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Zweites Buch.
Alt und Jung.


Dreizehntes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 13:

1st Gent.
How class your man? – as better than the most,
Or, seeming better, worse beneath that cloak?
As saint or knave, pilgrim or hypocrite?

2nd Gent.
Nay, tell me how you class your wealth of books
The drifted relics of all time.
As well sort them at once by size and livery:
Vellum, tall copies, and the common calf
Will hardly cover more diversity
Than all your labels cunningly devised
To class your unread authors.


In Folge der Mittheilungen Fred's entschloß sich Herr Vincy, Herrn Bulstrode in seinem Privat-Comptoir in der Bank um halb zwei Uhr Nachmittags, einer Zeit, wo er gewöhnlich nicht von anderen Besuchern in Anspruch genommen war, aufzusuchen. Aber dieses Mal hatte sich um ein Uhr ein anderer Besuch eingestellt, mit welchem Herr Bulstrode so viel zu sprechen hatte, daß wenig Aussicht dazu vorhanden war, diese Zusammenkunft schon in einer halben Stunde beendigt zu sehen. Herr Bulstrode sprach fließend, aber er war sehr wortreich, und verbrauchte viel kostbare Zeit mit kurzen Pausen des Nachdenkens.

Man darf sich sein kränkliches Aussehen nicht so vorstellen, als ob er zu der leberfarbenen, schwarzhaarigen Sorte gehört hätte; er hatte einen blonden blassen Teint, dünnes braunes schon etwas ins Graue spielendes Haar, hellgraue Augen, und eine große Stirn.

Lautredende Leute nannten seinen gedämpften Ton ein Flüstern, und gaben auch wohl zu verstehen, daß diese Art zu reden mit einem offnen Wesen unvereinbar sei, wiewohl doch in der That kein Grund vorhanden zu sein scheint, warum nicht auch ein lautredender Mensch beflissen sein könnte etwas zu verbergen, – natürlich mit Ausnahme seiner Stimme –, es wäre denn, daß aus der heiligen Schrift nachgewiesen werden könnte, der Sitz der Aufrichtigkeit sei die Lunge.

Herr Bulstrode pflegte beim Zuhören eine ergeben geneigte Haltung anzunehmen und seine Augen mit dem Ausdruck anscheinend gespannter Aufmerksamkeit auf den Redenden zu heften, eine Manier, durch welche Leute, die Werth auf ihre Aeußerungen legten, zu dem Schlusse veranlaßt wurden, daß er aus ihren Reden die größtmögliche Belehrung zu ziehen suche. Andere, welche keinen besonderen Werth auf ihre Aeußerungen legten, fanden diese Art, sie mit einer moralischen Laterne zu beleuchten, unangenehm.

Wenn man nicht stolz auf seinen Weinkeller ist, so gewährt es Einem keine große Befriedigung, wenn der Gast mit einer Kennermiene sein Weinglas gegen das Licht hält. Solche Freuden sind dem selbstbewußten Verdienste vorbehalten. Daher war die gespannte Aufmerksamkeit, welche Herr Bulstrode in der Unterhaltung mit Anderen an den Tag legte, den »Zöllnern und Sündern« in Middlemarch nicht angenehm; Einige schrieben Herrn Bulstrode's Art und Weise seinem Pharisäerthume, Andere seiner streng kirchlichen Richtung zu; wieder Andere wiesen auf die unbekannte Herkunft des Herrn Bulstrode hin, indem sie bemerkten, daß man bis vor fünfundzwanzig Jahren den Namen Bulstrode in Middlemarch nie habe nennen hören.

Seinem gegenwärtigen Besuche, dem jungen Lydgate, war der forschende Blick Bulstrode's ganz gleichgültig; er beschränkte sich darauf, sich eine ungünstige Ansicht über die Constitution des Bankiers zu bilden, und schloß, daß der Mann ein aufreibendes inneres Leben ohne Genuß an faßbaren Dingen führen müsse.

