Georg Ebers
Die Frau Bürgemeisterin
Georg Ebers

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Fünftes Kapitel.

Am folgenden Morgen hielten in der Nobelstraße unweit des Marktes zwei Reiter in sauberer Dienertracht vor einem stattlichen Hause. Ein dritter führte zwei ledige Schecken von kräftigem Bau und mit stark gebogenen Ramsnasen auf und nieder. Ein Stallbub hielt einen bunt aufgeputzten, langmähnigen Klepper am Zaume. Dieser sollte den jungen Neger tragen, der in der Hausthür stand und die Gassenbuben, welche sich ihm zu nähern wagten, von sich fern hielt, indem er die Augen fürchterlich rollte und sie mit den weißen Zähnen anfletschte.

»Wo sie nur bleiben?!« sagte der eine der beiden Berittenen. »Der Regen läßt heute nicht lang auf sich warten.«

»Sicher nicht,« entgegnete der andere. »Der Himmel ist grau, wie mein alter Filz, und kommen wir erst an den Wald, so wird's etwas geben.«

»Es nebelt schon feucht.«

»Solch naßkaltes Wetter ist mir besonders zuwider.«

»Gestern war's schöner.«

»Schnalle die Klappen über den Pistolenhalftern fester! Der Mantelsack hinter dem Sattel des Junkers liegt nicht recht gerade. So! Hat Dir die Köchin die Flasche gefüllt?«

»Mit braunem Spanier. Da steckt sie.«

»Dann mag es losgehen! Wenn der Mensch von innen naß ist, so kann er viel Feuchtes von außen vertragen.«

»Zieh' die Hengste an's Thor; ich höre den Herrn.«

Der Reiter hatte sich nicht geirrt; denn ehe es seinem Genossen gelungen war, den größeren Schecken zum Stehen zu bringen, ließ sich von der weiten Hausflur die Stimme seines Gebieters, des Herrn Matenesse van Wibisma, und des Junkers Nicolas vernehmen.

Beide wechselten freundliche Worte des Abschieds mit einem jungen Mädchen, dessen Stimme tiefer klang als die des halb erwachsenen Knaben.

Als der ältere Herr die Mähne des Schecken um die Hand zu wickeln begann und schon den Fuß erhob, um ihn in den Bügel zu setzen, trat das Fräulein, welches auf der Hausflur zurückgeblieben war, auf die Straße, legte die Hand auf Wibisma's Arm und sagte:

»Noch ein Wort, Oheim, aber mit Dir allein.«

Der Baron behielt die Mähne des Hengstes in der Hand und rief mit einem verbindlichen Lächeln:

»Wenn es den Rossen nur nicht zu schwer wird! So ein Geheimniß aus schönem Munde hat sein Gewicht!«

Dabei hielt er seiner Nichte das Ohr hin; sie aber schien es nicht auf's Flüstern abgesehen zu haben, denn sie trat ihm nicht näher und sagte nur halblaut, doch in italienischer Sprache:

»Erkläre, bitte, dem Vater, ich bleibe nicht hier.«

»Aber Henrika!«

»Sag' ihm, ich thu' es in keinem Falle.«

»Die Base wird Dich nicht lassen.«

»Kurz und bündig: ich bleibe nicht hier.«

»Ich werd' es bestellen, aber in etwas milderer Form, wenn Dir's recht ist.«

»Wie Du willst. Sage ihm also, ich lass' ihn bitten, mich abzuholen. Wenn er dies Ketzernest nicht selbst betreten mag, was ich ihm gar nicht verdenke, so soll er mir nur Pferde oder die Kutsche schicken.«

»Und Deine Gründe?«

»Ich will Dein Gepäck nicht noch schwerer belasten. Macht fort, sonst wird der Sattel naß, ehe ihr reitet.«

»Ich habe also Hoogstraten auf einen Brief zu vertrösten?«

»Nein. Dergleichen läßt sich nicht schreiben. Ist auch nicht nöthig. Sage dem Vater, ich bliebe nicht bei der Base und wollte nach Hause. Adieu, Nico! Die Reiterstiefeln und das grüne Tuchwamms stehen Dir weit besser als die seidenen Lappen.«

Das Fräulein warf dem Junker, der sich längst in den Sattel geschwungen, eine Kußhand zu und eilte in das Haus zurück. Ihr Oheim zuckte die Achseln, bestieg den Schecken, wickelte sich fester in den dunklen Mantel, winkte Nicolas an seine Seite und ritt mit ihm den Dienern voran.

