Georg Ebers
Die Frau Bürgemeisterin
Georg Ebers

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Vierzehntes Kapitel.

So freudig wie heute war Maria seit Wochen nicht die Treppe hinangestiegen. Sie würde gesungen haben, wenn es sich geschickt hätte, aber es bangte ihr doch ein wenig; denn vielleicht war es ihrem Manne nicht recht, daß sie die Fremde und noch dazu die kranke, spanisch gesinnte Fremde eigenmächtig zu Gaste geladen.

Da sie am Speisezimmer vorbeikam, hörte sie die beratenden Männer reden. Jetzt nahm Peter das Wort. Die wohllautende Tiefe seiner Stimme fiel ihr auf, und sie sagte sich, daß Henrika sie gern hören würde. Wenige Minuten später trat sie in das Zimmer, um die Gäste ihres Gatten, welche ja auch die ihren waren, zu begrüßen. Freudige Erregung und der rasche Gang durch die nach einem warmen Tage immer noch laue Luft des Maiabends hatten ihre Wangen geröthet, und als sie bescheiden und mit einem ehrerbietigen Gruße, dem man doch die Freude ansah, welche ihr der Besuch solcher Gäste verursachte, über die Schwelle trat, bot sie einen so herzgewinnend lieblichen Anblick, daß kein Anwesender unberührt von ihm blieb. Der ältere Herr van der Does schlug Peter auf die Schulter und dann mit der Faust in die Hand, als wollte er sagen: »Das lasse ich gelten!« Janus Dousa flüsterte dem Stadtsekretär, welcher ein guter Lateiner war, heiter zu:

»Oculi sunt in amore duces.«

Der Hauptmann Allertssohn sprang auf und legte militärisch grüßend die Hand an den Hut, van Bronkhorst, der Kommissar des Prinzen, gab seinen Empfindungen durch eine ritterliche Verneigung Ausdruck, Doktor Bontius lächelte zufrieden wie Einer, dem ein gewagtes Unternehmen trefflich gelungen ist, und Peter suchte stolz und glücklich die Aufmerksamkeit seines Weibes auf sich zu lenken. Doch dies sollte ihm nicht gelingen, denn sobald Maria inne ward, wie sie das Ziel so zahlreicher Blicke war, schlug sie erröthend die Augen nieder und sagte dann weit entschiedener, als man es bei ihrem schüchternen Aussehen erwarten durfte:

»Willkommen, ihr Herren! Mein Gruß kommt spät, aber wahrlich, ich hätte ihn euch gern früher geboten.«

»Das kann ich bezeugen,« rief Doktor Bontius und erhob sich nun, um Maria so herzlich wie nie zuvor die Hand zu schütteln. Dann winkte er Peter und rief den Tafelnden zu: »Dem Bürgemeister für einen Augenblick Urlaub!« Als er sodann mit dem Ehepaar abgesondert an der Thür stand, rief er:

»Ihr habt Euch einen neuen Gast in's Haus geladen, Frau Bürgemeisterin; ich will keinen Tropfen Malvasier mehr trinken, wenn ich Unrecht habe.«

»Wie könnt Ihr das wissen?« fragte Maria heiter.

»Ich seh' es Euch an.«

»Und mir soll das Fräulein herzlich willkommen sein,« fügte Peter hinzu.

»So weißt Du?« fragte Maria.

»Der Doktor hat mit seiner Ahnung nicht hinter'm Berge gehalten.«

»Nun ja, die Kranke ist gern bereit, zu uns zu kommen, und morgen . . .«

»Nein, heute noch lass' ich sie holen,« unterbrach sie Peter.

»Heute? Aber mein Gott, es ist schon so spät; sie schläft jetzt vielleicht, die Herren sind hier, und unser Gastbett . . .« rief Maria und schaute mißbilligend und unschlüssig erst auf den Arzt und dann auf ihren Gatten.

