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Siebentes Kapitel.
Auf der Jagd nach zerbrochenen Knochen

In Millbank wurde der tragische Vorfall gehegt und gepflegt wie etwas, das der Stadt einen Vorrang unter den Nachbarstädten schuf, und die Hälfte der männlichen Bevölkerung hatte sich über Nacht in Privatdetektivs verwandelt. Für manche Mitglieder der Gemeinde dagegen bekam die Sache ein sehr ernstes Gesicht: die Tatsache, daß mit Hinsicht auf die Lösung des Geheimnisses so gut wie gar kein Fortschritt gemacht worden war, ließ sich nicht leugnen. Solche Leute wie McManus, der Grafschaftsanwalt und der Stadtadvokat betrachteten die Zeugenaussagen, die darauf abzielten, Oldbeg zu verwickeln, für nichts andres als ein Zugeständnis an die öffentliche Forderung, daß etwas geschehe, und für geeignet, die Wahrheit eher zu verschleiern als sie zu offenbaren. Sie waren unwillig über den ungerechten Verdacht gegen eine schuldlose Person, um so mehr, als sie bemerken mußten, wie sehr sich das öffentliche Gefühl gegen den Unglücklichen erregte.

In der Tat wurden unter denen, die es am wenigsten anging, Stimmen laut, die da meinten, wenn durch das Gesetz bloß Verzögerung entstehe, dann dürfte es die Pflicht der Bürger sein, die Ausübung der Justiz in die eigene Hand zu nehmen. Der Grafschaftsrichter war der erste, der auf die Gefahr für Stadt und Land aufmerksam machte, die sich aus dem losen Geschwätz einiger fauler Männer und grüner Jungen ergeben konnte.

»Es sind alle Vorbedingungen vorhanden, Ihrer Stadt eine größere Tragödie zu bereiten als die gewesene,« sagte er zu McManus am Tage nach der Gerichtssitzung. »Es wäre besser, der Schuldige ginge straflos aus, als daß er unter Verletzung des Gesetzes bestraft werde.«

McManus wandte sich scharf um in nervöser Erregung, die ihn die Person des Sprechers vergessen ließ.

»Der Schuldige? Der Schuldige? Kein Mensch ist schuldig, bis ihn das Gesetz für schuldig erklärt hat. Seit wann ist jener Verdacht für richtig erwiesen?«

Der Richter, welcher den Kummer McManus' über den Tod seines Partners und Freundes zu würdigen verstand, ließ den scharfen Ton der Antwort hingehen, beharrte jedoch bei seiner Ansicht.

»Für Klügeleien und Phrasen haben wir jetzt nicht Zeit. Von den Einwohnern Ihrer Stadt sind es durchaus nicht bloß die Tunichtgute, die Unmögliches erwarten; die allermeisten glauben, daß Trafford aufhören wird, noch ehe er Zeit zum Anfangen gefunden hat. Es muß also etwas getan werden, um ihre Ungeduld zu zügeln und Zeit zu gewinnen. Der Ersatz des Yankees für eine Tat nun ist, eine öffentliche Versammlung abzuhalten.«

McManus schüttelte den Kopf.

»Die dann aller Wahrscheinlichkeit nach mit Hängen endigte,« erwiderte er.

Als er indessen nach Millbank zurückgekehrt war, fand er dort so bedrohliche Zustände vor, daß er sich entschloß, mit den ersten Bürgern der Stadt Rats zu pflegen. Und fast natürlich war es, daß er als ersten Charles Hunter erwählte, den Inhaber der bedeutendsten Blockholzfirma.

Hunter war bereits im Alter von fünfunddreißig Jahren als erster Geschäftsmann anerkannt worden. Das von seinem Vater übernommene Geschäft hatte er verdoppelt und vervierfacht, seine Beziehungen erstreckten sich über den ganzen nördlichen Teil des Staates – bis nach Kanada hinauf. Als Präsident der Millbanker Nationalbank war er auch am Kollegium der Banken zu Augusta, Bangor und Portland beteiligt und als Mitglied im Stabe des Gouverneurs besaß er sogar den Rang eines Colonels – diesen kriegerischen Titel, mit dem so mancher durchaus friedlich gesinnte Gentleman besonders stolz tut.

