Georg Ebers
Die Frau Bürgemeisterin
Georg Ebers

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel.

Die Frau Bürgemeisterin van der Werff durchmusterte am Nachmittage des sechzehnten Mai Schränke und Laden. Ihr Gatte befand sich auf dem Rathhause, aber er hatte ihr mitgetheilt, daß noch gegen Abend der Kommissarius des Prinzen, Herr Dietrich van Bronkhorst, die beiden Herren von Nordwyk, der Stadtsekretär van Hout und einige andere Häupter der Stadt und Freunde der Freiheit zu einer vertraulichen Besprechung bei ihm zusammenkommen würden. Maria sollte für die Bewirthung der Herren mit einem guten Imbiß, Wein und dergleichen Sorge tragen.

Diese Aufforderung wirkte ermunternd und belebend auf die junge Frau. Es freute sie, doch auch einmal im Sinne ihres elterlichen Hauses die Wirthin spielen zu können. Wie lange war es ihr versagt gewesen, einem ernsten, inhaltreichen Gespräch zuzuhören. An Besuchen hatte es ihr freilich nicht gefehlt: die Gevatterinnen und Verwandten des Hauses ihres Gatten, welche ihr aufwarteten und bei Barbara vorsprachen, ersuchten sie oft genug, es sich bei ihnen wohl sein zu lassen; aber unter ihnen gab es zwar Manche, welche sich ihr freundlich gesinnt zeigte und die sie wegen ihrer Bravheit achten mußte, aber auch nicht eine, zu der sie warme Neigung gezogen hätte. Ja, Maria, in deren Leben die Zerstreuungen sich wahrlich nicht drängten, graute es doch vor ihrem Kommen, und wenn sie da waren, so ertrug sie ihre Anwesenheit wie ein unabwendbares Uebel. Die würdigen Matronen stammten sämmtlich aus weit früheren Jahrzehnten als sie, und wenn sie bei Kuchen, Fruchtmus und Würzwein dasaßen und spinnend, strickend oder Netze knüpfend von der schlimmen Zeit der Belagerung, von Kinderpflege und Dienstbotensorgen, von Wäsche und Seifekochen sprachen, oder die vielen unbegreiflichen und niemals zu billigenden Dinge, welche andere Frauen begangen haben sollten, begingen oder begehen wollten, einer strengen Prüfung unterzogen, so ward der Bürgemeisterin schwül um's Herz und ihre einsame Kammer wollte ihr dann immer wie ein stiller Friedenswinkel erscheinen.

Nur wenn man von dem Elend des Landes und der heiligen Pflicht sprach, zur Noth auch noch ein zweites Mal für die Freiheit des Landes Drangsale jeder Art zu ertragen, konnte sie redselig werden, und dann hörte sie gern auf die derben Frauen, denen man ansah, daß es ihnen ernst war mit dem, was sie sagten; aber wenn müßiges Geschwätz sich durch Stunden hinzog, verursachte es ihr geradezu Schmerzen. Dennoch durfte sie ihm nicht entfliehen und mußte bis zum Aufbruch der letzten Gevatterin aushalten; denn Barbara hatte, nachdem sie es einigemal gewagt hatte, sich vorzeitig zurückzuziehen, sie freundlich gewarnt und ihr nicht verschwiegen, daß sie schweren Stand gehabt habe, um sie gegen den Vorwurf des Stolzes und der Unart zu vertheidigen.

»Solche Plauderei,« hatte die Alte gesagt, »ist vergnüglich und stärkt den Muth, und wer die Gevatterinnen, so lange sie noch beisammen sitzen, verläßt, der mag den Herrgott um freundliche Nachrede bitten.«

Eine Frau in Leyden sagte der Bürgemeisterin innig zu. Das war die Frau des Stadtsekretärs van Hout, aber diese ließ sich nur selten sehen, denn obgleich sie zart und vornehm erschien, mußte sie sich doch von früh bis spät rühren, um die Kinder und den Hausstand, in dem es knapp genug herging, in Ordnung zu halten.