»Beruhige Dich, Kind,« entgegnete Peter. »Der Doktor hat aus dem Katharinenhospital eine verdeckte Sänfte bestellt, Jan und ein Stadtwaibel werden sie tragen, und Barbara hat in der Küche nichts mehr zu thun und richtet jetzt ihre eigene Kammer für sie her.«

»Und,« fiel ihm der Arzt in die Rede, »hier findet die Kranke den Schlaf vielleicht wieder. Außerdem wird es dem stolzen Obenhinaus mehr als recht sein, im Dunkeln und ungesehen über die Straße zu kommen.«

»Ja, ja,« sagte Maria traurig, »das mag ja wohl recht sein; aber ich hatte schon überlegt . . . Man soll sich doch auch mit nichts übereilen.«

»Wirst Du das Fräulein gern als Gast bei uns sehen?« fragte Peter.

»Ja freilich!«

»Nun dann wollen wir auch nicht mit halben, sondern mit ganzen Maßregeln für sie sorgen. Da winkt Barbara; die Sänfte ist angekommen, Doktor. So leitet denn den nächtlichen Umzug in Gottes Namen, aber laßt nicht zu lang auf Euch warten.«

Der Bürgemeister begab sich auf seinen Platz zurück und Bontius verließ das Gemach.

Maria folgte ihm. In der Hausflur legte er ihr die Hand auf den Arm und fragte:

»Wollt Ihr nun zum andern Mal wissen, was ich von Euch halte?«

»Nein.« entgegnete die Bürgemeisterin in einem Tone, welcher scherzhaft klang, aus dem man aber dennoch die Enttäuschung, welche sie empfand, heraushören konnte; »nein, – aber Ihr habt mich gelehrt, daß Ihr ein Mann seid, der Einem die besten Freuden zu verderben versteht.«

»Dafür schaff' ich Euch andere,« lachte der Arzt und stieg die Treppe hinunter. Er war Peter's ältester Freund und hatte mancherlei gegen die Ehe des Bürgemeisters mit der um so Vieles jüngeren Maria in diesen schlimmen Tagen einzuwenden gehabt, aber heute zeigte er sich mit der Wahl van der Werff's zufrieden.

Maria kehrte zu den Gästen zurück, füllte und kredenzte den Herren die Gläser und begab sich dann in die Kammer ihrer Schwägerin, um ihr zu helfen, Alles auf's Beste für die Kranke vorzubereiten. Sie that es nicht unwillig, aber es wollte ihr scheinen, als ob sie in der Frühe des folgenden Tages mit weit größerer Lust an die Arbeit gegangen sein würde.

Barbara's geräumige Kammer war dem Hofe zugewandt. Man konnte in ihr nichts von der Unterhaltung der Herren im Speisezimmer vernehmen, und es ging doch keineswegs still unter diesen Männern her, welche zwar der gleiche Gedanke beseelte, die aber über die Mittel und Wege, ihn zu einem glücklichen Ende zu führen, vielfältig uneinig waren.

Da saßen sie, die muthigen Söhne eines kleinen Landes, die stattlichen Führer eines an Seelenzahl und Vertheidigungsmitteln armen Gemeinwesens, welche es auf sich genommen hatten, der gewaltigsten Macht und den besten Heeren ihrer Zeit die Stirn zu bieten. Sie wußten, daß das Gewölk, welches sie seit Wochen aus der Ferne bedrohte, schnell und schneller heraufziehen, sich kräftig zusammenballen und sich als furchtbares Gewitter über Leyden entladen werde, denn van der Werff hatte sie in sein Haus berufen, weil ein an den Kommissar van Bronkhorst und ihn selbst gerichteter Brief des Prinzen die Kunde enthielt, daß der Statthalter des Königs Philipp von Spanien dem Maëstro del Campo Valdez den Befehl ertheilt habe, Leyden zum zweiten Male zu belagern und zur Unterwerfung zu zwingen. Es war ihnen bewußt, daß Wilhelm von Oranien gewiß nicht vor Ablauf von Monden ein Heer herbeiführen könne, um die feindlichen Truppen von ihrem Ziele abzulenken oder die Stadt zu entsetzen; sie hatten erfahren, wie wenig von der Königin von England und den protestantischen Fürsten in Deutschland zu erwarten sei, und das entsetzliche Schicksal ihrer mächtigeren Nachbarstadt Haarlem stand ihnen als drohendes Beispiel vor Augen. Aber sie waren sich bewußt, einer guten Sache zu dienen, sie bauten auf die Treue, den Opfermuth und die Staatskunst des Oraniers, sie waren bereit, lieber zu sterben, als Leib und Seele von dem spanischen Zwingherrn knechten zu lassen. Ernst und tief war ihr Glaube an die Gerechtigkeit Gottes und froh die Zuversicht eines Jeden auf die eigene standhafte Manneskraft.