»Ich werde Ihnen außerordentlich verbunden sein, Herr Lydgate, wenn Sie mich hier dann und wann aufsuchen wollen,« bemerkte Herr Bulstrode nach einer kurzen Pause. »Wenn ich, wie ich zu hoffen wage, auf Ihren schätzbaren Beistand in der interessanten Angelegenheit der Hospitalverwaltung rechnen darf, so werden wir viele Fragen vertraulich miteinander zu verhandeln haben. In Betreff des fast vollendeten neuen Hospitals werde ich das, was Sie über die Vortheile einer speciellen Bestimmung desselben für Fieberkranke gesagt haben, in reifliche Erwägung ziehen. Die Entscheidung wird von mir abhängen; denn obgleich Lord Medlicote den Grund und Boden und das Holz für das Gebäude hergegeben hat, ist er doch nicht geneigt, sich persönlich weiter mit der Sache zu befassen.«

»Es giebt wenig Dinge, deren Unternehmung in einer Provinzialstadt mehr der Mühe lohnte, als der Bau eines schönen Hospitals für Fieberkranke,« erwiderte Lydgate. »Ein solches neben dem alten Krankenhause hier errichtetes Hospital könnte der Ausgangspunkt einer medizinischen Schule werden, wenn wir einmal unsere Reformen bekommen, und was wäre wohl geeigneter, auf eine gute medizinische Erziehung zu wirken, als die Verbreitung solcher Schulen im Lande. Jeder in der Provinz geborne Mann, der nur einen Funken von Patriotismus und höherem Interesse besitzt, sollte Alles aufbieten, um dem Hinströmen alles Dessen, was sich nur im Mindesten über das ganz Gewöhnliche erhebt, nach London, entgegen zutreten. Die, welche in ihrem Beruf gesunde Zwecke verfolgen, können darauf rechnen, in den Provinzen oft ein freieres, wenn nicht reicheres Feld für ihre Thätigkeit zu finden.«

Lydgate war mit einer Stimme begabt, welche, gewöhnlich tief und klangvoll, doch die Fähigkeit besaß, im rechten Augenblick sehr gedämpft und sanft zu klingen. In seinem ganzen Behaben prägte sich eine gewisse verve, eine zuversichtliche Erwartung des Erfolges, ein Vertrauen auf seine eigene Kraft und Redlichkeit aus, welches durch seine Geringschätzung kleiner Hindernisse und solcher Versuchungen, die ihm noch nicht nahe getreten waren, noch sehr erhöht wurde. Aber dieser stolzen Offenheit gab ein Ausdruck von natürlichem Wohlwollen etwas Liebenswürdiges. Vielleicht daß Lydgate Herrn Bulstrode nur um so besser gefiel, je verschiedener er von ihm in Erscheinung und Wesen war. Sicher ist, daß er ihm wie Rosamunden nur um so mehr gefiel, weil er ein Fremder in Middlemarch war. Man kann so Manches mit einem Fremden anfangen! – sogar anfangen, ein besserer Mensch zu werden.

»Ich werde mich freuen, Ihrem Eifer reichere Gelegenheit zu seiner Entfaltung bieten zu können,« entgegnete Herr Bulstrode. »Ich meine dadurch, daß ich Ihnen die Oberleitung meines neuen Hospitals anvertraue, wenn eine reifliche Erwägung aller in Betracht kommenden Fragen mich zu einem solchen Ergebniß führen sollte; denn ich bin entschlossen, mir bei der Verfolgung eines so großen Zwecks von unsern beiden Aerzten keine hindernden Fesseln anlegen zu lassen. In der That hoffe ich, Ihre Ankunft in dieser Stadt als ein ermuthigendes Anzeichen dafür betrachten zu dürfen, daß meine Anstrengungen, welche bisher auf einen vielfachen Widerstand gestoßen sind, fürderhin durch einen reicheren Segen werden belohnt werden. Bei dem alten Krankenhause haben wir schon fürs Erste gewonnenes Spiel – ich meine durch Ihre Wahl. Und nun hoffe ich, Sie werden sich durch die Furcht vor der Eifersucht und Abneigung Ihrer Collegen nicht abschrecken lassen, als Reformator aufzutreten.«