Frischer und froher als seit vielen Tagen trat Maria heut vor die Borde, welche das Tafelgeschirr trugen und den Schrank, in dem das Silber verwahrt ward. Blank und glänzend, frei von jedem Stäubchen stand Alles, was das Haus von guten Geräthen besaß, auf weißen, mit Spitzen besetzten leinenen Tüchern. Sie wählte, was sie bedurfte, aber Vieles unter dem Zinngeräth, dem Glas und Steingut wollte ihr nicht gefallen; denn es paßte nicht recht zu einander, war zufällig ergänzt und an manchem einzelnen Stück fand sie Beulen und abgestoßene Stellen.

Als die Mutter ihre Ausstattung herzurichten begonnen, hatte Peter den Wunsch ausgesprochen, daß in dieser schweren Zeit das Geld beisammen gehalten und kein unnützes Stück angeschafft werden möchte. An Hausgeräth jeder Art war Ueberfluß in seiner Wirtschaft, und er würde es für Unrecht gehalten haben, auch nur einen Teller zu kaufen. Und in der That, es fehlte nichts auf den Borden und in den Schränken, aber sie hatte es nicht selbst gewählt und eingebracht; es gehörte ihr wohl, aber so ganz gehörte es ihr doch nicht, und was das Schlimmste war, ihre an hübschere Dinge gewöhnten Augen konnten kein Wohlgefallen an diesen erblindeten, zerkratzten Zinntellern, diesen mit rohen Figuren in grellen Farben bemalten Krügen, Tassen und Kannen finden. Auch das grobe Glaswerk war nicht nach ihrem Sinne, und als sie es durchsah und das Nothwendige auswählte, mußte sie an die jungvermählten Freundinnen denken, welche ihr mit strahlenden Augen ihren neuen blanken Hausrath so stolz und zufrieden gezeigt hatten, als ob jedes Stück ihr eigenes mühsam gebildetes Werk wäre. Aber auch mit dem Vorhandenen ließ sich eine Tafel hübsch und zierlich decken.

Vor Tisch hatte sie mit Adrian im Garten an der Stadtmauer Blumen geschnitten und auf der Wiese vor dem Thor feine Gräser gepflückt. Diese Gaben des Maimonds wurden jetzt kunstvoll geordnet, mit Pfauenfedern untermischt und in Vasen gestellt, und sie freute sich, als selbst die plumpsten Gefäße durch die Ranken, mit denen sie sie umwand, ein anmuthiges Aussehen gewannen. Adrian schaute ihr staunend zu. Es würde ihn nicht gewundert haben, wenn sich unter ihrer Hand das dunkle Speisezimmer in eine Halle von Krystall und Perlmutter verwandelt hätte.

Als die Tafel gedeckt war, kam Peter auf einen Augenblick nach Hause. Bevor seine Gäste erschienen, wollte er noch einmal mit dem Hauptmann Allertssohn, Janus Dousa und anderen Herren nach Valkenburg hinausreiten, um die Schanzen zu besichtigen. Als er durch das Speisezimmer kam, grüßte er seine Gattin mit der Hand und sagte, indem er die Tafel überschaute:

»Der Aufputz wäre nicht nöthig gewesen und am letzten die Blumen. Wir wollen ernsten Rath pflegen, und Du hast da eine Hochzeitstafel gerichtet.«

Als er bemerkte, daß Maria den Blick senkte, rief er freundlich: »Meinetwegen mag es so bleiben,« und verließ das Zimmer.

Maria stand ihrem Werke unschlüssig gegenüber. Bittere Empfindungen begannen sich wieder in ihr zu regen und trotzig streckte sie schon die Hand nach einer besonders reich geschmückten Vase aus, als Adrian seine großen Augen zu ihr erhob und im Tone dringlicher Bitte ausrief:

»Nein, Frau Mutter, das dürft Ihr nicht thun, es sieht doch gar zu köstlich und hübsch aus.«

Maria lächelte, strich dem Knaben mit der Hand über die Locken, nahm zwei Kuchen aus einer Schale, gab sie ihm und sagte: »Der eine für Dich, der andere für Lieschen; unsere Blumen sollen da bleiben.«

Adrian eilte mit der süßen Gabe hinaus, sie aber überschaute noch einmal den Tisch und dachte:

»Peter will immer nur was eben noth thut; aber das ist doch gewiß nicht Alles, sonst hätte der liebe Gott alle Vögel mit grauen Federn geschaffen.«

Nachdem sie Barbara in der Küche Beistand geleistet, begab sie sich in ihre Kammer. Dort ordnete sie das Haar, legte eine neue, schön gesteifte Krause um den Hals und sorglich gefältelte Spitzen in den Ausschnitt am Busen, aber sie behielt das Hauskleid an; denn ihr Gatte wollte, ja der Versammlung in seinem Hause kein festliches Ansehen geben.

