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Das Joch Mammons

Das gröbst sichtbare Paradoxon des nach Einzelung trachtenden, nicht vom Du lösbaren Ich ist der Besitz; und in schärfster Prägung das Zeichen des Besitzes, das Geld.

Das durch alle jene Druckmassen des Lebens und der Natur gebundene Menschenwesen isoliert, verinselt sich durch Aneignung der Gebrauchsgüter. Der Drang unabhängig zu werden von der Umschnürung jener Mächte schafft eine eigene Macht, umbeugt des Einwesens Daseinskreis mit stofflichen Mitteln der allgemeinen Geltung.

Der Tausch und Gegentausch der Unschuldszeit, Sache gegen Sache, Notdurft gegen Notdurft, Gewicht gegen Gewicht, oder die ehrwürdige Stammgemeinschaft der Güter, oder das Lehen sind diesem Trieb gewichen. Die Menschengesellschaft hat ihre Kräfte auf die Wage »Übergewicht« und »Untergewicht« umgelegt und ihre Lebensformen darnach verschoben. Sie lebt gleichsam von der Beweglichkeit des Wagzüngleins, von der immerwährenden Differenz.

Das formale Tauschzeichen, das Geld hat den Begriff des greifbaren Gegenwertes zerstört wie den des patriarchalen Gemeinwertes. Die »Täuschung«, ein wohlabgeleitetes Wort, ist dieser Fingierung des Tausches entsprossen. Die Wirtschaft lockerte sich, der Handel setzte sich an die Maschen ihres Gewebes. Grundgut und erzeugende Arbeit fanden einander nur noch durch eine unstoffliche, unschöpferische Schicht der Vermittelung.

Auf das Gesetz ständig wechselnder Ungleichheit der Kräfte des »Ich« und »Du« gegründet ist der Besitz im Laufe seiner Geschichte mehr als zum Hilfsmittel zum Kampfmittel geworden. Vom »Kampf des Lebens« redend meint der Volksmund diesen rechtlich sanktionierten Streit und Widerstreit. Unter den Menschen hat sich daraus eine Luft der stummen Feindseligkeit erzeugt; und Arbeit wie Erwerb dienen einem Sicherungstrieb, welcher alle gegeneinander epidemisch ergriffen hat. Jeder sichert sich wider jeden, das ist der Sinn seiner ganzen Lebensmühe. Das Leben wird darin verbraucht, sich zu sichern, Einwesen gegen Einwesen, Sippe gegen Sippe, Gruppe gegen Gruppe, Stand gegen Stand, Wirtschaftsring gegen Wirtschaftsring, Volk gegen Volk, bis der Tod alle Sicherungen mitsamt der tragischen Selbsttäuschung zerschlägt.

*

Und hierin sitzt der seltsame Widerspruch. Jener Drang der Verinselung und Sicherung wird in sich selber zum Zwang, der Schutzgürtel zur Fessel. Nichts, außer der Tod, hat die gens humana so unzerreißbar aneinanderverkettet, ineinandergeklebt wie das trennende Geld.

Jener Glaube, der in ihm den Dämon sieht, trifft sein Wesen. Weil es eine Fiktion, ein immerhin geistiges, aftergeistiges Gebilde ist, darum hat es mehr als sachliche Kraft, hat ein Faszinans übersinnlicher Art an sich. Gold, das stofflich unveränderliche Metall, ist Wertsymbol für das metaphysische Ungenüge des vergänglichen Besitzers, Scheinzeichen der Dauer, Trugmittel der Bereicherung, d. i. der Erfüllung im »Reich«. Es hat alle Merkmale des Fetischs an sich, ist Scheidemünze des nie käuflichen Gutes, unten gleißender Glimmer des oben zu suchenden Lichtes. Das ist seine Gewalt, ohne daß die davon Beherrschten es merken, in der stofflichen Täuschung verstrickt. Die Mächte der Unterwelt hüten und geben seinen Trug herauf. Man denke an den »Hort«, den »Schatzgräber«, den Berg »Sesam«, den »Alchimisten«, den »Teufelslohn«. Auri sacra fames. Um dreißig Silberlinge wurde vom Heillosen der Heilbringer verraten.