»Zweifellos ist Trafford berechtigt,« sagte er, »uns für das Geld, das er bekommt, eine Vorstellung zu geben, und wir können es verstehen, wenn er uns mit solchen groben Scherzen kommt. Aber das geht doch zu weit, wenn ein unschuldiger Mann, um nicht zu sagen, der gute Ruf der ganzen Stadt auf diese Weise gefährdet wird. Die Episode mit dem Revolver, den er genau vierundzwanzig Stunden nach dem Morde fand, war schon mehr als ein kindlicher Scherz. Ich hätte nicht gedacht, daß man es einen Augenblick lang glauben würde.«

»Meinen Sie, Trafford habe den Revolver selbst dorthin gelegt?«

»Ich meine, er wußte gut, wann er ihn finden sollte und wann nicht. Jedenfalls fand er ihn zur rechten Zeit.«

»Ich glaube, daß Trafford für das Hervorbringen der Pistole nicht so zu tadeln ist wie Coroner Burke,« sagte McManus. »Ich paßte damals auf ihn auf, und ich glaube, er war unruhig bei seiner Frage.«

»Wer auch zu tadeln sein mag,« erwiderte Hunter, »der Mißgriff ist einmal begangen. Die halbe Stadt hegt die Überzeugung, daß Oldbeg der Mörder ist. Man flüstert sich auch zu, daß Mrs. Parlin ihn zu der Tat bestochen habe, um in den Besitz des Geldes zu gelangen, und der Umstand, daß sie den Knecht nicht sofort entlassen hat, wird als Beweis für die Richtigkeit dieser Vermutung angesehen. Schließlich erklärt man noch in tölpelhafter Logik, sie habe Trafford nur angenommen, weil sie ihn fürchtete.«

Bei dieser Feststellung der öffentlichen Haltung ging ein Schreck über McManus' Gesicht. Mrs. Parlin hatte wahrhaftig genug erlitten, als daß sie noch diese Ungerechtigkeit auf sich nehmen sollte.

»Aber sieht man denn nicht ein,« erwiderte er hitzig, »daß wenn dem so wirklich wäre, Trafford der letzte sein würde, der gegen Oldbeg Argwohn zeigt?«

»Man sieht eben gar nichts ein,« rief Hunter ungeduldig. »Man ist einfach auf das Hängen versessen. Trafford halten die Leute für zu pfiffig, um nicht die Sache in vierzehn Tagen aufgeklärt zu haben, und gleichzeitig halten sie ihn für einen so großen Narren, daß er sich verkauft haben soll. Oldbeg halten sie für schuldig, weil kein andrer da ist, der in Betracht kommen kann, und daher meinen sie, daß Trafford und Mrs. Parlin ihn schützen.«

Hunter sprach in etwas klagendem Ton, wodurch er viel von dem Gefühl ausdrückte, das in der Geschäftsgemeinde herrschte. Die Leute faßten es als eine wahre Schande auf, daß ein grundloser Mord unter ihren eigenen Augen geschehen konnte, ohne daß es binnen vierzehn Tagen gelang, auch nur den geringsten Fortschritt zur Klärung des Falles zu machen. In einer größeren Stadt hätte die Polizei Spott und Hohn geerntet, in diesem Falle hatte der Detektiv den ganzen Anprall der Beschwerden zu ertragen.

In seiner Besorgnis um den guten Namen der Stadt schlug Hunter schließlich vor, im Anschluß an die von der Stadt und der Grafschaft ausgesetzte Belohnung noch eine zweite Belohnung auszusetzen und zwar im Namen der Mrs. Parlin. Für einen ansehnlichen Betrag wollte er selbst garantieren.

