Georg Ebers
Die Frau Bürgemeisterin
Georg Ebers

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Zwölftes Kapitel.

ln der stillen Nobelstraße war in diesen Maitagen das Hoogstraten'sche Haus das allerstillste. Auf dem Fahrdamm vor demselben lag in Folge einer Verordnung des Doktor Bontius und des Sachwalters der erkrankten alten Dame ein Gemisch von Stroh und Sand. Die Fenster waren dicht verhängt und zwischen dem Klopfer und der Thür hing ein Stück Filz. Das Hausthor war nur angelegt, aber hinter demselben saß ein Knecht, um denen, welche Einlaß begehrten, Bescheid zu geben.

Am Morgen des ersten Mai bogen der Musiker Wilhelm Korneliussohn und Janus Dousa in die Nobelstraße ein. Beide Männer hatten eine lebhafte Unterhaltung gepflogen, als sie sich aber dem Sand und Stroh näherten, dämpften sie erst die Stimmen und schwiegen dann gänzlich.

»Der Teppich, welchen man dem Triumphator Tod unter die Füße breitet,« sagte der Junker. »Hoffentlich wird er hier die Fackel nur einmal senken und dem Alter, so wenig ehrwürdig es auch sein mag, die Ehre erweisen. Bleibt nicht zu lange in dem verpesteten Hause, Herr Wilhelm.«

Der Musiker öffnete leise die Thür. Der Knecht begrüßte ihn schweigend und wandte sich nach der Treppe, um Belotti zu rufen; denn der »Spielmann« hatte schon mehr als einmal nach dem Hausmeister gefragt.

Wilhelm betrat das Kabinet, in dem er zu warten pflegte, und fand dort zum ersten Mal einen andern Besucher und zwar in eigentümlicher Stellung. Hoch aufgerichtet, aber mit seitwärts gebogenem Haupte saß Pater Damianus auf einem Lehnstuhl und schlief. Das Antlitz des Geistlichen, eines Mannes am Ende der dreißiger Jahre, war von einem dünnen hellblonden Barte umrahmt und so weiß und roth wie das eines Kindes. Um die große Tonsur zog sich ein schmales Kränzchen von dünnen, hellen Haaren; in den Händen, welche dem Schlummernden in den Schooß gesunken waren, hing ein stark gebräunter Rosenkranz von Olivenholzperlen. Weich und freundlich war das Lächeln, welches seinen halb geöffneten Mund umspielte.

»Dieser sanfte Heilige im langen Frauengewande,« dachte Wilhelm, »sieht nicht aus, als könnte er kräftig zugreifen, und dennoch sind seine großen Hände wacker ausgearbeitet und schwielig.«

Als Belotti das Kabinet betrat und den schlafenden Pater erblickte, schob er ihm behutsam ein Kissen unter den Kopf und winkte Wilhelm, ihm in die Hausflur zu folgen.

»Gönnen wir ihm ein wenig Ruhe,« sagte der Italiener. »Von gestern Mittag bis vor zwei Stunden hat er am Bette der Padrona gesessen. Gewöhnlich weiß sie nicht mehr, was mit ihr vorgeht, aber sobald das Bewußtsein ihr wiederkehrt, verlangt sie nach geistlichem Trost. Die Sterbesakramente verschmäht sie noch immer, denn sie will sich nicht eingestehen, daß es mit ihr zu Ende gehen könne. Manchmal freilich, wenn er sie schärfer anfaßt, fragt sie in Todesangst, ob Alles bereit sei, denn sie fürchtet sich doch, ohne Oelung zu sterben.«

»Und wie befindet sich Fräulein Henrika?«

»Ein klein wenig besser.«

Der Geistliche war aus dem Kabinet getreten. Belotti küßte ihm ehrerbietig die Hand und Wilhelm verneigte sich achtungsvoll.

»Ich war eingeschlafen,« sagte Damianus einfach und natürlich, aber mit nicht so kräftiger und tiefer Stimme, als man von seiner breiten Brust und hohen Gestalt zu erwarten berechtigt war. »Ich lese die Messe, besuche schnell meine Kranken, und dann komme ich wieder. Habt Ihr Euch eines Besseren besonnen, Belotti?«

»Es geht nicht, Herr, die Jungfrau weiß es, es geht nicht. Meine Kündigung hat auf den ersten Mai gelautet, heute schreibt man den achten, und noch bin ich hier – ich habe das Haus nicht verlassen, weil ich ein Christ bin! Jetzt werden die Damen von einem guten Arzt versorgt, Schwester Gonzaga thut ihre Pflicht, Ihr selbst verdient Euch durch Eure Pflege einen Platz unter den Märtyrern im Paradiese, und so kann ich denn, ohne mich einer Sünde schuldig zu machen, das Bündel schnüren.«

