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Franziskus

Im Jahre des Herrn 1206, an einem Frühlingstag, stand Francesco Bernardone, eines wohlhabenden Tuchhändlers Sohn, in der umbrischen Hügelstadt Assisi nackt auf dem Platz Santa Maria Maggiore und gab vor allem Volk seinem Erzeuger das Gewand mitsamt dem Geldgürtel zurück, eine kleine Ansprache also beendend: »Von nun an will ich nicht mehr sagen ›Vater Pietro Bernardone‹, sondern ›Unser Vater, der du bist in dem Himmel‹!«

Da solches geschah, an jenem Tage wurde das Evangelium vom reichen Jüngling, das in der biblischen Geschichte unbefriedigte, befriedigt und auf Erden erfüllt. »Gehe hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm, folge mir nach und nimm das Kreuz auf dich!«

Es wurde erfüllt als das schönste und reinste der Beispiele, welche die Vorsehung in der Kammer ihrer heiligen Gleichnisse verwahrt, um sie zur Zeit der Wende hinauszustellen in das Augenlicht der Menschheit.

*

Ein gutmütiger Verschwender und Verschenker war er gewesen und hatte den reichen Tuchhändlerssohn in einen berühmten Ritter umwandeln wollen, in einen Troubadour, ja in einen »Herzog über die Welt«. Geckenhaft gerüstet war er, Abart des Don Quijote wohl, ausgezogen, aber seltsam als stiller und erschütterter Mensch heimgekommen. Dann hatte der so Betroffene einsame Wege gesucht mit einem Gedankenfreund und begonnen, seine Habe, auch sein Roß an arme Leute und bedürftige Priester wegzugeben. Eine Pilgerfahrt nach Rom zeigt uns noch den Trieb seiner aufgewühlten Seelengründe. Er war Gast des Gebetes geworden vor Assisis Toren in einem zerfallenden Kirchlein des heiligen Damian; um das Gebet zum Werk zu wandeln, hatte sein Eifer unternommen, das Heiligtum der Zuflucht eigenhändig zu erneuern. Und dort war von einem alten byzantinischen Kruzifix der Blick des Heilands auf ihn gefallen. »Ab illa hora vulneratum et liquefactum est cor ejus ad memoriam Dominicae passionis.« Von jener Stunde an ist verwundet und flüssig geworden sein Herz zum Andenken an das Leiden des Herrn.

Dann hatten sie ihn auf den Gassen der Vaterstadt zum Narren ausgerufen.

*

In den schlechtesten Rock des bischöflichen Gärtners gekleidet, ging Francesco vom Platz Santa Maria Maggiore hinaus aus der Stadt zu den Aussätzigen, welche von ihm schon viel beschenkt worden waren, bediente und küßte sie und aß mit ihnen zusammen.

Sein Testament, zwanzig Jahre später vom Sterbelager aus diktiert, beginnt erinnernd: »Also hat Gott mich, den Bruder Franziskus begnadigt, mit der Buße anzufangen. Als ich in Sünde lebte, ekelte es mich, Aussätzige zu sehen; aber Gott selber führte mich unter sie und ich blieb eine Zeitlang bei ihnen. Beim Scheiden war das, was mir bitter erschien, zur Süßigkeit geworden für Seele und Leib. Kurze Zeit darauf ging ich aus der Welt.«

Und er mauerte weiter an der Kirche Sankt Damian, mit deren armem Priester hausend und an den Türen Almosen suchend. Ja in der Spötterrunde seiner einstigen Zechfreunde erbettelte er Öl für das ewige Licht.

Hinter der Gebärde dieser frommen Arbeit vermag die liebevolle Kraft der Einbildung wohl einen Blick zu tun in Wandel und Innensinn des nun zum Heiligen gewordenen Weltkindes. Welch liebe Last mögen ihm die Steine gewesen sein, die er beitrug, wie mögen Kelle und Hammer dem Handwerksmann geklungen haben! Der ein Singer der Frau Venus hatte werden wollen nach welscher Art, wurde bei diesem Klang ein Liedermund Gottes. Wie mag er am Altar gekniet haben, dem priesterlichen Freund zur Messe dienend! Die Hostie mag ihm hier zum weißen Stern seiner tiefsten Gesichte geworden sein, die selige Geheimmitte seines ganzen Lebenskultes. Dem draußen durch Garten und Feld in seelenhaft versunkener Betrachtung Einhergehenden vertraute sich die Kreatur zum reinen im Farbenschein des Schöpfers geliebten Geschwister. Zwei Jahre hin reifte er langsam gleich einer Frucht.

Als im Frühling 1208 das treue Gotteshaus hergerichtet war, war es auch, ohne Vorwissen, von den Händen des Bruders Franz zu dem kostbaren Raum bereitet, später die heilige Schwester Klara aufzunehmen.

*

Darauf machte er sich an die Erneuerung der Kirche San Pietro und zum dritten einer kleinen Kapelle »zu Unserer Lieben Frau von den Engeln«, auch Portiuncula genannt.

