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Die Religionen

Lessing hat im Nathan dem Weisen das Gleichnis von den drei Ringen gebracht. Unter dem Deckwort der Toleranz hat sich daraus im liberalen Zeitalter eine allgemeine These gerundet: Es kommt nicht darauf an, zu welcher Religion der Mensch gehöre, denn in allen schlummert gleiches göttliches Wesen.

Auch in der Geistesnot dieser Tage werden Untersuchungen angestellt, die gemeinsame Grundlage zu finden, man glaubt ein eklektisches Fundament erneuten metaphysischen Gefühls fügen zu können. Die vor sich gehende Zivilisationsmischung der Nationen und Rassen begünstigt den Vorgang.

Man denkt an ein religiöses Pantheon. Ernste Bücher werden geschrieben, worin die Lampen aller historischen Lehrgebilde nebeneinander gestellt sind, gleichsam vor Altäre eines Heiligtums. Die Stifter werden zu etwas gemacht wie Heilige, welche zusammen ein neues göttliches Einsymbol darstellen sollen. Laotse, Konfuzius, Zaroaster, Brahma, Buddha, Jahwe, Walhall. Auch Christus ist dabei. Aber fragt der Leser sich nach der Lesung, vor welchem Licht er knien solle, steht er in Verwirrung.

Es ist etwas wie der Versuch einer allgemeinen religiösen Ökumene, auf einer religiös-philosophischen Synthese gegründet, gewiß auch großräumig gegen das materialistische Weltbild frontiert, eine Konfusio der Konfessionen, zugleich mit dem Ziel das Allmenschliche zu umfassen.

Die Frage nach dem Woher braucht nicht weit zur Antwort zu gehen: Es ist die nun an sich selber müd gewordene Aufklärung, eben der Liberalismus. Nachdem diese beiden Geschwister den Kern des Christentums zerrieben haben und sein Wesen verflüchtigt, sehen sie erschrocken die entstandene Notdurft und das Vakuum. (Denn soweit hat der Verkünder vom Untergang des Abendlandes recht: Der Religionsschwund ist das Zeichen des Zerfalls.) Zur vorher verworfenen, ausgehöhlten Kirche kann man zum Teil aus Mangel an Demut nicht mehr zurück, so nimmt man die Zuflucht zum relativen Kompromiß und spricht von der Heraufkunft einer neuen Weltreligion, nicht wissend, daß sich das neue Heidentum schon breit in deren Stuhl gesetzt hat.

Wer wirds vollbringen, aus den Nebeln von Sternsplittern eine Sonne zu schaffen?

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»Eine Wahrheit ist es, die gleich einer festen Achse gemeinschaftlich durch alle Religionen und alle Systeme geht: »Nähert Euch dem Gott, den ihr meinet!«

Auch der Idealismus Schillers, des Schaffers der großen deutschen dichterischen Form hat die religiöse Form seltsam im letzten innersten Bereich nicht gefunden, und sagt doch mit nahezu den gleichen Worten dasselbe, was Meister Eckart mit seinem Gebot: »Klaffe nicht von Gott!«

Allein der große, edle, fromme Wille, welcher unter dem Stoffgeist sich wieder regt, ist des Grußes der Christen wert. Die unsichtbare Kirche wirkt. Nur darf die Christenheit in sich selber das Bewußtsein eigener Gestaltung nicht preisgeben, muß diese behaupten, festigen und lebendig machen.

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Ja die großen Religionen des Orients unternehmen es, in das Abendland einzurücken, und finden Boden.

Das einzige entscheidende Gut des Vergleiches, welches das Christentum gegen sie hat, ist das Gesetz der Liebe. Fassung und Wesen, worin sein Evangelium dieses gibt und zum Zentrum und zum Kreis seiner religiösen Erscheinung macht, sind Erfüllung des Begriffs von Gottes- und Menschenliebe.

Die Liebe, in Gestalt der christlichen Agape, ist das Medium (man kann nicht mehr Mittel sagen) und die Substanz der Erlösung des stofflich bestimmten und geistig berufenen Menschen. Sie ist die Weise der Anschauung des Göttlichen und der Wertung des Irdischen, diese einbeschlossen in jener.

