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Das Band des Geistes

Alles was ist und entsteht, entsteht
aus einer Berührung der Geister.
Alle geistige Berührung gleicht der
Berührung eines Zauberstabes.

Novalis.

Ich sitze nachts lesend im Licht am Tisch. Leis singt es aus der leuchtenden Glaskugel der Lampe. Fernher von einem Wasserfall, umgewandelt vom Menschengeist, kommt das Licht tausendadrig durch die Nacht übers Land. Ich kann die Landkarte nehmen und auf ein Städtlein deuten: dort zweieinhalb Stunden weit sitzt jetzt auch ein vertrauter Mensch aus dem Wasserfall mit freundlichem Schein umhellt, darin das gleiche Buch lesend, vielleicht in diesem Augenblick die gleiche Stelle.

*

Freunde sitzen zusammen, eine Lampe brennt still über ihrem Kreis. Sie führen reine Gespräche. Auf einmal merken sie, es geschehe an ihnen etwas. Das ist, als sei aus Jedem etwas hervorgekommen und habe sich mild und schön, ja feierlich und heilig vereint wie zu einem unsichtbaren und ungreifbaren Wesen, welches sie alle sind, welches sie alle spüren in einem gnadenhaften Tausch ihrer Wesen. Jeder ist gefüllt mit dem Schönsten des Andern, jeder in dessen Erhellung verklärt. Es sind nicht mehr ihre Worte. Der Geist ist zwischen sie getreten. Es wich etwas in der Stube, nach unten schwindend. Der Raum hob sich mit ihnen. Leichte Luft weht, milder Lichthauch.

Sie horchen noch schweigend nach einem Gedicht, das vorhin Einer gesagt hat. Nachher sagt ein Anderer: »Das Gedicht liegt zu Marbach im Schillermuseum in einem Glasschrank, die erste Niederschrift auf einem vergilbten Blatt.«

Ein Gespräch knüpft sich: »Ja es ist ein Wunder, daß wir das seit über hundert Jahre schweigsame hier vernehmen, gleichsam hergebracht durch Wilhelms Mund.«

»Fühlen wir nicht, der Mund des lang toten Dichters hat zu uns gesprochen? Dieser hatte gewiß die gleiche Stimme wie Wilhelm.«

»Und geheime Macht ist es, daß das dort eingeschlossene kleine stumme Wortgebild über Welt und Zeit geflogen ist wie ein ewiger Singvogel.«

»Der in – wie viele? – Menschen große Gefühle trug.«

»Und sie schön machte und gut.«

»Σπερμα πνευματιϰον«

»Wie sonderbar: Das Brot schwindet, wenn man davon ißt, das Erdengut mindert sich, sobald es wer teilt in eine, zwei, drei Hände. Die Gemeinschaft des Stoffes lebt durch Verzehrnis.«

»Das Gut des Geistes mehrt sich in jeder Hand.«

»Sein Wert steigt mit jeder Auszahlung.«

»Sein Glanz wächst in jedem beglänzten Auge.«

»Und Jedem wird Freude, wenn Jeder nimmt.«

»Es nährt sich selber, indem es Andere speist.«

»Wie beglückend! Wir sind gleichsam in einer Speisung mit allen verbunden, die das Gedicht je gelesen, gehört und gesprochen haben, mit allen die es sprechen, hören und lesen werden.«

»Und verbunden mit dem Dichter. Er hat uns allen das Brot gebrochen.«

»Die communio spirituale ist an uns geschehen.«

»Was kann uns Freunde noch trennen?«

*

Einer ging zum Bücherschaft und holte eine Schrift des heiligen Augustinus. Daraus liest er vor: »Wir haben da ein Gut, das wir alle gleichermaßen und gemeinsam genießen können. Hier gibt es keine Not und Enge, keinen Mangel … Es ist für jeden da in unberührter Reinheit … Diese Speise ist nicht irgendwie hinwegzuzehren; aus diesem Trank trinkst du nichts, was ich nicht auch trinken kann. Was du dir genommen, bleibt unversehrt auch mir. Was dich belebt, verlange ich nicht von dir zurück, um mich selbst daran zu erquicken, denn nichts davon wird Sondergut für diesen und jenen, sondern ganz und zugleich gehört es allen … Es schließt auch bei stauendem Gedräng der Hörer keinen aus, der kommt; es fließt nicht hin mit der Zeit, es wandert nicht im Raum fort, es schwindet nicht mit der Nacht, es wird vom Schatten nicht verhüllt … Allen ist es nahe, allen unvergänglich.«

Das Buch liegt auf dem Tisch. Die Hände des Vorlesenden haben sich wie von einem Kleinod zurückgezogen. Die Zuhörer denken ergriffen daran, daß die vernommenen Worte aus dem Buch hervorkommen und nun wieder darin eingeschlossen sind gleich in heiligen Schrein, wartend – wann? – einmal wieder zu leuchten.

