Georg Ebers
Die Frau Bürgemeisterin
Georg Ebers

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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Lieschen hatte ein Stück gebratener Taube gegessen, den ersten Bissen seit mehreren Tagen. Darüber herrschte im van der Werff'schen Hause eine Freude, als wäre der Familie ein großes Glück widerfahren. Adrian lief in die Werkstätten und erzählte es den Arbeitern. Peter ging in strafferer Haltung auf das Rathhaus, und Maria, welche ohnehin ausgehen mußte, nahm es auf sich, der Frau des Steuereinnehmers über die gute Wirkung der Gabe ihres Sohnes Bericht zu erstatten.

Der Alten rannen bei der Erzählung der Bürgemeisterin die hellen Thränen über die schlaffen Wangen. Sie küßte Maria und rief:

»Ja, der Wilhelm, der Wilhelm. Wär' er nur gerade zu Haus! Aber ich rufe den Vater. Mein Gott, der ist wohl auch auf dem Rathhaus. Wie war mir denn? Hört, Frauchen, hört – was ist das?« Glockengeläut und Böllerschüsse hatten die Rede der Alten unterbrochen; hastig riß sie das Fenster auf und rief:

»Vom Pankratiusthurm! Kein Sturmgeläut! Schießen und lustiges Feiern. Da hat sich etwas Frohes begeben. Das können wir brauchen! Ullrich, Ullrich! Gleich kommst Du zurück und bringst uns Nachricht. Lieber himmlischer Vater! Lieber Gott! Schick' den Entsatz! Wenn er doch da wär'!«

In großer Spannung warteten die Frauen. Endlich kam Wilhelm's Bruder Ullrich zurück und erzählte, daß die nach Delft gesandten Boten sich glücklich durch die Reihen der Feinde geschlichen und einen Brief der Staaten mitgebracht hätten. Der Stadtsetretär hatte ihn vom Rathhausfenster verlesen. Die Landesvertreter lobten das Verhalten und die Ausdauer der Bürger und theilten ihnen mit, daß die Deiche ungeachtet des Schadens, welcher dadurch Tausenden von Landleuten erwachse, durchstochen seien.

Das Wasser drang in der That schon in das Land, und die Boten hatten die zum Entsatz bestimmten Schiffe selbst gesehen. Bald mußte die Umgebung von Leyden überschwemmt sein und die wachsende Flut das spanische Heer zum Abzüge zwingen. »Besser verdorbenes als verlorenes Land,« dies Schlagwort war bei der Ausführung der gewaltsamen Maßregel entscheidend gewesen, und von Denen, welche so Großes auf's Spiel gesetzt hatten, durfte man erwarten, daß sie kein Opfer scheuen würden, um Leyden zu retten.

Die beiden Frauen schüttelten einander glückselig die Hand; dazu tönte das Glockengeläute fröhlich fort, und Schuß auf Schuß klang durch die klirrenden Fenster.

Als es dämmerte, begab sich Maria auf den Heimweg. So froh war ihr lange nicht um's Herz gewesen. Die schwarzen Tafeln an den Pesthäusern wollten ihr heute weniger traurig, die abgezehrten Gesichter weniger bejammernswerth als sonst erscheinen, denn auch für sie nahte Hülfe. Das treue Ausharren sollte belohnt werden, die Sache der Freiheit siegen!

Mit beflügeltem Fuß trat sie in die »breite Straße«. Tausende von Bürgern waren in derselben zusammengeströmt, um zu sehen, zu hören und zu erfahren, was man hoffen durfte, oder was es immer noch zu befürchten gab. An den Straßenecken waren Stadtmusikanten aufgestellt worden, welche ermuthigende Weisen spielten, der Gesang des Geusenliedes mischte sich in die Schalmeien und Trompeten und das Vivatrufen begeisterter. Männer. Aber es hatten sich auch ganze Schaaren von wohlgekleideten Bürgern und Bürgersfrauen zusammengerottet, welche laut und ohne Scheu über die frohe Musik und die jubelnden Gimpel spotteten, die sich von leeren Verheißungen kirren ließen. Wo war der Entsatz? Was vermochte die Handvoll Geusen, welche der Prinz im besten Falle herbeiführen konnte, gegen die furchtbare Streitmacht des Königs, welche Leyden umringte? Und die Ueberflutung des Landes? Die Flur der Stadt war zu hoch gelegen, als daß das Wasser sie jemals erreichen konnte. Man hatte die Bauern geschädigt, ohne den Bürgern zu nützen. Es gab nur eine Rettung: sich der Gnade des Königs anzuvertrauen!