Und dieses kleine Bethaus wurde dann für die wiederum notverhaftete Menschheit etwas wie das – im geziemenden Abstand des Spiegelbildes sei es gesagt – Haus des Zimmermanns zu Nazareth, darinnen der Herr zum Wort des Heiles wuchs. Ja es war kein Frevel, daß damals viele in der endlichen Ankunft des späten Jüngers an eine Wiederkunft des Meisters dachten oder mindestens dessen Lieblings Johannes.

Nachdem in Sankt Damian jener Blick aus dem Erlöserauge den Nachfolger in sein Wesen eingeführt hatte, führte jetzt, in Portiuncula, den mit innerem Licht angefüllten das Wort der Schrift heraus. Er hörte, gleich dort dem Priester seines Bauwerks zur Messe dienend, das Evangelium von der Aussendung der Zwölf: »Gehet hin und predigt und sprecht! … Umsonst habt ihr es empfangen, umsonst gebt es auch. Ihr sollt nicht Gold noch Silber noch Erz in euren Gürteln haben, auch keine Tasche zur Wegfahrt, auch nicht zwei Röcke, keine Schuhe, auch keinen Stecken; denn ein Arbeiter ist seiner Speise wert.« Das Wort galt ihm.

*

Und er trug die in ihm zum Rand gestiegene Gottesliebe unter die Menschen. Zu Assisi, gewiß auf dem Platz Santa Maria Maggiore, redete er die ersten Begegner an. Der Einsiedler wurde Apostel.

Die italischen Plätze sind öffentliche Sprechräume. Vielleicht begann der Zartfühlende so, daß er jemand wie zufällig einen kleinen Dienst tat am Kleid, etwas Verlorenes ihm aufhob, eine Blume schenkte, ein Liedchen anstimmte oder gar sich in ein Spiel Bocca mischte, um schließlich zu bekennen, daß er kein Geld habe, und um von seiner heiligen Armut anzufangen.

Es gibt ein paar Gestalten in der Geschichte, die ihr Wesen so rein in die Zeit ausgeatmet haben, daß wir sie heute noch über Jahrhunderte her zu sehen und zu hören glauben, sobald wir ihrer gedenken. Der heilige Franziskus ist der erste unter ihnen; es braucht keiner Beschwörung, seine Gegenwart zu verspüren.

Er war seinen Mitbürgern gleichsam gestorben und wieder gekommen. Der magere, bleiche Mensch in dem graubraunen geflickten Rock trug einen Schein der großen heiligen Abwesenheit um sich, wohinein er sich begeben hatte. Aus diesem kam er hervor mit seinen von innerer Betrachtung goldenen Augen. Sein Gesicht war zum Antlitz geworden. Und seine Worte kamen hervor. Sie fielen ihm nicht vom Mund und waren nichts Ausgestoßenes. Niemand außer dem Herrn hat schlichtere gesprochen. Ihr Herzenslaut streichelte die Zuhörer, die schmale schimmernde Hand gab aus dem Ärmel anbietend etwas dazu hin: Nehmt, es ist die Liebe Jesu Christi!

Und da er selber sein Wort war, vernahmen es die Menschen. Nächte hindurch betete der Ausgesendete, um des Amtes würdig zu sein.

*

Es begab sich, daß ein anderer reicher Bürger, vielmehr ein Adeliger, Bernhard von Quintavalle ihn bat, sich zu ihm gesellen zu dürfen. Franziskus nahm den schon Freund gewordenen auf, nur das eine von ihm fordernd, was er selber getan hatte. Bernhard gab auf offenem Markt seinen Reichtum den Armen.

Ein Dritter kam, und in Portiuncula war eine Bruderschaft entstanden.

Die Gefährten gingen aus und taten nach dem Geheiß. Sie waren ein absonderliches Schauwerk für die Menschen, selbst in jener an Narreteien reichen Zeit. Aber bald wurden sie von vielen, zumal im geringen Volk, geliebt. Volle Gassen und Plätze, gastliche Herberg, freudiges Almosen gab's; und Arbeit als Bauernknechte, Schneider, Schuster, Dienstboten, Wasserträger, Kärrner, Pfannenflicker, Krankenpfleger, Totengräber. Doch Kämmerer, Kellermeister, Hausmajor durfte keiner werden. Des Dienstes wurde so viel verrichtet, als der jeweilige Unterhalt der Wanderer brauchte; er wurde nur gegen Atzung und Nachtlager getan, um sich der Armut zu erhalten. Das Überbleibsel ging unverwandt an fremde Notdurft weiter. Das Geld stank ihnen. Die sack- und packlose Truppe wurde die gente poverella, der arme Adel.

Umbrische Bauern entdeckten einmal bei trübem Himmel, wie der Weg, welchen sie gingen, auf wunderbare Weise vor ihnen sich erhellte. Da sagte einer, als wäre es ihm eingegeben: »Il Santo!« Und nach einer Weile sahen sie diesen auf sich zukommen.