*

Wieder beginnt das Gespräch: »Merkwürdig, das Gut des Geistes, welches so allen zuteil wird und alle magisch verbindet, kommt aus der Einsamkeit.«

»Die, deren nächtliche Lampe den ganzen Erdball erleuchtet. Das sagt Kleist.«

»Ja es ist wunderbar: abseits, zurückgezogen, gelöst vom Gesetz der tierischen Abhängigkeit, bildet es sich in Dem, der es spendet.«

»Und je reiner und edler es ist, desto weiter her scheint an ihm der Grund der Abgeschiedenheit.«

»Die es uns bringen, sind die Einzigen, welche ohne Täuschung und Enttäuschung über die Schwelle der Einsamkeit treten dürfen. Daß sie es vermögen, ist ihr adeliger Beweis.«

»Sie sind die Gestalten erwähltester Individuation.«

»Sind zugleich die Mischwesen allgemeinster Menschlichkeit.«

»Denn in die Einsamkeit gehen sie auch aus der verstrickten Menschlichkeit. Tausendfach verletzt aus dem Wundengitter der Leiden und Leidenschaften.«

»Freilich, sie müssen tiefer durch das Erlebnis des Gemeinen, das uns alle bändigt.«

»Ja, und auch der Einsamste sammelt sich, leiblich abgeschieden, zu einer Kundgebung für die verlassenen Andern, er ist mit ihnen in einer viel tieferen Art vereint. Er schreibt, auch wenn es nur ein Gedicht ist, Briefe seines Wesens an ihr Wesen. Sein Mund spricht zu den unsichtbaren Hörern. Zur Idee des Zuhörers.«

»Doch sein Wort wird rein und wahr und voll Bedeutung in jenem körperlosen Raum der Entstehung.«

»Dann kommt das lauter Gewordene, Geklärte aus der Einsamkeit zu uns zurück.«

»Wie die Quellen vom Berg rieselt es herab.«

»Es ging ein Strom von Eden.«

»Der Stoff ist durch den Geist gegangen.«

»Wird Geschenk.«

»Und Gleichnis.«

*

Wiederum nach einer Weile wird gesagt: »Wenn Einer von Goethe nichts wüßte, wäre er doch von dem Rinnsal seiner Quellen irgendwie bestäubt, das Wunder der Durchrieselung wirkt bis in die dürftigste lebendige Seele. Wer nie ein Bild Dürers gesehen hat, dem hängt doch ein Glanz von dessen inwendiger Figur an der Wand; jedes deutsche Auge ist von deren Schein betroffen. Im Herzen der Tauben zittert etwas vom Tonzauber einer Mozart-Sonate.«

Geantwortet wird: »Wer vermöchte das Becken droben im Berg des Geistes auszumessen in Breite und Tiefe und Wunder, von den Weisen und Dichtern und Künstlern aller Zeiten angefüllt?«

Der bisher Stillste erzählt: »Mir gegenüber wohnt ein schönes, nicht mehr allzu junges Frauenwesen. Sie spielt abends gern Klavier, in ruhiger edler Art klassische Musik. Ihr Fenster steht offen und ich sehe hindurch auf eine Malerei, eine Landschaft, wohl von der Hand eines biedermeierlichen Meisters. Ich vermag keine Gefühle zu beschreiben. Aber wenn ich sitze, dem Spiel zuhorchend und das Bild betrachtend, spüre ich eine solch selige Einheit und reine Dankbarkeit, wie sie uns nur eine Gnade schenken kann. Meine Augen, mein Gehör, meine Stube, die Stube drüben, die Landschaft, die Musik kommen mir wie frisch geworden vor für diese Stunde und doch zugleich legendenhaft lang vertraut. Ich ziehe mich manches Mal, die Zeit erwartend, extra an. Die Spielerin sehe ich nicht am Klavier. Nachher muß ich dann fortgehen und Geld verschenken, oder sonst was Liebes tun.«

Einer sagt noch: »Im Namen des biedermeierlichen Malers, des klassischen Komponisten.«

»Ja so ist es, ich denke mir wirklich, es in ihrem Auftrag zu tun.«

»Und gewiß auch in dem der Spielerin.«

*

Der Morgenstern stand schon am Himmel, als die Freunde auseinander gingen.


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