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Der Kampf der Geister

Ein Sinnbild

In äußerster Verlassenheit, verkämpft, ausgeleert, vom Quell des Lebens abgeschnitten, der Luft benommen, gefroren bis ins Mark, des Vertrauens auf die Innenrechte und Innenmächte beraubt, wurde ein Mann in ein gastliches Haus geladen. Gute Menschen und Musik warten dort mit Freude auf ihn.

Er geht hin, wie weiß er nicht, und sitzt unter den ernst Plaudernden im weichen Stuhl beim Tee, plaudert mit und weiß wiederum nicht, wie das eben aus seinem Mund gegangene Wort hieß.

In das Musikzimmer sieht man hinein. Dort wird das Spiel bereitet. Ein feines Mädchen im weißen Kleid, zwei graulich behaarte Männer, welche in ihrer kurzen, bürgerlich stockigen Gedrungenheit ein wenig aussehen, als müßten sie die Instrumente erst für zwei nachher vornehm eintretende Künstler herrichten. Aber die Männer spielen selber; mit dem weißen Mädchen: Das Trio Nummer V. Das Geister-Trio.

Wer hat den Horcher hergeladen in diesen Stuhl? Die Freunde? Ein Ruf? Der erste Tastenschlag, die ersten Bogenstriche und Zauber läuft ihm ins tote Gebein, die eingesargte Seele ist getroffen von einem Strahl. Er hat sie schon manchmal gehört, die drei Sätze, das Allegro vivace e con brio, das Largo assai ed espressivo, das Presto.

Das Geister-Trio. Hat nicht Beethoven die Notenblätter eben frisch hervorgebracht, den drei spielenden Jüngern vor die Instrumente gelegt für den armen Mann? Geschieht nicht an ihm, was da aus dem hellen Musikzimmer hervorgeht, ihn faßt, aufbricht bis hinein, wo das eingeschlafene Wetter liegt, Licht und Dunkel, die Dämonen und die Genien, die bösen und die guten Geister?

Wer stört sie auf, holt sie hervor zum Streit, heraus aus ihm in den Raum, ins Gesicht, daß er des Widerspiels erschrockener und beglückter Zuschauer werde? Sie kämpfen, sie wirren sich, lösen sich, wirren sich, lösen sich. Nichts kann so ineinander hineinfahren und sich so herausschälen, wie die beiden Scharen im zweiten Satz. Ein Strategium höchster Ordnungen, vom Plan einer anderen Welt entführt. Bis die Lichtwesen, die Genien, steigen und stehen und sich die Hände geben im Reigen unter den seligen Glocken des reinen Himmels, auf dem Berg der Freude. Nur das Echo der verkämpften Stunde rauscht ringsum herauf, die Geretteten heroisch noch höher zu heben und zu umschirmen.

Er sieht nebenan in den Raum des Wunders. Es hat sich alles gelockert; das weiße Mädchen scheint mit dem schwarzen Flügel vom Boden gehoben, und auf dem Flügel schwebt ein roter Rosenstrauch. Die zwei Männer sind ergriffene, heilige Männer geworden; der an der Baßgeige ist gleichsam ein bebender Leib mit dem bauchigen Holzgehäus und von der Schulter des andern zittert singend das braune Kästlein der Geige.

Das Spiel schweigt, die Horchenden schweigen. Es ist als ob sie zusammen langsam wer herunterlasse, aber nimmer so weit wie sie vorher waren. Der Gast muß das sagen, alle spüren es. »Die Gnade der Kunst«, meint jemand. Er antwortet: »Die Gnade Gottes.« In Demut wird der Zusatz gehört.

*

Wie ist es seltsam und voll bedeutender Beziehung? Beethoven lebte damals, wie wir, im Zusammenbruch der Dinge. Ein großer Bruder der Schmerzen und ihres Wissens, der aus dem Reich des Menschlichen in eine Einsamkeit steigen mußte, die sondergleichen gewesen ist und am Ende schenkte uns ein Tauber das Herrlichste, was in unsere Ohren klingt.

Die Gelehrten sprechen von Schallwellen und messen die Gesetze der Kausalität. Wie wäre es, wenn einmal ein um diese Gesetze Wissender, ohne musikalisch begabt zu sein, ein Trio, eine Sonate, eine Symphonie schriebe? So daß man diesen Gefügen einen Namen gleich Beethoven, Mozart, Bach beifügen könnte, und daß ein Gleichnis erschütternd, erhebend in ihnen waltete. Wie wäre es?


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