»Ich denke übrigens,« sagte er, »wir sollten noch einen zweiten Detektiv heranziehen. Es kann nicht schaden, wenn Trafford eine Hilfe hat.«

»Oh, doch,« warf McManus ein, »die Angelegenheit in die Hände zweier Leute zu legen, ist gegen alle Prinzipien. Wir sollten erst den einen entlassen und dann den zweiten annehmen.«

»Wir haben bisher überhaupt keinen angenommen, auch den ersten nicht,« erwiderte Hunter rauh. »Wir können Mrs. Parlin nicht verbieten, einen Detektiv zu benutzen, wenn sie es wünscht, aber sie kann uns dasselbe ebensowenig verbieten. Von dem Dokument des Richters kann unser Mann, wenn wir einen engagieren, ja seine Hände lassen.«

McManus stutzte.

»Halten Sie dieses denn für gefälscht?«

Hunter machte ein Gesicht, als ob ihn die Frage ermüde. »Das ist wieder einer Ihrer Scherze. Ob das Papier nun gefälscht ist oder nicht, ist in Beziehung auf den Mord ganz gleichgültig. Es läßt sich nicht leugnen, daß das Dokument, wenn es eine Fälschung ist, eine Absicht damit befolgt, nach dem Tode der beiden Hauptbeteiligten jener Affäre bekannt zu werden. Es ist eine falsche Spur und soll eine solche sein.« –

An demselben Abend, an dem Charles Hunter das Engagement eines zweiten Detektivs erörterte, erhielt Trafford ein Telegramm mit der Nachricht, daß Charles Matthewson mit dem Nachmittagszuge Augusta verlassen habe und flußaufwärts gefahren sei. Sich zu vergewissern, daß er den Zug weder an der Hauptstation von Millbank noch an der Brückenhaltestelle verließ, fiel Trafford nicht schwer, aber dennoch hatte der Detektiv das unbestimmte Gefühl, daß jener in der Stadt sein müsse. Wenn dem wirklich so sein sollte, wem galt dann sein Besuch und warum kam und ging er so heimlich? Er vermochte freilich keinen rechten Zusammenhang zwischen der Verwandtschaft Wings mit Matthewson und dem Morde zu finden, aber dennoch konnte er sich nicht des Eindrucks erwehren, daß etwas Geheimes im Gange war, das er noch nicht ergründet hatte und dessen Ergründung zur Feststellung des Mörders führen mußte.

Etwa eine halbe Stunde vor Abgang des Zuges von Millbank verließ er das Hotel und begab sich die Canaan Street hinab bis zu ihrer Vereinigung mit der Somerset Street, von wo eine überdachte und mit Wänden versehene Brücke über den Fluß führte. An dieser Stelle stand hart am Rande des Ufers, fünfzig Fuß über dem Wasserspiegel, das kleine, steinerne Gebäude der Millbanker Nationalbank. Die Brücke und die Bank lagen in tiefer Finsternis, denn es war eine mondlose Nacht, und die Laterne am Eingang der Brücke nicht angezündet. Oberhalb der letzteren hörte man das Brausen und Toben der Wasserfälle und unterhalb derselben das beständige Plätschern des durch die hohen Felswände eingeengten Flusses.

»Teufel,« dachte Trafford, »es gibt ja nette Schleichwinkel hier in der Nähe der Stadt. Schade, daß ich kein Detektiv mit Ahnungsvermögen bin, ich würde dann gleich wissen, ob in jener Brücke eine Gefahr für mich lauert oder nicht.«

Er schritt in der Dunkelheit vorwärts, dem Fahrweg folgend, der zu beiden Seiten durch Bohlenwände von den Fußwegen abgegrenzt war. Als er ungefähr die Hälfte der Brücke überschritten hatte, wähnte er plötzlich in seiner Nähe die Anwesenheit andrer Personen zu fühlen, obwohl er sie weder sehen noch hören konnte. Er hielt inne, und – abgesehen von dem Plätschern des Wassers zu beiden Seiten – herrschte jetzt völlige Stille. Er hatte sich dicht an der Wand entlang geschlichen, so daß seine Figur sich nicht gegen die Öffnung der Brücke abhob, und war daher überzeugt, ebenso verborgen geblieben zu sein wie die andern Anwesenden.