Als sie die letzte goldene Nadel in's Haar gesteckt hatte und erwog, ob dem Rath van Bronkhorst als Stellvertreter des Prinzen oder dem ehrwürdigen älteren Junker von Nordwyk der Ehrenplatz an der Tafel gebühre, klopfte Trautchen bei ihr an und theilte ihr mit, daß Doktor Bontius den Bürgemeister in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen verlange. Die Magd hatte dem Arzt mitgetheilt, daß der Herr ausgeritten sei, jener aber hatte sich nicht abweisen lassen und die Frau zu sprechen verlangt.

Maria begab sich sogleich in Peter's Stube. Der Arzt schien Eile zu haben. Statt jedes andern Grußes wies er nur mit dem goldenen Knopfe an seinem langen Stabe nach dem spitzen schwarzen Hute, welcher seinen Kopf auch am Krankenbett niemals verließ, und fragte dabei schnell und kurz: »Wann kommt Meister Peter nach Hause?«

»In einer Stunde,« entgegnete Maria, »setzt Euch doch, Doktor!«

»Ein andermal. Mit Eurem Manne währt's mir zu lange. Ihr könntet mir am Ende auch ohne seine Einwilligung folgen.«

»Das wohl; aber wir erwarten Besuch.«

»Richtig. Wenn ich Zeit finde, komme ich noch. Die Herren werden auch ohne mich fertig, aber bei der Kranken, zu der ich Euch führen möchte, seid Ihr vonnöthen.«

»Ich weiß ja noch gar nicht, von wem Ihr redet.«

»Nicht? Dann also noch einmal, zu Einer, die leidet, und das mag Euch für's Erste genug sein.«

»Und Ihr meinet, ich könnte . . .«

»Ihr könnet weit mehr als Ihr selber wißt. Barbara regiert in der Küche, und nun noch einmal: Ihr sollt einer Leidenden beistehen.«

»Aber, Herr Doktor . . .«

»Schnell, muß ich bitten, denn meine Zeit ist gemessen. Wollt Ihr Euch nützlich erweisen, ja oder nein?«

Die Thür zum Speisezimmer war geöffnet geblieben. Maria schaute noch einmal auf die gedeckte Tafel und Alles, worauf sie sich für diesen Abend gefreut hatte, zog ihr durch den Sinn. Als aber der Arzt sich zum Gehen anschickte, hielt sie ihn zurück und sagte:

»Ich komme.«

Maria kannte die Art des rauhen, aber selbstlosen und tüchtigen Mannes. Ohne eine Antwort abzuwarten, holte sie ihr Tuch und ging ihm voraus die Treppe hinunter. Als sie an der Küche vorbeikamen, rief Bontius Frau Barbara zu:

»Sagt Meister Peter, ich hätte seine Hausfrau in die Nobelstraße zu dem kranken Fräulein van Hoogstraten geführt.«

