Wellington Premierminister und Herr Vincy Mayor der alten Stadtcorporation von Middlemarch war, als Frau Casaubon, geborne Dorothea Brooke ihre Hochzeitsreise nach Rom machte.

Die Welt war in jenen Tagen im Guten wie im Schlimmen noch um vierzig Jahre hinter unserer Zeit zurück. Reisende brachten noch selten eine vollständige Unterweisung über das Wesen christlicher Kunst in ihren Köpfen oder in ihren Taschen mit nach Hause. Die Romantik, welche seitdem dazu geholfen hat, manche öde Lücke mit Liebe und Wissen auszufüllen, hatte die Zeit noch nicht mit ihrem Sauerteig durchdrungen und war noch kein Gemeingut geworden; sie gährte noch als ein bestimmt erkennbarer kräftiger Enthusiasmus in den Köpfen einiger langhaariger deutscher Künstler in Rom, und die jungen Künstler anderer Nationen, welche neben Jenen arbeiteten oder faullenzten, fingen an bisweilen von der umsichgreifenden Bewegung berührt zu werden.

Eines schönen Morgens hatte ein junger Mann, dessen Haar nicht übermäßig lang, aber voll und gelockt war und dessen übriges Aeußere ihn als einen Engländer kennzeichnete, eben dem Torso im Belvedere des Vaticans den Rücken gekehrt und genoß in der anstoßenden runden Halle der herrlichen Aussicht auf das Gebirge. Er war in diesen Anblick so vertieft, daß er es nicht gewahr wurde, wie sich ihm ein schwarzäugiger lebhaft aussehender Deutscher näherte, bis derselbe ihm seine Hand auf die Schulter legte und sagte: »Kommen Sie rasch! sonst verändert sie ihre Stellung.«

Der junge Mann entsprach der Aufforderung und die Beiden gingen raschen Schritts an dem Meleager vorüber nach der Halle, wo die Ariadne, damals noch Cleopatra genannt, in ihrer wollüstigen marmornen Schönheit, von ihren Gewändern, die sich wie zarte Blüthenblätter ihren Gliedern anschmiegen, umhüllt, ausgestreckt daliegt. Sie kamen gerade noch zu rechter Zeit, um einer andern Gestalt ansichtig zu werden, welche an ein Piedestal in der Nähe der Ariadne gelehnt stand, eine lebende, blühende Mädchengestalt, deren von dem schönen Marmor nicht beschämte Formen, von quäkerhaft grauen Gewändern umhüllt waren; ihren am Halse zugehakten Mantel hatte sie so zurückgeworfen, daß die Arme frei waren, und auf die eine unbehandschuhte schöne Hand stützte sie ihre Wange, indem sie den weißen Filzhut, welcher über dem einfach geflochtenen dunkelbraunen Haar ihr Gesicht wie ein Heiligenschein umgab, etwas zurückschob. Sie sah nicht auf die Statue, dachte wahrscheinlich gar nicht an diese, ihre großen träumerischen Augen waren auf einen Streifen Sonnenlicht geheftet, welcher auf dem Fußboden spielte. Als sie aber die beiden Fremden gewahrte, welche plötzlich still standen, als wollten sie die Cleopatra betrachten, brach sie sofort, ohne dieselben anzusehen, auf und ging auf eine Kammerfrau und einen Courier zu, welche in einiger Entfernung in der Halle wartend dastanden.