»Ich will nicht mit meinem Muthe prahlen,« sagte Lydgate lächelnd, »aber ich bekenne mich zur Freude am Kampfe, und ich würde keine Achtung vor meinem Berufe haben, wenn ich nicht glaubte, daß in ihm so gut wie auf irgend einem andern Gebiet bessere Methoden aufzufinden und in Wirksamkeit zu setzen wären.«

»Die Vertretung Ihres Berufes steht noch auf einer sehr niedrigen Stufe in Middlemarch, mein lieber Herr,« erwiderte der Bankier. »Ich meine, was Kenntnisse und Geschicklichkeit, nicht was gesellschaftliche Stellung anlangt; denn unsere meisten Aerzte sind mit respectablen Familien hier verwandt. Mein eigener mangelhafter Gesundheitszustand hat mich genöthigt, mich ein wenig mit den Linderungsmitteln zu beschäftigen, welche die göttliche Gnade für uns bereitet hat. Ich habe bedeutende Aerzte in der Hauptstadt consultirt und weiß daher leider! wie weit man in unsern Provinzialdistrikten noch in der Ausübung der ärztlichen Kunst zurück ist.«

»Ja! – bei dem gegenwärtigen Stande unserer medizinischen Erziehung und Praxis muß man sehr zufrieden sein, wenn man nur hie und da einem anständigen Praktiker begegnet. Was alle höheren Fragen anlangt, welche über den Ausgangspunkt einer Diagnose entscheiden, die Philosophie der medizinischen Untersuchung, so ist nicht die leiseste Ahnung von diesen Dingen ohne eine wissenschaftliche Bildung möglich, von welcher Landpraktiker gewöhnlich so wenig einen Begriff haben wie der Mann im Monde.«

Herr Bulstrode, der mit vorgebeugtem Körper und gespannter Aufmerksamkeit zugehört hatte, vermochte Herrn Lydgate in der Begründung seiner zustimmenden Erklärung nicht ganz zu folgen. Unter solchen Umständen lenkt ein kluger Mann die Unterhaltung auf ein anderes Gebiet, auf welchem er mehr zu Hause ist.

»Ich weiß,« sagte er, »daß es in dem Wesen der ärztlichen Geschicklichkeit begründet ist, sich vorzugsweise materieller Mittel zu bedienen. Nichtsdestoweniger hoffe ich, Herr Lydgate, daß wir in unseren Ansichten in Betreff einer Maßregel nicht auseinander gehen werden, bei welcher Ihre thätige Betheiligung wahrscheinlich nicht in Anspruch genommen werden wird, bei welcher mir aber Ihre mitwirkende Theilnahme von Nutzen sein kann. Ich hoffe, Sie erkennen das Vorhandensein geistlicher Interessen bei Ihren Patienten an?«

»Das thue ich gewiß; aber die von Ihnen gebrauchten Worte sind bei verschiedener Auffassung des Gegenstandes verschiedener Auslegungen fähig.«

»Ganz richtig. Und eben bei solchen Gegenständen ist eine falsche Belehrung ebenso verhängnißvoll wie keine Belehrung. Ein Punkt, der mir daher sehr am Herzen liegt, ist eine neue Regulirung der Seelsorge in dem alten Krankenhause. Das Gebäude steht in Herrn Farebrother's Kirchspiel. Kennen Sie Herrn Farebrother?«

»Ich habe ihn einmal getroffen; er hat mir seine Stimme gegeben, und ich muß ihn besuchen, um ihm zu danken. Er scheint ein sehr munterer, angenehmer, kleiner Mann zu sein und ist, wie ich höre, ein Freund der Naturwissenschaften.«

»Herr Farebrother, mein lieber Herr, ist ein Mann, an welchen man nicht ohne schmerzliche Gefühle denken kann. Ich glaube, es giebt keinen Geistlichen in diesem Lande, der mehr Talent besäße.«

Herr Bulstrode hielt inne und sah nachdenklich vor sich hin.