»Geht nicht, Belotti,« sagte der Pater ernst, »und wenn Ihr dennoch auf Eurem Willen besteht, so nennt Euch wenigstens nicht einen Christen.«

»Ihr werdet bleiben,« rief Wilhelm, »und wäre es nur um des jungen Fräuleins willen, dem Ihr doch gut seid.«

Belotti schüttelte den Kopf und entgegnete ruhig:

»Zu dem, was der ehrwürdige Pater mir gestern vorgestellt hat, könnt Ihr, junger Herr, nichts mehr fügen. Indessen, mein Entschluß ist gefaßt, ich will gehen; aber weil mir an des ehrwürdigen Paters und auch an Eurer guten Meinung liegt, so bitte ich Euch um die Gunst, mich anzuhören. Ich habe mein zweiundsechzigstes Jahr hinter mir, und ein altes Pferd und ein alter Diener stehen lange auf dem Markte, bevor Einer sie kauft. In Brüssel möcht' es wohl noch eine Stelle für einen katholischen Hausmeister geben, der seine Sache versteht, aber dies alte Herz sehnt sich nach Neapel zurück, – heiß, heiß, unaussprechlich. Ihr habt unser blaues Meer und unsern Himmel gesehen, junger Herr, und gewiß, mich verlangt nach ihnen, aber mehr noch nach anderen, kleineren Dingen. Es will mir schon wie ein Glück erscheinen, daß ich mit Euch, Meister Wilhelm, und mit Euch, mein Vater, meine Sprache reden darf. Aber es gibt ja ein Land, in dem Jeder redet wie ich. Am Fuß des Vesuv liegt ein kleiner Ort – gütiger Himmel, es möchte sich mancher fürchten, nur eine halbe Stunde da zu hausen, wenn der Berg dröhnt, wenn es Asche regnet und die glühende Lava in Fluß kommt. Die Häuser sind dort mit nichten so zierlich gefügt und die Scheiben blitzen auch nicht so reinlich wie hier zu Lande. Ich fürchte fast, daß es überhaupt nur wenig gläserne Fenster in Resina gibt, aber die Kinder frieren bei uns darum doch nicht mehr als bei euch zu Lande. Was würde wohl eine Leydener Hausfrau zu unserer Dorfstraße sagen? Stangen mit Weinlaub, Feigengeäst und bunte Wäsche auf den Dächern, an den Fenstern und den krummen und schiefen Altanen; Orangen- und Zitronenbäume mit goldenen Früchten in den kleinen Gärten ohne gerade Wege und abgezirkelte Beete. Alles wächst da kunterbunt durcheinander. Und die Buben, welche in ihren Lumpen, die kein Schneider genäht und geflickt hat, über die weißen Weinbergmauern klettern, und die kleinen Mädchen, denen die Mutter vor der Hausthür die Haare auskämmt, sie sind nicht so weiß und roth und sauber gewaschen wie holländische Kinder, aber ich möchte die braunen Schwarzköpfe mit den dunklen Augensternen doch einmal wiedersehen und unter all' dem Gerümpel in warmer Luft und ohne Sorge und Arbeit mit den Neffen und Nichten und Blutsverwandten meine Tage beschließen.«

Die Züge des alten Mannes hatten sich bei diesen Worten geröthet und aus seinen schwarzen Augen glänzte ein Feuer, welches noch vor Kurzem die Luft des Nordens und die lange Dienstarbeit ausgelöscht zu haben schien. Als weder der Pater noch der Musiker sogleich in seine abgebrochene Rede einfielen, fuhr er ruhiger fort:

»Der Monseigneur Gloria geht jetzt nach Italien, und ich kann ihn bis Rom als Reisemarschall begleiten. Von dort aus komme ich leicht nach Neapel, und mit den Zinsen meines Ersparten werde ich sorgenfrei leben. Am fünfzehnten reist mein künftiger Herr, und am zwölften muß ich schon in Antwerpen sein, wo ich ihn finde.«

Die Augen des Paters und Musikers begegneten einander. Wilhelm versagte der Muth, den Hausmeister von seinem Vorhaben abzuhalten, Damianus aber faßte sich zusammen, legte die Hand auf die Schulter des Alten und sagte:

»Wenn Ihr noch wenige Wochen hier ausharret, Belotti, so werdet Ihr später die rechte Ruhe, ich meine die Ruhe des guten Gewissens finden. Denen, die treu ausharren bis in den Tod, wird die Krone des Lebens verheißen. Wenn diese schweren Tage ein Ende gefunden, so wird es leicht gelingen, Euch den Weg in Eure Heimat zu ebnen. Gegen Mittag sehen wir uns wieder, Belotti. Wird mein Beistand nothwendig, so sendet zu mir; der alte Ambrosius weiß mich zu finden. Gottes Segen sei mit Euch, und wenn Ihr ihn von mir annehmen wollt, auch mit Euch, Meister Wilhelm.«

Nachdem der Priester das Haus verlassen, seufzte der Diener:

»So wird er mich dennoch zwingen, seinem Willen zu folgen. Er mißbraucht seine Macht über die Seelen. Ich bin kein Heiliger, und das, was er von mir verlangt . . .«

»Es ist das Rechte,« sagte Wilhelm entschieden.

»Aber Ihr wißt nicht, was es heißt, die beste Hoffnung eines langen, geplagten Lebens fortzuwerfen wie abgetragene Schuhe. Und für wen, ich frage Euch, für wen? Kennt Ihr meine Padrona? O Herr, ich habe in diesem Hause Dinge erfahren, Dinge, von denen Eure Jugend nicht ahnt, daß sie auch nur möglich sein könnten. Das junge Fräulein hat es Euch angethan! Hab' ich Recht oder Unrecht?«

»Ihr irrt Euch, Belotti.«

»Wirklich? Um Euretwillen kann es mir lieb sein, denn Ihr seid ein bescheidener Künstler, die Signorina aber trägt den Hoogstraten'schen Namen, und damit ist Alles gesagt. Kennt Ihr den Vater des Fräuleins?«

»Nein, Belotti.«

»Das ist ein Blut, – ein Blut! Habt Ihr nie etwas von der Geschichte der älteren Schwester unserer Signorina vernommen?«

»Henrika hat eine ältere Schwester?«

»Ja, Herr, und wenn ich an sie denke . . . Stellt Euch die Signorina vor, ganz unsere Signorina, nur höher, stattlicher, schöner.«

»Isabella!« rief der Musiker. Eine Vermuthung, welche seit seinem Gespräch mit Henrika in ihm lebendig geworden war, schien sich zu bestätigen, und so faßte er denn des Hausmeisters Arm so schnell und unerwartet, daß dieser zurücktrat, und fuhr dringend fort: »Was wißt Ihr von ihr? Ich bitt' Euch, Belotti, erzählt mir Alles.«

Der Diener schaute die Treppe hinan und entgegnete dann kopfschüttelnd:

»Ihr irrt wohl. Eine Isabella hat es meines Wissens in diesem Hause nicht gegeben, aber ich stehe Euch dennoch gern zu Diensten. Kommt nach Sonnenuntergang wieder, nur dürft Ihr keine fröhliche Geschichte zu hören erwarten.«

Die Dämmerung war kaum dem Dunkel gewichen, als der Musiker wiederum in das Hoogstraten'sche Haus trat. Das Kabinet war leer, aber er brauchte nicht lange auf Belotti zu warten.

Der Alte stellte ein zierliches Brettchen mit einem Krug Wein und einem Becher neben das Licht auf den Tisch und bot Wilhelm, nachdem er ihn über das Ergehen der Kranken unterrichtet hatte, mit ausgesuchter Höflichkeit einen Stuhl an. Als der Musiker ihn fragte, warum er nicht auch für sich einen Pokal mitgebracht, entgegnete er:

»Ich trinke nur Wasser, aber gewährt mir die Freiheit, mich niederzusetzen. Der Zimmerlakai hat das Haus verlassen, und es ging nun den ganzen Tag treppauf treppab. Das hat den alten Beinen wehe gethan, und wir dürfen keine ruhige Nacht erwarten.«

Eine einzige Kerze erhellte das Kabinet, als Belotti, welcher sich tief in den Stuhl zurückgelehnt hatte, die gefalteten Hände öffnete und langsam anhub:

»Also – ich sprach schon heute Morgen von dem Hoogstraten'schen Blute. Nun gerathen zwar die Kinder von gleichen Eltern überall gar verschieden, aber in Eurem kleinen Lande, welches seine eigene Sprache redet und auch sonst viel Eigenes besitzt – Ihr werdet's nicht leugnen – hat jedes alte Geschlecht sein besonderes Aussehen. Ich kann es wissen, denn ich bin in manchem adeligen Hause in Holland aus und ein gegangen. Jede Sippe hat eben eigenes Blut und ihre besondere Weise. Auch wo es – mit Eurer Erlaubniß – einen Sparren zu viel gibt, kommt er selten allein bei einem Mitgliede des Hauses vor. Meine Dame hat mehr von der französischen Art ihrer Frau Mutter. Aber ich will ja nur von der Signorina reden, und ich hole zu weit aus.«