Und wahrlich, die Herren, welche da an der von Frauenhand zierlich mit Blumen geschmückten Tafel saßen, den weiten Römer mit den derben Buckeln am gerieften Fuß so wacker zu leeren verstanden, daß Krug auf Krug von Peter's Malvasier und Rheinwein aus dem Keller heraufwandern mußte, die Männer, welche da in die runden Pasteten und die gewaltigen Fleischstücke, wie sie kein anderes Land als das ihre so saftig und nahrhaft zu liefern vermochte, Bresche legten – die sahen nicht aus, als habe die blasse Furcht sie zusammengeführt.

Der Hut ist das Zeichen der Freiheit, und der freie Mann behält den Hut auf dem Kopfe. So saßen denn einige Gäste des Bürgemeisters mit bedecktem Haupt an der Tafel, und wie stattlich standen dem frischen Greisengesicht des alten Herrn von Nordwyk und dem klugen Denkerantlitz seines Neffen Janus Dousa die hohen gefalteten Barette von tiefrothem Sammet mit der reichen, schön gebogenen Federzier, wie gut nahm sich auf den Locken des jungen Herrn von Warmond, Jan van Duivenvoorde der breitkrämpige Hut aus, von dem Straußenfedern in Blau und Orangegelb, den Farben des Oraniers, wehten! Und wie gesund und eigenartig waren die Köpfe der anderen hier versammelten Männer! Frisches Wangenroth fehlte auf wenigen Gesichtern, und derbe Lebenslust, heller Verstand, unerschütterliche Willenskraft und entschiedener Sinn strahlten an dieser Tafelrunde aus vielen blauen Augen. Auch die schwarzgekleideten Herren vom Rath, denen die gefältelte Halskrause oder der glatte weiße Kragen gar wohl stand, sahen nicht aus, als hätte der Aktenstaub ihre Gesundheit geschädigt. Der Schnurrbart über den Lippen eines Jeden, der Knebel- oder Vollbart, verlieh auch ihnen ein mannhaftes Aussehen. Sie alle waren froh bereit, sich und das Ihre für ein hohes geistiges Gut zu opfern, und doch hatten sie das Aussehen, als stünden sie mit kräftigen Beinen mitten im Leben; kein Zug von Schwärmerei sprach aus ihren verständigen, kerngesunden Gesichtern; nur aus den Augen des jungen Herrn von Marmond leuchtete etwas dergleichen, und Janus Dousa's Blick schien sich oft nach innen zu wenden, um dort nach verborgenen Dingen zu suchen; und in solchen Augenblicken gewannen seine scharf geschnittenen, unregelmäßigen Züge einen seltenen Zauber.

Viel Platz nahm die breite und überstark entwickelte Gestalt des Kommissars und Rathes van Bronkhorst ein. Dieser Körper war schwer beweglich, aber aus dem runden, kurzgeschorenen Haupte blickten zwei hervortretende Augen, aus denen unbeugsame Festigkeit schaute.