Redeten die Brüder, fiel Staub aus den Augen der Zuhörer, die Herzen bebten, die Knie bogen sich. Joculatores Domini, Spaßmacher, Spielleute Gottes hießen sich die ernstesten aller Zeitenprediger. Manch eine Ansprache ging in ein frommes Preislied aus. Bischöfe und Priester, welchen das Recht der Kanzel vorbehalten war, wurden von dem Gnadenzauber solcher Laienbotschaft mitergriffen, gaben den Sendungen mehr und mehr das Wort frei, ja luden sie ein, in die eigene formelhaft gewordene Stimme durch ihren Naturlaut Melodie zu bringen. Andere Kirchenherren freilich verschlossen sich eifersüchtig und verleumdeten das freimütige Treiben bei der Kurie in Rom.

Auch sonst wurde mancherorts den Ankömmlingen Spott und Verfolgung zuteil, dem Satz der Schrift entsprechend, welcher ihr Geleitspruch war. Als die Spötter und Verfolger jedoch sahen, daß auch böseste Mißgunst sich den Betroffenen zur Seligkeit der Demut wandelte, küßten sie den Saum ihrer Kutte. Einmal bewarfen Buben den Franziskus mit Kot. Der Heilige nahm diesen auf und hielt zum Erstaunen der Zuschauer eine Schwalbe in der Hand, die er ins Licht entließ.

Wie ein Vogelnest war den zerstreut Ausziehenden die Kapelle Portiuncula, sie flogen wechselnd davon fort und dahin zurück, wo sie mit dem Vater ihrer Seelen kurzer Rast pflegten. Einmal kamen alle, ungerufen und keiner vom andern wissend, zur selben Stunde heim.

*

Der Stifter sah ahnend wohl schon den Baum, dessen Keim er in die Erde gelegt hatte. Er ließ die beiden Stellen aus Matthäus aufschreiben, welche die beiden Stufen seines Weges geworden waren, das Bekenntnis zur heiligen Armut und den Auftrag zum heiligen Wort. Das Zwillingsgesetz weihte er zur Hausordnung.

Diese war anfangs kaum mit Vorschriften gebunden, stand der Vater ja selber als die lebendig gewordene unter seinen Söhnen. Und es blieb der Doppelkern für alle Zukunft. Seine Wahrung war gleichsam die Lebensaufgabe und Lebenssorge des Franziskus. Durch alle vom späteren breiten Gebrauch erzwungenen Formungen und Abbröckelungen barg er ihn in der Mitte seines Werkes, zäh und kühn bis zum heiligen Zorn des Verteidigers und zur Verkündigung des letzten Willens.

Er hing am Buchstaben. Der gebenedeite, sacrosancte Buchstabe jener zwei (dann zu drei verstärkten) Stellen, galt als Petschaft und Siegel. Wie muß der Raum geleuchtet haben, wenn er ihn den Brüdern vorlas! Was er sonst redete und schrieb, waren nur Beiworte der Verständigung, Koselaute zur Liebgewinnung durch die Hörer, die Schale, darin den Unzulänglichen das Kleinod der Offenbarung hinzuheben.

Der Buchstabe war ihm das Mal des Heiligen Geistes geworden. Auf ihn schwor er sein Gefolge ein, nicht auf den Laut, sondern auf den Vollzug. Wer Bruder werden wollte, mußte alle Habe verschenken. Das war die einzige Probe; über Nacht wurde der Willige aufgenommen.

Um ihn führte er einen instinktiven Kampf gegen jede Lockerung und andere Fassung. Noch im Testament verbot er »bei Befehl des Gehorsams allen Brüdern, Geistlichen wie Laien, der Regel oder dem Testament Auslegungen hinzuzufügen, unter dem Vorwand, sie zu erklären«. Er sah nimmer mit seinen Erdenaugen, daß auch diese letzte Wand, welche das inständig gehegte Urlicht seiner Sendung schirmen sollte, nachher durchbrochen wurde, wohl des Willens durchbrochen, der Flamme den Sauerstoff nicht zu verkümmern. Es ist das Schicksal aller reinsten Ideen, daß sie im Menschengebrauch fremde Mischung erleiden.

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Nach Jahresfrist zählte Franziskus in Portiuncula zwölf Jünger um sich, gleich dem Meister. Da brach er mit ihnen nach Rom auf. Als ein Magnet und Stern zog die Heilige Stadt an ihm. In seiner Bekehrung Seelennot war er dahin gepilgert, jetzt kam er mit dem Auftrag des Herrn, um ihn von dessen Statthalter bestätigen zu lassen. Auf dem Stuhl Petri saß Innozenz der Dritte, welcher mächtig und streng für die Kirche wirkte. Der Heilige war besorgten Augen etwas wie ein Schreckenskind geworden, aber er war ein Kind und ein Kind Gottes. Kein Keim der Hoffart saß mehr in dem einstigen Junker Hochzuroß. Der durchs süße Joch Gegangene vermochte seinem Wesen nach nicht auf die Schwelle der Abtrünnigen zu treten. Wenn je einer kam, auf daß er sich Untertan mache, kam er in tief gebeugter Demut. Es wurde von ihm sogar ein anderer, Bruder Bernhard von Quintavalle, zum Führer des Zuges gemacht.