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Die Gemeinschaft (der Nächste) hat in allen religiösen Botschaften ihre ethische Forderung erhoben. Indes gewissermaßen noch aus naturgesetzlichem Motiv, wenngleich sich dieses etwa bei Sokrates-Platon idealistisch darstellt, das heißt um des Selbstwertes willen, welchen das Gute inneträgt. Allerdings zeigt sich so die metaphysische Bindung des Akademikers an, in der »Politeia«, wie in den »Nomoi«. Die Stoa sieht die menschliche Sozietät schon als Ausfluß der Gemeinschaft mit dem Göttlichen und erklärt das Instrument, das Recht, als aus Gott begründet. Allein auch diese spiritualen Deutungen der damaligen Philosophie sind Vorformen der im Evangelium erscheinenden Form.

Der Begriff der Gerechtigkeit, ein gesichtloser, neutraler Pflichtbegriff ist der kühle Kern der hellenischen sozialen Ethik, wenn von einer solchen überhaupt geredet werden kann. Edel, groß, aber ohne Plasma und Ferment. Der greise Platon erlebte mit seinem daraus gezogenen Idealstaat die sizilianischen Katastrophen, an diesen beinahe zum Märtyrer werdend. (Übrigens wäre das auch einmal würdiger Vorwurf eines epischen Zeitgemäldes.) Der Schüler des Stoikers Seneka war Nero. Selbst »wenn die Weisen Herrscher wären«, ermangelten der Philosophie dauernde, gesellende Kräfte.

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Das Judentum, der geschlossenste, stärkste, pathetischste Volksbegriff, ein Rätsel von Selbstbesämung, hat die Liebe Gottes und des Nächsten auf seinen Gesetzestafeln. Was das neue Testament durch wesentliche Einung aus den zwei Geboten gemacht hat, war bereits Frage an innerstem Knüpfpunkt unseres Buches. Außerdem aber war die Doppelliebe dem »auserwählten« Volk instinkthaft ein national beschränkter Begriff, wie er sich sonst nirgends entwickelt hat, woraus auch jene Kraft der reinen Selbsterhaltung quoll. Jahwe war der Herr, Helfer und Retter, Bestrafer und Rächer Israels, dessen Feinde waren seine Feinde. Die Liebe zu ihm war Furcht vor seinem Zorn und Dank für seine Gnade. Es ging ein unerhört mächtiges Fluid zwischen dem Unaussprechlichen und den Mosesgläubigen einher. (Zeichen: die Wolkensäule.) Die gewaltigste, erschütterndste religiöse Dichtung wuchs darunter, nachher dem Christentum dessen Offenbarung erschließend. Und wie der Widerspruch die Wiege größter Dinge ist, so kam aus dem ebenso völkisch umzäunten Messianismus die an alle Völker der Welt gerichtete Verkündung des (man kanns nur so ausdrücken) internationalen Heiles. In einem geheimnisvollen Gleichnisspiel wurde dann auch Juda in die Welt zerstreut, ohne (nicht minder wunderbar) das Magma seines Wesens zu verlieren. Heute noch ist dieses Volk metaphysisch gefüllt, sein Gott hat es trotz weit in sein Gewebe greifender Rationalisierung und Materialisierung nicht verlassen. Wer veranlagt ist, Erscheinungen magisch ineinander zu deuten, dem webt solcher gewiß nicht zufällige Zusammenfall für die Vergangenheit wie Zukunft kaum auszusagende, nicht hoffnungslose Gedankenfäden.

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Der Islam ist ein Gebilde in sich, Quesmat (Kismet) die geheimnisvolle Bindung seiner Gläubigen. Darin wirkt für ihn der Dienst am Mitgläubigen, seine Liebe. Ihm ist Gott Gott, wie dem Juden Gott ist, der da ist. Aber Johannes sagt: »Gott ist die Liebe«. Hierin liegt nicht, wie vermeint worden ist, eine praktische Synthese der drei Monotheismen, sondern Substanzänderung, Belebung, Füllung des eingöttlichen Bekenntnisses.

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Die Lehre des Konfuzius ist unmetaphysisch, pragmatisch religiöser Katechismus. Auch der Dienst am Nächsten bleibt eine humanitäre Forderung der Sittlichkeit, eine Reinlichkeitsfrage, welche das Einwesen mit der Gemeinschaft gleichgesetzt verbindet. Die Grundzüge ähneln oberflächlich der somatischen Ethik der Tugend und Gerechtigkeit. (An dieser Stelle darf daran erinnert werden, daß die Jesuiten schon einmal eine Christianisierung Chinas unternommen hatten bis in den Kaiserpalast der Mandschus hinein. Wie die christlichen Abendländer jene Pflanzung mit ihrer mammonistischen Mission wieder ganz und gar zugeschüttet haben, davon sind wir Zeitgenossen des zwanzigsten Jahrhunderts entsetzte Augenzeugen.)