Die hell beleuchtete Tafel, um die sich solche Gäste vereint hatten, bot einen bunten und prächtigen Anblick. Wie freundlich hob sich das gelbe Leder der Koller des Junkers von Marmond, des Obersten Mulder und des Hauptmanns Allertssohn, sowie die farbige Seide der Schärpen, welche sie schmückten, und der lichtrothe Rock des wackeren Dirk Smaling von dem tiefen Schwarz der Gewänder ab, welche der Pfarrer Verstroot, der Bürgemeister, der Stadtsekretär und ihre Genossen trugen! Das Violett der Kleider des Kommissars und die tiefen Farben der mit Pelzwerk verbrämten Ueberwürfe des älteren Herrn van der Does und des Herrn van Montfort mischten sich wohlthuend und vermittelnd in die hellen und tief dunklen Töne. Alles, was kümmerlich heißt, schien weit von dieser farbenbunten und lebensfrischen Tafelrunde verbannt zu sein, und so sprudelten denn auch die Reden und klangen die Stimmen voll und kräftig genug.

Die Gefahr stand vor der Thür. Jeder Tag konnte die ersten Spanier nach Leyden führen. Manche Vorbereitung war getroffen. Englische Hülfsvölker sollten die Schanzen von Alsen besetzen und die Gouda'sche Schleuse vertheidigen, die Werke von Valkenburg waren verbessert und anderen britischen Kriegsknechten anvertraut worden, die Stadtsoldaten, die Bürgerwehr, die Freiwilligen wurden tüchtig geübt. Fremdes Kriegsvolk aufzunehmen, wünschte man nicht, denn bei der ersten Belagerung hatte es sich weit mehr lästig als nützlich erwiesen, und eine Erstürmung der durch Wasser, Mauern und Thürme wohl geschützten Stadt war kaum zu befürchten.

Was die Herren am meisten erregte, war eine Nachricht, welche der Stadtsekretär überbracht hatte. Der reiche Baersdorp, einer von den vier Bürgemeistern, welcher das größte Getreidegeschäft in Leyden besaß, hatte es übernommen, im Namen der Stadt beträchtliche Mengen von Brodfrüchten zusammenzukaufen. Mehrere Schiffsladungen Weizen und Roggen waren gestern von ihm abgeliefert worden, aber mit drei Viertheilen des Bestellten befand er sich noch im Rückstand. Er bekannte offen, betreffs derselben noch keine bestimmten Aufträge ertheilt zu haben, weil sich an den Börsen von Rotterdam und Amsterdam wegen der guten Ernteaussichten ein Sinken der Kornpreise erwarten lasse und es bis zum Beginn der neuen Einschließung der Stadt ja noch immerhin einige Wochen Zeit habe.

Van Hout war voller Empörung, zumal von den vier Bürgemeistern noch zwei ihrem Kollegen Baersdorp Recht gegeben hatten. Der ältere Herr von Nordwyk stimmte ihm zu und rief: »Eure Würde in Ehren, Meister Peter, aber Eure drei Amtsgenossen gehören zu den schlechten Freunden, die man gern mit offenen Feinden vertauschte.«

»Herr von Noyelles,« unterbrach ihn der Oberst Mulder, »hat seinerzeit von ihnen das gute und wahre Wort an den Prinzen geschrieben, daß sie an den Galgen gehörten.«

»Und dahin gehören sie auch,« fiel der Hauptmann Allertssohn ein, »so lange Henkerschlingen und Verrätherhälse für einander gemacht sind!«

»Verräther – nein,« sagte van der Werff entschieden. »Nennt sie Memmen, nennt sie eigensüchtig und niedrig gesinnt, – aber ein Judas ist keiner von ihnen.«

»Recht, Meister Peter, das sind sie gewiß nicht, und vielleicht hat auch die Feigheit nichts mit ihrem Gebahren zu schaffen,« fügte der ältere Herr von Nordwyk hinzu. »Wer Augen zu sehen und Ohren zu hören hat, weiß, wie es mit der Gesinnung der Herren aus den alten städtischen Geschlechtern, welche als künftige Rathsherren aus der Taufe gehoben werden, bestellt ist; und ich rede nicht nur von den Leydenern, sondern auch von denen in Gouda und Delft, in Rotterdam und in Dortrecht. Unter hundert von ihnen ertrügen sechzig den spanischen Druck, selbst den Gewissenszwang willig, wenn ihnen nur ihre Freiheiten und Rechte gewährleistet würden. Die Städte sollen herrschen und in ihnen sie selbst; das ist Alles, was sie begehren. Ob man in den Kirchen predigt oder Messe liest, ob sie ein Holländer oder Spanier beherrscht, darnach fragen sie erst an zweiter Stelle. Die Anwesenden nehme ich aus, ihr Herren, sie würden nicht hier sein, wenn sie so gesinnt wären wie die, von denen ich rede.«