»Wie gefällt Ihnen dieser frappante Contrast?« fragte der Deutsche, indem er in den Zügen seines Freundes den Ausdruck der Bewunderung suchte, dann aber, ohne eine weitere Antwort abzuwarten, rasch fortfuhr. »Da liegt antike Schönheit, selbst im Tode nicht wie eine Leiche, sondern wie im Vollgefühl ihrer sinnlichen Vollkommenheit gebannt, und dicht daneben steht lebendige Schönheit, aus deren Zügen ein christlich übersinnliches Bewußtsein spricht. Aber sie müßte Nonnenkleider tragen, sie sieht beinahe wie eine Quäkerin aus; ich möchte sie als Nonne in meinem Bilde figuriren lassen. Sie ist aber verheirathet, ich habe ihren Trauring an einem Finger ihrer wunderschönen linken Hand bemerkt, sonst würde ich geglaubt haben, der Clergyman mit dem fahlen Gesichte sei ihr Vater. Ich sah ihn vorhin von ihr Abschied nehmen und jetzt eben fand ich sie in der prachtvollen Stellung. Vielleicht ist er reich und möchte gern ihr Portrait haben. Aber was stehen wir hier und sehen ihr nach! Da geht sie fort, lassen Sie uns ihr bis nach ihrer Wohnung folgen!«

»Nein, nein,« antwortete der junge Mann mit etwas verdrießlicher Miene. »Wie sonderbar sind Sie, Ladislaw. Sie sehen ja ganz betroffen aus. Wissen Sie etwas von ihr?«

»Ich weiß, daß sie mit meinem Vetter verheirathet ist,« erwiderte Will Ladislaw, indem er mit einem preoccupirten Gesicht dem Ausgange der Halle zuschlenderte, während sein deutscher Freund sich dicht neben ihm hielt und ihn scharf beobachtete.

»Was, der Clergyman? der sieht ja mehr wie ein Onkel oder so eine brauchbare Art von Verwandten aus.«

»Er ist nicht mein Onkel, ich sage Ihnen, er ist mein Großcousin,« sagte Ladislaw etwas gereizt.

»Schön, schön, beißen Sie mich nur nicht. Sie sind doch nicht böse auf mich, weil ich die Frau Großcousine für die schönste junge Madonna halte, die ich je gesehen habe?«

»Böse? Unsinn. Ich habe sie bisher nur einmal, auf einige Minuten gesehen. Es war kurz vor meiner Abreise von England, als mein Vetter sie mir vorstellte. Sie waren damals noch nicht verheirathet und ich wußte nicht, daß sie nach Rom kommen würden.«

»Aber Sie werden sie doch jetzt aufsuchen – Sie werden ihre Adresse leicht herausbringen können, da Sie ja den Namen wissen. Wollen wir nach der Post gehen? Und dann könnten Sie über das Portrait reden.«

»Hol' Sie der Henker, Naumann! Ich weiß noch gar nicht, was ich thun werde. Mir fehlt Ihre edle Dreistigkeit.«

»Bah! Das kommt, weil Sie die Kunst dilettantisch treiben. Wenn Sie ein ächter Künstler wären, würden Sie in der Frau Großcousine nur die antiken, von christlichem Gefühl beseelten Formen erblicken – eine Art christlicher Antigone – sinnliche durch Exaltation der Seele bezwungene Kraft.«

»Jawohl, und begreifen, daß der Hauptzweck ihres Daseins der sei, von Ihnen gemalt zu werden – die Gottheit, die sich in ihrer Vollkommenheit selbst überbietet, bis sie Ihr Stückchen Leinwand bedeckt und damit so ziemlich ihre Bestimmung erfüllt hat. Nennen Sie mich meinetwegen dilettantisch, ich bin nicht der Ansicht, daß das ganze Universum nur auf die dunkle Bedeutung Ihrer Bilder hinarbeitet.«

»Das thut es aber doch, mein Lieber! – sofern es durch mich, Adolf Naumann, arbeitet, das steht fest,« sagte der gutmüthige Künstler, der sich durch die unerklärliche Anwandlung von übler Laune bei Ladislaw nicht im Mindesten irre machen ließ, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte. »Begreifen Sie nicht, daß meine Existenz die Existenz des ganzen Universums voraussetzt? Und mein Beruf ist zu malen, und als Maler habe ich eine durchaus schöpferische Auffassung von Ihrer Großtante oder Urgroßmutter, als einem Vorwurf für ein Bild; daher arbeitet das Universum durch die besondere Klaue, welche es in Gestalt meiner Person ausstreckt, auf dieses Bild hin – ist das nicht wahr?«

»Aber wie, wenn eine andere Klaue in Gestalt meiner Person darauf hin arbeitete, es zu vereiteln? – die Sache wäre dann etwas weniger einfach.«

»Durchaus nicht: das Ergebniß des Kampfes würde, gleichviel ob Bild oder Nichtbild, dialectisch doch immer dasselbe sein.«

Diese unerschütterlich gute Laune wirkte unwiderstehlich auf Will, und durch die Wolke auf seiner Stirn brach lachender Sonnenschein.