Jenen Schriftstellern, die aufrichtig oder unaufrichtig, Widerpart und Spaltung gesucht haben zwischen ihm und dem Papsttum, ja die sagten, er habe sich vor der Auflehnung nur um seines Werkes willen bewahrt; solchen Brillenträgern gelang kein Blick in dies Gefäß des Gehorsams.

Welcher da nach Rom zog, hatte tief das Geheimnis der ἁγία ἱεραρχία begriffen; er wollte ihr ein Nothelfer sein und ein Mund. In allen seinen Reden und Schriften steht das Wort Kirche als Grundstein, betont und wieder betont verlangt er von sich und den Seinen Unterordnung; die Kirchen dieser Kirche sind die Räume seiner Ehrfurcht und Fürsorge, der Tabernakel das Gehäus seines innersten Gefühlswunders, der Priester, die auch in Sünden reine Hand der Gottesspeisung. »Weil ich den Sohn Gottes an ihnen unterscheide, sehe seinen heiligsten Leib und sein heiligstes Blut, das sie allein den andern darreichen.« Wenn ihm ein Heiliger vom Himmel und ein Priester begegneten, würde er diesem die Hände küssen und sagen: »Warte, heiliger Laurentius, diese geweihten Hände berühren das Wort des Lebens.« Aus keiner anderen Luft als der katholischen, in keine andere hinein kam der Bittsteller nach Rom.

Dieser begehrte auch dort nichts, als arm sein zu dürfen in den Fußtapfen des Herrn und das heilige Evangelium zu predigen; er brachte nichts mit denn jene Zwillingssätze der Schrift, wohl nur zusammengefügt durch ein paar Glieder: »Und ich ließ es mit wenigen Worten aufschreiben, und der Papst bestätigte mir's.« Er nannte das wohl selber noch keine Regel; man machte ihn gewiß erst aufmerksam, eine solche daraus zu formen. Auf dem Kapitel von 1221 war sie dann fertig und ein Faszikel geworden.

Als die Kardinäle und der Papst ihre Bangnis aussprachen, die Kräfte der Brüder möchten nicht hinlangen, ihr Leben ganz ohne Besitz, ja ohne Haus und ohne Wegzehrung durchzubringen, da erzählte Franziskus dem Heiligen Vater jene berühmte Geschichte von der sehr armen und sehr schönen Frau, mit welcher der König in der Wüste Kinder erzeugte. Als diese groß geworden, schickte die Mutter sie an den Hof, allwo der Vater seine Söhne erkannte und jeglichen reich versorgte. Der Maler Giotto hat die Szene nebst anderen in die Kirche des Heiligen zu Assisi gemalt.

Schließlich gab der Papst dem inbrünstigen Gottesmann seinen Segen und die Erlaubnis weiter zu predigen. Nur mußten die Zwölf einen Oberen wählen, wozu Franziskus erkoren wurde. Die Tonsur wurde ihnen verliehen, und sie wurden damit in den klerikalen Schutzkreis aufgenommen. Der Orden der »minderen Brüder« war gestiftet.

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Selig zogen sie heimwärts. Im Sumpf der Campagna befiel die Wanderer todschweres Fieber; ein zufällig daherkommender Reisender brachte Rettung vorm Verderben. Dann nistete man sich nahe bei Assisi in einer baufälligen, herrenlosen Hütte, »Rivo Torto« genannt, so eng ein, daß Vater Franziskus eines jeden Lagerplatz an die Balken schreiben mußte. Allein die Romfahrer hatten die bestätigte Freiheit ihrer Armut mitgebracht, welche ihnen die Gotteswelt zum Wohnraum schenkte. Oberhalb hoch in den Felsen des Monte Subasio führten Höhlen, »Carceri« geheißen, in abgeschiedene Einsamkeit. Dorthin zog sich der Heilige gern zurück, wie in seinem Leben der Hang zur asketischen Weltflucht und der Trieb des Sendboten immer miteinander stritten. Wie viel mag er in dem Becken der Betrachtung und des Gebetes an heiligem Wasser gesammelt haben, daß er draußen so überfließen konnte!