»Dank für dies Wort,« sagte Dirk Smaling, »und Euer Urtheil in Ehren, aber Ihr habt mit schwarzen Farben gemalt. Darf ich Euch fragen, ob der Adel nicht auch auf seine Rechte und Freiheiten hält?«

»Gewiß, Herr Dirk; sind sie doch gemeinhin von höherem Alter als Eure,« entgegnete der also Angeredete. »Seht, der Edelmann braucht einen Herrscher. Er ist ein glanzloser Stern, wenn ihm das Licht einer Sonne fehlt, die ihn erhellt. Ich und mit mir die Edeln alle, welche ihm Treue geschworen, meinen nun, unsere Sonne muß und kann kein Anderer sein, als der Oranier, welcher einer der Unseren ist, der uns kennt und liebt und versteht, nicht Philipp, der nichts von Allem begreift, was in und unter uns vorgeht, der uns fremd ist und uns verabscheut. Wir stehen mit Gut und Blut zu Wilhelm, denn, wie ich schon sagte, wir brauchen eine Sonne, das heißt, einen Monarchen; – die Städte aber meinen eigene Leuchtkraft zu haben und selbst wunder wie helle Gestirne zu sein. Freilich fühlen sie, daß dem Lande in diesen schweren Tagen des Streites ein Führer noth thut, und daß sie keinen besseren und weiseren und ihnen vertrauteren finden können, als den Oranier; kommt es aber dahin – und der Himmel möge es fügen, – daß das spanische Joch in Stücke zerbricht, dann wird ihnen auch des edlen Wilhelm Herrschaft überlästig erscheinen, weil ihnen selbst das Herrscherspielen zu wohl schmeckt. Kurz und gut: die Städte ertragen den Gebieter, der Adel schaart sich um ihn und braucht ihn. Gut wird es nicht werden, bevor nicht Edelmann, Bürger und Bauer sich ihm willig fügen lernen und sich zusammenstellen, um unter seiner Führung für die höchsten Güter des Lebens zu kämpfen.«

»Recht,« sagte van Hout. »Der wohlgesinnte Adel kann den regierenden Ständen hier und in den anderen Städten zum Exempel dienen, aber das Volk, das arbeitende, arme Volk, das weiß ohnehin, worauf es ankommt, das hat gottlob den warmen Sinn für das, was Ihr die höchsten Güter des Lebens nanntet, noch nicht verloren. Das will holländisch sein und bleiben, das flucht mit redlichem Haß den spanischen Schlächtern, das will seinem Gotte dienen nach seiner Seele Verlangen, und glauben, wonach ihm das Herz steht, das nennt den Prinzen seinen Vater Wilhelm. Wartet ein wenig! Sobald die Noth uns bedrängt, werden die Kleinen und Armen feststehen, wenn die Großen und Reichen in's Wanken gerathen und die gute Sache verleugnen.«

»Auf sie ist Verlaß,« sagte van der Werff, »fester Verlaß.«

»Und weil ich sie kenne,« rief van Hout, »so mag kommen was mag, wir werden's mit Gottes Hülfe bestehen.«

Janus Dousa hatte in das Glas geschaut. Jetzt warf er den Kopf zurück und sagte mit einer schnellen Handbewegung: »Wunderbar, daß Diejenigen, welche mit den Fäusten um das Dasein ringen und deren ungeschulter Geist sich nur regt, wo das Bedürfniß des Tages es fordert, am willigsten bereit sind, für geistige Güter das Wenige zu opfern, das sie besitzen.«