Das Gesetz aber besagt: Scheinbares Gut muß Übel werden. Geld hat mit seiner hypnotischen Zersetzung, mit seinem Scheidewasser eben unser Zeitalter so tief durchätzt, daß wir vor den gewaltigsten Beben und Verlagerungen unserer Weltordnung stehen.

Seine Vergötzung hat die Entgeistung gebracht und die Mehrheit der abendländischen oder abendländisch kolonisierten Menschen ins Joch geworfen, wie keine Sklaverei noch Frohn der Geschichte es getan hat. Denn der Lohnarbeiter als Masse ist irgendwie auch Bestandteil des Besitzes, das heißt ein ziffernmäßig eingesetzter Wert, und ein zwangsläufig ihm zugeteiltes Betriebsmittel.

Sie ist schuld, daß heute die Überzahl der Lebendigen verarmt dasteht, nichts ihr eigen nennend außer der vom Hunger erzwungenen Arbeit, der Not und dem Neid, daß die Verarmung viel ärger haust als je, weil auch der innere Trostesbesitz des gläubigen Zeitalters ausgenommen worden ist. Sie hat die Sorge geschaffen, jene trübste, lähmende, zehrende Macht, deren Hand den von ihr Heimgesuchten das Brot vor den Augen zerkrümelt. Sie nahm das Selbstvertrauen und das Weltvertrauen aus den Herzen. Die Schlafstuben wurden zu Kammern lastender Träume. Es kam die Verderbnis der Wirtschaftssitte. Diese wurde unsittlich. Der Tausch wandelte sich wirklich zur allgemein vorausgesetzten und allgemein geübten Täuschung. Als Geschwister des im Gesetz verhafteten Betruges schlich sie sich ungreifbar ein, zäh an dem Begriff Ware klebend. Das Mißtrauen schlich mit ein und versäuerte die gegeneinander konventionell unredlich gewordene Gesellschaft.

Sie hat auch die scheinbar Schuldlosen in die mammonistische Gemeinschuld eingemischt. Jeder Vorzug, jedes eigene Gärtlein, jede freundliche Stube, jede Zier, jede Muße, jeder Genuß, jedes an sich reine Geschäft lenken die Augen des Gewissens in die darunter lagernde Masse des Elends hinunter.

»Daß ich hoch im Lichte gehe,
Müssen tausend Füße bluten,
Tausend küssen ihre Ruten,
Tausend fluchen ihrem Wehe;

Müssen tausend Hände weben
Tief im Dunkel Himmelsgaben;
Tief in Schmutz und Nacht vergraben,
Tausend ihrem Gott vergeben.«

Wilhelm Weigand

*

Wohl war auch Hab und Gut einmal Lebendiges, naturhaft Schönes, Glück Spendendes, Wert und Form Schaffendes. Der ehrwürdig edle Begriff des Bürgers, des in der Gemeinschaft sein Werk schaffenden Menschen wuchs daraus, Kultur, Zeitfarbe, Marktplatz und Dom. Im Boden des gewaltlos Gewirkten, auf dem Grund »Treu und Glauben«, als das vom geachteten Gesetz Gegebene und Hingenommene, hatte der Besitz seinen gewachsenen Sinn. In maßvoller Mehrung und gemäßigtem Gebrauch konnte man ihn zeitliche Wohltat heißen. Wer bürgerlich in einem Bürgerhaus geboren, aus einem Familienschrank sein Hemdlein angezogen erhielt, in eines Vaters Garten Birnen aß, hat die Luft solchen Eigentums im Blut, er nennt es Heimat. Aber auf dem im Rennverkehr zusammengeschrumpften Erdball gibt es auch den Begriff Heimat nimmer, wie der Begriff Ferne mit geschwunden ist, und die Gestalt des Bürgers verkommen.

