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Fünftes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 5:

Hard students are commonly troubled with gowts, catarrhs, rheums, cachexia, bradypepsia, bad eyes, stone, and collick, crudities, oppilations, vertigo, winds, consumptions, and all such diseases as come by over-much sitting: they are most part lean, dry, ill-coloured – and all through immoderate pains and extraordinary studies. If you will not believe the truth of this, look upon great Tostatus and Thomas Aquainas' works; and tell me whether those men took pains. – Burton's Anatomy of Melancholy, P. I. s. 2.


Der Brief des Herrn Casaubon an Dorothea lautete wie folgt:

»Mein verehrtes Fräulein!

»Ihr Herr Vormund hat mir gestattet, mich in einer Angelegenheit, welche mir mehr als alles Andere am Herzen liegt, direct an Sie zu wenden. Ich glaube mich der Hoffnung hingeben zu dürfen, daß ich in keiner Täuschung befangen bin, wenn ich annehme, daß das Zusammentreffen des Erwachens eines Bedürfnisses meiner Seele mit dem Vergnügen Ihrer Bekanntschaft nicht ein zufälliges gewesen sei, sondern daß demselben eine tiefere Beziehung zu Grunde gelegen habe. Denn vom ersten Augenblick unserer Bekanntschaft an empfing ich den Eindruck, daß Sie in außerordentlichem Maße, vielleicht mehr als jede Andere, im Stande sein würden, jenes Bedürfniß zu befriedigen, und dazu machte sich, wie ich sagen darf, alsbald eine Neigung in so entscheidender Weise bei mir geltend, daß selbst die Beschäftigung mit einer Arbeit, welche meinen Geist bis dahin ganz ausfüllte, doch das Hervortreten jener Neigung nicht anhaltend zu hindern vermochte. Und jede folgende Gelegenheit zur Beobachtung trug nur dazu bei, jenen Eindruck noch zu vertiefen, indem ich mich immer mehr und nachhaltiger von jener Geeignetheit Ihrer Person überzeugte, welche ich von vornherein erkannt hatte, und dadurch immer mehr in jener Neigung bestärkt wurde, deren ich eben Erwähnung that. Unsere Unterhaltungen haben Sie, denke ich, hinreichend über den Inhalt meines Lebens und meiner Zwecke aufgeklärt: – einen Inhalt, der, wie ich mir wohl bewußt bin, dem Durchschnitt der Menschen wenig ansprechend erscheinen würde. Bei Ihnen aber habe ich eine geistige Erhebung und eine Fähigkeit der Hingebung beobachtet, welche ich bisher, sowohl mit der Blüthe der Jugend als mit jenen Reizen Ihres Geschlechts für unvereinbar gehalten hatte, von denen man sagen darf, daß sie, wenn sie, wie es bei Ihnen in so bemerkenswerther Weise der Fall ist, mit den oben erwähnten geistigen Eigenschaften vereint erscheinen, zugleich gewinnend wirken und der Besitzerin den Stempel der Auszeichnung aufprägen. Ich hatte, wie ich bekennen muß, nicht gehofft, dieser seltenen Vereinigung solider und anziehender Elemente zu begegnen, welche so sehr geeignet sind, sich bei ernsteren Arbeiten hülfreich zu erweisen und müßige Stunden anmuthig zu gestalten. Wäre mir nicht das Glück Ihrer Bekanntschaft zu Theil geworden – welche, lassen Sie mich es noch einmal zuversichtlich aussprechen, nicht zufällig mit einem auftauchenden Bedürfniß meiner Seele zusammentraf, sondern mit demselben als Vorstufe zur Vollendung eines Lebensplanes in einem providentiellen Zusammenhange stand –, so würde ich vermuthlich meinen Lebensweg bis ans Ende ohne den Versuch fortgesetzt haben, meine Einsamkeit durch ein Ehebündniß zu beleben.