»Ja,« sagte der Pfarrer, »den Einfältigen steht das Himmelreich offen. Es ist ein wunderbar Schauspiel, wie die Armen und Ungelehrten Glauben, Freiheit und Vaterland höher zu achten wissen, als das eitle Gut dieser Welt, das goldene Kalb, um welches die Geschlechter sich drängen.«

»Den Meinen wird heute nicht geschmeichelt,« entgegnete Dirk Smaling; »aber ich bitte euch, mit Gunst zu bedenken: wir spielen ein hohes und gefährliches Spiel, und die Besitzenden schießen den Löwenpart zu dem Einsatz.«

»Mit nichten,« fiel ihm van Hout in's Wort. »Der höchste Satz, um welchen die Würfel fallen, ist doch das Leben, und dies hat gleichen Werth für Arme und Reiche. Aber Diejenigen, welche damit zurückhalten werden, – die mein' ich zu kennen; sie haben kein schlichtes Sprüchlein oder Wahrzeichen, sondern stolze Wappen über den Thüren. Warten wir's ab!«

»Warten wir's ab,« sagte van der Werff; »jetzt aber gibt es näherliegende Dinge zu bedenken. Uebermorgen ist Himmelfahrtstag und dann wird man den großen Jahrmarkt einläuten. Gestern und vorgestern ist schon mehr als ein fremder Krämer und fahrender Mann durch die Thore gezogen. Sollen wir die Buden aufschlagen lassen, oder die Messe auf andere Tage verschieben? Wenn der Feind sich beeilt, so gibt es eine üble Verwirrung und wir spielen ihm vielleicht einen guten Fang in die Hände. Ich bitte um eure Meinung, ihr Herren.«

»Man sollte die Händler vor Schaden bewahren und den Markt verschieben,« sagte Dirk van Montfort.

»Nein, Herr,« entgegnete der Stadtsekretär, »denn wenn das Verbot ergeht, so nehmen wir den kleinen Leuten den schönen Verdienst und lähmen ihnen vorzeitig den guten Muth.«

»Laßt ihnen ihr Fest,« rief Janus Dousa. »Man soll der kommenden Noth den Gefallen nicht thun, um ihretwillen sich die frohe Gegenwart zu verkümmern. Wenn ihr weise zu handeln begehrt, so folget meinem Horatius.«

»Jeder Tag hat seine eigene Sorge, lehrt auch die Schrift,« fügte der Pastor hinzu, und der Hauptmann Allertssohn rief:

»Bei Leibe, ja! Meine Soldaten, die Bürgerwehr und die Freiwilligen müssen ihren Aufzug beim Ommegang haben. Im vollen Putz unter Wehr und Waffen, wenn schöne Augen ihn anlachen, die Alten ihm winken und die Kinder ihm jauchzend voranziehen, da lernt der Soldat sich erst fühlen.«

So ward denn beschlossen, den Jahrmarkt stattfinden zu lassen. Während andere Fragen in lebhaftem Wechselgespräch verhandelt wurden, fand die kranke Henrika in Barbara's freundlichem Zimmer liebreiche Aufnahme. Als sie entschlummert war, schaute Maria noch einmal nach ihren Gästen, aber sie trat nicht wieder an die Tafel; denn die Wangen der Herren glühten und sie redeten nicht mehr in guter Ordnung fein nach einander, vielmehr sprach jetzt ein Jeder zu dem Andern, wie es ihm eben gefiel. Der Bürgemeister verhandelte mit van Hout und dem Kommissar über das in die Stadt zu schaffende Korn, Janus Dousa und der Herr von Marmond redeten über das Poëm, welches der Stadtsekretär in der letzten Sitzung des Dichterbundes der Rederyker vorgetragen hatte, der ältere Herr van der Does und der Pfarrer stritten über die neuen Kirchengebräuche, und der große Hauptmann Allertssohn, vor welchem ein weites, bis auf den letzten Tropfen geleertes Trinkhorn stand, hatte die Stirn auf die Schulter, des Obersten Mulder gelehnt und vergoß, wie das seine Art war, wenn er sich beim Weine so recht glückselig fühlte, bittere Thränen.


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