Er übte strenge Buße, in der damaligen mittelalterlichen Form der Leibesquälung, die wir nicht mehr verstehen. Wohl predigte auch sein Mund den »Haß wider das Fleisch«, und was er predigte, tat er zuerst an sich. Wie er die heilige Armut und der Nachfolger Christi war, war er der harte Büßer. Indes ihm, dem paradiesischen Blut, blühte auch der Dorn zur Rose. Seine Natur war dem positiven Pol angeschlossen, die Blume seines Wesens der Sonne zugedreht. Seine Innenstimme sagte ihm, daß man das Übel nicht vernichten, aber umwandeln, das Unkraut durch den Samen des hundertfältigen Korns verdrängen könne. Das Dämonium durch das Eudämonium zu befehden, die Erbsünde in der Erbgnade zu lösen, solcher milden Botschaft war gewiß Poverello der erste wundertätige Mund. Vielleicht ist mit in diesem schwer durchschaubaren Grund der Urboden seiner Zeitsendung, der Quell seiner Wirkung. Ihm war Kasteiung, Zucht, Fasten Ballastes Auswurf. Er zerbrach in sich das Gebein des animal, dieses zum Hörigen der Herrin anima zu machen. Und, immer das sternhaft Wichtigste für ihn, seine Innenkammer sollte rein sein für die heilige Speise.

Rührend und mild dämpfte der Väterliche auch den asketischen Eifer der Brüder, nahm ihnen Geißel und Stachelgürtel, verbot schwächenden Nahrungsentzug, »denn der Herr verlangt barmherzige Liebe, kein Opfer«. Eigenhändig fütterte er die Überfasteten. »Werdet nicht finster wie die Pharisäer!« Und – wir hören den Stufentritt – wiederum: »Tuet Buße, bringet Früchte der Buße!«

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In Assisi war die Heimkunft ein Fest des Volkes. Die Schranken waren unter dem päpstlichen Segen gefallen. Franziskus mußte die Kanzel der Kathedrale besteigen. Asche auf dem Haupt, redete der Heilige zu den eingedrungenen Scharen. Sein Wort war mächtig, denn der Herr sprach aus ihm: er wurde zum Schiedsrichter erhoben über die Fehde, welche seit acht Jahren die Bürgerschaft zerriß. Die Maiores und Minores schlossen, von ihm verfaßt, einen ewigen Vertrag. Der Adel verzichtete auf seine Lehnsrechte, die Verbannten kehrten heim. Dies schuf der gleiche Knecht Gottes, der den Kaiser Otto IV. an seiner Hütte vorbeiziehen ließ und nur einen Bruder hinausschickte, ihm die Stelle der Schrift zu sagen: Deposuit potentes de sede et exaltabit humiles.«

In jenen Tagen der tausendfältigen Bekehrung setzte sich wohl schon die franziskanische Laiengemeinschaft der Pönitenten um den engeren Kreis der Bruderschaft an, später der dritte Orden genannt; zur Zeit dieser Friedensstiftung, in deren hochgestimmter Stunde. Denn nächst der christlichen Zucht und Hingabe alles Überflusses war den Tertiaren die Verkündigung des Friedens ein Grundgebot. Die Waffe war im Anfang verboten. Es ist auch nicht von ungefähr, daß der Jünger, welchen der Ordensvater zu seinem Sänger erhob, von dessen Mund er in den letzten Tagen den Sonnensang wieder und wieder hören wollte, Bruder Pacifico genannt wurde. Die Kraft einer uns noch ungelösten Weltidee wirkte dort; doch wieder nur in der Nachfolge des Bergpredigers, nicht weltlich um ihrer selbst willen. Denn nur das »Reich« bringt auch auf Erden Frieden.

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Im Frühling des Jahres 1211 siedelten sie sich wieder um Portiuncula an. Denen kein Besitztum zustand, wurde die Kapelle geliehen. Aus Reisig, Schilf und Stroh entstanden Hütten unter dem Psalmgesang: »Siehe, wie süß und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig wohnen!« Ein anderes Licht war unter dem Dach des Poverello als im Faß des Diogenes. Es barg nicht die Armut, dem unfruchtbar gefrorenen (wohl edlen) Hochmut des Geistes entstammt, sondern jene vom Licht der Gnade erhellte »Schwester der heiligen Liebe«. Der Amor Dei hatte darin Herberg genommen. Gott, der alles bewegt, »ὡς ἐρώμενον«, war in eine Menschenkammer eingekehrt. Das Geheimnis der copula waltete, der göttliche Gastfreund gab dem Insassen das Herz und den Mund des Herzens, um die Zeit zu bewegen wie Geliebtes. Der Ordo amoris war begründet.

Der Heilige ging zum Tisch des Herrn, seinem Inbegriff und Seelenstoff aller Speisung. Die Buße war nur der Gang durch den Vorhof, am Brunnen der Reinigung vorüber.

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Im Jahre 1212 führte er die aus reichem Haus entflohene Schwester Klara in Sankt Damian ein, in das Kirchlein, das er mit seinen Händen erneuert hatte. Dort gründete sich sein zweiter, geschwisterter Orden in beiständiger Freundschaft mit dem Brüderorden zu Portiuncula. Wenn man in der Geschichte von der lauteren (gesegneten) Erscheinung des platonischen Eros reden darf, so hier. Die Schönheit wuchs daraus, getauft im Heiligen Geist. In Sankt Damian wie in Portiuncula blühte ein kleiner Blumengarten.