Im Vorstehenden habe ich Ihnen, mein verehrtes Fräulein, meine Empfindungen wahrheitsgetreu geschildert, und ich rechne auf Ihre Nachsicht, wenn ich es wage, Sie jetzt zu fragen, inwiefern ich von Ihren eigenen Gefühlen eine Bestätigung meines glückverheißenden Vorgefühles erhoffen darf. Von Ihnen als Gatte und irdischer Hüter Ihrer Wohlfahrt angenommen zu werden, würde ich als das schönste Geschenk der Vorsehung betrachten. Dagegen kann ich Ihnen eine wenigstens bisher noch nicht vergeudete Neigung und die getreue Widmung eines Lebens bieten, welches, wenn ihm auch vielleicht nur noch eine kurze Dauer beschieden sein sollte, doch in seiner Vergangenheit keine Seiten hat, auf welchen Sie, wenn Sie geneigen wollen, darin zu blättern, Erinnerungen finden werden, welche Sie berechtigterweise mit Bitterkeit oder Scham erfüllen würden. Ich sehe dem Ausdruck Ihrer Gefühle mit einer Ungeduld entgegen, welche, wenn es möglich wäre, durch noch ernstere Arbeiten als gewöhnlich zu beschwichtigen weise erscheinen würde. Aber in dieser Art von Erfahrungen bin ich noch ein Neuling, und wenn ich an die Möglichkeit einer ungünstigen Antwort denke, kann ich mir nicht verhehlen, daß eine nothgedrungene Ergebung in meine Einsamkeit, nachdem ein kurzer Lichtstrahl der Hoffnung sie erhellt hatte, mir sehr schwer fallen würde. Unter allen Umständen aber werde ich verbleiben

Ihr aufrichtig ergebener

Edward Casaubon.«

 

Dorothea zitterte, als sie diesen Brief las. Dann sank sie auf die Knie und bedeckte schluchzend ihr Gesicht mit ihren Händen. Sie konnte nicht beten! In dem Drange einer feierlichen Erregung, in welcher die Gedanken ihre Bestimmtheit verloren und eine Fülle von Bildern sie bestürmte, vermochte sie nichts, als sich mit einem kindlichen Bedürfniß der Anlehnung in den Schoß ihres Gottesbewußtsein, das sie aufrecht erhielt, zu werfen. Sie verharrte in dieser Stellung, bis häusliche Pflichten sie abriefen.

Wie sollte es ihr in den Sinn kommen, den Brief mit kritischem Auge zu prüfen! Ihre ganze Seele war von dem Gedanken erfüllt, daß sich ihr die Aussicht auf ein reicheres Leben eröffnet habe. Sie war eine Novize, welche im Begriff stand, zu einem höheren Grade ihres Ordens geweiht zu werden. Hier würde sie Raum finden zur Entfaltung der ihr innewohnenden Kräfte, welche sich unter dem Drucke ihrer eigenen Unwissenheit und der kleinlichen Tyrannei der Welt unbehaglich in ihr regten.

Von nun an würde sie im Stande sein, sich großen und doch klaren Pflichten zu widmen; von nun an würde es ihr gestattet sein, fortwährend im Lichte eines Geistes zu leben, den sie verehren könnte. An dem beseligenden Gefühle, mit welchem diese Hoffnungen sie erfüllten, hatte auch das stolze Entzücken, die freudige Ueberraschung des Mädchens, daß der Mann, den ihre Bewunderung sich erkoren, sie gewählt hatte, seinen Antheil. Alles, was von Leidenschaft in Dorotheen war, hatte sich auf das Ringen ihres Geistes nach einem idealen Leben concentrirt; das verklärende Licht ihres jungfräulichen Gemüths ergoß sich über den ersten Gegenstand, der ihm seiner würdig schien. Der Ungestüm, mit welchem ihre Neigung sich in einen Entschluß verwandelte, ward noch intensiver durch jene kleinen Ereignisse des Tages, welche ihre Unzufriedenheit mit ihren gegenwärtigen Verhältnissen erregt hatten.

Nach Tische, als Celia auf dem Klavier ein Thema mit Variationen in einer Weise klimperte, welche für den ästhetischen Theil der Erziehung der jungen Damen charakteristisch war, ging Dorothea auf ihr Zimmer, um Herrn Casaubon zu antworten. Warum sollte sie diese Antwort verschieben?

Zweimal verwarf sie das Geschriebene, nicht weil sie die Fassung nicht befriedigte, sondern weil ihre Handschrift, ungewöhnlich unsicher war, und weil sie den Gedanken nicht ertragen konnte, daß Herr Casaubon ihre Handschrift für schlecht und unleserlich halten möchte. Sie setzte immer ihren Ehrgeiz darein, so zu schreiben, daß jeder Buchstabe ohne lange Conjecturen erkennbar sei, und hoffte, daß diese Deutlichkeit ihrer Handschrift noch einmal Herrn Casaubon's Augen zu Gute kommen werde. Drei Mal schrieb sie:

 

»Lieber Herr Casaubon!

Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie mich lieben und mich für würdig halten, Ihre Frau zu werden. Ich kann mir kein schöneres Glück denken, als ein mit Ihnen gemeinsam genossenes. Wenn ich noch mehr sagen wollte, würde es doch nur eine Umschreibung desselben Gedankens sein können; denn ich kann jetzt keinen andern Gedanken fassen, als daß es mir vergönnt sein möge, mein Lebelang zu sein

Ihre Ihnen ganz ergebene

Dorothea Brooke.«

 

Später am Abend ging sie zu ihrem Onkel in die Bibliothek und gab ihm den Brief mit der Bitte, denselben am nächsten Morgen zu lesen. Er war überrascht; aber seine Ueberraschung äußerte sich nur in einem minutenlangen Schweigen, während dessen er verschiedene Gegenstände auf seinem Schreibtische hin und her schob; schließlich stellte er sich mit dem Rücken gegen das Kamin und betrachtete durch seine Lorgnette die Adresse von Dorotheen's Brief.

»Hast Du das reiflich erwogen, liebes Kind?« fragte er endlich.

»Es bedurfte da keines langen Erwägens, lieber Onkel, ich wüßte nicht, was mich schwankend machen sollte. Es müßte etwas ganz Außerordentliches und mir völlig Neues sein, das mich bestimmen könnte, meinen Sinn zu ändern.«

»Du hast also seinen Antrag angenommen? Chettam hat also gar keine Aussicht? Hat Chettam Dich beleidigt, – beleidigt, weißt Du? Was mißfällt Dir denn an Chettam?«

»Mir gefällt nichts an ihm!« erwiderte Dorothea etwas ungestüm.

Herr Brooke fuhr mit Kopf und Schultern zurück, als ob Jemand mit einem leichten Wurfgeschoß nach ihm gezielt hätte.

Dorothea machte sich sofort Vorwürfe über ihre Aeußerung und sagte: »Ich rede natürlich nur in Bezug auf eine Heirath. Ich halte ihn für sehr gut, wirklich sehr brav in Betreff der Arbeiterwohnungen. Er ist ein wohlmeinender Mann.«

»Aber Du mußt einen Gelehrten und so etwas haben? Nun, es liegt ein wenig in unserer Familie. Ich habe selbst daran laborirt, an dieser Vorliebe für Kenntnisse und dieser Neigung, sich mit Allem zu befassen: es führte mich ein wenig zu weit; aber bei Frauen kommt so etwas eben nicht oft vor, oder es bleibt doch verborgen wie die Flüsse in Griechenland, weißt Du – Es tritt mehr bei Söhnen hervor; begabte Mütter haben begabte Söhne. Ich habe mich meiner Zeit viel damit abgegeben. Indessen, habe ich immer gesagt, liebes Kind, daß die Menschen in diesen Dingen bis zu einem gewissen Punkte nach ihrem freien Ermessen handeln müssen. Zu einer schlechten Partie würde ich als Dein Vormund meine Zustimmung nicht haben geben können. Aber Casaubon ist ein angesehener Mann und hat eine gute Stellung. – Ich fürchte, Chettam wird sich doch verletzt fühlen und Frau Cadwallader wird mich tadeln.«

 