Maria vermochte dem schnell voranschreitenden Doktor kaum zu folgen und hatte Mühe, ihn zu verstehen, als er in abgerissenen Sätzen erzählte, der ganze Glipperanhang der Hoogstraten habe die Stadt verlassen, das alte Fräulein wäre gestorben, die Dienerschaft aus Furcht vor der Pest, von der hier gar keine Rede sei, auseinandergelaufen und Henrika liege nun verlassen darnieder. Sie habe ein schweres Fieber überstanden, aber es gehe ihr seit einigen Tagen um Vieles besser. »In dem Glippernest,« sagte er, »hat das Unglück sich zu Gevatter gebeten. Der Alten that der Sensenmann einen Gefallen, als er sie holte. Die französische Zofe, ein schwächliches Nichts, hielt sich wacker, brach aber nach einigen Nachtwachen zusammen und sollte in's Katharinenhospital gebracht werden, aber dem widersetzte sich der italienische Hausmeister, der kein übler Mann ist, und ließ sie zu einer katholischen Wäscherin tragen. Er ist ihr nachgezogen, um für sie zu sorgen. Niemand ist zur Pflege des jungen Fräuleins in dem verlassenen Hause zurückgeblieben, als Schwester Gonzaga, ein gutes Nönnchen, eine von den Dreien, denen es gestattet wurde, in dem alten Klösterchen neben Euch wohnen zu bleiben, aber die brave Alte hat sich heute früh, um das Unglück voll zu machen, beim Wärmen eines Bades die Finger verbrüht. Der katholische Seelsorger ist unbeschädigt und treu auf dem Posten geblieben, aber was kann uns der bei der Pflege der jungen Kranken helfen! Ihr ahnet jetzt wohl, wozu ich Euch mitnahm. Die Pflegerin sollt Ihr und könnt Ihr auf die Dauer bei der Fremden nicht abgeben; aber wenn es mit dem Fräulein nicht doch noch schief gehen soll, muß sie jetzt ein Gesicht um sich haben, zu dem sie ein Herz fassen kann, und gerade mit einem solchen hat der liebe Gott Euch gesegnet. Schaut Euch die Kranke an, redet mit ihr, und wenn Ihr Die seid, für die ich Euch halte –; aber da sind wir am Ziele.«

In der dämmerigen Flur des Hoogstraten'schen Hauses war die Luft mit scharfem Moschusgeruch gesättigt. Der Tod der alten Dame war von dem Vertreter des Doktor Bontius sogleich auf dem Rathhause angemeldet worden, und so ging denn ein bewaffneter Mann, Wache haltend, in der Hausflur auf und nieder und theilte dem Arzte mit, der Stadtsekretär van Hout sei bereits hier gewesen und habe mit seinen Leuten die Thüren versiegelt.

Auf der Treppe legte Maria erschreckt die Hand an den Arm ihres Führers; denn in einer offenen Thür des ersten Stockwerks, welches sie mit ihrem Begleiter erstieg, sah sie im Halbdunkel eine unförmliche Gestalt, welche sich in seltsamer Weise bald hierhin, bald dorthin, bald auf, bald nieder bewegte, und es klang nicht eben zuversichtlich, als sie mit dem Finger seitwärts weisend den Doktor fragte:

»Was ist das?«

Der Arzt war mit ihr stehen geblieben, und als er das seltsame Etwas, auf welches die Bürgemeisterin zeigte, erblickt hatte, trat er selbst einen halben Schritt zurück. Aber der ruhige Mann erkannte schnell die wahre Natur der Spukgestalt, und indem er Maria voranschritt, rief er lächelnd:

»Was in aller Welt treibt Ihr da auf dem Boden, Pater Damianus?«

»Ich scheure die Diele,« gab der Angerufene gelassen zurück.

»Alles was recht ist,« entgegnete der Arzt unwillig. »Für Mägdearbeit seid Ihr zu gut, Herr Pater, zumal es hier im Hause genug herrenloses Geld gibt und wir morgen so viel Scheuerfrauen finden, wie wir begehren.«

»Aber nicht heute, Herr Doktor; und das Fräulein will doch durchaus nicht mehr in dem Zimmer da bleiben. Ihr habt ihr selbst das Schlafen verordnet, und Schwester Gonzaga sagt, daß sie Thür an Thür mit der Leiche kein Auge zuthun werde.«

»So hätten sie die Gerichtsdiener sammt dem Bett in das schöne Wohngemach der alten Dame tragen sollen.«

»Das ward versiegelt, und ebenso ging's mit den anderen guten Zimmern in diesem Stockwerk. Die Leute vom Rath waren gefällig und haben sich auch nach Scheuerfrauen umgeschaut; die armen Weiblein fürchten sich aber arg vor der Pest.«

»Solch' ein Gerücht wächst auf wie die Quecken,« rief der Doktor. »Gesät will Keiner sie haben, und wer rottet sie aus, wenn sie da sind?«

»Ihr nicht und ich nicht,« entgegnete der Geistliche. »In dieses Zimmer mußte das Fräulein nun einmal gebracht werden; aber es sah wüst darin aus, und so hab' ich es denn eben gereinigt. Der Kranken kommt das zugute, und mir kann die Bewegung nicht schaden.«

Bei diesen Worten erhob sich der Priester und sagte, als er Maria bemerkte:

