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Des Geistes Selbstbeweis

Die Dinge lagen wüst. Da trat Νους, der Geist darunter und ordnete sie. Dem Menschengeist ist es gegeben, des Anaxagoras Weisheit an sich zu erfahren. Denn er ist mit der edlen, schweren Gabe ausgeschieden aus der übrigen Kreatur, daß in ihm gleichsam, wie ein Spiegeltheater, jener Vorgang der Ordnung noch einmal geschieht, ja daß er selber eigengesetzlich und eigenbewußt ordnend in die Dinge tritt.

Der Mensch, das »Erdenkind«, das stofflich erzeugte, stofflich bedingte hat den Trieb und die Kraft, ins Geistesreich, ins Reich des Bewußtseins vom Bewußtsein sich zu erheben, auszudehnen, darin zu walten und zu schalten und zu gestalten. Es ist der Selbstbeweis des Geistes. Warum beruhigt man sich nicht damit?

*

Man will das stofflos sich äußernde, unbegreiflichste, unwägbarste der Begebnisse mechanisch, stoff-ursächlich als Epiphänomen, das ist Nebenerscheinung in die Windung der Gehirnrinde legen, weil man erfahrend weiß, daß seine seelisch-individuelle Erscheinung an des leiblichen Organ es funktionellen Zustand gebunden ist nach Maß und Verästelung.

Mechanisch, stoff-ursächlich wird dann der Schluß abgeleitet, zwischen den Bewußtseinsansätzen der niederen organischen Lebewesen und der menschlichen Bewußtseinsfülle spiele eben nur die Frage nach dem Unterschied dieses Maßes und dieser Verästelung, also nach der Ausbildung der Zerebralsubstanz.

Solchem nicht bloß skeptisch, sondern nahezu agnostisch verriegelten Blickfeld ist der Geist ein anatomisch-physiologisch nicht nachweisbares, also auch nicht wirkliches Motiv der Geisterscheinung, dessen Annahme lediglich und mitleidig der Illusion überlassen bleiben mag.

Aber jene stoffumklebten Fragesteller sind gar nicht auf die rechte Schwelle getreten, sie gehen falsch aus. Denn es gilt nicht zu sagen, woher das Bewußtsein des Menschen komme, sondern das Bewußtsein des Bewußtseins, welches sich allein im Menschengeist offenbart.

Dafür hat weder der Naturwissenschaftler, noch der monistische Entwicklungshistoriker Antwort; ja, daran rührt nicht einmal mit einer Vergleichskategorie ihre Frage.

Denn dieses entsteht nimmer aus Bewußtsein   Bewußtsein, auch nicht gereiht vorgestellt; daraus ergibt sich keineswegs die Fähigkeit des Geistes, den Geist, das denkend gedachte »Ich« denkend auszuscheiden. Und darin liegt der Unterschied, die Springwurzel, nicht etwa erst im hochdifferenzierten Denkorgan, sondern im ureinfältigsten, ja auch degenerierten der Gattung Homo sapiens.

Der Naturwissenschaft Aufgabe geht um die »Auflösung der Wirklichkeit in eine Summe abstrakter, quantitativ bestimmbarer Gesetzlichkeiten«. Kant hat sie in die mathematische, Helmholtz in die mechanische Erkenntnisschranke gewiesen. Glaubt sie dieser Einspannung sich fügen zu müssen, dann sei sie darin bescheiden und groß. Beispielhaft darf man ihr, welche die Elektrone spaltet und berechnet, noch heute das Wort Goethes sagen, »daß wir von der Elektrizität nicht viel mehr wissen, als wenn man einer Katze das Fell streichelt«.

Und etwa die Schwelle des organischen Lebens? Favete linguis!

Geht es dem Gehirnanatomen und Psychiater und Psychoanalytiker anders, wenn er vom Geist ausspricht, von dem nicht epiphänomenalen, sondern hyperphänomenalen Logos? Kann er auch nur andeutungsweise Antwort darauf geben?: Daß Einer unserer Art »Ich« dachte und »Du« und »Wir« und »Es«, daß er eine mathematische Formel erfunden hat, daß der Mensch denkerische Gesetze setzt von sich aus, aus sich heraus, daß er zum anderen laut und sinngesondert spricht, daß er stumme, gezeichnete Zeichen der Übereinkunft schuf, die unabhängig von seinem Mund sein Wort bewahren und bewahrt weiter tragen in Raum und Zeit, daß er die wunderbare Zellenherberge der Gedanken, die Sprache ausbaute, daß er aus Stoff Dinge formt, Werkzeuge, welche wieder dritte Dinge hervorbringen nach seinem doch ungreifbaren Gedankenmaß, daß er den Besitz der Erde scheidet, und den Besitz des Geistes begrifflich gruppiert, daß er Gestirne berechnet, die er noch nicht entdeckt hat, daß er ein Bild malt, ein Spiegelbild des aus der Natur in seine Pupillen scheinenden Bildes, daß er einen magisch-stereometrischen Raum, einen Dom baut aus formlosem Stein, daß er ein paar Worte zum Gedicht fügt, unnennbares Geheimnis darein schließend?