»Nein, Belotti, gewiß nicht, wir haben Zeit, und ich höre Euch gern zu, nur müßt Ihr mir zuvor eine Frage beantworten.«

»Ei, Herr, wie die Wangen Euch glühen. Seid Ihr etwa der Signorina in Italien begegnet?«

»Vielleicht, Belotti.«

»Ja dann, ja dann freilich! Wer sie einmal gesehen, der vergißt sie nicht leicht. Was begehrt Ihr also zu wissen?«

»Zuerst den Namen der Dame.«

»Anna.«

»Und nicht auch Isabella?«

»Nein, Herr, sie wurde immer nur Anna genannt.«

»Und wann hat sie Holland verlassen?«

»Wartet: es war . . . Um Ostern wurden's vier Jahre.«

»Ist sie schwarz, braun oder blond?«

»Ich sagte es ja schon, ganz Fräulein Henrika. Aber welche Dame wäre nicht blond oder braun oder dunkel? Ich denke, wir kommen schneller zum Ziel, wenn Ihr mir jetzt eine Frage zu stellen gestattet. Hatte die Dame, welche Ihr meint, eine große, halbrunde Narbe hart unter dem Haar, gerad' in der Mitte der Stirn?«

»Genug,« rief Wilhelm und erhob sich rasch. »Sie war als Kind auf ein Gewehr ihres Vaters gestürzt.«

»Umgekehrt, Herr, der Griff der Waffe des Junkers van Hoogstraten ist auf die Stirn seiner leiblichen Tochter gefallen. Wie entsetzt Ihr dreinschaut! Mein Gott, ich habe in diesem Hause noch Anderes erlebt. Aber nun ist wieder die Reihe an Euch: In welcher Stadt meiner Heimat habt Ihr die Signorina getroffen?«

»In Rom, allein und unter einem angenommenen Namen. Isabella – ein holländisches Mädchen! Bitte, Belotti, fahrt fort in Eurer Erzählung; ich werde Euch sicher nicht mehr unterbrechen. Was hatte die Kleine gethan, daß ihr leiblicher Vater . . .«

»Der Junker ist eben unter den tollen Hoogstraten der tollste. In Italien habt Ihr vielleicht seinesgleichen gesehen – hier zu Lande könnt Ihr lange nach solch' einem Sturmwinde suchen. Für einen übel gesinnten Mann dürft Ihr ihn deßhalb nicht halten, aber ein Wort, das ihm gegen den Strich geht, ein scheeler Blick bringen ihn um die Besinnung, und es werden Dinge begangen, die man ebenso schnell bereut wie sie geschehen sind. Was nun die Narbe der Signorina betrifft, so ist sie so zu derselben gekommen: Sie war noch ein Kind und sollte natürlich das Schießgewehr nicht mit den Fingern berühren, aber sie that es dennoch, so oft sie nur konnte, und dabei ging einmal die Pistole los und die Kugel streckte einen der besten Jagdhunde zu Boden. Der Junker hörte den Knall, und als er das Thier am Boden liegen und die Pistole neben den Füßen des kleinen Fräuleins liegen sah, nahm er sie auf und schlug mit ihrem scharfkantigen Griffe . . .«

»Ein Kind, seine eigene Tochter!« rief Wilhelm entrüstet.

»Es gibt eben verschiedene Menschen,« fuhr Belotti fort. »Die einen, und zu denen werdet Ihr wohl gehören, überlegen fein, bevor sie reden und handeln; die zweiten erwägen lange, und wenn sie fertig sind, gibt es viele Worte zu hören, doch zum Handeln kommen sie selten; die dritten aber, und an ihrer Spitze die Hoogstraten'sche Sippe, häufen Thaten auf Thaten, und wenn sie ja einmal überlegen, so geschieht es höchstens nach der vollendeten Handlung. Finden sie dann, daß sie ein Unrecht begangen, so kommt der Stolz und verbietet ihnen, es einzugestehen, es gut zu machen oder zu widerrufen. So folgt dann ein Unglück dem andern; aber es geht den Herren nicht nach, und bei Wein und Spiel, beim Turnier und auf der Jagd wird es vergessen. Schulden gibt es genug, aber den Gläubigern überläßt man die Sorge, und für die Knaben, denen das Erbgut nicht zufällt, findet sich ein Platz bei Hofe oder im Heere, für die Mädchen fehlt es gottlob, wenn sie sich zu unserer heiligen Religion bekennen, nicht an Klöstern, und für alle beide hofft man auf reiche Basen und andere Blutsverwandte, die ohne Nachkommen sterben.«