»Ihr bringt eine neue Pflegerin mit? Daß ist recht. Ich brauche Schwester Gonzaga nicht zu loben, denn Ihr kennt sie; aber ich stehe Euch dafür, daß Fräulein Henrika sie nicht lange um sich dulden wird, und was mich betrifft, so werde ich, sobald die Bestattung vorbei ist, dies Haus verlassen.«

»Ihr habt das Eure gethan; aber was soll das mit der Schwester bedeuten?« rief der Arzt unwillig. »Eure alte Gonzaga ist mir mit ihrer verbrannten Hand immer noch lieber als . . . Was mag da nur wieder geschehen sein!«

Der Priester näherte sich ihm und flüsterte mit einem raschen Seitenblick auf die Bürgemeisterin:

»Sie näselt sehr, wenn sie spricht, und das Fräulein sagte vorhin, es thue ihr weh, wenn sie sie reden höre; ich möchte sie von ihr fern halten.«

Doktor Bontius dachte einen Augenblick nach und sagte dann:

»Es gibt Augen, welche keinen grellen Lichtstrahl vertragen, und so kann es auch kommen, daß gewisse Töne einem überreizten Gehör unerträglich erscheinen . . . Frau Bürgemeisterin, Ihr habt lange gewartet; ich bitte Euch, folgt mir.«

Es war dunkel geworden. Man hatte die Vorhänge des Krankenzimmers niedergelassen, und das hinter einem Schirm brennende Lämpchen verbreitete nur schwaches Licht.

Der Arzt trat an das Lager, fühlte Henrika den Puls, bereitete sie mit leisen Worten auf den Besuch vor, den er ihr brachte, und nahm dann die Lampe, um das Aussehen der Leidenden zu prüfen.

Maria sah nun ein bleiches, ebenmäßig geschnittenes Gesicht, aus dem zwei dunkle Augen schauten, deren Glanz und Größe in eigenthümlichem Gegensatz zu den abgefallenen Wangen und schlaffen Zügen der Kranken standen.

Nachdem die alte Gonzaga die Lampe wieder an ihren Platz gestellt hatte, sagte der Arzt:

»Vortrefflich! Gehet nun, Schwester, legt Euch nieder und wechselt den Umschlag auf Eurem Arm.« Dann winkte er der Bürgemeisterin, näher heranzutreten.

Das Antlitz Henrika's berührte Maria seltsam. Sie fand sie schön, aber die großen Augen und der fest geschlossene Mund wollten der jungen Frau mehr eigenthümlich als anziehend erscheinen. Dennoch folgte sie sogleich der Aufforderung des Arztes, trat an das Lager und sagte freundlich, daß sie gern gekommen sei, um ihr ein wenig Gesellschaft zu leisten und nach ihren Wünschen zu fragen. Henrika richtete sich bei diesen Worten empor und rief aufathmend:

»Das thut gut! Ich danke Euch, Doktor. Doch einmal wieder eine Menschenstimme. Wenn Ihr mir gefällig sein wollt, Frau Bürgemeisterin, so redet nur immerfort, gleichviel was es sein mag. Bitte, kommt und setzt Euch hieher. Mit Schwester Gonzaga's Händen, Eurer Stimme und des Doktors – ja, wie sage ich nur, mit des Herrn Bontius Offenheit wird es nicht schwer sein, sich vollends gesund pflegen zu lassen.«

»Gut, gut,« murmelte der Arzt. »Der braven Gonzaga Wunden haben nichts auf sich, und sie bleibt bei Euch, aber Euch selbst wird man später, wenn die Schlafenszeit kommt, wo anders hin tragen. – Ihr, Frau Bürgemeisterin, dürft eine Stunde hier bleiben, dann muß es für heute genug sein. Ich gehe zu Euch heran und sende Euch den Knecht mit der Laterne.«

Als die Frauen allein waren, sagte Maria:

»Ihr achtet stark auf den Klang der Stimmen; ich thu' es auch, und wohl mehr als es gut ist. Zwar habe ich noch keine schwere Krankheit bestanden . . .«

»Dies ist auch meine erste,« entgegnete Henrika, »aber nun weiß ich, wie es thut, wenn man Alles über sich ergehen lassen muß, was man nicht mag, und Alles doppelt stark empfindet, was einem widerwärtig erscheint. Lieber todt als leidend.«

»Eure Base ist gestorben,« sagte Maria theilnehmend.