Da hörte er in der Dunkelheit ein leises Geräusch wie das Stolpern eines Fußes. Zoll für Zoll kroch er ganz dicht an der Wand entlang vor, den Rücken derselben zugekehrt, bis er einen der schweren, senkrechten Pfeiler erreicht hatte, der seine linke Seite schützen konnte. Die Rechte hielt er zur Verteidigung bereit, denn das Geräusch sagte ihm, daß der Mann links von ihm nur wenige Fuß entfernt stehen mußte.

Und er hatte nur kurze Zeit so gestanden, als er plötzlich das scharfe Schwirren einer Keule in der Luft und gleich darauf den dumpfen Aufschlag derselben auf einen Körper vernahm. Ein lauter Schmerzensschrei durchgellte die Stille, dem unmittelbar die Worte folgten: » Sacré, c'est moi, Pierre!«

» Mon dieu! Où est le chien?«

Zwei Männer stürzten auf das Millbanker Ende der Brücke zu, in kanadischem Französisch hastige Worte ausstoßend, aus denen Trafford entnahm, daß der Verletzte fürchtete, seine Schulter gebrochen zu haben.

»Einer ist gekennzeichnet,« brummte Trafford in sich hineinlachend, als er im tiefen Schatten auf das andre Ende der Brücke zuschlich. Er wollte sich über die Frage, die ihm Sorge machte, Gewißheit verschaffen, und glaubte nicht viel Zeit auf einen Mann verwenden zu dürfen, den er am nächsten Morgen mit leichter Mühe ausfindig machen konnte. Die Frage, ob Charles Matthewson in Millbank war, erschien ihm zu wichtig, um sich nach einer andern Richtung in Anspruch nehmen zu lassen. Wenn Matthewson in der Stadt weilte, war er von Stund an seines Lebens nicht sicher.

Er begab sich über die Eisenbahnbrücke und erreichte den Bahnhof, ohne aufzufallen. Einem jeden der Passagiere, die den Zug bestiegen, sah er ins Gesicht, doch von dem Manne, den er suchte, fand er keine Spur. Als der Zug vor der Haltestelle an der Brücke die Fahrt verlangsamte, sprang er vom Wagen herab, aber in demselben Augenblick bemerkte er einen Mann, der sich auf derselben Seite hinaufschwingen wollte. Matthewson war es nicht, und Trafford wandte sich bereits gleichgültig von ihm ab, als ihm ein neuer Gedanke kam und er auf der hinteren Plattform wieder Platz nahm.

Dort stand er bis zur nächsten Station, wo er sein Quartier nach dem Gepäckwagen verlegte. Er hatte seinen Mann erkannt, nun galt es noch, seinen Bestimmungsort zu erfahren.

Wie sich erwies, war dies Waterville. Der Mann sprang in ein Privatfuhrwerk, das augenscheinlich auf ihn gewartet hatte, und fuhr in schneller Fahrt davon. Da gab es für Trafford nur ein Mittel, um dem Fahrzeug zu folgen und es in Sicht zu behalten: sich hinten an die Wagenachse zu klammern und auf Händen und Armen hängend die Fahrt ungesehen mitzumachen. Das tat er denn auch und legte so in kurzer Zeit eine halbe Meile zurück, bis der Wagen auf den Fahrweg eines großen Hofplatzes abbog, den der Detektiv als Eigentum Henry Matthewsons erkannte, eines jüngeren Bruders von Charles, der am Blockholzhandel stark beteiligt war.