Solange der Weg durch die Stadt führte, wurde kein Wort unter ihnen gewechselt, vor dem Thor aber sagte Wibisma:

»Henrika wird in Leyden die Zeit lang; sie möchte zu ihrem Vater zurück.«

»Es muß auch nicht leicht sein, mit der Base zu hausen,« entgegnete der Junker.

»Sie ist alt und krank, und ihr Leben war freudlos.«

»Aber sie ist doch einmal schön gewesen. Man sieht davon nicht mehr viel, aber ihre Augen sind immer noch wie auf dem Bilde, und dabei ist sie so reich.«

»Das macht nicht glücklich!«

»Aber warum ist sie wohl Fräulein geblieben?«

Der Baron zuckte die Achseln und entgegnete:

»An den Männern hat es gewiß nicht gelegen.«

»Weßhalb ist sie dann nicht in ein Kloster gegangen?«

»Wer weiß es? Frauenherzen sind noch schwerer zu verstehen als Deine griechischen Bücher. Das wirst Du später erfahren. Was hattest Du mit der Base, als ich hinaufkam?«

»Da, sieh' nur,« entgegnete der Knabe, nahm die Zügel in den Mund und zog den Handschuh von der Linken, »sie steckte mir diesen Ring an den Finger!«

»Ein edler Smaragd! Sie trennt sich sonst schwer von dergleichen Dingen.«

»Erst hatte sie mir einen andern geboten und dabei gesagt, sie schenke ihn mir, um mich für die Püffe zu entschädigen, die ich gestern als treuer Anhänger des Königs bekommen. Ist das nicht drollig?«

»Mehr als das, sollte ich meinen.«

»Es ging mir auch wider die Natur, für meine blauen Flecken Geschenke zu nehmen, und da zog ich rasch die Hand zurück und sagte, die Bürgerjungen hätten auch das Ihre von mir mit nach Hause genommen, und als Lohn dafür wollt' ich den Reif schon nehmen.«

»Recht, Nico, recht!«

»So sagte sie auch, legte den kleinen Ring wieder in den Kasten, suchte diesen hier aus, und da steckt er.«

»Ein kostbares Stück!« murmelte der Baron und dachte still bei sich: »Diese Gabe ist auch ein gutes Zeichen. Er und die Hoogstratens sind ihre nächsten Erben, und wenn das thörichte Mädchen nicht bei ihr aushält, so könnte es kommen –«

Aber er fand keine Zeit, diese Erwägungen zu Ende zu führen, denn der Junker unterbrach sie, indem er sagte:

»Da fängt der Regen schon an! Sehen die Dünste da auf der Wiese nicht aus, als wären sie vom Himmel gefallene Wolken? Mich friert!«

»Zieh' nur den Mantel hinauf!«

»Wie das regnet und hagelt! Man sollte meinen, es würde noch einmal Winter. Das Wasser in den Gräben sieht schwarz aus, und dort – sieh' nur – was ist das?«

An der Straße lag eine Schenke, und vor derselben ragte eine einzeln stehende, sehr hohe Ulme gen Himmel, deren Stamm, nackt wie ein Mastbaum, kerzengerade aufgewachsen war und sich erst in der Höhe eines Hauses in Aeste zertheilte. Der Frühling hatte noch kein Blättchen an die Zweige geheftet, aber in der kahlen Krone des Baumes gab es doch mancherlei zu sehen. An einem Aste war ein Fähnlein mit den Farben des Hauses Oranien befestigt, an einem andern hing eine große Puppe, die aus der Ferne täuschend aussah wie ein schwarz gekleideter Mann, auf einem dritten schwebte ein alter Hut, und an einem vierten steckte ein Stück weißer Pappe, auf dem in großen schwarzen Buchstaben, die der Regen schon zu verlöschen begann, zu lesen war:

»Oranien Heil, und dem Spanier Tod!
Heißt Peter Quatgelat's Gastgebot.«

Dieser bunt aufgeputzte Baum gewährte in der grauen, kalten Nebelluft des regnerischen Aprilmorgens einen keineswegs angenehm auffallenden Anblick.

Neben der vom Winde hin und her gewehten Puppe hatten sich Raben niedergelassen, welche sie für einen aufgeknüpften Mann halten mochten. Es mußten wenig gelehrige Vögel sein, denn seit Jahren wurden da, wo der Spanier in Holland regierte, die Richtstätten nicht leer. Die Raben kreischten denn auch wie vor Verdruß, aber sie blieben dennoch auf dem Baume sitzen, welchen sie wohl für einen Galgen hielten. Der übrige lustige Aufputz und der Gedanke an den flinken Wagehals, welcher da hinaufgeklettert sein mußte, um ihn an seine Stelle zu bringen, stach grell und verletzend von dem Zerrbilde des Hochgerichtes dort oben ab.