Darauf brauchen wir Antwort. Wenn das Beschränkte, das Eintägige, der gebundene Geist von sich gesondert solche Erscheinungen, Formen höchsten wechselreichsten Maßes schaffen kann, unde, cur …?

Wenn der Zerebralforscher an der Gehirnrinde die erkrankte Steile mikroskopisch bestimmen könnte, in welcher irgendeine jener »Äußerungen« im Einzelfall schwindet, was wäre damit erloschen von dem Gesamtlicht, welches Alles gestaltend durchflutet?

»Das Bewußtsein ist nicht aus dem Physischen abzuleiten.« Geschweige denn das Bewußtsein des Bewußtseins, welches wiederum von jenem aus unerklärt bleibt.

Darum darf seine leiblich-funktionelle (aber auch nur für die Einzelerscheinung gegebene) Bedingtheit nicht zur Bedingung seiner Existenz gemacht werden, viel weniger seiner sinnlich-übersinnlichen Bedeutung. Es ist, wie wenn Einer den Marmor und Meißel, Stoff und Werkzeug, zum Kunstwerk erhöbe, oder Dschelalledin Rumi zu dem Reim veranlaßt hätte:

»Wer beim Schreiben nicht die Hand sieht, leichthin denkt,
Daß das Schreibrohr nicht die Hand, daß es selbst sich lenkt.«

Wie ist das? Man sagt jenerseits, daß der Menschenleib sich stofflich (assoziativ unbewußt) in sieben Jahren gänzlich verwandle. Der Geist blieb, wuchs, ungebrochen. Nur getrenntes, unstoffliches, Parallelgesetz konnte dabei (apperzitiv, aufmerksam) wirken.

Wäre der Geist nicht eine wunderbar in sich selbst wesende Einheit, so zerfiele jede Wahrnehmung, und die wechselnd wahrgenommenen Dinge lägen, entfremdete, erblindete Stücke, im Nichts.

Dem Geist kann die Naturwissenschaft weder Geburt, noch Heimat, noch Wegesziel nachweisen. Sie sei bescheiden!

Freilich bleibt auch von der anderen Blickseite das Rätsel, welches den Betrachter erst recht tief in Demut beugt.

*

Selbst die Denkhandlung ist teleologisch, nicht kritisch, wenngleich sie sich so nennt. Ein philosophischer Lehrer hat gesagt: »Denken ist nicht bloß eine Verknüpfung der Vorstellungen mit dem Bewußtsein von der logischen und sachlichen Notwendigkeit, sondern eine Forderung transsubjektiver Bestimmungen, es enthält letzthin eine mystische Glaubensgrundlage … jede Erfahrung gleichfalls bedingt ein transsubjektives Minimum, und das Bewußtsein spürt in sich zugleich sein eigenes Jenseits.«

Man analysiert immer um der Synthese willen.

Das Geheimnis: auch die Denkhandlung wird, wie der Metallstaub vom Magnet, von der Idee aus zusammengezogen, von ihrem Formgesetz.

*

Der Augenblick, da der Mensch sich als gesondertes, scheidendes und entscheidendes Wesen erkennt, schließt auch die Anerkennung des Geistes ein, und zwar seiner Entelechie, der ursach-, zweck- und zielbergenden Wesenheit, sich darstellend im ewig zum Sein strebenden Werden.

Der unbekannte Stoff.

Die unbekannte Kraft.

Die unbekannte Zeit, der unbekannte Raum.

Das unbekannte Ding.

Die unbekannte Zelle.

Das unbekannte Bewußtsein, der Trieb.

Das unbekannte Bewußtsein des Bewußtseins, der Geist.

Und der Weg der Gestaltung:

Ursache.

Zweck.

Ziel (in der Schöpfung nicht erreichbar).

Ur-Sache.

*

Ein Sinnbild: Der Mensch denkt eigentlich keine Gegenwart, nur Zukunft und in der Zukunft vergleichend das Gewesene. Der Einfall Pascals verleitet zu dem Wunsch, einmal die Gedanken der Menschen zusammen festnageln zu können, so daß alle Zeitgeborenen plötzlich sich nur in der Gegenwart sähen, so daß diese für die Weile der Einsicht vom Mittel zum Zweck, zum Selbstzweck würde. Welch ein Wirrsal der Verkehrung entstünde! Wie stockte plötzlich das Gangwerk unserer Vorstellungswelt! Wir würden alle in diesem Augenblick zu Brüdern unseres Hundes, unseres Pferdes verwandelt. Das »Mutabor« des orientalischen Märchens wirkte. Denn das Tier denkt nur Gegenwart. Oder, anders aufgeschlossen, würden wir vielleicht zu Geschwistern der Seligen, denen alle Zeit ungeschieden liegt. Aber so ist's: Wir hoffen immer nur zu leben, und in der Hoffnung ertragen wir das an uns Geschehende. Das Wissen um den Tod hat die Gegenwart genommen und uns vor das Ziel gestellt.

*

Solches bedenkend begreift man auch Faustens tragischen, von uns allen mitgeschlossenen Pakt: »Wenn ich zum Augenblicke sage …«


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