»Ihr malt mit lebhaften Farben.«

»Aber wahr sind sie dennoch; und auf den Junker passen sie alle; für Söhne brauchte er freilich sein Gut nicht zusammenzuhalten, denn seine Gattin hatte ihm keine geschenkt. Er war ihr am Hofe in Brüssel begegnet und sie stammte aus Parma.«

»Habt Ihr sie gekannt?«

»Sie war schon gestorben, bevor ich zur Padrona in's Haus kam. Die beiden Fräulein sind ohne Mutter herangewachsen. Ihr habt gehört, daß der Junker sich auch an ihnen vergreifen konnte, aber darum hat er sie doch wohl geliebt und sich niemals entschließen mögen, sie in ein Kloster zu geben. Manchmal fühlte er freilich, – er gab es wenigstens im Gespräch mit der Eccellenza willig zu, – daß es passendere Orte für ein heranwachsendes Edelfräulein gebe als sein Schloß, in dem es arg genug herging, und so sandte er denn endlich seine älteste Tochter zu uns. Meine Herrin mochte sonst niemals junge Mädchen in ihrer Nähe leiden, aber Fräulein Anna gehörte zu unseren nächsten Verwandten, und ich weiß, daß sie dieselbe aus freien Stücken zu sich geladen. Ich sehe die sechzehnjährige Signorina noch vor mir; ein süßeres Geschöpf, Herr Wilhelm, ist mir weder früher noch später je vor die Augen gekommen, und dabei blieb sie sich niemals gleich. Ich habe sie so weich gesehen wie flandrischen Sammet, aber zu anderen Zeiten konnte sie brausen und toben wie der Novembersturm in Eurem Lande. Schön wie eine junge Rose ist sie immer gewesen, und weil die alte Cameriera ihrer Mutter – sie war in Lugano zu Hause – sie groß gezogen, und der Priester, welcher sie unterrichtet hatte, aus Pisa stammte und als ein mit der Musik vertrauter Maëstro bekannt war, so sprach sie meine Sprache nicht besser und schlechter als ein toskanisches Kind und war mit der Musika völlig vertraut. Ihren Gesang, ihr Harfen- und Lautenspiel habt Ihr wohl selber gehört, aber wissen sollt Ihr, daß alle Hoogstraten'schen Frauen, mit Ausnahme meiner Dame, für Eure Kunst besondere Gaben besitzen. Wir wohnten im Sommer in dem schönen Landhause, welches vor der Belagerung von Euren Freunden, – mit geringem Recht sollte ich meinen – niedergerissen worden ist. Mancher stattliche Besuch kam damals zu uns geritten. Wir hielten auch offenes Haus, und wo eine gute Tafel winkt und es ein schönes Fräulein wie unsere Signorina gibt, da bleiben die Ritter nicht fern. Unter ihnen befand sich auch ein sehr vornehmer Herr in mittleren Jahren, der Marquis d'Avennes, welchen die Eccellenza ausdrücklich zu sich geladen. So aufmerksam wie ihn haben wir keinen Fürsten empfangen. Natürlich, denn seine Mutter war eine Verwandte der Eccellenza. Ihr müßt wissen, daß meine Dame von mütterlicher Seite aus der Normandie stammt. Der Marquis d'Avennes war gewiß ein feiner Kavalier, aber weit mehr zierlich als männlich. Bald war er wie toll in Fräulein Anna verliebt und hielt richtig um ihre Hand an. Eccellenza begünstigte die Werbung, und der Junker sagte einfach: ›Du nimmst ihn.‹ Widerrede duldet er nicht. Auch andere Ritter fragen ihre Töchter nicht lange, wenn ein passender Freier sich zeigt. So ward die Signorina des Marquis Verlobte, aber die Padrona erklärte entschieden, ihre Nichte sei noch zu jung für die Ehe. Sie hat damals den Junker, den sie so fest am Seil hielt wie der Hufschmied das Füllen, zu bestimmen gewußt, die Hochzeit bis nach Ostern zu verschieben. Im Winter sollte für die Ausstattung gesorgt werden. Dem Marquis wurde die Bedingung gestellt, sich noch ein halbes Jahr zu gedulden. Er ritt denn auch mit dem Ring am Finger nach Frankreich zurück. Seine Braut hat ihm kein Thränchen nachgeweint und vor den Augen der Cameriera, von der ich es weiß, den Reif, sobald der Bräutigam fort war, in die Schmuckschale geworfen. Sie wagte es nicht, sich dem Vater zu widersetzen, aber vor der Eccellenza hielt sie nicht mit der Meinung über den Marquis zurück, und ihre Base, welche doch die Werbung des Franzosen begünstigt hatte, ließ sie gewähren. Früher war es dagegen oftmals zwischen dem alten und jungen Fräulein heiß hergegangen, und wenn die Padrona Grund gehabt hatte, dem wild aufgewachsenen Falken die Flügel zu stutzen und ihn zu lehren, was adeligen Damen ziemt, so war die Signorina doch auch berechtigt gewesen, sich über manche Zumuthung zu beklagen, mit der Eccellenza ihr die Freude am Dasein verdarb. Es thut mir leid, Meister, das Vertrauen Eurer Jugend zu stören, aber wer mit offenen Augen grau ward, dem sind auch Menschen begegnet, die es freut, ja denen es noth thut, andere Menschen zu kränken. Dabei will es mir freilich tröstlich erscheinen, daß Keiner bös ist, um böse zu sein, ja ich habe oft gefunden, daß die schlechtesten Regungen, – wie soll ich nur sagen? – daß die schlechtesten Regungen aus dem Umschlag oder auch nur der maßlosen Uebung der herrlichsten Tugenden hervorgehen, deren Kehrseite oder Zerrbild sie sind. Aus schönem Ehrgeiz habe ich gelben Neid, aus tüchtigem Eifer verdammliche Habsucht, aus zärtlicher Leidenschaft wilden Haß hervorgehen sehen. Meine Herrin hat, als sie jung war, treu und fest zu lieben verstanden, aber sie wurde schmählich betrogen, und nun bemächtigte sich ihrer der Groll, nicht nur gegen eine bestimmte Person, sondern gegen das Leben, und aus der edlen Treue ist bei ihr zähes Festhalten an schlimmen Wünschen geworden. Wie ich das meine und wie dies gekommen, werdet Ihr erfahren, wenn Ihr mir weiter zuhören wollt.