»Ich bin bis jetzt durch die Auffindung besonderer Talente in Middlemarch noch nicht schmerzlich berührt worden,« sagte Lydgate ganz ungenirt.

»Was ich wünsche,« fuhr Herr Bulstrode noch ernster fort, »ist, daß die Seelsorge des Herrn Farebrother durch die Anstellung eines Kaplans beseitigt werde, daß dieser Kaplan Herr Tyke sei, und daß kein anderer geistlicher Zuspruch benutzt werden möge.«

»Als Arzt würde ich über eine solche Angelegenheit keine Meinung äußern können, ohne Herrn Tyke zu kennen, und selbst wenn ich ihn kennte, würde ich doch erst wissen müssen, in welchen Fällen er seine geistlichen Dienste zu leisten haben würde.«

Lydgate lächelte, aber er war entschlossen, in seinen Aeußerungen behutsam zu sein.

»Natürlich können Sie die Bedeutung dieser Maßregel jetzt noch nicht ganz würdigen. Aber« – und hier fing Herr Bulstrode mit einer noch prononcirteren Emphase zu sprechen an – »aber sehr wahrscheinlich wird der Gegenstand vor den ärztlichen Vorstand des Hospitals gebracht werden, und da hoffe ich zuversichtlich darauf rechnen zu dürfen, daß Sie dem von uns in Aussicht genommenen Zusammenwirken entsprechend, sich, so weit es auf Ihr Urtheil ankommt, durch meine Gegner in dieser Angelegenheit nicht werden beeinflussen lassen.«

»Ich hoffe, daß ich mit geistlichen Streitigkeiten nichts zu thun haben werde,« erwiderte Lydgate. »Mir liegt nur daran, in meinem eigenen Berufe den richtigen Weg zu gehn.«

»Meine Verantwortlichkeit, Herr Lydgate, ist umfassenderer Art. Ich lasse mich bei der Beurtheilung dieser Frage in Wahrheit von dem Bewußtsein der Rechenschaft leiten, welche ich einem höheren Richter schuldig bin; während meine Gegner, wie ich mit gutem Grunde behaupten darf, darin nur eine Gelegenheit erblicken, ihrer Neigung zu weltlicher Opposition zu fröhnen. Aber ich werde deshalb kein Jota von meinen Ueberzeugungen aufgeben und nicht aufhören, für die Wahrheit einzustehen, welche von einer verderbten Generation gehaßt wird. Ich habe die Verbesserung der Hospitäler zu meiner Lebensaufgabe gemacht; aber ich bekenne Ihnen offen, Herr Lydgate, daß ich mich nicht für Hospitäler interessiren würde, wenn ich glaubte, daß es sich bei denselben um nichts als um die Heilung irdischer Leiden handle. Mich treibt etwas anderes zum Handeln, und ich werde daraus angesichts meiner Verfolger kein Hehl machen.«

Diese letzten Worte hatte Herr Bulstrode in einem aufgeregten und laut flüsternden Tone gesprochen.

»In diesem Punkte weichen unsre Ansichten von einander ab,« erwiderte Lydgate, war aber gar nicht böse, als jetzt die Thür geöffnet und Herr Vincy gemeldet wurde.

Dieser blühende, menschenfreundliche Mann war ihm interessanter geworden, seit er Rosamunde gesehen hatte. Nicht, daß er sich, wie sie, in Bildern einer Zukunft gefiel, in welcher ihre Geschicke untrennbar verknüpft sein würden; aber jeder Mann erinnert sich mit Vergnügen eines reizenden Mädchens und nimmt gern eine Einladung zu Tische an, wenn er sie wiederzusehen hoffen darf. Noch bevor er sich verabschiedete, hatte Herr Vincy ihn mit der Einladung beehrt, mit welcher er früher »keine Eile« gehabt hatte; denn – diesen Morgen beim Frühstück hatte Rosamunde bemerkt, es scheine ihr, daß ihr Onkel Featherstone den neuen Doctor sehr in Affection genommen habe.