An diesem Abende wußte Celia natürlich noch nichts von dem, was vorgefallen war. Sie schrieb Dorotheen's zerstreutes Wesen und ihre verweinten Augen der schlechten Stimmung zu, in welche sie das Gespräch über Sir James Chettam und die Wohnungen versetzt hatte, und hütete sich sorgfältig, ihr durch irgend etwas Anstoß zu geben. Wenn Celia einmal das, was sie sich zu sagen für verpflichtet hielt, ausgesprochen hatte, liebte sie es nicht, auf unangenehme Gegenstände zurückzukommen. Schon in ihrer frühsten Jugend war es ihre Art gewesen, sich nie zu zanken, sondern es nur verwundert mit anzuhören, wenn andere Kinder mit ihr zankten und dabei aussahen wie die Puterhähne; hatten sie sich dann wieder erholt, so war sie sofort bereit, wieder »Häuschen zu vermiethen« oder sonst ein Spiel mit ihnen zu spielen. Und Dorothea vor Allem hatte von jeher etwas an den Aeußerungen ihrer Schwester auszusetzen gehabt, obwohl Celia sich innerlich bewußt war, daß sie sich immer auf eine einfache Mittheilung von Thatsachen beschränke und nie auch nur den Versuch mache, eigene Gedanken auszusprechen. Das Beste an Dora aber war, daß sie nie lange böse blieb. Obgleich sie nach ihrem heutigen Wortwechsel den ganzen Abend kaum ein Wort mit einander gesprochen hatten und Celia nun ihre Handarbeit in der Absicht bei Seite legte, zu Bette zu gehen, wozu sie in der Regel zuerst aufbrach, sagte Dorothea, welche, zu jeder andern Arbeit unfähig, in Gedanken versunken auf einem niedrigen Sessel dasaß, in einem wohlthuend melodischen Tone, wie er ihrer Stimme in Momenten tiefer Empfindung eigenthümlich war, indem sie die Arme ausbreitete:

»Komm, liebe Celia, gieb mir einen Kuß!«

Celia kniete nieder, um auf gleicher Höhe mit Dorotheen zu sein, der sie dann mit einem Spitzmündchen einen Kuß gab, während diese sie, mit ihren Armen sanft umschlang und sie ernst auf beide Wangen küßte.

»Bleibe nicht lange aus, Dora, Du siehst heute Abend so bleich aus; geh' bald zu Bett,« sagte Celia in einem ganz gemüthlichen Tone, ohne eine Spur von Erregung.

»Nein, liebe Celia, ich bin sehr, sehr glücklich,« erwiderte Dorothea sehr innig.

»Desto besser,« dachte Celia; »aber wie sonderbar Dora von einem Extrem in's andere verfällt!«

Am nächsten Tage beim zweiten Frühstück sagte der Butler, indem er Herrn Brooke Etwas überreichte: »Jonas, der eben wieder nach Hause gekommen ist, überbringt diesen Brief, Herr.«

Herr Brooke las den Brief und sagte dann, indem er Dorotheen zunickte: »Von Casaubon, liebes Kind, er kommt heute zu Tisch; er hat sich nicht die Zeit genommen, mehr zu schreiben, – nicht die Zeit genommen, weißt Du.«

Es konnte Celien nicht auffallen, daß das zu erwartende Eintreffen eines Mittagsgastes ihrer Schwester vorher mitgetheilt wurde; als sie aber Dorothea bei der Bemerkung ihres Onkels ansah, wurde sie von der eigenthümlichen Wirkung, welche die Meldung ersichtlich auf ihre Schwester hervorgebracht hatte, frappirt. Es war, als ob der Wiederschein eines weißen, sonnenbeleuchteten Flügels über ihr Antlitz gefahren wäre, um alsbald einem, bei ihr so seltenen Erröthen zu weichen. Zum ersten Male kam Celien der Gedanke, daß doch hinter dem Interesse, welches Herr Casaubon und Dorothea an einander nahmen, vielleicht mehr stecken möchte, als seine Liebhaberei für gelehrte Vorträge und ihre Wonne, ihm zuzuhören. Bisher hatte sie Dora's Bewunderung für diesen gelehrten und häßlichen Mann auf eine Linie mit ihrer Bewunderung für Herrn Liret in Lausanne, der auch ein häßlicher und gelehrter Mann war, gestellt. Dorothea war nie müde geworden, dem alten Herrn Liret zuzuhören, während Celien's Füße eiskalt wurden und ihr der Anblick der beweglichen Haut auf der Glatze des Geistlichen ganz unerträglich war. Warum also sollte Dorothea sich nicht in derselben Weise, wie für Herrn Liret, auch für Herrn Casaubon begeistern? Und es schien ja, daß alle gelehrten Männer dieselbe schulmeisterliche Art, mit jungen Leuten umzugehen, hatten.