»Aha!« sagte er, »diesmal ist er nur halbwegs nach Millbank gekommen und läßt sich hierher Nachricht bringen. Die Freude, meinen Tod zu erfahren, wird ihm aber diesmal nicht zuteil, obwohl es vor ein paar Stunden darauf abgesehen war.«

Und bevor der Tag graute, hatte er, mit dem Frühzug nach Millbank zurückkehrend, seinen Plan gefaßt. Der schwierigste Teil der Arbeit war gerade jetzt zu machen, und damit konnte er keinen andern als sich selbst betrauen. Seine Anschauung von der Wichtigkeit der Sache war seit dem Vorfall auf der Brücke bedeutend gestiegen, und er wollte nicht, daß durch ungeschicktes Vorgehen etwas verdorben werde.

Nach dem Frühstück begab er sich direkt in das Bureau Mr. Wings und bat McManus um eine Unterredung.

»Ich möchte noch einmal alle Papiere in Wings Geldschrank durchsehen,« sagte er, »und wenn Sie Privatpapiere von ihm haben sollten, auch diese. Bis jetzt sind wir ohne jeglichen Anhalt und haben dabei eine zweifache Aufgabe: Oldbeg von dem Verdacht zu reinigen und den wirklichen Mörder zu entdecken.«

»Dann lassen Sie also jeden Verdacht, daß Oldbeg etwas mit dem Morde zu tun habe, fallen?«

»Wenn man einen Gedanken, den man nie gehabt hat, fallen lassen kann, ja. In gewissem Sinne stand jeder einzelne dieser Stadt unter Verdacht – Oldbeg nicht mehr als andre. Dieser Streich jedoch war nicht das Werk eines so tölpelhaften Menschen wie Oldbegs. Wenn wir den Mörder finden, werden Sie sehen, daß er ein Mann von schnellen Bewegungen, feinem Empfinden, scharfem Geist und beachtenswerter Klugheit ist. Sie werden einen Mann finden, dem Mord etwas Widerwärtiges ist und der seine Zuflucht zu ihm nur nahm, weil ihm in der Verzweiflung nichts andres übrig blieb – sein Ein und Alles muß auf dem Spiele gestanden haben. Wenn Sie mir nunmehr sagen können, wo sich ein solcher Mann befindet, dann werde ich Ihnen noch bis heute abend so klare Beweise seiner Schuld liefern, daß niemand zögern wird, seiner Verhaftung beizustimmen.«

McManus war bleich geworden, während jener sprach. Ein schreckliches Bild stand ihm vor den Augen. Wie nie zuvor wurde ihm die verzweifelte Lage klar, in die er sich mit hineinverwickelt hatte.

»Es war dann also Ihrer Ansicht nach nicht gemeiner Gewinn, was zu diesem Verbrechen Anlaß gab?«

»Nein, denn wer hat einen Gewinn davon gehabt? Niemand. Dagegen ist jemand durch diesen Mord vor Verlust – vor schwerem Verlust bewahrt worden. Täuschen Sie sich nicht selbst. Betrachten Sie es nicht als gemeines Verbrechen und vor allem glauben Sie bloß keinen Augenblick lang, daß dieser Verbrecher sich vor einem weiteren Verbrechen zu seiner Verteidigung scheuen werde. Er sucht natürlich seiner Entdeckung vorzubeugen, denn wenn er entdeckt wird, ist alles für ihn verloren.«

McManus blickte ängstlich über seine Schulter zurück, als ob er den auf seine Verteidigung bedachten Mörder bereits zu erwarten habe.

»Welch einen Zusammenhang hat dann aber Richter Parlins Dokument mit dem Mord?« fragte er verstört.