Sobald Herr Bulstrode sich mit seinem Schwager allein befand, schenkte er sich ein Glas Wasser ein und öffnete eine Butterbrodsdose.

»Ich kann Dich nicht zu meinem Regime bekehren, Vincy?«

»Nein, nein, ich habe keine Meinung für Dein Regime. Der Körper will gepolstert sein,« sagte Herr Vincy, der selbst eine Illustration zu dieser Theorie abgab. »Aber,« fuhr er fort, indem er das Wort in einer Weise betonte, welche alles Nebensächliche beseitigen zu sollen schien, »was mich hieher geführt hat, ist eine kleine Angelegenheit meines Schlingels, des Fred.«

»Das ist ein Gegenstand, über den unsere Ansichten leicht so weit von einander abweichen dürften wie über Diät, Vincy.«

»Ich hoffe aber, dieses Mal wird das nicht der Fall sein.« (Herr Vincy war entschlossen, seine gute Laune nicht zu verlieren.) »Es handelt sich um eine Grille des alten Featherstone. Es hat sich Jemand das boshafte Vergnügen gemacht, dem Alten eine erfundene Geschichte zu erzählen, um ihn gegen Fred aufzuhetzen. Er ist Fred sehr gewogen und wird wahrscheinlich etwas Ordentliches für ihn thun, ja er hat Fred so gut wie gesagt, daß er ihm seinen Landbesitz hinterlassen wolle, und das erregt den Neid gewisser Leute.«

»Vincy, ich muß Dir wiederholt erklären, daß Du nie auf meine Zustimmung zu der Art, wie Du mit Deinem ältesten Sohne verfahren bist, wirst rechnen können. Du hast ihn lediglich aus weltlicher Eitelkeit für den geistlichen Stand bestimmt; mit einer Familie von drei Söhnen und vier Töchtern warst Du nicht berechtigt, große Summen auf eine kostspielige Erziehung Deines ältesten Sohnes zu verwenden, mit welcher Du auch keinen andern Erfolg erzielt hast, als den, ihm extravagante und müssiggängerische Gewohnheiten zu geben. Jetzt erntest Du, was Du gesäet hast.«

Die Fehler anderer Leute scharf hervorzuheben, hielt Herr Bulstrode für eine Pflicht, welcher er sich selten entzog; aber Herr Vincy war nicht im gleichen Maße geneigt, sich das ruhig gefallen zu lassen. Wenn ein Mann Aussicht hat, demnächst zum Mayor gewählt zu werden und in der Lage zu sein, im Interesse des Handels allgemeine politische Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen, so hat er natürlich ein Bewußtsein seiner Wichtigkeit für die Gestaltung der Dinge im Großen, welches ihm Fragen persönlicher und privater Natur von untergeordneter Bedeutung erscheinen läßt. Kein Vorwurf aber hätte ihn mehr reizen können, als der eben von Bulstrode ausgesprochene. Es war im höchsten Grade überflüssig, ihm zu sagen, daß er die Früchte seiner Handlungen ernte. Aber er fühlte Bulstrode's Joch auf seinem Nacken lasten, und so gern er sonst ausschlug, so hütete er sich doch in diesem Augenblick wohl, sich diese Herzenserleichterung zu verschaffen.