Freilich ist nach außen gesehen der Besitz Antrieb dessen geworden, was man Zivilisation nennt. Er hat den Völkern, eben durch jenen irrationalen Einschlag, Blütezeiten geschenkt und farbig große Zeiten. Auch unseren dinglich gerichteten Zeitintellekt schob er durch seine Reibung empor. Die Maschine war ihm in dieser Arbeit des »Fortschritts« Gehilfe.

Die ganze Erde mit ihren Kontinenten und ihren Erdschätzen sind heute bezifferte Gegenstände Mammons, des Geldes, das schließlich selber zur Ware sich wandelte, nun im Selbstzweck sich teilt und sucht, zusammengerinnt und sich ballt. Anreicherung und Verarmung ganzer Nationen sind Ergebnisse dieser Entwicklung. Reichtum wurde etwas Anonymes, Maskiertes, ein Gruppengespenst von unangreifbarer, in alles eingreifender Gewalt, und die ihm dienen, sehen nicht sein Gesicht, sondern nur seine automatenhaften Gliedmaßen. Die autonome Wirtschaft ist Sklaven haltender Staat im Staat, sie wälzt den Block ihrer verschweißten Interessen über die Grenzen; und nennt sich so im selben Paradoxon des Naturgesetzes schließlich Friedensstifterin, dieweil sie doch aller Feindschaft Streitball ist.

So rasch, so erstaunlich und brutal phantastisch geilte das umhegte Besitzrecht aus, daß jetzt Schrecken von ihm geht. Deutschland ist mit seinem Schicksal dafür Sinnbild geworden.

Die derart einseitig gedunsene Art der Güterteilung läßt sich naturgesetzlich nicht mehr halten, trotz dem historisch darum gebauten Corpus juris civilis. Ob sie will oder nicht, die Zeit Mammons ist reif. Wir stehen im Beginn großer geschichtlicher Umschichtung; unsere Kinder, vielleicht erst die Enkel werden sie wissend zur neuen Form bringen müssen.

Diese Umschichtung ist notwendig nicht zuerst um der wirtschaftlichen Naturordnung willen, sondern zur Wiederherstellung der verdorbenen Geistesordnung. Das Minderwertige, das aus dem Stoffbereich in den seelischen Bereich vorgedrungen ist, muß zurückgedrückt werden.

*

Freilich und darum wird es nicht jene politisch-mechanische Teilung sein, welche in scheinbar so elementaren Zeitbewegungen gefordert wird. Sie wäre Zerbröckelung, Atomisierung des Gutes.

Denn nicht heißt die Frage: Wie teile ich, sondern wie erhalte ich den Segen der Teilung, wie bewahre ich der Habe den Keim und die Frucht, wie die gemeinsam dienende Gestaltung und zugleich die einwesentliche Kraft?

Der »Kommunismus« (ja, als Gesamtforderung gedacht, auch der scheinbar geistgesetzlich formierte Sozialismus) sind Negativa, Destructiva, weil ungeistig, vom Stoff gekommen. Nicht ungefähr haben sich die Beiden demonstrativ dem materialistischen Atheismus verbündet.

Sie machen aus der Tilgung des Besitzes eine Machtfrage, wie dieser selber schon schauerlich genug eine gewesen ist.

Wer glaubt noch mit den Kräften des Mechanos, vom Stoff aus sei etwas zu retten, Wirtschaft und Gesetzgebung, von oben oder von unten geformt, vermöchten einen heilsamen Wandel herbeizuführen?

Das Gesicht der Menschheit sieht falsch, in die Verblendung gerichtet. Es wird falsch gerichtet bleiben, auch wenn man es gewaltsam auf dem Hals umdreht; dann blendet es der Spiegel, das Diapositiv des gleichen Gleißes.

Nur eine stille Wendung braucht's, so wie die Sonne das Gesicht der Blume zu sich dreht. Diese Wendung aber wirken andere Gesetze und anderen Lichtes Zug.

Nur einmal, einen Lidschlag lang, sollten wir unter uns, einer dem andern, ganz ins Angesicht schauen, das Häutlein von der Pupille gelöst, und den letzten Raum des Wesens wechselnd aufgetan, tief im Zeichenraum des »Ich« und »Du«.