»Was haben wir von der Freiheit!« rief ein Brauer, dem, wie all' seinen Berufsgenossen, das Korn schon längst fortgenommen und die Bereitung neuen Biers untersagt worden war. »Was haben wir von der Freiheit, wenn wir allesammt kalt sind! Wer es gut meint, zieht vor das Rathhaus und fordert die Uebergabe, bevor es zu spät ist.«

»Uebergabe! Die Gnade des Königs!« schrieen ihm wohl zwanzig Bürger nach.

»Erst kommt das Leben und dann erst die Frage: frei oder spanisch, kalvinisch oder papistisch!« schrie ein Webermeister. »Ich ziehe mit vor das Rathhaus.«

»Ihr seid im Recht, ihr guten Leute,« sagte der Bürgemeister Baersdorp, welcher in seinem kostbaren mit Zobel verbrämten Ueberwurf vom Rathhaus kam und des Schlossers Rede gehört hatte. »Aber laßt euch bedeuten! Heute beginnen die Leichtgläubigen wieder zu hoffen, und die Zeit, euren billigen Wunsch geltend zu machen, ist übel gewählt. Wartet noch einige Tage, und wenn sich dann der Entsatz nicht gezeigt hat, so macht eure Meinung geltend. Ich rede euch das Wort und mit mir noch mancher gute Mann in der Broodschaft. Wir haben von Valdez nichts zu erwarten, als Milde und Güte. Gegen den König aufzustehen, war von vornherein ein frevelhaftes Spiel – gegen Hunger, Pest und Tod zu kämpfen ist Sünde und Wahnsinn. Gott befohlen, ihr Leute!«

»Der Bürgemeister ist wohlberathen,« rief ein Tuchfärber.

»Van Swieten und Norden denken wie er, aber Meister Peter sitzt auf dem Stuhl durch des Prinzen Gnade! Uns rettet der Spanier, ihm geht es an den Hals, wenn er einzieht. Da mag sterben, was will; er und die Seinen sitzen im Fett und haben's vollauf!«

»Da geht seine Frau,« sagte ein Webermeister und wies mit dem Finger auf Maria; »wie lustig sie aussieht! Das Ledergeschäft muß noch gut gehen. He! – Frau Bürgemeisterin! He! Grüßt Euren Mann und sagt ihm, sein Leben sei gut; aber unseres ist auch kein Strohwisch.«

»Sagt ihm ferner,« rief ihr ein Viehhändler, dem die Noth noch nicht sonderlich wehgethan zu haben schien, in's Gesicht, »sagt ihm, Ochsen könne man schlachten, je mehr, je lieber; aber Leydener Bürger . . .«

Der Viehhändler brachte seine Rede nicht völlig zu Ende, denn Herr Aquanus hatte von dem Angulus aus gesehen, was der Frau Bürgemeisterin zustieß, und war aus dem Wechsel auf die Straße und mitten unter die Unzufriedenen getreten.

»Schämt euch!« rief er. »Eine ehrbare Frau auf der Straße zu überfallen! Ist das Leydener Art? Gebt mir die Hand, Frau Maria, und hör' ich noch ein einziges scheltendes Wort, so ruf' ich die Waibel. Ich kenn' euch! Beim blauen Stein steht noch immer der Galgen, den Herr van Bronkhorst für euresgleichen aufrichten ließ. Wer von euch will ihn einweihen?«

Diejenigen, denen diese Worte galten, waren die Mutigsten nicht, und kein Wort wurde laut, als Aquanus die junge Frau in den Wechsel führte. Das Weib und die Töchter des Wirths empfingen Maria in ihrer von den Herbergsräumen getrennten Wohnung und baten sie, sich's dort gefallen zu lassen, bis sich das Gedränge vertheilt habe. Aber es zog Maria nach Hause, und als sie erklärte, fort zu müssen, bot Aquanus ihr seine Begleitung an.

In der Hausflur stand Georg von Dornburg und trat mit einem ehrerbietigen Gruße zurück, der Wirth aber rief ihn zu sich heran und sagte:

»Es gibt heut viel zu schaffen, denn Mancher gönnt sich wohl ein Gläschen nach der guten Botschaft. Haltet mir's zugute, Frau Bürgemeisterin, aber der Junker führt Euch so sicher nach Hause wie ich . . . und Ihr, Herr von Dornburg . . .«

»Ich stehe zu Diensten,« entgegnete Georg und trat mit der jungen Frau auf die Straße.