»Es ist unnütz, jetzt auf die Vergangenheit zurückzugehen, Bulstrode. Ich gehöre nicht zu Deinen Mustermenschen und habe auch nicht die Prätension, dazu zu gehören. Ich konnte nicht Alles voraussehen, was im Geschäfte vorkommen würde; es gab kein schöneres Geschäft in Middlemarch als unseres, und der Junge war begabt. Mein armer Bruder war Geistlicher und würde gut fortgekommen sein – hätte sicherlich eine Pfründe bekommen, wenn ihn das gastrische Fieber nicht weggerafft hätte – wäre heute vielleicht schon Dechant! Ich glaube, ich konnte mit gutem Fug thun, was ich für Fred gethan habe. Und wenn Du doch bei Allem die religiöse Seite hervorkehrst – so bin ich der Meinung, daß man nicht für Alles voraus sorgen, sondern der Vorsehung etwas überlassen soll. Es ist eine gute englische Gewohnheit, daß man sich immer bemühet, seine Familie auf eine höhere Stufe zu bringen; nach meiner Ansicht ist es die Pflicht eines Vaters, seinen Söhnen die Chance einer guten Carriere zu geben.«

»Ich glaube, als Dein bester Freund zu handeln, Vincy, wenn ich Dir sage, daß Alles, was Du eben ausgesprochen hast, eine Kette von weltlichen Thorheiten voll innern Widerspruchs ist.«

»Ganz recht,« sagte Herr Vincy, indem er seinem Entschlusse zum Trotz ausschlug, »ich habe mich nie für etwas anderes als weltlich gesinnt ausgegeben, und was mehr ist, ich kenne Niemanden, der nicht weltlich gesinnt wäre. Du führst doch wohl auch Dein Geschäft nicht nach, wie Du es nennst, unweltlichen Principien, nicht wahr? Der einzige Unterschied, den ich finden kann, ist, daß eine Weltlichkeit ein bischen honnetter ist als die andere.«

»Diese Art von Discussion ist unfruchtbar, Vincy,« erwiderte Herr Bulstrode, der, nachdem sein Butterbrot verzehrt war, sich in seinen Lehnstuhl geworfen hatte und sich die Hand vor die Augen hielt, als ob er erschöpft sei. »Du wolltest noch etwas Besonderes von mir.«

»Ja, ja, die Sache ist kurz die, daß Jemand dem alten Featherstone, unter Berufung auf Dich als Gewährsmann, erzählt hat, Fred habe, auf die Aussicht hin, den Landbesitz des Alten zu erben, Geld geborgt oder zu borgen versucht. Natürlich hast Du nie solchen Unsinn behauptet. Aber der alte Patron besteht darauf, daß Fred ihm eine von Dir geschriebene Erklärung bringe; – das heißt, ein Paar Zeilen, in denen Du sagst, daß Du kein Wort davon glaubst, daß Fred sich soweit vergessen haben könne, auf diese Weise Geld zu borgen oder auch nur den Versuch dazu zu machen. Ich denke, Du wirst nichts dagegen haben, das zu thun.«

»Verzeih! Ich habe allerdings etwas dagegen. Ich bin keineswegs überzeugt, daß Dein Sohn in seiner Unbedachtsamkeit und Unwissenheit – ich will mich keiner schärferen Ausdrücke bedienen – nicht versucht hat, sich auf seine künftigen Aussichten hin Geld zu verschaffen; und daß er nicht sogar Jemanden gefunden hat, der thöricht genug war, ihm auf eine so unbestimmte Aussicht hin Geld zu leihen. Solche Fälle von leichtfertigen Gelddarlehen kommen wie andere Thorheiten nur zu häufig vor.«

»Aber Fred hat mich auf sein Ehrenwort versichert, daß er nie auf die künftige Erbschaft seines Onkels hin Geld geborgt habe, und Fred ist kein Lügner. Ich will ihn nicht besser machen, als er ist. Ich habe ihn gehörig auf dem Strich und Niemand kann sagen, daß ich ihm durch die Finger sehe. Aber er ist kein Lügner. Und ich sollte denken – ich kann mich irren – daß keine religiöse Ueberzeugung Jemanden davon abhalten könnte, von einem jungen Menschen, so lange man nichts Schlimmes von ihm weiß, das Beste zu glauben. Das wäre eine schlechte Religion, die es in diesem Falle nicht zuließe, etwas Unrechtes, das man zu glauben keine Ursache hat, in Abrede zu stellen, und die Dich nöthigte, Fred durch die Weigerung einer solchen Erklärung etwas in den Weg zu legen.«