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Dann predigten die minderen Brüder den Völkern der Erde, in Italien, in Spanien, in Frankreich, in Deutschland. Keinen Sendboten ist von ihrem Aussender eine zärtlichere Wegesregel mitgegeben worden als diese: »Brüder, gehet zwei und zwei, mild und demütig, betet im Herzen zu Gott, vermeidet jedes eitle Wort. Seid inwendig gesammelt, als wäret ihr in eine Klause eingeschlossen. Wo wir seien, wohin wir gehen, wir tragen immer unsere Klause mit. Der Bruder Leib ist unsere Klause, die Seele der Klausner, der darin lebt, um nachzudenken und zum Herrn zu beten.« So gefaßt sollten sie sprechen. Es waren Wege seliger Siege und ungemessener Mühsal.

Auch gingen sie zu den Heiden. In Marokko erlitt eine allzu eifervolle Schar das Martyrium. Franziskus selber predigte in Ägypten vor Damiette den Kreuzfahrern, kam unbehelligt hinüber ins Lager des Sultans und sprach vor dessen hingeneigtem Ohr. Es war wohl eine erhabene Stunde der Geschichte des Wortes.

Darauf besuchte er noch die Stätten, wohin alle seine Spuren liefen, im heiligen Land. Für immer krank kam er heim mit schier zerstörtem Augenlicht. Fröhlich nahm er auch das Kreuz des Siechtums von Kalvaria mit zurück.

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Inzwischen war der Kardinal Hugolin, Bischof von Ostia, Patron des Ordens geworden. Franziskus erbat sich ihn vom Papst Honorius zum »eigenen Papst«. Und zwischen beiden entstand eine Freundschaft, deren Art gewiß zu den seelisch merkwürdigsten gehört. Der Greis, eine Figur ganz großen Formates, ein Architekt des hierarchischen Weltplans, ein Mann des strengen Maßes, von benediktinischem Schnitt, welcher nachher Gregor der Neunte wurde, nahm die »Lerche Gottes«, den Poverello an sich. Jene rationalistischen Schriftsteller (wie Paul Sabatier) sehen hämisch in der einzigartigen Zuneigung nichts als einen wohlangelegten Plan, den Schützling zum Häftling zu machen und zum papistischen Werkzeug. Freilich standen die so zweifältig gearteten, doch im Sinn einigen Streiter der Kirche manche ernste Stunde Stirn gegen Stirn. Die Geschichte der Regel bis zur letzten Gestalt von 1923 ist die Geschichte eines stillen Ringkampfes. Davon war schon die Rede. Unter knetendem Druck wurde die lockere geformt, Mörtel eingegossen, die reine Einfalt in erprobter Erfahrung gefaßt. Schmerzliche Gebete mögen dem Stifter entstiegen sein, als ihm teure Herzstücke daraus gebrochen wurden, wie das Gebot, daß die Brüder keine Wegzehrung mit sich nehmen sollten, oder fremdartige Glieder eingefügt, wie das Probejahr, und die liturgischen Observanzen. Für ihn, welcher dem Menschensohn ohne Heimstätte gleichen wollte, war es ein weiter Weg von jenen Tagen, da die Gotteswanderer in Felsenhöhlen und Röhrichthütten wohnten oder im Rumpelhäuslein zu Rivo Torto, als Gäste, nicht als Besitzer – weit bis zu dem Tag, da dem heimkommenden Kreuzprediger vor Bologna ein großes »Haus der Brüder« gezeigt wurde. Nur Hugolin konnte den Erschreckten beruhigen: Das Haus sei seine Leihgabe.

*

Das Licht, welches der Patron schmerzend in den Leuchter spannte, floß in die Christenheit. Da wie dort drohender Abfall wich davor zurück und begrenzte sich. Ohne daß die minderen Brüder haderten und feindschaftlich redeten; es ist nicht ein parteiisch gesäuerter Laut überliefert. Die Blume des Guten wuchs gegen die Blume des Bösen. Der Bote des Herrn, der kein Neuerer sein wollte, erneuerte die Zeit mit dem Wort des reinen Anfangs, Πνεῦμα der Pfingstsendung wehte wieder. Das Opfer der Selbstverleugnung, das Herz des Heiligen glänzte erhoben in die gebannten Augen der Erwartenden.

Tausende Brüder scharten sich, in zehn Jahren zugekommen, auf den letzten »Matten«, den Kapiteln des Ordens, aus allen Winden und Ständen um den Stifter. Nichts Geringeres als die Entsündigung und Friedfertigung der Welt wurde verhandelt. Franziskus hatte einen anderen, den Bruder Elias zum ersten »Diener« der Gemeine gemacht (Welch ein wahrhaftes Königreich, darin der Oberste »Diener aller« heißt und die Oberen »Diener«! Das Königreich der Religion.) Unscheinbar und doch Jedem Schein saß Poverello neben dem Waltenden, ihn am Ärmel zupfend, wenn er sprechen wollte. Glücklich sah der Verkündiger der sorglosen Armut, wie die umbrischen Bauern weit herkamen, die geliebten frommen Freunde zu speisen. Es war gleich dem Wunder der sieben Brote. »Und sie aßen und wurden satt, und huben auf, was übrig blieb an Brocken, sieben Körbe voll.«

Aus Deutschland war Cesarius von Speyer gekommen, der in alle großen Städte dort, Würzburg, Augsburg, Mainz, Worms, Straßburg, Speyer, Köln, Salzburg, Regensburg, den franziskanischen Geist getragen hatte.