»Heute früh. Wir hatten wenig mehr mit einander gemein als das Blut.«

»Sind Eure Eltern nicht mehr am Leben?«

»Nur noch mein Vater; aber was soll das?«

»Er wird sich über Eure Rettung freuen; Doktor Bontius sagt, Ihr werdet völlig genesen.«

»Das glaube ich auch,« entgegnete Henrika zuversichtlich und fuhr dann leise und ohne Maria zu beachten fort: »Eins ist doch schön. Wenn ich wieder wohl bin, werde ich wieder . . . Treibt Ihr Musik?«

»Ja, liebes Fräulein.«

»Nicht bloß zum Spiel, sondern weil Ihr fühlt, daß sie Euch nöthig ist, um zu leben?«

»Ihr solltet ruhiger bleiben, edles Fräulein. Die Musik; – ja ich glaube, mein Leben würde ohne sie viel ärmer sein als es ist.«

»Ihr singt?«

»Es will hier nur seltener angehen, aber als Mädchen in Delft haben wir täglich gesungen.«

»Ihr natürlich die erste Stimme?«

»Ja, Fräulein.«

»Laßt doch das Fräulein und heißt mich Henrika.«

»Von Herzen gern, wenn Ihr Euch bequemt, mich Maria oder doch Frau Maria zu nennen.«

»Ich will es versuchen. Meint Ihr nicht, daß wir manchen Satz miteinander einüben könnten?«

Schwester Gonzaga war bei diesen Worten in's Zimmer getreten und meldete des Steuereinnehmers Cornelius Gattin, welche anfragte, ob sie der kranken Dame nicht mit etwas zu dienen vermöge.

»Was soll das?« fragte Henrika unwillig. »Ich kenne das Weib nicht.«

»Es ist die Mutter des Musikers Wilhelm,« sagte die junge Frau.

»O!« rief das Fräulein. »Ob ich sie einlasse, Maria?«

Die Bürgemeisterin schüttelte das Haupt und entgegnete bestimmt:

»Nein, Fräulein Henrika. Mehr als ein Besuch wird Euch in dieser Stunde nicht gut sein, und dann . . .«

»Nun?«

»Sie ist ein braves, kernhaftes Weib, aber ich fürchte, ihr derbes Wesen, ihr wuchtiger Schritt und ihre kräftige Stimme würden Euch jetzt noch nicht wohl thun. Laßt mich zu ihr gehen und sie fragen, was sie begehrt.«

»Begegnet ihr freundlich und sagt ihr, sie möchte ihren Sohn von mir grüßen. Ich bin ja selbst nicht eben zart, aber ich sehe schon, Ihr versteht mich; so derbe Kost würde mir schwerlich schon jetzt bekommen.«

Nachdem Maria ihren Auftrag ausgerichtet und sich wieder eine Zeitlang mit Henrika unterhalten hatte, wurde die Frau des Stadtsekretärs van Hout gemeldet. Ihr Gatte, welcher bei der Versiegelung des Sterbehauses zugegen gewesen war, hatte ihr von der verlassenen Kranken erzählt und sie kam, um zu sehen, woran es vielleicht dem armen Mädchen gebrechen möchte.

»Die dürftet Ihr freilich empfangen,« sagte Maria, »denn sie würde Euch sicher gefallen; . . . aber da läutet es wieder, und jetzt ist es für heute genug. Versucht nun zu schlafen. Ich gehe mit der Frau Stadtsekretärin nach Hause, und morgen komme ich wieder, wenn es Euch recht ist.«

»Kommt, ich bitte Euch, kommt!« rief das Fräulein. »Ihr wollt mir noch etwas sagen?«

»Ich möchte wohl, Fräulein Henrika. In diesem traurigen Hause dürft Ihr nicht bleiben. In unserem ist Raum genug. Seid unser Gast, bis Euer Herr Vater . . .«

»Ja, nehmet mich zu Euch!« rief die Genesende und ihre Augen schimmerten feucht. »Nehmt mich von hier fort, nur fort – ich will es Euch danken, so lange ich lebe.«


 << zurück weiter >>