Das Tao und Tao te King des Laotse führt in die quietive Stille der Grundbetrachtung des Daseins, der inneren Einwirkung des Gottes auf die Welt und den Menschen. In den wundersamen Sprüchen steht der Satz:

»Wen der Himmel retten will, den schützt er durch die Liebe.«

Andere Kundschaft des Weisen lautet:

»Der Berufene häuft keinen Besitz auf. / Je mehr er für andere tut, desto mehr besitzt er. / Wer anderen gibt, desto mehr hat er. / Des Himmels Sinn ist, segnen ohne zu schaden / Des Berufenen Sinn, wirken ohne zu streiten.«

Was ist aus dem Gut solch erhabener Lehre geworden? Der »Chinese Recorder« hat aus neun chinesischen Provinzen eine missionarische Rundfrage veröffentlicht. Diese ging auch nach dem Sinn des Lebens. Von den Antworten sagten 39 % gesund sein, 38 % Glück genießen, 10 % sich ernähren, je acht Ruhm erlangen oder gut sein, sieben dem allgemeinen Wohl helfen, vier sich vorbereiten für die nächste Welt, je drei seine Ahnen verherrlichen, ihnen Ehre machen, Kinder haben für den Ahnendienst; je zwei antworten: seine Tage verbringen oder: arbeiten; je ein Prozent: Schmerzen und Lasten aus dem Wege gehen, das Nirwana vollenden! Denn China steht auch unter der Botschaft Buddhas.

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Liebte er seinen Vater, so wird es über ihn kommen, als halte ihn eine feste, sorgende Hand. / Liebte er hier seine Mutter, so wird es ihm kommen, als berge er sich in einem Schoß und eine weiche Hand streichle sein Haupt. / Liebte er hier seinen Bruder, so wird er sich verstanden fühlen wie beim Spiel der ersten Kindheit. / Liebte er hier seine Schwester, so wird ihm sein, als blühe um ihn her, was hart und trocken stand. / Liebte er hier seinen Freund, so wird ihm sein, als drücke ihm jemand fest und treu die Hand. / Liebte er hier seine Frau, so wird es in ihm fluten und ihn umarmen. / Liebte er hier seinen Nächsten, so wird er fühlen, daß er selig sein darf. / Liebte er hier alles Leben, so wird er fühlen, daß er selig sein kann. / Liebte er hier alles, so wird er fühlen, daß er selig sein muß. / Und er wird selig sein.

Dieses hohe Lied der Liebe steht in den Upanischaden, indischer Religionsdichtung, sechshundert Jahre vor Christi entstanden als Erläuterung zu den Veden. Es ist im Maß und Wesen eins mit dem Sinn der evangelischen Liebe. Auch darum, daß dieser Sinn aus der reinen Quelle des Wesens, des Zustandes quillt:

»Wer nicht Gutes tat, weil er gut sein wollte, sondern Gutes tat, weil er gut war, dem wird alle Seligkeit wie von selbst zufließen, grenzenlos.«

»Blick in dich selbst! Kannst du dich je ganz geben? Und doch nimmst du aus ein paar Anzeichen immer den Andern so. Ihr werdet viel lernen müssen, wenn ihr gestorben seid. (Seelenwanderung.) So auch, daß man nie zu viel lieben konnte.«

In Dhammapadam, einer buddhistischen Sittenfibel, findet sich der Spruch:

»Und niemals kommt auf Erden hier Feindschaft durch Feindschaft ganz zur Ruh'. / Durch Nichtfeindschaft kommt sie zur Ruh', dies ist das ewige Gesetz.«

Da wäre denn auch das Geschwister zum Gebot der Bergpredigt im voraus gegeben. (Eben wird es in Indien den Engländern gegenüber von dem heiligen Mann Ghandi großzügig gepredigt und erfüllt.) Allein ein wesentlicher Unterschied spricht sich im Evangelium aus:

»Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet die euch fluchen; tuet wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen.«

Die Duldung« der Feindschaft ist Passivum, Erleiden; die Liebe der Feinde Aktivum, Gegengabe. In dieser Wandlung offenbart sich zeichenhaft das Neue der christlichen Kundschaft. Das   x erscheint, das metaphysische Lebenselement, die Verdrängung, Aufzehrung des Bösen durch das Gute. Der Befehl des Evangeliums ist die äußerste Konsequenz des evangelischen Wesens, es ist kein Verzicht, sondern Umwandlung des Nein in das Ja, Aufnahme des Zerfallstoffs als Baustoff. Genau wie die Demut Erhöhung, die Selbstüberwindung Selbstbefreiung, die Welthingabe Weltgewinn ist.