Im Herbst 1223 ging der Heilige noch einmal nach Rom als Gast Hugolins. In dessen Palast gab man ihm eine ruhige Turmstube, aber das Gewissen, welches ihm wehrte, der Ruhe sich hinzugeben, vertrieb ihn daraus. Zur Festtafel brachte er sein aus der Küche gebetteltes Brot.

Die endgültige Regel, die noch gültige und darum wohl ehrwürdige, wurde vom Papst bestätigt, zwar schmerzhaft verkürzt und vernüchtert. Doch war die »Hostie« für die Brüder damit geformt aus den »Krumen«. Als Vater des über die Welt gewachsenen dritten Ordens schrieb er einen Brief an die Christenheit und einen an die Lenker der Völker.

Dann zu Weihnacht, baute er in der Klause zu Greccio eine wahrhafte Krippe inmitte des kerzenstrahlenden Waldes und las die »frohe Botschaft« den vielen Herbeigekommenen vor, daß sie weinten.

Sein Körper siechte, seine Augen verschleierten sich. Die Ärzte brannten ihm, helfen wollend, die Schläfenadern mit glühendem Eisen aus. Er bat Schwester Flamme, schön unter allen Geschöpfen, ihm gewogen zu sein, denn er habe sie immer geliebt. Dann hielt er still.

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Das ihm wehtat, nannte er noch seine Schwester, und alle Kreatur war ihm verschwistert. Alles, was ihm begegnete, redete er selig erkennend an. In dieser zartesten Verwebung seines Wesens haben die davon angemuteten Kinder dieser Welt den Pantheos gesehen, und Franziskus wurde aus seinem strengen sakralen Kreis herausgezogen auf das Lackparkett Ästhetik. Gewiß war jenes Bundesgefühl Zug des in Hingabe freudenreichsten Herzens, die Wonne seliger Augenweide, die Lockung der Farben und Düfte, die Reize der Erde. Aber alles auch nur freudig, süß und schön, weil es geschaffen war gleich ihm im gleichen Licht des Gottesauges, vom gleichen Odem des Gottesmundes, weil es mit ihm in dem Schoß der ewigwaltenden Liebe geborgen lag. Und hier sitzt die tiefstgezogene Saite: weil es gleich ihm, mit ihm, ja geheimnisvoll in ihm den Schöpfer pries. Dem Zeichen des Heils, nicht dem Ding, noch seiner Erscheinung war der Heilige verbrüdert. Und doch inniger verbunden als alle Kinder der Welt.

Denn er selber war in Zucht leichtesten Körpers und verklärten Stoffes geworden. So leicht und verklärt, daß die Tiere keine Bangnis mehr vor ihm hatten. Reiner Hauch ging von ihm aus, und er, wenn einer, wandelte im Geruch der Heiligkeit. Der also Milde, Entsühnte, konnte den Schwalben befehlen zu schweigen, während er predigte; die Vögel vernahmen sein Wort; die Tauben trug er ob den Schultern auf die Kanzel und schickte sie von Portiuncula hinüber nach Sankt Damian zu Schwester Klara; und der Falke weckte ihn auf dem Berg Alverno zum Morgengebet.

Ja, es geht von ihm ein Weg, die Erde gelten zu lassen, sie anmutig zu finden und zu lieben: gespiegelt im Himmel des Gleichnisses.

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So rein war Franziskus geworden: Einmal wusch er einen bösartig verdrossenen Aussätzigen, da fiel der Schorf von dessen Körper, und dankbar stürzte der Geheilte zu des Erbarmers Füßen.

*

Des Herren Weg war sein Weg. Er fand ihn blind. Sein ganzes Leben lief wie unter einer heiligen Hypnose die Spur nach Bethlehem und Golgatha. Man nennt es Nachfolge, macht eine katechetische Lehre daraus. Oh, es war mehr, war Nachahmung, ja eine Verwandlung der Gewebe und Gefäße des Leibes, die demütigste und inständigste Angleichung: nicht vermessen, sondern zerknirscht der sagenhaften Spiegelung des Höchsten im Geringsten bewußt, unmystisch, nichts egozentrisch und immanent in sich herabziehend, sondern christozentrisch, des ewigen Abstandes bewußt. Und doch so herzensgetreu, naturhaft, daß jener Volksglaube des »Wiedergekommenen« sich wob. In dem Knecht der immerwährenden Huldigung regte sich zum Lobpreis die Gebärde des Herrn. In der Todesstunde brach der Stifter der minderen Brüder den Seinen das Brot.