Eine Zeitlang gingen Beide schweigend neben einander her und Jedes glaubte den Herzschlag des Andern zu hören. Endlich athmete der Junker tief auf und sagte:

»Drei lange, lange Monate sind seit meiner Ankunft verflossen. Bin ich brav gewesen, Maria?«

»Ja, Georg.«

»Aber Ihr könnt Euch nicht denken, was es mich gekostet hat, das arme Herz an der Kette zu halten, die Worte zu knebeln und das Auge zu blenden. Einmal, Maria, einmal muß es gesagt sein . . .«

»Nie, nie,« unterbrach sie ihn mit dringender Bitte. »Ich weiß, daß Ihr redlich gekämpft habt; bringt Euch jetzt nicht freventlich um den Sieg.«

»O, hört mich, Maria; nur dies eine Mal hört mich!«

»Was frommt es Euch, wenn Ihr mir mit glühenden Worten die Seele bedrängt? Ich darf nur von Einem hören, daß er mich liebt, und was ich nicht hören darf, das dürft Ihr nicht sagen.«

»Nicht?« fragte er im Ton leisen Vorwurfs und fuhr dann dumpf und bitter fort: »Ihr habt Recht, sehr Recht. Selbst das Reden ist mir versagt. So mag das Leben denn weiter rinnen wie ein bleierner Strom, und was an seinem Rande grünt und blüht, duftlos bleiben und grau. Das goldene Sonnenlicht hat sich für mich hinter Nebel versteckt, die Freude liegt in Ohnmacht hier drinnen, und was sonst mich entzückt hat, ist schal und reizlos geworden. Erkennt Ihr noch den frohen Gesellen von früher?«

»Suchet den Frohsinn wieder, sucht ihn um meinetwillen.«

»Hin, hin,« murmelte er traurig. »Ihr habt mich in Delft gesehen, aber recht gekannt habt Ihr mich doch nicht. Wie zwei Glücksspiegel, in denen sich jedes Bild, das sie aufnehmen, lieblich verklärt, sind diese Augen gewesen, und es ward ihnen vergolten; denn wohin sie auch schauten, sind ihnen freundliche Blicke begegnet. Dieses Herz hat damals die ganze Welt umfaßt, und es schlug so rasch und fröhlich! Oft fand ich keinen Rath und wußte nicht aus noch ein vor Lust und Leben, und es war mir, als müßte ich wie ein Feuerrohr, das die übermächtige Ladung zersprengt, in tausend Stücke zerfliegen, aber nicht in die Breite, sondern geradewegs hinauf in den Himmel. Das war so selig und war doch so schmerzvoll, – das habe ich in Delft zehnmal empfunden, wenn Ihr gütig zu mir gewesen! Und jetzt, jetzt? Noch habe ich Schwingen, noch könnte ich fliegen, – aber da kriech' ich als Schnecke hin, – denn Ihr wollt es.«

»Ich will es nicht,« gab Maria zurück. »Ihr seid mir lieb, das darf ich bekennen, – und Euch so zu sehen, bereitet mir Kummer. Aber nun, – wenn ich Euch theuer bin, und ich weiß ja, daß Ihr mir gut seid, – nun höret auf, mich so grausam zu martern. – Ihr seid mir lieb. – Ich habe es gesagt, und es muß gesagt sein, damit Alles klar werde zwischen uns Beiden. Ihr seid mir lieb, wie die schöne, vergangene Zeit meiner Jugendtage, wie liebliche Träume, wie ein herrliches Lied, an dem wir uns freuen und die Seele erfrischen, wenn wir es hören oder seiner gedenken, – aber mehr seid Ihr mir nicht, mehr dürft Ihr mir niemals werden. Ihr seid mir lieb, und ich will, daß Ihr es mir bleibt, und Ihr könnet es mir doch nur bleiben, wenn Ihr den Eid nicht brecht, den Ihr geschworen.«

»Geschworen?« fragte Georg. »Geschworen?«

»Ja, geschworen,« unterbrach ihn Maria und hemmte den Fuß. »An Peter's Brust, am Geburtstagsmorgen – nach dem Gesang. Erinnert Euch wohl! Ihr habt damals einen stummen Eid geleistet; ich weiß es, weiß es nicht weniger sicher, als daß ich selbst meinem Gatten am Altare Treue geschworen. Könnt Ihr mich Lügen strafen, so thut es!«