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Dem Buddhismus ist die Liebe Mitleid, Mitleiden. Das ist sie auch dem Christen, in tiefster und geistigster Art. Christ selber ward zum heiligen Inbild und Symbol dafür. Er gab aus Mitleid sein Leben. Die Philosophie des Kreuzes geht darum; und das ganze herrlich geheimnisvolle Gemeinschaftswunder der kostbar christlichen Idee des Opfers, der metaphysischen Darbietung des Einen für Alle, der Alle für Einen, im Namen des Gekreuzigten. Aber wiederum ist dies Alles verwandelt. Man kann trotz der neueren Forschung immer noch Schopenhauer als den einsichtigsten Deuter der im Vergleich stehenden Religion anziehen. Er sagt:

»Der die Werke der Liebe übt, dem ist der Schleier der Maja von den Augen gefallen, und die Täuschung des principii individuationis hat ihn verlassen. Er erkennt sich in jedem Wesen, und auch in den Leidenden: die Verkehrtheit verläßt ihn, mit welcher der Wille zum Leben, der sich nicht recht erkennt, hier, als dieses Individuum flüchtige, gauklerische Wollüste genießt; während er dort als jenes Individuum leidet und darbt und nicht sieht, daß er wie Atreus sein eigenes Fleisch gierig verzehrt und dann dort jammert über unverschuldetes Leid und hier frevelt ohne Scheu vor der Nemesis, in beiden Fällen, weil er nur die Erscheinung erkennt, welche der Satz vom Grunde beherrscht, nicht das Ding an sich, den Willen, der sich in allem objektiviert und doch nur Einer ist: von diesem Wahn und Blendwerk der Maja geheilt sein und Werke der Liebe üben, ist Eins: wer dahin gelangt ist, macht jedes Leiden, das er sieht, zu seinem eigenen: und indem er nun des Entbehrens und Entsagens, um die immer noch größern Leiden andrer zu mildern, kein Ende findet, so dämpft dieses stete Entsagen und dies stete Erkennen des Jammers, der vom Leben unzertrennlich ist, und der Nichtigkeit der Genüsse, die er opfert, dies alles dämpft den Willen zum Leben in ihm, bis dieser ganz verlischt und die Erlösung für ihn da ist.«

Heißt: Erlösung ins Nichts, in das nicht mehr Bewußtsein, in die Erblindung. Des Evangeliums Liebe führt aus dem Werden in das Sein, in das erst rein und ganz Bewußte, in die Anschauung. Der Schleier der Maja, welcher dem Christen vom Auge fällt, enthüllt; welcher dem Buddhagläubigen sinkt, verhüllt. Und dessen Leben ist ein äonenhafter Kreislauf, »immer neue leidvolle Gestalten annehmend und sich darin verzehrend.«

Wir sehen richtige Folge, wenn auch der pantheistische Gott solchen Glaubens, der Demiurg dieser Trugschöpfung am Ende selber mit erblindet, in das nicht mehr Bewußtsein, in das Nichts eingeht. Die zehntausend, als Lehrer und Erlöser ideenhaft (nicht geschichtlich) erschienenen, Buddhas lösen sich wesenlos auf, denn auch die Ideenwelt ist noch nicht Nirwana, sondern Grenzbezirk, Mittelbereich zwischen diesem und Sansara, dem Kreaturkreis. (Man erinnere sich vergleichend an unsere Vermutung das zweite Reich betreffend!) Der Geist, die Vorstellung, der Formgedanke war schon Abfall des Gottes vom Urgrund des Nichts. Gott und Welt sind zusammen ein Leidenstraum. (Man gedenke der auch aus dem Orient stammenden gnostisch-manichäischen Verdammnis des Schöpfers als des bösen Prinzips.)

*

Noch einmal sachlich durchgedacht kreuzt sich der Vergleich so:

Dem spiritualen Buddhisten ist Welt und Mensch und schaffender Gott unvollkommen, böses Prinzip, vom Anbeginn bis zum Ende; das Werden der Welt ist Sündenfall des Gottes, das Dasein Gesetzesstätte der Vergeltung und Reinigung. Die Nihilisierung, die stoffliche und ideelle Tilgung der Pantheophanie, der Allgott-Erscheinung hebt den Fluch auf, schenkt dem Menschen, der Welt und dem Gott die Beendung, die Ruhe.