Die große Frage riefe plötzlich aus uns: Was umdunstete uns, daß wir für Freiheit hielten, was uns band, für Unabhängigkeit, was uns knechtete, für Macht, was Kind der Feigheit war, für Sicherung, was uns Freundschaft einriß und Feindschaft reizte, für Riegel was uns die Truhe der andern verschloß, daß wir Besitz nannten, was uns zu Besessenen machte, Reichtum, was das Reich in uns entgoldete?

Licht der Erkenntnis befiele uns, welche Bettler, gering, unsauber, übelriechend wir waren, als wir dem Fetisch unser Leibes- und Geisteswesen hinwarfen, wie wenn es das Noumenon der Erlösung wäre.

*

Die Magie des Goldes wäre entzaubert. Der Herr der Welt war wieder zum Knecht gemacht, der Dämon ins Fell des Pudels zurückgebannt.

Die würdige Herrschaft wäre wieder hergestellt: Jede Macht und jedes Recht des Besitzes hat der lautere Geist, nach dem Evangelium in sich selber arm geworden.

Die wahre Eigentümerin alles Gutes und aller Güter, die Phantasie betritt ihr Reich. Die sternäugig Gewordenen wird kein Metall mehr blenden.

Die Weisen haben es gezeigt und sind die zeitenhaft Reichsten gewesen. Sokrates ging im schlechten Mantel zum Gastmahl des Agathon. Er wußte es: »Man hat Reichtum und Armut nicht im Haus, sondern in der Seele.« Und vom reichen Freund gefragt, ob auch er der freiwillig Arme etwas zu verschenken habe, antwortete der Wohlbewußte: »Ich kann Dir etwas Genügsamkeit borgen.«

Es ist nicht das Wichtige, ob wir unser Leibliches dem Joch der goldenen Täuschung entwinden, ob wir uns gesellschaftlich untereinander entlasten, leichter und geräumiger werden. Vielmehr darum geht es, daß unser geistiges Teil den Trug abwerfe und Flügel gewinne, in eine geklärte Ordnung des Lebens zu steigen.

Freilich bis zur Weisheit ist es ein schwererer Weg als bis zum Reichtum. Denn hier ist der Schleier der Maja zu durchtreten.

»Mensch werde wesentlich!« Was hat im Wesen noch Platz?

Doch ach, was auch ist Sokrates, was Angelus Silesius gegen den Geistesinhalt eines neumenschlich gefüllten Hochhauses?

Die gemeinsame geistige Selbstverarmung. Wer getraut sich daran zu glauben? Und doch ist sie die Voraussetzung jener notwendigen Wandlung, also selber notwendig. Sie wird nicht aus der naiv törichten Abschaffung des Besitzes kommen, sondern aus dessen zurechtgewiesener Wertung.

Die geistig bewußte Durchgliederung der Arbeit, die Rückwandlung zur in sich wieder sinnvollen, handwerklich, zünftig, ständebewußten Arbeit kann ihr Erzeugnis sein. Die übergewinnlose Arbeit (im Gegensatz zum jetzt arbeitlosen Übergewinn). Veredelte Elemente des entarteten Begriffs Bürgertum dürfen darin wirken. Und der Mensch kommt hervor, um den es ja allein schließlich geht.

Die Gemeinschaft, der bewußt gewordene Schicksalsbund der »Ich« und »Du« ist der Kristall der gereinigten Ordnung, von innen, nimmer von außen zusammengeschlossen.

Und bald stünde wohl die Erkenntnis in den Augensternen, daß wir wirklich in einer tieferen Einheit geboren sind, als wir bisher sahen, daß wir von einem heiligeren Gesetz als dem alleinigen des Stoffes und von ewigerem Gleichnis in den Adern unseres Lebens durcheinandergeflochten sind; Menschengesicht schaute sich in Menschengesicht, Menschengeschick würde sich dem Menschengeschick nicht mehr ankleben, sondern verschwistern.


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