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Ich und Ding

Die Philosophie geht mit ihrer Frage nach dem Merkmal unseres Geschlechtes immer noch an dem Saum umher, allwo der Gedanke entspringt, das Bewußtsein des Bewußtseins, der Geist.

Von diesem vorgesetzten Ziel schreibt sie sich selber bestätigend den Brief ihres Rechtes: Weil ich denke, bin ich.

Humanismus und Reformation haben den vorher ständisch wie religiös eingegliederten Menschen in die Ich-Bestrahlung gestellt. Dem Gedanken vom denkenden Ich hat die Geisteswissenschaft die Herrschaft über alle Erscheinung eingeräumt, hat diese ihm preisgegeben, ja deren Eigenschein gelöscht im absoluten Licht der Erkenntnislehren: Weil Ich denke, ist das Ding. Noch enger: Soweit Ich denken kann, kann das Ding sein.

Sie merkte nicht, wie solche Inmittesetzung den Geist selber bedingte. Der wurde, wohl erhaben, vereinsamt und aus dem Samenboden der Natur in den Saal des Schemens Abstraktum verführt.

Das zur Gottheit ernannte denkende Ich kann die ihm aufgesetzte Krone nicht tragen und friert in dem entwesten Krönungsraum.

Es ist der große Abfall gewesen.

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Die Meister dieser um das Denkgesetz errichteten Lehrgebäude haben auch das Sittengesetz mit Systemen umbaut.

Doch, wie seltsam, es klafft ein Riß dazwischen. Beide sind fremdkörperlich gleichsam aus anderem Stoff in anderem Stil geschaffen. Sogar und zumal bei Immanuel Kant.

Behelfe müssen den Steg abgeben, etwa das »Noumenon« und die »Urteilskraft«. An Stelle der »reinen Vernunft« der einen großen Werkeshälfte wird die »praktische Vernunft« geschoben, welche sich keineswegs als natürlicher Sprosse jener darstellt, sondern ihr artwidrig bleibt trotz der mit schwerem Ernst versuchten Ableitung und trotz der Brückenwanderung über den »Vernunftglauben«.

Nachprüfende Einsicht zeigt, daß der Bruch und Knick im Schoß des ersten Teiles sitzt, daß dessen konstruktives Endgebilde unfruchtbar sein muß, wenn es sich wieder dem Ding und der Erscheinung ethisch, das heißt wirkend nähern soll zur Vermählung. Es ist ein Keimraub an ihm begangen worden.

Man setze einmal den kategorischen Imperativ aus der »Kritik der praktischen Vernunft« unvermittelt zurück in die Schlußkreise der »Kritik der reinen Vernunft«!

Sich selber rettend muß der hochgestiegene Königsberger Gedankeneremit auf dem Berg der Überschau aus den Ringen der rational-kritischen Formulierung sein Knie hinbeugen in die kategorienfreie Ehrfurcht, demütig geworden vor dem bestirnten Himmel über ihm und dem moralischen Gesetz in ihm. Dem logisierten Gedanken entronnen ahnt der Fühlende den Logos. Und das »höchste Gut«, der Strahlenkern, offenbarte sich dem Alternden als das Licht Gottes.

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Des Zwiespalts Rätsel?

In jedes ethische Lehrgebäude muß Erscheinung und Ding wieder mit eintreten, das heißt das Sein, nicht das Denken. Ethos kann kein gedanklich ätherisiertes Abstraktum bleiben; es braucht nicht so fast den Begriff, wie in diesem das Greifbare; auch kein »Als ob«, sondern den Wert. Wer das Konkretum auf dem Erkenntnisweg ausweist, vermag dies nicht ohne Gewalttat zurückzubringen zur lebendigen Formung des Erkannten.

Insgleichen wer das Auge der Erkenntnis für das Übersinnliche blendet, kann ihm dann keine Pflichtenwelt vorstellen, welche das metaphysische Destillat der Erkenntnis, die Einsicht braucht. Der allgemein zureichende Grund ist dieser genommen. Dem illusorisch zu ziehenden Ersatzkreis wurde der logische Mittelpunkt entzogen, das Sittengesetz nicht, wie Kant großzügig wollte, in den Primat gerückt, sondern in die Luft gebaut. Das verschobene Gottesbild leuchtet nicht mehr im eigenen Licht.

Dann kam Hegel, verlegte den unfundiert konstruierten Vorrang des Moralischen wieder ganz hinüber in den Intellekt. Von diesem aus ließ sich jetzt alles gestalten. Ding, Mensch, Universum wurden seine Manifeste, vom selbstgesetzten, selbstbewegten Geistesprozeß geschaffen und gelenkt. Die Allmacht des abstrakten Geistes wurde zum höchsten Wert, zum Ideogramm der schöpferischen Freiheit erhoben, welche einwärts gewendet wieder die Einfügung in des Gedankens unbeschränkte Gesamtgültigkeit bedeutete und auch den Maßstab der sittlichen Welt abgab. Schlußbegriff: irrationaler Intellekt.