»Als der Winter herankam, erhielt ich den Auftrag, nach Brüssel voranzureisen und dort einen neuen Hausstand auf glänzendem Fuß in Gang zu bringen. Die Damen folgten mir bald. Es war vor vier Jahren. Herzog Alba residirte damals noch als Vizekönig in Brüssel; und dieser hohe Herr hielt große Stücke auf meine Dame, ja er hat uns zweimal die Ehre seines Besuchs erwiesen. Auch seine vornehmen Offiziere gingen bei uns aus und ein. Unter ihnen befand sich Don Luis d'Avila, ein Edelmann aus altem Hause, der zu den Begünstigten des Herzogs gehörte. Er stand so wenig wie der Marquis in der ersten Jugend, aber er war von anderem Schlage als er; ein Mann von hoher Gestalt, wie aus Stahl gehämmert, ein Fechter von unwiderstehlicher Kraft und Gewandtheit, der gefürchtetste Händelsucher, in dessen brennenden Augen und wundervollem Gesange doch wohl eine geheimnißvolle, die Frauen bezaubernde Gewalt liegen mußte. In der Dienerstube wurden Abenteuer zu Dutzenden erzählt, welche er bestanden haben sollte, und die Hälfte von ihnen beruhte auf Wahrheit; das habe ich später mit Sicherheit in Erfahrung gebracht. Wenn Ihr glaubt, daß dieser Herzensbrecher wie die frohen, lockigen Glückskinder aussah, denen die Jungfrauen entgegeneilen, um ihnen ihre Liebe auf den Händen entgegenzutragen, so irrt Ihr, denn Don Luis war ein ernster Mann mit bleichen Wangen und kurz geschorenem Haar, welcher niemals andere als dunkle Kleider und sogar ein Schwert trug, an dem der Griff statt aus Gold und Silber, aus geschwärztem Metalle bestand. Er glich viel eher dem Tod als der blühenden Liebe. Vielleicht machte ihn gerade das unwiderstehlich, denn wir werden ja Alle für den Tod geboren und kein Werber ist des Sieges so sicher wie er.

