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Ethos der Philosophie

Die edle idealistische Philosophie hat auch ihre ethische Begründung und Gesetzgebung aus geistiger Sicht gegeben. Sie war darin, wie in vielem, Erbe der platonisch-aristotelisch-christlichen Philosophie. Aber indem sie die Substanz ihrer Geistigkeit verunwirklichte, den Gottbegriff, das primum agens, fand sie für ihr Gebot keinen lebendigen, das ist metaphysischen Inhalt. Hohe, hehre Moralgebäude stehen als Tempel ohne Gemeinde, so viel Huldigungen der Zunge außen dargebracht werden, so viel reine Bewunderung.

Ihr fehlte der belebende, das ist metaphysische Wärmekern der Liebe, welche auch dem höchsten »Begriff an sich« nicht innewohnt. Wesenloser Transzendenz konnte sie keine immanenten Zusammenhänge, keine Wirksamkeit mitgeben. Der Zwischenraum bis zum Menschen blieb leer.

Kant selber bezeichnete die Philosophie als »Lehre vom höchsten Gut, sofern die (praktische, nicht reine) Vernunft bestrebt ist, es darin zur Wissenschaft zu bringen«. Das höchste Gut war etwas in dem großen Denker, wie die Unruhe in der Uhr; und im opus postumum trieb es ihn wirklich wie Augustin wieder ganz in den metaphysischen Bereich des bestimmten Gottbewußtseins.

Aber erst jetzt tritt langsam dieser sein Kampf in das Bewußtsein der Zeit, welche bisher nur den kritischen Begrenzer der Denkwissenschaft im Vordergrund sah.

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Wenn der Mensch (dieses Buches stufenweiser Betrachtung folgend) auf Grund der Vergleichsgesetze, also auf dem Weg äußerer und innerer Einsicht den Glauben an das Urgesetz der Liebe erlangt hat, so ist sein Denken religiös bestimmt.

Wenn sich dieser Glaube durch das Evangelium gnadenhaft in ihm bestätigt hat, so ist sein Denken christlich bestimmt.

Sein Weltbild wie sein Selbstbild sind geformt, mystisch und rational, als Erlebnis und Erkenntnis, seelisch und geistig. Sein Wesen hat Grundlage und Ordnung erhalten, wird im Gesetz der Liebe zu dem was es ist, wesentlich.

Man mag an Ideen, an Formalien, Nominalien glauben und unberührt davon bleiben, man mag an ein höchstes Absolutum glauben, ohne einen Wandel zu erfahren, aber man vermag nicht an eine höchste Liebe zu glauben, ohne der Liebe zu werden. In diesem einen Fall, in diesem Kreis fällt der Glaube mit dem Gesetz zusammen.

Denn die Liebe ist keine Idee mehr, sondern Wirkung.

»Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.«

Das Evangelium verkündet: Gott ist Vater, der Mensch Kind. Das Gleichnis wurde Ereignis.

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Das »höchste Gut« des Philosophen wird dem Gläubigen das »höchste Gute«. Dieses ist die Wandlung und der Unterschied, dieses der Grund, warum keine idealistische, sondern die religiöse Formel zur Form gedeihen kann. Nur das Aktive vermag zu aktivieren. Es ist wiederum eine Erwärmung geschehen, die Gedankenorganisation zum Organismus geworden, gleichsam die vitalistische Schwelle übertreten. So wenig die Naturwissenschaft diese im sinnlichen Bereich bewältigt, so wenig eine Ideenwissenschaft im geistigen. Das gelingt einerseits nur dem Leben, der Natur, anderseits der Religion, der Wiederbelebung.

Ohne der Größe und dem Adel des Satzes etwas zu tun, stehe hier der kategorische Imperativ:

»Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.«

Daneben stehe:

»Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte. Dies ist das vornehmste und größte Gebot. Das andere aber ist ihm gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst. An diesen zwei Geboten hanget das ganze Gesetz und die Propheten.«

Brauchte es die Gedankenberge achtzehnhundertjähriger Geisteswissenschaft, um in einer kunstreichen Sprachfiguration zu bestimmen, was in herrlicher Einfachheit verkündet war?

Das Geheimnis des wundersamen Gegensatzes?: Matthäus 22 hat das zweite Gebot im ersten geborgen. Gleichsam die Kindschaft der Menschenliebe in der Vaterschaft der Gottesliebe. (Unser Werden in das Sein.)

Jener »kategorische Imperativ« erweist sich als eine leblose Umschreibung des vom πνευμα erfüllten Wortes.

Der deutsche Protestantismus hat sich mit der idealistischen deutschen Philosophie verschwistert, ja in einer seiner Schattierungen stellt er sich selber als dessen religiöse Verzweigung dar. Und dieser (einer Identifizierung nahe) Zusammenwuchs wird als Merkmal bevorzugter Geistigkeit betont. Besorgte Blicke sehen darin einen Schwund des christlichen Stoffes, des Objektes.

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Welcher Weg auch von 5. Mose 6, 5 und 3. Mose 19, 18 bis zu dem Wort! Dort sind die Gebote der Gottesliebe und der Menschenliebe unverbunden, jedes für sich befohlen. Nun ist die Religio des Evangeliums darin geschehen, die Knüpfung im neuen Bund.

»Das Gesetz war durch Mose gegeben, die Gnade und Wahrheit ist durch Jesum Christ geworden.«

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