Aber jetzt hatte der plötzlich in Celien auftauchende Verdacht sie wirklich erschreckt. Es begegnete ihr selten, sich in dieser Weise überrascht zu sehen, da ihr wunderbarer Scharfblick für gewisse Symptome sie in der Regel auf Ereignisse, die ein Interesse für sie haben konnten, im Voraus gefaßt machte. Auch jetzt kam es ihr noch nicht in den Sinn, daß Dora Casaubon's Bewerbung bereits angenommen habe; aber der bloße Gedanke an die Möglichkeit, daß sich in Dora's, Gemüth etwas regen möchte, was zu einem solchen Ausgange führen könnte, erfüllte sie mit Widerwillen. Dieser Gedanke konnte sie wirklich gegen Dora verstimmen. Mochte sie immerhin Sir James Chettam's Antrag verwerfen; aber die Idee Casaubon zu heirathen! Celia empfand eine Art von Scham, welche durch den Eindruck des Lächerlichen, den ihr die ganze Vorstellung machte, nicht gemildert wurde. Vielleicht aber ließ sich Dora, wenn sie wirklich in Gefahr war, sich zu einer solchen Extravaganz hinreißen zu lassen, noch wieder davon abbringen. Celia wußte aus Erfahrung, wie sehr Dorothea sich von augenblicklichen Eindrücken beherrschen ließ.

Es war ein regnerischer Tag, sie gingen daher nicht spazieren, sondern begaben sich Beide auf ihr Wohnzimmer. Hier fiel es Celien alsbald auf, daß Dorothea, anstatt sich wie gewöhnlich mit ihrem eifrigen Interesse einer stetigen Beschäftigung zu widmen, sich an's Fenster setzte und, den Arm auf ein offenes Buch gestützt, nach einer von feuchtem Nebel umhüllten, hohen Ceder hinausblickte. Celia selbst beschäftigte sich mit der Herstellung eines Spielzeuges für die Kinder des Pfarrvicars und hatte keine Eile mit der Herbeiführung eines Gesprächs über den bewußten Gegenstand.

Dorothea ihrerseits sagte sich, daß es doch wünschenswerth für Celia sei, etwas von der wichtigen Veränderung, welche seit Casaubon's letzter Anwesenheit in seinem Verhältniß zu ihr eingetreten war, zu erfahren. Es schien ihr nicht in der Ordnung, Celia im Dunkeln über etwas zu lassen, was auf ihre eigene Haltung ihm gegenüber nothwendig von Einfluß sein mußte, und doch schreckte sie vor dem Gedanken, Celien die Sache mitzutheilen, zurück. Dorothea warf sich selbst diese Scheu als ihrer unwürdig vor; es war ihr immer zuwider, sich in ihren Handlungen durch kleinliche Besorgnisse und Rücksichten behindern zu lassen; in diesem Augenblicke aber rang sie danach, sich durch den höchsten Beistand gegen die Furcht vor der ätzenden Lauge der prosaischen Anschauungen Celien's zu waffnen.

Sie wurde aus ihren Träumereien aufgeschreckt und der Schwierigkeit eines Entschlusses überhoben, als Celia sie mit ihrer kleinen, etwas schnurrenden Stimme, im Tone einer beiläufigen Bemerkung fragte:

»Kommt noch außer Herrn Casaubon Jemand zu Tisch?«

»Nicht daß ich wüßte.«

»Ach, wenn doch nur noch Jemand käme! Dann brauchte ich es doch nicht so deutlich zu hören, wie Herr Casaubon seine Suppe schlürft.«

»Wieso, thut er das auf besondere Weise?«

»Beste Dora, hörst Du denn nicht, wie er seinen Löffel aussaugt? – Und wenn er etwas sagen will, blinzelt er immer vorher mit den Augen. Ich weiß nicht, ob Locke auch geblinzelt hat, aber wenn er es gethan hat, bedaure ich die, welche ihm gegenüber sitzen mußten.«

»Ich bitte Dich, Celia,« sagte Dorothea mit emphatischem Ernst, »mache solche Bemerkungen nicht mehr!«

»Warum denn nicht? Sie sind doch ganz richtig,« erwiderte Celia, welche ihre Gründe hatte, in dieser Weise fortzufahren, obgleich es ihr dabei ein wenig schwül zu werden anfing.

»Es giebt viele richtige Bemerkungen, welche aber doch nur von Menschen niedriger Sinnesart gemacht werden.«

»Wenn das der Fall ist, scheint es mir doch, daß die Menschen von niedriger Sinnesart auch ihr Gutes haben. Ich finde es bedauerlich, daß Herrn Casaubon's Mutter nicht eine niedrigere Sinnesart hatte, dann würde sie ihn vielleicht besser erzogen haben.«

Kaum hatte Celia diesen Wurfspieß geschleudert, als sie, eine innere Angst überkam und sie gern davon gelaufen wäre.