»Ich bin durchaus nicht sicher, daß ich als Freund gegen Deinen Sohn handeln würde, wenn ich ihm den Weg zu dem künftigen Besitze von Featherstone's Vermögen ebnete. Ich kann Reichthum nicht als einen Segen für Diejenigen betrachten, welche darin nur eine Ernte für diese Welt erblicken. Du hörst so etwas nicht gern, Vincy, ich halte es aber für meine Pflicht, Dir bei dieser Gelegenheit zu sagen, daß ich keinen Grund habe, einer Disposition über Eigenthum wie diejenige, von welcher Du sprichst, Vorschub zu leisten. Ich nehme keinen Anstand, es auszusprechen, daß dieselbe nicht zur Förderung des Seelenheils Deines Sohnes gereichen oder zur Ehre Gottes dienen würde. Warum sollte ich also eine solche Art von eidlicher Bescheinigung schriftlich ausstellen, die doch keinen andern Zweck haben würde, als den, eine thörichte Vorliebe zu nähren und ein thörichtes Vermächtniß zu sichern?«

»Darauf kann ich Dir nur erwidern: Wenn nach Deinem Willen nur Heilige und Evangelisten Geld haben sollen, so mußt Du auch einige vortheilhafte geschäftliche Verbindungen aufgeben,« platzte Herr Vincy heraus. »Es mag zur Ehre Gottes gereichen, aber es gereicht dem Middlemarcher Geschäft nicht zur Ehre, daß Plymdale sich der grünen und blauen Farben bedient, welche er aus der Messingfabrik bezieht, und welche die Seide anfressen – so viel weiß ich. Wenn die Leute wüßten, daß der daraus gewonnene Profit zur Ehre Gottes gereicht, so würden sie vielleicht mehr davon halten. Aber ich lege darauf keinen so großen Werth – sonst könnte ich einen gewaltigen Lärm schlagen.«

Herr Bulstrode wartete einen Augenblick, bevor er antwortete.

»Du betrübst mich sehr durch solche Reden, Vincy. Ich darf nicht erwarten, in den Grundsätzen meines Handelns von Dir verstanden zu werden; es ist schon keine leichte Sache, in den Verwickelungen dieser Welt den rechten Weg einzuhalten, noch viel schwerer aber, den Gedankenlosen und den Spöttern die Richtigkeit dieses Weges klar zu machen: Vergiß gefälligst nicht, daß ich gegen Dich, als den Bruder meiner Frau, Nachsicht übe und daß es Dir schlecht ansteht, Dich darüber zu beklagen, daß ich Deiner Familie materielle Hülfe versage. Ich muß Dich daran erinnern, daß Du es nicht Deiner Vorsicht oder Deiner Urtheilsfähigkeit verdankst, wenn Du Dich in Deinem Geschäfte behauptet hast.«

»Das ist wohl möglich, aber Du hast bis jetzt durch mein Geschäft noch nichts verloren,« entgegnete Herr Vincy sehr aufgebracht, wie er es, auch wenn er sich noch so fest vorgenommen hatte, ruhig zu bleiben, in der Regel zu werden pflegte. »Und als Du Harriet heirathetest, mußtest Du Dir sagen, daß unsere Familien für einander einstehen müßten. Wenn Du seitdem anderer Meinung geworden bist und meine Familie herunterkommen lassen willst, so thätest Du besser, es grade heraus zu sagen. Ich habe meine Meinung nie geändert, ich bin noch heute ein einfach kirchlich gesinnter Mann, grade wie ich es war, ehe die neuen Lehren aufkamen. Ich nehme die Welt, wie ich sie finde, im Geschäft wie in jeder anderen Beziehung. Ich bin zufrieden, nicht schlechter zu sein als meine Nachbarn. Aber wenn Du uns herunter kommen lassen willst, so sage es nur. Ich werde dann besser wissen, was ich zu thun habe.«

