Georg Ebers
Die Frau Bürgemeisterin
Georg Ebers

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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Peter hatte Henrika versprochen, den Rath um Geleit für sie zu ersuchen.

Das Scheiden von dem Bürgemeisterhause fiel ihr schwer. Maria's lauteres Wesen that ihr wohl; es war ihr, als wüchse ihre Achtung vor dem eigenen Geschlecht in ihrer Gesellschaft. Gestern hatte sie die Bürgemeisterin auch singen hören. Wie ihr ganzes Wesen, so war ihre Stimme. Jeder Ton glockenrein und makellos, und es that ihr leid, daß es ihr nun versagt sein sollte, im Zweigesang die eigene Stimme mit der ihren zu mischen. Auch die Kinder verließ sie ungern. Dennoch mußte sie fort, schon um Anna's willen, denn durch Briefe war ihr Vater zu nichts zu bewegen. Hätte sie ihn schriftlich um Vergebung für sein verstoßenes Kind angerufen, so würde er den Brief kaum zu Ende gelesen haben. Mit Worten ließ sich in einer günstigen Stunde eher etwas von ihm erreichen. Sie mußte ihn sprechen, aber es graute ihr vor dem Leben im heimischen Schlosse, zumal sie sich sagen mußte, daß auch sie ihrem Vater nichts weniger als nothwendig sei. Um die Erbschaft zu sichern, hatte er sie zu der Base in ein Höllendasein gesandt; während sie todkrank daniedergelegen, war er zum Turniere geritten, und der Brief, den sie gestern von ihm bekommen, enthielt nichts als die Mittheilung, daß ihm der Einlaß in die Stadt versagt werde, und die Aufforderung, sich in das Haus des Junkers de Heuter in den Haag zu begeben. Als Einlage fand sie einen vom Maëstro del Campo Valdez unterzeichneten Geleitsbrief, in dem den Offizieren und Soldaten des Königs Philipp anbefohlen wurde, für ihre Sicherheit Sorge zu tragen.

Der Bürgemeister hatte ihr in Aussicht gestellt, sie in einer Sänfte, von einem Parlamentär begleitet, bis zu den spanischen Linien führen zu lassen, und der Doktor erhob gegen ihren Wunsch zu reisen keinen Einwand mehr. Hoffentlich kam es schon heut zum Aufbruch.

Träumend stellte sie sich in den Erker und blickte in den Hof. Einige Fenster des östlichen Seitengebäudes standen offen. Trautchen mußte früh aufgestanden sein, denn sie kam mit einer jungen Gehülfin, welche ihr mancherlei Scheuergeräth nachtrug, aus der für Georg eingerichteten Wohnung. Dann erschien Jan mit einem großen Lehnstuhl über dem Kopf. Lieschen lief dem Friesen nach und rief:

»Base Bärbel's Großvaterstuhl; wo macht sie nun ihr Schläfchen nach Mittag?«

Henrika hatte diese Worte verstanden und dachte zuerst an die alte, brave »Babetta«, welche auch noch zärtlich empfinden konnte, und dann an Maria und den Mann, welcher dort drüben Quartier finden sollte. Hielt das alte Band, welches die Bürgemeisterin mit dem schönen Junker verbunden hatte, nicht doch noch an lockeren Fäden zusammen? Ein leises Grauen befiel sie. – Armer Meister Peter, arme Maria! War es recht, die junge Frau, welche ihr in der Noth die rettende Hand geboten, gerade jetzt zu verlassen? Aber um wie viel ferner stand ihr die Fremde als die leibliche Schwester! Jeder Tag, an dem sie sich's länger in diesem Frieden wohl sein ließ, kam ihr vor wie ein Raub an Anna – seitdem sie in einem Brief derselben an ihren Gatten, dem einzigen, welchen die Brieftasche des Gefallenen enthalten, gelesen hatte, daß sie krank sei und mit ihrem Kinde in Armuth verkomme.

Hier that Hülfe noth, und außer ihr selbst konnte Keiner sie bieten.

Mit Barbara's und Maria's Beistand packte sie ihre Sachen. Um Mittag war Alles zum Aufbruch bereit, und sie ließ es sich nicht nehmen, heute zum ersten Male mit der Familie im Speisezimmer zu essen. Peter war abgehalten, bei Tisch zu erscheinen; sie nahm seinen Platz ein und versteckte unter einer lauten, gemachten Fröhlichkeit das Weh und die Sorgen, welche sie erfüllten. In der Dämmerstunde folgten die Bürgemeisterin und die Kinder ihr in ihr Zimmer, und nun ließ sie sich die Harfe bringen und sang. Anfänglich versagte der tiefen Stimme mancher Ton, aber wie der Schnee, welcher vom Hochgebirge in die Ebene fällt, erst langsam und stockend gleitet, dann aber in raschem Wachsthum an Gewicht und Größe zunimmt, sich festigt und rundet, so nahm ihre tiefe Stimme allmälig zu an Fülle und hinreißender Kraft, und als sie endlich die Harfe an die Wand lehnte und erschöpft dem Stuhle zuschritt, faßte Maria ihre Hand und sagte bewegt:

»Bleibt bei uns, Henrika.«

»Ich darf nicht,« entgegnete das Mädchen. »Ihr habt auch aneinander genug. Soll ich euch mitnehmen, Kinder?«

Adrian schaute verlegen zu Boden, Lieschen aber warf sich auf ihren Schooß und rief:

»Wo gehst Du denn hin? Bleib' nur bei uns!«

Da klopfte es, und Peter trat in das Zimmer. Man sah ihm an, daß er keine gute Kunde bringe. Im Rath war sein Gesuch abgelehnt worden. Fast einstimmig hatte man dem Vorschlag des Kommissars van Bronkhorst beigestimmt, das Fräulein als eine Verwandte von vornehmen Spanierfreunden unter dem niederländischen Adel in der Stadt zu behalten. Wenn es zur Uebergabe kam, so konnte die Anwesenheit des Fräulein van Hoogstraten zwar kaum das Sengen und Morden verhüten, aber doch vielleicht den Führern einige Vorsicht auferlegen. Peter's Einwände waren unberücksichtigt geblieben; jetzt theilte er dem Fräulein redlich mit, welchen Kampf er bestanden, und bat sie, sich zu gedulden und weiter in seinem Hause als gerngesehener Gast vorlieb zu nehmen.