Dorothea's verletzte Empfindlichkeit war nachgerade so lawinenartig angeschwollen, daß von einer vorbereitenden Mittheilung jetzt nicht mehr die Rede sein konnte.

»Ich darf Dir wohl nicht länger verschweigen, Celia, daß ich mit Herrn Casaubon verlobt bin.«

Celia erbleichte, wie sie vielleicht noch nie in ihrem Leben erbleicht war. Der papierne Hampelmann, an dem sie gerade arbeitete, würde unfehlbar einen Schnitt in's Bein bekommen haben, wenn nicht Celien eine ganz besondere Sorgfalt für Alles, was sie unter Händen hatte, eigen gewesen wäre. Sie legte den Hampelmann sofort bei Seite und saß eine Weile unbeweglich da. Als sie wieder zu sprechen anfing, geschah es mit einer von Thränen erstickten Stimme.

»O Dora, ich hoffe, Du wirst glücklich werden.«

Alle übrigen Gefühle wurden bei ihr in diesem Augenblick durch schwesterliche Zärtlichkeit zurückgedrängt und ihre Besorgnisse waren nur von ihrer Liebe zu Dorotheen eingegeben.

Diese war noch gekränkt und aufgeregt.

»Die Sache ist also schon ganz abgemacht?« fragte Celia in einem ängstlich leisen Tone. »Und Onkel weiß es?«

»Ich habe Herrn Casaubon's Antrag angenommen. Onkel brachte mir den Brief, welcher den Antrag enthielt, wußte aber schon vorher von der Sache.«

»Ich bitte Dich um Verzeihung, Dora, wenn ich Dich durch irgend eine Bemerkung verletzt habe,« sagte Celia, leise schluchzend.

Was in ihr vorging, war ihr selbst ganz neu. Es war ihr, als handele es sich um ein Leichenbegängniß, bei welchem Casaubon als Geistlicher fungire, so daß es unschicklich sein würde, Bemerkungen über ihn zu machen.

»Laß es gut sein, Kitty, gräme Dich nicht; wir würden nie in unserem Urtheile über einen Menschen übereinstimmen. Es begegnet mir oft, in derselben Weise anzustoßen. Auch ich bin sehr geneigt, über Leute, die mir nicht gefallen, ein hartes Urtheil zu fällen.«

Trotz dieser großherzigen Erklärung litt Dorothea noch immer, vielleicht eben so sehr von Celien's resignirter Verwunderung wie von ihren kleinen kritischen Bemerkungen. Sie mußte sich sagen, daß die ganze Gesellschaft in und um Tipton diese Heirath nicht beifällig aufnehmen werde. Dorothea kannte Niemanden, der so wie sie über das Leben und seine besten Zwecke dachte.

 

Gleichwohl fühlte sie sich, noch ehe der Tag zu Ende ging, wieder sehr glücklich. In einer einstündigen, vertraulichen Unterhaltung mit Casaubon sprach sie sich unbefangener gegen ihn aus, als es ihr zuvor möglich gewesen war, und hielt auch nicht mit dem Ausdruck ihrer Freude über die Aussicht zurück, sich ihm ganz widmen und lernen zu dürfen, wie sie sich am Besten an seinen großen Aufgaben werde betheiligen und dieselben fördern können. Casaubon empfand ein nie gekanntes Entzücken – und welcher Mann würde nicht so empfunden haben! – über diesen kindlichen, rückhaltlosen Feuereifer. Es überraschte ihn nicht, – und welchen Verliebten würde es überrascht haben? – sich zum Gegenstande dieses Feuereifers auserkoren zu sehen.