»Kommen Sie, lieber Freund, Sie helfen mir, nicht wahr?« sagte Naumann in einem hoffnungsvollen Ton.

»Nein, nein, Unsinn, Naumann! Englische Damen sitzen nicht Jedem wie Modelle, und Sie wollen mit Ihrer Malerei zu viel ausdrücken, Sie würden doch nur ein mehr oder weniger gutes Portrait mit einem Hintergrunde machen, für oder gegen welchen sich jeder Kenner aus besondern Gründen aussprechen würde. Und was kann ein Portrait von einer Frau wiedergeben? Euer Malen und Bildhauen ist doch am Ende nur ein armseliges Tasten; es macht schöpferische Ideen nur unklar und stumpft ihre Wirkungen ab, anstatt sie zu verklären, – da ist die Sprache doch ein besseres Medium.«

»Ja, für die, welche nicht malen können,« sagte Naumann. »Darin haben Sie vollkommen Recht. Ich habe Ihnen auch nicht gerathen zu malen, lieber Freund.«

Der liebenswürdige Künstler hatte gut getroffen, aber Ladislaw zog es vor zu thun, als ob er den Stich nicht gefühlt habe. Und fuhr fort, als ob er seinen Freund nicht verstanden habe.

»Die Sprache vermag ein volleres Bild zu geben, das nur um so tiefer wirkt, je weniger feste Formen es hat. Das wahre Sehen geschieht doch schließlich mit dem geistigen Auge, und gemalte Bilder starren uns wie eine festgebannte Unvollkommenheit an. Das fühle ich namentlich bei Frauenbildern. Als ob ein Weib nichts wäre als eine bunte Oberfläche! Vergebens sucht man nach Bewegung und Ton. Und doch wechselt der Ausdruck der Frauen mit jedem Athemzuge. Diese Frau, zum Beispiel, die Sie eben gesehen haben – sagen Sie mir doch bitte, wie Sie ihre Stimme malen wollten. Ihre Stimme ist aber noch viel göttlicher als irgend etwas, was Sie an ihr gesehen haben.«

»O, ich begreife, Sie sind eifersüchtig. Kein Mensch darf sich anmaßen, einem Andern sein Ideal zu Dank zu malen. Die Sache scheint ernsthaft, lieber Freund, Ihre Großtante, – ›der Neffe als Onkel‹, im tragischen Sinn, – das ist ungeheuer!«

»Naumann, ich werde wirklich böse, wenn Sie diese Dame noch einmal meine Tante nennen.«

»Wie soll ich sie denn nennen?«

»Frau Casaubon.«

»Gut, wie wäre es aber, wenn ich Ihnen zum Trotz ihre Bekanntschaft machte, und fände, daß sie lebhaft wünscht gemalt zu werden?«

»Ja, wie wäre es,« murmelte Will Ladislaw geringschätzig und wollte damit den Gegenstand fallen lassen. Er war sich bewußt, sich durch lächerlich kleine Ursachen, welche er sich noch überdies großentheils einbildete, verstimmen zu lassen. Wie kam er dazu, so viel Aufhebens von Frau Casaubon zu machen? Und doch war ihm zu Muthe, als ob sich für ihn mit Bezug auf sie etwas ereignet habe.

Es giebt Charaktere, die sich fortwährend Collisionen und Verwicklungen in Dramen schaffen, welche kein Mensch mit ihnen spielen will. Ihre Empfindlichkeit stößt sich beständig an Objecten, welche in ihrer Harmlosigkeit von dem Stoß ganz unberührt bleiben.



 << zurück weiter >>