»Du sprichst unvernünftig. Kommt Deine Familie dadurch herunter, daß Du diesen Brief für Deinen Sohn nicht erhältst?«

»Nun gleichviel, ich betrachte es als sehr wenig hübsch von Dir, diesen Brief zu verweigern. Solche Dinge mögen, noch so schön mit Religion gefüttert sein, nach außen machen sie doch einen häßlichen, mißgünstigen Eindruck. Du könntest Fred eben so gut verleumden, wenigstens kommt es der Verleumdung sehr nahe, wenn Du Dich zu erklären weigerst, daß Du keine Verleumdung in Umlauf gesetzt hast. Dieses Wesen, dieser tyrannische Geist, der überall Bischof und Bankier spielen will, bringt den Namen eines Mannes in üblen Geruch.«

»Vincy, wenn Du durchaus mit mir in Streit gerathen willst, so wird das sowohl für Harriet wie für mich äußerst schmerzlich sein,« sagte Herr Bulstrode noch ein wenig eifriger und blasser als gewöhnlich.

»Ich will mich nicht mit Dir streiten. Es ist in meinem Interesse und vielleicht auch in dem Deinigen, daß wir gute Freunde bleiben. Ich habe keinen Groll gegen Dich, ich denke nicht schlechter von Dir, als von anderen Leuten. Von einem Manne, der aus Grundsatz hungert und so streng auf Familiengebete und dergleichen hält wie Du, darf man annehmen, daß er wenigstens an seine Religion glaubt. Du könntest ja Dein Capital grade so rasch mit Fluchen und Schwören umsetzen, wie es so Viele thun. Du magst gern commandiren, das steht fest, und wenn Du im Himmel nicht die erste Violine spielen kannst, so wird es Dir dort nicht gefallen. Aber Du bist der Mann meiner Schwester, und wir sollen zusammenhalten, und wenn ich Harriet recht kenne, so wird sie es Dir Schuld geben, wenn wir in Streit gerathen, weil Du in dieser Weise Mücken seihest und Dich weigerst, Fred einen Dienst zu leisten. Und ich muß Dir offen bekennen, ich werde es Dir nicht gut aufnehmen. Ich betrachte es als einen häßlichen Zug von Dir.«

Herr Vincy stand auf, fing an seinen Ueberrock zuzuknöpfen und sah seinem Schwager scharf ins Gesicht, indem er ihm so das Verlangen einer entscheidenden Antwort nahe zu legen meinte.

Es war nicht das erste Mal, daß Herr Bulstrode damit anfing, Herrn Vincy zu vermahnen, und damit aufhörte, ein sehr unbefriedigendes Bild seiner selbst in dem groben, wenig schmeichelnden Spiegel zu erblicken, welchen sein Schwager den feineren Lichtern und Schatten seiner Nebenmenschen vorzuhalten pflegte, und vielleicht hätte seine Erfahrung ihn voraussehen lassen können, wie auch diese Scene endigen würde. Aber eine reichlich gespeiste Fontaine spendet ihr Wasser, selbst wenn der Regen es mehr als überflüssig macht, und ein übersprudelnder Quell der Ermahnung hält mit seinen Spenden eben so schwer zurück.

Es lag nicht in Herrn Bulstrode's Natur, sich unbequemen Zumuthungen ohne Weiteres zu fügen; er mußte, bevor er sich bei solchen Gelegenheiten zu einer Zusage entschloß, sich immer erst seine Motive zurecht legen und dieselben mit seinen Grundsätzen in Einklang bringen. Endlich sagte er:

»Ich will mir die Sache ein wenig überlegen, Vincy, ich will mit Harriet darüber reden. Ich werde Dir wohl den Brief schicken.«

»Nun gut, so bald wie möglich, wenn ich bitten darf. Ich hoffe, die Sache kommt in Ordnung, ehe wir uns morgen wiedersehen.«



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