»Mein liebes Fräulein, liebe Dorothea,« sagte er, indem er ihre Hände in die seinigen nahm, »nie hätte ich zu hoffen gewagt, daß mir noch ein solches Glück aufgespart sei; nie habe ich geahnt, daß es mir noch einmal beschieden sein würde, einer Persönlichkeit und einem Geiste zu begegnen, die so reich mit den mannigfachen Reizen ausgestattet wären, welche ein Ehebündniß wünschenswerth erscheinen lassen. Sie besitzen alle, ja mehr als alle die Eigenschaften, welche ich stets als die charakteristischen Vorzüge des weiblichen Wesens betrachtet habe. Der große Reiz Ihres Geschlechtes besteht in seiner selbstlos hingebenden Aufopferungsfähigkeit, und darum erkennen wir dasselbe als so ganz dazu gemacht, unser Leben zu verschönern und zu ergänzen. Bisher habe ich wenig andere Freuden gekannt, als die Befriedigung, welche ein einsamer Gelehrter in seinem geistigen Schaffen findet; ich fühlte mich wenig ausgelegt, Blumen zu sammeln, die in meinen Händen verwelkt sein würden; jetzt aber werde ich sie eifrig pflücken, um sie an Ihren Busen zu stecken.«

Nie hatte ein Mensch es mit seinen Worten redlicher gemeint; selbst die frostige Rhetorik des Schlusses war ein ganz so natürlicher Ausdruck der Gefühle Casaubon's, wie es für einen Hund das Bellen oder für eine verliebte Krähe das Krächzen ist. Würde es nicht voreilig sein, zu schließen, daß jenen Sonetten an Delia, welche uns anmuthen wie die dünnen Klänge einer Mandoline, keine ächte Leidenschaft zu Grunde liege?

Dorotheen's glaubensvolles Gemüth ergänzte alles das, was Casaubon's Worte ungesagt zu lassen schienen; welcher Gläubige hat je ein Auge für eine störende Auslassung oder für einen schlechtgewählten Ausdruck gehabt? Ein uns ehrwürdiger Text, rühre er nun von einem Propheten oder von einem Dichter her, erweitert sich für uns zu Allem, was wir in ihn hineinzulegen vermögen, und selbst seine schlechte Orthographie scheint uns erhaben.

»Ich bin sehr unwissend, Sie werden über meine Unwissenheit erstaunt sein,« sagte Dorothea. »Ich habe so viele Ideen, die vielleicht ganz falsch sind; und nun werde ich Ihnen alle diese Ideen mittheilen und Sie über dieselben befragen können. Aber,« fügte sie mit einer raschen Würdigung der wahrscheinlichen Empfindungen Casaubon's hinzu, »ich werde Sie nicht zu viel stören, – nur dann, wenn Sie geneigt sein werden, mir zuzuhören. Die anhaltende Beschäftigung mit den Gegenständen Ihres Werks muß Sie ermüden; es wird schon ein reicher Gewinn für mich sein, wenn Sie mich in diese Arbeiten einweihen wollen.«

»Wie sollte ich es wohl von nun an auf irgend einem Gebiete ohne Ihre Gesellschaft aushalten,« erwiderte Herr Casaubon, indem er ihre jungfräulichen Brauen küßte und es empfand, daß der Himmel ihm ein Glück gewährt habe, welches seinen besonderen Bedürfnissen durchaus entsprach. Unbewußt wirkten auf ihn die Reize einer Natur, welcher jede versteckte, sei es auf einen augenblicklichen Effekt, sei es auf entferntere Zwecke abzielende Berechnung völlig fremd war. Das machte Dorothea so kindlich und, nach dem Urtheil Einiger, trotz all ihrer viel gerühmten Begabung so beschränkt, wie zum Beispiel in dem vorliegenden Fall, wo sie sich, bildlich gesprochen, Casaubon zu Füßen warf und ihm wie einem protestantischen Papste seine altmodischen Schuhschleifen küßte. Sie dachte nicht entfernt daran, Casaubon zu veranlassen, sich selbst zu fragen, ob er gut genug für sie sei, sondern quälte sich nur mit der Frage, wie sie gut genug für Casaubon sein könne.

Bevor er Tipton-Hof am nächsten Tage verließ, war es ausgemacht worden, daß die Hochzeit in sechs Wochen stattfinden solle. Warum auch nicht? Casaubon's Haus stand bereit; Es war kein einfaches Pfarrhaus, sondern ein herrschaftliches Wohnhaus von beträchtlichem Umfange mit einem bedeutenden Stücke dazu gehörigen Landes. Das Pfarrhaus wurde von dem Pfarrvicar bewohnt, welcher mit Ausnahme der Morgenpredigten den ganzen Dienst versah.



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