»Die Padrona war ihm anfänglich nicht eben günstig gesinnt, aber das sollte sich ändern, und schon um Neujahr wurde er auch zu den kleinen Abenden gezogen. Er erschien, so oft wir ihn luden, aber für unser junges Fräulein hatte er kein Wort, keinen Blick, kaum einen Gruß. Nur wenn die Signorina sich zum Singen bequemte, trat er in ihre Nähe und bemerkte mit scharfen Worten, was ihm an ihrem Vortrag mißfiel. Manchmal sang er auch selbst, und dann wählte er gewöhnlich dieselben Lieder, welche das Fräulein gesungen, gleichsam um sie durch seine höhere Kunst zu überbieten.

»So ging es bis zum Karneval. Am Fastnachtsdienstag gab die Padrona ein größeres Fest, und als ich die aufwartenden Diener leitete und dabei hinter der Signorina und Don Luis stand, dem die Padrona schon lange den Platz neben ihrer Nichte anzuweisen pflegte, da bemerkte ich, daß sich ihre Hände unter der Tafel gefunden hatten, um lange in einander zu ruhen. Mir wurde so bang um's Herz, daß ich nur schwer die Aufmerksamkeit, welche an jenem Abend so nöthig war, bewahren konnte – und als ich am folgenden Morgen zu der Padrona gerufen wurde, um Rechnung zu legen, da hielt ich es für meine Pflicht, ihr bescheiden zu bemerken, daß Don Luis d'Avila's Werbung dem jungen Fräulein trotz ihrer Brautschaft nicht zu mißfallen scheine. Sie ließ mich reden; als ich aber zu berichten wagte, was man sich über den Spanier erzählte, fuhr sie heftig auf und wies mir die Thür. Ein treuer Diener hört und sieht oft mehr als die Gebietenden ahnen, und ich genoß das Vertrauen der Milchschwester der Padrona, welche nun nicht mehr ist; damals aber wußte Susanna um Alles, was die Herrin anging.

»Mit den Aussichten des Bräutigams in Frankreich stand es schlecht, denn wenn die Padrona über ihn redete, so that sie es mit einem Lachen, welches wir kannten und das nichts Gutes verhieß; aber sie schrieb doch viel an den Marquis und seine Mutter, und mancher Brief aus Rochebrun traf bei uns ein. Freilich ertheilte die Eccellenza auch Don Luis mehr als eine geheime Audienz.

»Während der Fasten kam ein Bote des Junkers mit der Meldung, daß am heiligen Ostertage er selbst aus Haarlem und der Marquis von Schloß Rochebrun in Brüssel eintreffe, und am grünen Donnerstag erhielt ich den Auftrag, die Hauskapelle mit Blumen zu schmücken, Postpferde zu bestellen und Anderes mehr. Am heiligen Charfreitag, dem Tage der Kreuzigung des Herrn – ich wollte gern, daß ich Lügen erzählte, – am heiligen Charfreitag wurde die Signorina in aller Frühe bräutlich geschmückt, Don Luis erschien schwarz gekleidet, stolz und finster wie immer, und vor Sonnenaufgang bei Kerzenschein, an einem kalten und feuchten Morgen, – mir ist es, als wär's erst gestern gewesen, – wurde der Kastilianer mit unserem jungen Fräulein getraut. Die Padrona, ein spanischer Offizier und ich waren die Zeugen. Gegen sieben Uhr früh fuhr der Wagen vor, und nachdem er bepackt war, übergab mir Don Luis ein Kästchen, um es in die Kutsche zu stellen. Es war schwer, und ich kannte es wohl; die Padrona pflegte darin das gemünzte Gold aufzubewahren. Zu Ostern wußte die ganze Stadt, Don Luis d'Avila habe die schöne Anna van Hoogstraten entführt und ihren Bräutigam auf seinem Wege nach Brüssel am grünen Donnerstag Morgen, – also kaum vierundzwanzig Stunden vor der Hochzeit, – zu Hal im Zweikampf getödtet.

»Wie der Junker van Hoogstraten bei seiner Ankunft getobt hat, das werde ich niemals vergessen. Die Padrona weigerte sich, ihn zu sehen, und gab sich für krank aus, aber sie war so gesund, wie sie in den letzten Jahren nur sein konnte.«

»Und wißt Ihr das rätselhafte Betragen Eurer Herrin zu deuten?« fragte Wilhelm.