Es ist wohl ein Rätsel für uns, daß die geklärten Gläubigen dieser Lehre voll sind von stiller frommer Freudigkeit.

Dem Christen ist die Welt unvollkommen, weil geschaffen; geschaffen, weil unvollkommen. Auch der Mensch teilt als Geschöpf von Anbeginn deren Unvollkommenheit. (Die üblich überlieferte Anschauung, welche unserem Geschlecht eine ursprüngliche makellose Sonderstellung seines Naturwesens zuweist, muß gesetzlich falsch sein. Denn eben nur nach dem Bild Gottes sind wir in der biblischen Legende geschaffen, parallel entsprechend dem naturgesetzlichen Abstand des Vergleichs.)

Indes solange homo naturalis kindhaft, einfältig, re-ligiös lebte, war er aber doch in seinem relativen Zustand rein, schuldlos, paradiesisch. Die geistige Entdeckung der Unvollkommenheit und die Überhebung, dem Vollkommenen nicht mehr Gleichnis, sondern gleich zu sein, das heißt der eitle Versuch der Selbsterlösung brachte den Sündenfall, das Klaffen von Gott, den Bruch in sich selber. Aus der Sünde der Entfremdung zog die unverlorene, nun vielleicht auch erst bewußt werdende, religiöse Anlage, der Drang zur Wiederanknüpfung den Verirrten langsam wieder empor; alle vor- und randchristlichen Religionen haben daran teil. Das Christentum endlich brachte den Glauben an die Gnade, an die (nie zerrissene) Liebe des Vaters. Durch Christus den »Sohn« und »Menschen«, den Heilenden, wird die Trennungswunde geschlossen mit seinem Blut, der Mensch re-ligiert, in den Zustand der neuen, nicht mehr naiven, wissenden Kindschaft zurückversetzt, über der Stelle des Unheils auf höheren Stand, in die Anschauung.

Es wird offenbar, daß Christentum und Buddhismus nicht etwa weithingehend und innerlichst verwandte Religionen sind, zwischen denen man eine neue Mischung als Heilslehre erzielen könnte. So ernsten und hohen Sinn beide bergen: Das eine ist die Religion der Erlösung, der andere die Religion der Auflösung, des Tages, der Nacht. Und wiederum ist es die lebendige Liebe, was sie unterscheidet.

Nicht zu vergessen sei, daß der Brahmanismus und Buddhismus zwar der asiatischen Seele religiöse Grundsubstanz gegeben haben, aber diese ist doch in eine Vielzahl von Abgötterei und anthropomorphen Vorstellungsgebilden zerfallen. Sogar das Nirwana stellt sich dem Volk als ein realer Lusthimmel dar. Und die Kastenstufung bis zum Paria und Tschandala herab, ward Gegenteil von dem erbarmungsreichen Tat wam asi der Wesensbrüderlichkeit alles Geschöpfes an sich. Die reinen Lehren sind Reservate einer auch sektenhaft getrennten Geistesaristokratie geworden, die sie allerdings in einer selbst für Christen bewundernswerten Vertiefung darstellen. Der Heilige dort ist eine erhabene Gestalt. Und wir Abendländer haben zeitsachlich keinen Grund zur Überhebung. Denn wahrhaft ein Chinese darf aussagen:

»Was wäre aus diesen Menschen geworden, wenn sie das Christentum nicht gehabt hätten?«

Und ein anderesmal ein anderer:

»Wenn ihr das Christentum aus Europa und Amerika fortnehmt, was habt ihr in diesen beiden Erdteilen übrig gelassen? Nach meinem Bedünken nichts als Dreadnoughts, Kanonen, Soldaten, Kraftwagen, Luftschiffe, Wagon Lits Hotels, Kinodarstellungen, Tango und wilde, gutgenährte, überfütterte Raubtiere«.

Das gleiche Gelbgesicht aber bekennt:

»Wenn das alte China zusammenbricht, dann werden wir ernstlich das Christentum brauchen.«

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Ja in allen Religionen schlummert gleiches göttliches Wesen. Aber im Christentum ist es erwacht.

Eine Probe gibts dafür, welche der zwei Edelreligionen das keimhafte Zeitferment in sich trägt: Jene 760 Millionen christlichen Namens seien Christen! Und haben der Liebe!


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