Nicolas lachte dennoch laut auf, als er die wunderlichen Dinge in der Ulmenkrone erblickte, und sagte, indem er mit dem Finger aufwärts zeigte:

»Was für Früchte da hängen!«

Aber schon im nächsten Augenblick lief es ihm kalt über den Rücken, denn ein Rabe hatte sich auf die schwarze Puppe gesetzt und hacke mit dem harten Schnabel so kräftig auf sie ein, daß sie sich zugleich mit dem Vogel wie ein Pendel hin und her schwang.

»Was bedeutet das tolle Zeug?« fragte der Baron, indem er sich an den hinter ihm reitenden Knecht, einen keck in die Welt hineinschauenden Gesellen, wandte.

»'s ist so 'was wie ein Wirthshausschild,« entgegnete dieser. »Gestern, als die Sonne drauf schien, sah es lustig genug aus – aber heute – brrr – es ist zum Gruseln.«

Des Edelmanns Augen waren nicht scharf genug, um die Inschrift auf der Tafel zu erkennen. Nachdem Nicolas sie ihm vorgelesen, fluchte er vor sich hin. Dann wandte er sich wiederum an den Knecht und fragte:

»Und der Narrentand führt dem schuftigen Wirth Gäste in's Haus?«

»Ja, Herr, und bei meiner Seel', es sah auch gestern, als das Rabenzeug da droben noch fehlte, verteufelt drollig aus; man könnt' es nicht ansehen, ohne zu lachen. Halb Leyden war draußen, und wir ließen uns von dem Schwarm mit hinausziehen. Auf dem Grasplatz da drüben – das war ein Leben und Lärmen. Dudeldum – Hübütt, Hübütt – Dudeldum – Geigengequietsche und Dudelsackgeleier hörten nicht auf. Dazwischen jauchzte das tolle Volk; es gellt mir noch in den Ohren. Spiel und Tanz und kein Ende! Die Kerle warfen die braunen und blauen und rothen Strumpfbeine in die Luft, wie die Fiedel es wollte, – die Röcke flogen, und mit dem Mädel im rechten Arm und dem Bierkrug hoch über dem Kopf, daß der Schaum nur so spritzte, ging es rundum, rundum. Es gab ein Schreien und Jubeln, als hätte sich jede Butterblume im Gras in einen Goldgulden verwandelt. Aber heute – heiliger Florian – das ist ein Regen!«

»Er kommt den Dingen da oben zugute,« rief der Baron. »Bei solchem Guß wird der Zunder feucht; sonst holte ich die Pistolen heraus und schösse den schäbigen Freiheitshut und den bunten Lappen vom Baum.«

»Dort war der Tanzplatz,« bemerkte der Knecht und zeigte auf zertretenen Rasen.

»Das Volk ist besessen, völlig besessen,« rief der Freiherr, »heute Tanz und Jubelgeschrei, und morgen weht der Wind den Filz und das Fähnlein vom Baum, und statt der schwarzen Puppe kommen sie selbst an den Galgen. Ruhig, Scheck', ruhig! Die Schlossen ängstigen die Thiere. Schnall' den Mantelsack auf, Gerrit, und gib dem Junker die Decke!«

»Gleich, Herr! Aber wär' es nicht besser, Ihr trätet hier unter, bis der Schauer vorüber ist? Heiliger Florian! Seht nur dies Eisstück da in der Mähne von Eurem Hengste! Ein Taubenei ist nicht größer . . . Unter dem Schuppen stehen schon zwei Gäule, und Quatgelat's Bier ist nicht übel.«

Der Edelmann schaute fragend auf seinen Sohn.

»Laß uns hineingehen,« sagte dieser; »wir kommen früh genug in den Haag. Sieh' nur, wie der arme Balthasar klappert! Henrika sagt, er wäre ein angestrichener Weißer; aber wenn sie sehen könnte, wie gut er bei diesem Wetter Farbe hält, sie nähm' es zurück.«

Herr van Wibisma wandte seinen triefenden und dampfenden, von den Schlossen beunruhigten Hengst dem Hause zu, und nach wenigen Minuten überschritt er mit seinem Sohne die Schwelle der Schenke.


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