Ludwig Eichrodt
Gedichte in allerlei Humoren
Ludwig Eichrodt

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Deutscher lyrischer Sozialismus(*)

I. Proletariers Frühlingslied
        Ha! wie grün sind alle Sachen,
Weit und breit!
Grün wie mein Lachen,
Grün wie mein Neid.
 
II. Proletariers Sommerlied
Ha! wie golden glänzt die Sonne –
Holde Fratze!
Schnödes Katzengold,
Es glänzt »für die Katze«.
 
III. Proletariers Herbstlied
Ha! wie saftig reifen Früchte
Gelb und rothe –
Während ich reife zum Zuchthaus,
Oder zum Tode.
 
IV. Proletariers Winterlied
Ha! wie glatt ist Eis und Schlittenbahn
Allerwärts!
Glatt wie eure Zunge,
Erfroren wie euer Herz.
 
V. Die Nähterin
In dem schwülen Erdgeschoße
Sitzt die kranke Nähterin,
Eine Arbeit auf dem Schooße
Für die kalte Herzogin.
Zwanzigmal ist schon der Faden
Ihr gerissen diese Stund,
Den sie aus des Bourgeois' Laden
Kaufte, abgespart dem Mund.

Ohne Nahrung vierzehn Tage,
Vierzehn Nächte saß sie da
In verzweiflungsvoller Lage,
Ohne daß sie Jemand sah.
Ihre armen Siebensachen
Sind von Thränen schmutzignaß,
O es ist dies nicht zum Lachen,
O es ist zum Weinen das!

Da erscheint mit rothem feisten
Angesicht der Mietsherr wild:
Zahlung soll sie heut noch leisten,
Zahlen dieses Engelsbild!?
Seht, wie sie mit dürren Händen
Klammert sich um seinen Bauch:
Lassen's Sie's nur heut bewenden!
Doch sie tritt der schnöde Gauch.

Und an diesem rohen Tritte
Bricht der Wimmernden das Herz;
Menschlich war doch ihre Bitte,
O Tyrann, kennst du den Schmerz?
Ohne Blumen, ohne Lieder
Wurde sie bei Nacht verscharrt
Doch das Scheusal grinste bieder
In der Menschen Gegenwart.

 


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