Der staunenswerte Versuch, nicht nur das Ding, sondern den Kosmos mitsamt Gott zu einem »An sich« des menschlichen Gedankenspielwerks zu machen und den Gedanken in den Rang der absoluten Wirklichkeit emporzuführen, hatte eine solch faszinierende Kühnheit, daß er sich als Kulturidee in seiner Zeit festzusetzen schien. Der autoritative selbstgesetzliche Staatsbegriff holte sich sein Gerüst daraus; ja in seltsamer Umkehrung die materialistische Gesellschaftslehre des Karl Marx.

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Das verstoßene Ding hat sich auch schon in der philosophischen Wissenschaft und in der seelischen Chemie der Menschheit gerächt. Breit und tief ist diese seit Mitte des vorigen Jahrhunderts von einer entgeistet stofflichen Weltanschauung durchfiltert.

Von Kant und Hegel aus zerbröckelten die Nachfolger das metaphysische Urbedürfnis in Klitterung. Auf den Schultern der vordringenden Naturwissenschaft kamen über die Zwischenstufe des Pessimismus (Schopenhauer) und der Skepsis die naturalistisch positivistischen Lehren zur Vorherrschaft. Wir gerieten in eine Zeit der Versachlichung, unter die Diktatur der stofflichen Kausalität.

Die an solch trüber Welle erschrockenen Hüter der Geistesgesetze glauben zwar, der »Materialismus« sei als Lehre schon wieder »überwunden«, aber nüchterne Betrachtung findet einen gewordenen Zustand, Aggregatveränderung des ganzen Zeitwesens, für welche es absehbar keine Gegenquelle gibt.

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Es gilt die Versöhnung des Geistes mit dem Ding. Die zwei großen griechischen Weisen haben sie schon einmal im begnadeten Gesicht gesehen. Dessen Lichtfunke glühte auf über dem Weg, den die beiden, Lehrer und Jünger, miteinander gingen, an der Stelle, wo sie sich trennten.

Platon setzte das vielfältig erscheinende Ding in den Spiegel der Idee, der ureinfältigen im – kanonischen – Ziel vorgeformten und dorther wirkenden Form, in das Sinnbild. Das Ding kommt aus der Idee, nicht die Idee aus dem Ding. Die Idee ist außerhalb des Dinges. Indem dieses durch jene sich bildet, wird der Stoff, welcher sonst nicht ist, Seiendes. Er erhält seine Ursache und seinen Zweck vom Ziel her. Der Weg (der Verflüchtigung) geht noch zu Kant: bei ihm ist auch das Ding nicht Seiendes.

Aristoteles setzte den Spiegel der Idee in das Ding. Die Form wirkt handelnd am seienden Stoff, doch ist sie ihm dem leidenden Prinzip verhaftet, um zu erscheinen. Der Stoff, zum Zerfall geneigt, wird auch ursächlich, zweckhaft und zielbestimmt in Gesetzes Gestalt gebunden, wobei wundersam das Zerfallsprodukt zum coagulans, dem Bindungsmittel wird. Werden ist dieser Übergang des Stoffes in die Wirklichmachung des Dinges, darin – heiliger Ring – die Idee sich offenbart, der Formung Inbegriff, der Formen Urform im geteilten Schaufalt. Von hier geht kein Weg mehr zu Kant, aber ins Wesen der Erscheinung und ihrer Deutung. Es ist die Zauberschwelle, welche nur einmal in der Philosophie betreten worden ist. Die wahre Pforte aus der Welt des Realen in die Welt des Irrealen, von so wunderbarem Reiz, daß der Ankömmling nicht weiß, ob er von jener nach dieser, von dieser nach jener geführt wird.

Geist und Ding sind vermählt, die Pole geschlossen. Die göttliche Schöpfung ist denkbar und reif zum inneren und äußeren Widerspiel im Menschengeist. Reine Vernunft und praktische Vernunft finden sich gewaltlos im erkennenden und wirkenden Erlebnis, werden in diesem zur Dreieinigkeit.

Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir … beleuchten einander.

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(Es erweist sich der Grundirrtum, wie die beiden Philosophen lediglich als Väter des um Erkenntnis und Denkbegriff gehenden theoretischen Rationalismus abgestempelt wurden als keimfreie reine Intellektualisten. Verblendet von ihrem analytisch-dialektischen Apparat sah man nicht die Substanz.)


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