»Ja, Herr; ihre Gründe liegen offen zu Tage. Aber es wird spät, und ich muß mich beeilen; über das Einzelne weiß ich ohnehin nicht viel zu berichten, denn ich war selbst noch ein Kind, als es sich zutrug. Freilich hat mir Susanna Manches erzählt, das sich wohl der Mittheilung lohnte. Die Mutter der Eccellenza war eine Chevreaux und bei der Schwester derselben, welche im Winter zu Paris residirte, hat meine Dame ihre besten Jahre verlebt. Es war zur Zeit des hochseligen Königs Franz, und Ihr wißt wohl, daß dieser große Fürst ein galanter Herr war, ein kecker Ritter, von dem es heißt, er habe nicht weniger Herzen gebrochen als Lanzen. – Auch meine Padrona, die damals noch schön war, gehörte zu den Damen seines Hofes und König Franz hat sie ausgezeichnet vor Vielen. Aber das Fräulein wußte ihre Ehre zu wahren, denn sie hatte früh in dem galanten Marquis d'Avennes einen Ritter gefunden, dem sie mit aller Treue ergeben war und um den sie manche Nacht schmerzlich verweint hat; denn wie der Herr, so der Diener, und der Marquis trug zwar fünf Jahre lang die Farbe des Fräuleins und erwies ihr jeden Dienst eines gehorsamen Ritters, aber seine Augen und sein Herz schweiften auch viel zur Rechten und Linken. Indessen kehrte er immer wieder zu seiner Dame zurück, und als das sechste Jahr herankam, drangen die Chevreaux in den Marquis, dem Spiel ein Ende zu machen und an die Hochzeit zu denken. Meine Dame begann die Ausstattung zu rüsten, und Susanna war Zeugin, wie sie mit dem Marquis zu Rath ging, ob sie die holländischen Liegenschaften und Schlösser behalten oder zum Verkauf bringen sollte. Aber es kam noch immer nicht zur Hochzeit, denn der Marquis mußte mit dem Heer nach Italien ziehen, und das Fräulein lebte in steter Angst um ihn; denn es ist damals den Franzosen in meiner Heimat gar übel ergangen, und er ließ sie oft ganze Monde auf Nachrichten warten. Endlich kehrte er heim und fand im Chevreaux'schen Hause die kleine Base des Fräuleins zu einer reizenden Jungfrau herangewachsen. Das Andere könnt Ihr Euch denken. Die Knospe Hortense gefiel dem Marquis nun besser als die fünfundzwanzigjährige holländische Blume. Die Chevreaux waren vornehm, aber auch verschuldet genug, und dem Freier war, während er in Italien kämpfte, die große Herrschaft seines Herrn Oheims zugefallen, und so ließen sie ihn nicht vergebens fragen. Meine Dame zog nach Holland zurück. Des Junkers Vater forderte den Marquis heraus, doch floß kein Blut bei dem Zweikampf, und Herr d'Avennes lebte mit Hortense von Chevreaux in gesegneter Ehe. Ihr Sohn war der unglückliche Bräutigam der Signorina. Versteht Ihr, Herr Wilhelm? Ein halbes Leben lang hat sie den alten Groll gehegt und gepflegt; ihm zu Gefallen wurde ihr eigenes Blut dem Fechter Don Luis geopfert, aber dafür hat sie durch den Tod des einzigen Sohnes der verhaßten Mutter das Weh heimgezahlt, das sie jahrelang um ihretwillen getragen.«

Der Musiker ballte das Tuch, mit dem er sich die Stirn getrocknet hatte, zusammen und fragte dumpf:

»Was habt Ihr weiter von Anna erfahren?«

»Wenig,« entgegnete Belotti. »Der Junker hat sie aus seinem Herzen gerissen und nennt Henrika seine einzige Tochter. Wen der Fluch des Vaters belastet, den flieht das Glück, und sie hat es gewiß nicht gefunden. Don Luis soll wegen übler Streiche zum Fähnrich degradirt worden sein, und wer weiß, was aus der armen, schönen Signorina geworden. Die Padrona sandte ihr durch Signor Lamperi über Florenz bisweilen Geld nach Italien, – aber in den letzten Monaten hab' ich davon nichts mehr gehört.«

»Noch eine Frage, Belotti,« sagte Wilhelm. »Wie hat der Junker, nach dem, was seiner ältern Tochter im Hause meiner Herrin begegnet ist, ihr auch Henrika anvertrauen mögen?«

»Geld – das leidige Geld. Um sich das Schloß zu erhalten und die Erbschaft nicht einzubüßen, gab er sein Kind fort. Ja, Herr, wie um ein Roß, so ward um die Signorina gehandelt, und billig hat der Junker sie nicht hergegeben. Trinket, Herr, denn Euer Aussehen ist übel.«

»Es hat nichts zu sagen,« gab Wilhelm zurück, »aber die frische Luft wird mir wohl thun. Habt Dank für Eure Erzählung, Belotti.«


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