Es war auch nur eine rhythmische Weiterleitung, wenn er wieder nachgeahmt wurde und etwa der frommeinfältige Bruder Johann sich bückte, als das Vorbild sich bückte, nieste, da dorther das Zeichen des Reizes kam, und uferlos weinte, sobald in die Augen des Vaters die Tränen der frommen Rührung trat. Ein anderer Bruder kniete immer ungesehen in einer Ecke der Portiuncula, wenn Franziskus darin kniete, so daß er davon krank wurde.

*

Auf dem seligen Berg Alverno, in der Stunde des Wunders beugte sich der Gekreuzigte herab auf den Jünger und zeichnete dem heiligsten Mitleidens fähig Gewordenen seine Wundenmale ein.

Das war im Jahre des Heils 1224 am Fest der Kreuzerhöhung.

Die Aura um sich, kam der Schmerzensbruder des Herrn vom Berg herab. Scheidend grüßte er diesen: »Gott behüte dich, du Berg Gottes, heiliger Berg, sämiger Berg, fetter Berg, Berg, auf dem zu wohnen es Gott wohlgefallen hat, lebe wohl, Berg Alvernus, Gott Vater, Gott Sohn, Gott der Heilige Geist, segne dich, Friede sei mit dir, nimmer sehen wir uns wieder!«

Horch die Sprache des Heiligen, des Mundes des ewigen Anbetung, den ὑμεναιος der geheimsten Vermählung! Das Menschenherz singt daraus empor, schenkt sich hinauf zum Schenker seiner Beglückung. Inständig, wiederholend, bekräftigend, das Licht aufnehmend, wohinein es steigt, sinkt, steigt. Es ist die »Lerche Gottes«. Und wieder ist es ein Kanon der drei heiligen in ihm läutenden Stimmen des Grundes, auch eine Fuge, auf deren tönenden Stufen wir mitansteigen dem »Vorsinger des großen Königs« nach.

Als er sich bereitete, die letzte Stufe, welche hinausführt, zu betreten, sang er den Sonnengesang:

Altissimu, omnipotente, bon Signore,
Tue so le laude la gloria e l'onore et onne benedictione.
Ad Te solo, Altissimo, se confano
Ed nullu homo e ne dignu te mentovare.

*

Höchster, allmächtiger, guter Herr,
Dir sei das Lob, der Ruhm, die Ehre und alle Segnung.
Dir allein, Höchster, geziemt es,
Und kein Mensch ist würdig, dich laut zu denken.

*

Auf dieses Psalmes Lied ging das Leben des Sängers zu. Darum wurde er der Poverello und versenkte sich in die Tiefe, um dahin emporsteigen zu können. Durch Schwester Sonne, Bruder Mond, Geschwister Sterne, durch Schwester Wasser, Bruder Feuer, durch Mutter und Schwester Erde geht der zum Frieden Gereifte selig zum Bruder Tod.

Bruder Pacifico mußte dem Sterbenden den Gesang der Frohlockung vorsingen.

Nackt, wie er auf dem Platz Santa Maria Maggiore gestanden hatte, lag er in letzter Stunde auf den Steinfließen der Portiuncula und lauschte.

*

Die damals das Leben, den Tod und die Verklärung dieses Heiligen beschrieben, denen mußten auch die Worte erglänzen aus dem Glück des Widerscheins. Wenn man heute von ihm handeln will, muß man von ihm erzählen. Er ist so voll innerer und unsterblicher Figur, daß diese etwa aus jedem Versuch, sie in einen gelehrten »Aufsatz« zu fassen, heraustreten wird. Ja und erzählt man von ihm, dann wandelt man geistig an seiner Seite durch Umbrien, wo die Landschaft noch franziskanisch schimmert.

Das Kind dieses Zustandes ist die Legende. Bruder Thomas von Celano, welcher die Ikone der Verehrung in unseren Gedenkschrein stellte; die – holder Name – »drei Getreuen«; und die »Fioretti«, die zarten Gebilde des zärtlichen Namens!

Sie dichten von selber weiter, braucht nur ein reiner Mund zu sein in reiner Stunde: Und Franziskus blieb im Gebet wandelnd bei einer Blume stehen. Da seine Augen schwach waren, beugte er sich hinab zu ihr, nannte sie Schwester und streichelte sie mit der Hand. Als der Heilige aufstand, löste sich die so liebkoste Blume von selber von ihrem Stengel und blieb in seiner Hand.

Aber wißt, auch dieser kostbare Lebenshauch, der da von einem Gottesboten auf Erden blieb, ist nichts Poetisches und nichts des Zweckes, Genießern schöngeistiger Gefühle zu schmeicheln. Er kommt aus den einsamen Nächten, worin ein Mensch zerknirscht auf dem Felsboden der Carceri lag.

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Wenn man sich vorstellt: Der Heilige tauchte etwa im Brodway von New York auf, an einem mondänen Badestrand, oder säße in einer vieltausendköpfigen politischen Versammlung derer, die ihrem Dasein fluchen und Liebe fordern, welche diese Zeit nicht kennt …


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