»Das Dokument ist bloß Nebensache – ein einfacher Zufall, der durch seinen sensationellen Charakter und das fieberhafte Interesse des Publikums für den Mord und alles, was drum und dran hängt, seinen Platz behauptet. Mit dem Verbrechen oder der Ursache zu diesem hat es nichts zu tun. Ich glaube nicht, daß der Mörder von der Existenz dieser Urkunde etwas wußte. Immerhin aber kann es einer jener Zufälle sein, die schließlich zu Dingen führen, auf die sie zunächst gar keinen Bezug hatten. Und es ist möglich, daß wir gerade durch das Dokument auf die richtige Spur kommen. Wir wollen es darum keinen Augenblick lang außer acht lassen.«

Mr. McManus sah aus, als ob ihm die Warnung sehr unerwünscht komme. Er schien es zu bereuen, daß er sich überhaupt auf die Sache eingelassen hatte, und nichts sehnlicher zu wünschen, als davon freikommen zu können. –

Nachdem sie sich verabredet hatten, um drei Uhr die Papiere zu prüfen, verließ Trafford das Bureau und begab sich in ein kleines schmutziges Lokal, wo er fast gleichzeitig mit einem großen, schäbig aussehenden Mann zusammentraf. Augenscheinlich war es ein Kanadier und sein Französisch nur um ein Geringes schlechter als sein Englisch. Er war ein Mann, dem nur wenige getraut hätten, den Trafford aber immer durchaus vertrauenswürdig gefunden hatte.

Der Mann schüttelte energisch verneinend den Kopf. Nicht ein Mann aus Kleinkanada war vermißt worden; jeden, der irgendwie verdächtig war, hatte er in Betracht gezogen, aber keinen mit gebrochenem Schulterblatt oder zerschmettertem Arm gefunden.

»Aber es wohnen noch andre Kanadier in der Stadt – außerhalb Kleinkanada,« sagte Trafford mit einer Entschiedenheit, die jeden Zweifel ausschloß, »denn ein Kanadier war es, und es wäre das größte Wunder, das ich erlebt habe, wenn heute nicht einer von ihnen mit zerbrochenen Knochen herumliefe.«

Der Mann schüttelte den Kopf. Er hatte sie alle bis auf den letzten in Betracht gezogen.

»Glauben Sie denn, ich hätte geträumt oder Alpdrücken gehabt?« fragte Trafford in etwas scharfem Tone.

Der Mann zuckte die Achseln – den Ton der Frage abwehrend.

»Gut,« sagte Trafford schließlich, »fahren Sie denn mit dem Nachmittagszuge nach Augusta zurück und nehmen Sie dort Ihre Arbeit wieder auf. Ich werde diese Sache hier selbst untersuchen.«

Der Mann zögerte einen Augenblick. Dann trat er dicht an Trafford heran und sprach, seine Stimme herabdämpfend, mit ängstlicher Hast: »Sie laufen Gefahr, Mr. Trafford. Dies hier ist kein gewöhnlicher Fall. Sie wissen nicht, was Sie sich eingebrockt haben. Aber wo einer allein nicht gehen kann, da können sehr oft zwei gehen.«

»Jawohl, und einer kann mitunter da sicher schreiten, wo es für zwei eine Gefahr ist. Ich bin schon mein ganzes Leben lang Gefahr gelaufen, das ist einfach mein Geschäft. Oder meinen Sie etwa, ich hätte mir dieses Geschäft erwählt, weil es frei von Gefahren sei? Ich werde der Gefahr standzuhalten versuchen, wenn sie auf mich eindringt. Millbank erscheint mir augenblicklich als ein recht sicherer Ort. Ich glaube nicht, daß ich mir hier eine durchschnittene Kehle holen werde.«

»Aber Sie sind durchaus nicht willens, hier zu bleiben,« versetzte der Mann. »Nicht wahr, Sie beabsichtigen – –«

»Wir wollen es unterlassen, über meine Absichten zu reden,« widersprach ihm Trafford. »Wir wollen uns lieber solange wie möglich an die feststehenden Tatsachen halten. Das ist gescheiter. Ihr Zug geht in fünfzehn Minuten ab.«

Der Kanadier versuchte es noch einmal mit seinen Vorstellungen, aber die Disziplin behauptete sich, und er gehorchte ohne weiteres Räsonnieren.

*


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