Sie unterbrach ihn mit manchem stürmischen Rufe des Unwillens und der Empörung, und als sie ruhiger geworden war, rief sie:

»O ihr, ihr! – Ich bliebe ja gern bei euch, aber ihr wißt, woran diese schnöde Gewaltthat mich hindert. Und dann: Gefangen sein, wochen-, monatelang hinleben ohne Messe und ohne Beichte! Doch zuerst und zuletzt: Gütiger Himmel, was wird nun aus meiner unglückseligen Schwester?!«

Maria schaute Peter bittend an und dieser sagte:

»Wenn Euch nach den Tröstungen Eurer Religion verlangt, so sende ich Pater Damianus zu Euch, und Ihr könnt bei den grauen Schwestern neben uns die Messe hören, so oft Ihr begehrt. Wir kämpfen nicht gegen Euren Glauben, sondern für die freie Uebung jeglichen Glaubens, und die ganze Stadt steht Euch offen. Die Sorge um Eure Schwester wird mein Weib Euch besser tragen helfen, als ich es vermöchte, aber das laßt Euch gesagt sein: Wo und wie ich Euch helfen kann, da soll es geschehen, und nicht bloß mit Worten.«

Dabei hielt er Henrika die Hand hin. Sie gab ihm die ihre und rief:

»Ich hab' Euch zu danken, ich weiß es, aber bitte, laßt mich jetzt und gebt mir bis morgen Bedenkzeit.«

»Ist nichts am Beschluß des Rathes zu ändern?« fragte Maria ihren Gatten.

»Nein, gewiß nicht.«

»Wohl denn,« sagte die Bürgemeisterin ernst, »so bleibt Ihr die Unsere. Der Gedanke an Eure Schwester trübt nicht Euch allein, sondern auch mir die Freude. Sorgen wir denn vor Allem für sie. Wie steht es mit den Wegen nach Delft?«

»Sie sind abgeschnitten, und morgen oder übermorgen kommt Niemand mehr durch.«

»So nehmt Euch zusammen, Henrika, und laßt uns erwägen, was noch zu thun ist.«

Die Fragen und Gegenfragen begannen, und das Mädchen schaute erstaunt auf die zarte junge Frau, denn sie führte mit unbeirrter Entschiedenheit und Schärfe die erste Stimme bei der Berathung. Als das sicherste Auskunftsmittel ergab sich, heute noch einen zuverlässigen Boten zu suchen, Anna d'Avila durch ihn Geld überbringen und sie womöglich nach Holland führen zu lassen. Der Bürgemeister erklärte sich bereit, auf das von dem verstorbenen Fräulein der Schwester Henrika's ausgesetzte Legat, welches sicher anerkannt werde, einen Vorschuß aus seiner Kasse zu leisten, und nahm den Dank seines Gastes zwanglos an.

Aber wen konnte man senden?

Henrika dachte an den Musiker Wilhelm; er war ja ein Freund ihrer Schwester.

»Aber er steht im Dienste,« gab der Bürgemeister zurück. »Ich kenne ihn. Er wird in diesen Tagen der Noth die Stadt gewiß nicht verlassen: nicht für seine eigene Mutter!«

»Ich aber weiß den rechten Boten,« sagte Maria. »Wir senden den Junker Georg.«

»Das läßt sich hören,« rief Peter. »Wir finden ihn jetzt in seiner Herberge. Ich muß zu van Hout, und der wohnt neben dem Wechsel. Ich schick' euch den Deutschen. Aber meine Zeit ist gemessen, und solchen Herren gegenüber kommen schöne Frauen weiter als ein bärtiger Mann. Gehabt Euch wohl, werthes Fräulein, und nochmals: Wir freuen uns unseres Gastes.«

Als der Bürgemeister das Zimmer verlassen hatte, sagte Henrika:

»Wie das Alles so schnell und anders gekommen ist, als ich erwartet. Ich bin euch gut, ich bin euch verpflichtet; aber gefangen sein, gefangen! . . . Die Wände werden mich drängen, die Decke wird mich bedrücken. Soll ich mich freuen, soll ich verzweifeln, ich weiß nicht. Ihr vermögt viel über den Junker. Erzählt ihm von Anna, bewegt ihm das Herz, und wollte er reiten, wahrlich, es wär' für uns Beide das Beste.«

»Ihr meint für Euch und Eure Schwester,« entgegnete Maria mit einer ablehnenden Handbewegung. »Da ist die Lampe. Wenn der Junker kommt, sehen wir uns wieder.«

Maria begab sich in ihre Kammer und warf sich dort auf die Ruhebank, aber bald erhob sie sich und ging unruhig auf und nieder. Dann streckte sie die Arme mit gefalteten Händen weit aus und rief:

»O, wenn er doch ginge, wenn er doch ginge! Lieber Gott! Guter, gnädiger Vater im Himmel, schenke ihm alles Glück, allen Segen, aber bewahre mir meinen Frieden; laß ihn ziehen und führe ihn fort, weit fort von hier!«


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