Georg schüttelte verneinend das Haupt und entgegnete mit steigender Wärme:

»Ihr leset in meiner Seele. Unsere Herzen kennen einander wie zwei treue Freunde, wie die Erde ihren Mond, wie der Mond seine Erde. Was ist Eins ohne das Andere? Warum soll man sie trennen? Seid Ihr je auf einem Waldweg gewandelt? Da gehen die Spuren zweier Räder still neben einander und berühren sich niemals. Die Achse hält sie auseinander wie uns unsere Eide.«

»Sagt lieber: wie uns unsere Ehre.«

»Wie uns unsere Ehre. Aber dann findet man oft im Busch eine Stelle, wo der Weg bei einem Schlag oder Meiler endet, und da kreuzen sich die Spuren und schneiden einander, und in dieser Stunde fühl' ich's: mein Pfad ist am Ende. Ich kann nicht so weiter, ich kann nicht, oder die Pferde rasen in's Dickicht und das Fuhrwerk zerschellt an Wurzeln und Steinen.«

»Und mit ihm die Ehre. Kein Wort mehr. Laßt uns schneller gehen. Seht die Lichter an den Fenstern. Jeder will zeigen, daß ihn die gute Botschaft erfreut hat. Auch unser Haus darf nicht dunkel bleiben.«

»Eilet nicht so. Barbara sorgt, und wie bald müssen wir scheiden! Ihr sagtet doch, daß ich Euch lieb sei.«

»Foltert mich nicht!« rief die junge Frau mit rührender Bitte.

»Ich will Euch nicht quälen, Maria, Ihr sollt mich nur hören. Es ist mir Ernst, furchtbarer Ernst mit dem stummen Eide gewesen, den ich mir geschworen, und durch den Tod hab' ich mich von ihm loszukaufen versucht. Ihr habt gehört, wie ich bei dem Sturm der Boschhuizener Schanze im Juli wie rasend mitten unter die Spanier gestürzt bin. Eure Schleife, die blaue Schleife von Delft, das Band in der Farbe des Himmels hat hier an dieser Schulter geflattert, als ich den Schwertern und Lanzen entgegenrannte. Ich sollte nicht sterben und kam unverletzt aus dem Wirrwarr. O Maria, um dieses Eides willen hab' ich Martern sondergleichen ertragen. Sprecht mich frei von ihm, laßt mich Euch einmal, nur einmal frei gestehen, Maria . . .«

»Haltet ein, Georg, haltet ein,« flehte die junge Frau. »Ich will, ich darf Euch nicht hören . . . heute nicht, morgen nicht, nie, nie, bis in alle Ewigkeit nie!«

»Einmal, nur ein einziges Mal will ich, muß ich Euch sagen, daß ich Euch liebe, daß ich Leben und Seligkeit, Frieden und Ehre –«

»Kein Wort mehr, Junker von Dornburg. Da liegt unser Haus. Ihr seid unser Gast, und redet Ihr noch ein einziges Wort wie das letzte zu dem Weib Eures Freundes . . .«

»Maria, Maria . . . O rührt nicht den Klopfer. Wie dürft Ihr das ganze Glück eines Menschen so fühllos vernichten . . .«

Die Thür hatte sich geöffnet und die Bürgemeisterin trat auf die Schwelle. Georg stand ihr gegenüber, streckte die Hand wie hülfesuchend nach ihr aus und murmelte dumpf:

»In Tod und Verzweiflung gestoßen! Maria, Maria, warum thut Ihr mir das?«

Da legte sie die Rechte in die seine und sagte: »Damit wir einander würdig bleiben, Georg.«

Gewaltsam entzog sie ihm die eiskalte Hand und trat in das Haus; er aber irrte stundenlang wie ein Trunkener durch die erleuchteten Straßen und warf sich dann mit glühendem Kopf auf's Lager. Auf dem Tischchen neben dem Bette lag ein leicht zusammengeheftetes Büchlein. Er ergriff es und schrieb mit bebenden Fingern. Oft stockte der Stift, oft schaute er tief athmend und mit weit geöffneten Augen lange in's Blaue. Endlich warf er das Buch beiseite und wachte unruhig dem Morgen entgegen.


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